Arbeiter:innenmacht

GDL-Tarifrunde Deutsche Bahn: Fünf für Fünf und ein Claus Weselsky

bigbug21, CC BY-SA 2.5 , via Wikimedia Commons

Leo Drais, Neue Internationale 278, November 2023

Es wird sein großer Auftritt zum Schluss. Die anstehende Tarifrunde bei der Deutschen Bahn soll die letzte für den Vorsitzenden und Verhandlungsführer der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) sein. Danach will der frühere Lokführer in den Ruhestand gehen. Bis dahin ist eine harte Tarifauseinandersetzung zu erwarten.

Forderungen

Das Paket sieht wie folgt aus: 555 Euro mehr in der Tabelle, darunter deutliche Entgelterhöhung für Azubis; Zulagen + 25 %; 35-Stunden-Woche für Schichtarbeitende (inkl. Wahlrecht für Beschäftigte zwischen 40- und 35-Stundenwoche); Inflationsausgleichsprämie 3.000 Euro; 5-Schichten-Woche, 5 % Arbeit„geber“:innenanteil für die betriebliche Altersversorgung; nach 5 Schichten, spätestens nach 120 Stunden, muss der nächste Ruhetag beginnen (Mindestfrei: 48 Stunden); 12 Monate Laufzeit.

Die Antwort des DB-Personalvorstandes Martin Seiler, seines Zeichens früherer Betriebsrat der Deutschen Post (also einer, der sich damit auskennt), war ein erwartbares Geheul, dass die DB damit 10.000 neue Fachkräfte zusätzlich bräuchte (gut wär’s!). Er schlug dann vor, von Anfang an eine moderierte Verhandlung zu führen, was Weselsky ebenso erwartbar ablehnte.

Hinter den Kulissen stehen die Zeichen natürlich lange nicht so auf Sturm, wie sich nach außen gegeben wird. Da ist von vorneherein klar, dass das, was gefordert wurde, nicht erreicht wird und auch gar nicht erreicht werden will, auch nicht von Claus Weselsky. Dafür sind die Forderungen der Basis wie etwa der Ortsgruppe bei der S-Bahn Berlin (30 % mehr, besondere Altersteilzeit ab 50 für Schichtarbeitende sowie das tarifvertragliche Recht der Kriegsdienstverweigerung am Zug für alle Bahnbeschäftigten) geflissentlich in Schubladen verschwunden.

Streiken, verhandeln, Claus

Natürlich werden Streiks stattfinden, allein schon, weil die Vorstellungen von DB und GDL weit auseinander liegen. Zudem waren sie immer Teil des Waffenarsenals der GDL in den letzten 15 Jahren und weiterhin sind sie bereits angedroht worden, auch, um die eigenen Mitglieder einzustimmen. Entscheidend ist die Frage: Wird es einen Erzwingungsstreik geben und wenn ja, wie viele Zugeständnisse wird es der DB gegenüber am Ende trotzdem geben? Und kann so ein Streik durchgehalten werden?

Die Motivation dafür dürfte hoch sein. Die Inflation schlägt ins Kontor, die Arbeitsbedingungen entsprechen der Pünktlichkeit und dann ist da die sowieso vorhandene, grundsätzlich kämpferischere Haltung der GDL. Und dann ist da noch die Konkurrenz zur EVG. Für Claus Weselsky und die Führung der GDL ist sie ein Ziel wiederholter verbaler Angriffe und negativer Profilierung. Auch wenn an der Inflation gemessen die GDL ebenfalls eine „Einkommensverringerungsgewerkschaft“ in den letzten Jahren war (und es wird sehr schwer, dies diesmal nicht auch zu sein), so wirft der große Claus vor allem der EVG vor, dies zu sein.

Zweifellos hat die GDL viel rausgeholt, was die EVG dann nachgetragen bekommen hat. Ihre kämpferische Haltung ist glaubwürdiger und der Vorsitzende Weselsky schafft es, sich mit einer gewissen schrulligen Note mitgliedernah zu geben – gepaart mit einem gehörigen Schuss Populismus. Selbst die bürgerliche Presse, deren liebster Feind er war, beginnt nun, mit der Gewissheit, ihn bald los zu sein, ihm kleine Denkmäler zu bauen und ihn anerkennend eine Kultfigur zu nennen. Die GDL ist vor allem er. Sein wahrscheinlicher Nachfolger Mario Reiß wird es trotz sächsischen Akzents und angedeutetem Schnauzer schwer haben, es ihm gleichzutun.

Und so ist der Apparat auch auf die Spitze der GDL zugeschnitten, sowohl strukturell als auch personell. Die Sekretär:innen sind noch mehr als etwa in der EVG Weisungsempfangende von oben, was zuerst eine straffere Kontrolle bedeutet. Eine breitere Debatte über das Ergebnis der GDL-Runde wird es nicht geben. Natürlich ist Claus Weselskys Ablehnung einer moderierten Verhandlung zwar an sich richtig, aber die Begründung, nicht im Hinterzimmer verhandeln zu wollen, geheuchelt, denn in allen Tarifrunden der GDL lief es immer darauf hinaus, dass nicht nur die letzten Worte, sondern auch die ersten der Runde die Kabinette nie verließen.

Darüber hinaus schwingt natürlich die Anwendung des Tarifeinheitsgesetzes durch die DB mit, von dem Martin Seiler nicht abrückt, das zu Fall zu bringen über einen angestrebten Kündigungstarifvertrag, ein richtiges Ziel der GDL ist. Es bedeutet eine verschärfte Konkurrenz zwischen den Gewerkschaften EVG und GDL, da nur der Tarifvertrag derjenigen Gewerkschaft gilt, die die Mitgliedermehrheit in den jeweiligen DB-Betrieben stellt. In 18 Betrieben ist das die GDL, in 282 die EVG, wobei es nicht erwiesen ist, ob diese Verteilung tatsächlich den Mehrheitsverhältnissen entspricht. Die EVG war in diesem Sinne bisher tatsächlich eher eine Hausgewerkschaft, die GDL die, die sich reingekämpft hat. Um das zu erreichen, wurden nicht nur für deutsche Verhältnisse vergleichsweise harte Streiks geführt. Der Vorstand um Claus Weselsky gebärdete sich stark und zugleich opportun. Sie ist nicht nur fein damit, Rechte unter ihren Mitgliedern zu haben, sondern stellt sogar heraus, keine Abgrenzung gegen die AfD zu wollen. Das sei nicht Aufgabe einer Gewerkschaft. Diese habe schlicht gute Arbeitsbedienungen für ihre Mitglieder zu erreichen. Hier ist die GDL eindeutig reaktionärer als die EVG. Auch wenn es schwierig war, es gegen die alte, weiß-männlich geprägte Garde durchzusetzen war, gibt es in Letzterer eine gewisse Offenheit z. B. für queere Themen.

Entsprechend ist das Verhalten zu den Zerschlagungsplänen der DB. Während die EVG als „Hausgewerkschaft“ des Staatskonzerns an der Misere DB festhält, spricht sich die GDL für die Zerschlagung aus, was zwar nicht dem Eisenbahnsystem nutzt, aber die Erwartung in sich trägt, den eigenen Einfluss auszubauen. Da passt es ins Bild, eine eigene Leiharbeitsfirma mit „fair-train“ gegründet zu haben, wie wir im Artikel „GDL – Genossenschaft Deutscher Lokführer?“ im Juni auf unserer Homepage gezeigt haben.

Kaum was nehmen sich übrigens EVG und GDL beim Thema DB Cargo. Es zeichnet sich ab, dass die DB die rote Zahlen schreibende Güterzugsparte zusammenstauchen will. 1.800 Jobs sollen wegfallen, darunter 400 Triebfahrzeugführerstellen. So klappt das natürlich mit der Verkehrswende nicht. Selbst wenn flächendeckend die Schrauben- durch automatische Kupplungen ersetzt werden würden (was sinnvoll wäre!), würde der Einzelwagenverkehr in der Konkurrenz gegen die Straße kaum mithalten können. Die privaten EVU im Gütersektor konzentrieren sich entsprechend fast ausschließlich auf das Ganzzuggeschäft.

Wo bleiben da die Gewerkschaften, nicht nur in Worten dagegen zu sein, sondern dagegen zu kämpfen? Warum machten und machen sie den Erhalt von Cargo nicht zum Teil ihrer Tarifrunde? „Keine Stellenstreichung“ müsste die Parole lauten! Der Kampf um eine einzige staatliche Bahn mit guten Arbeitsbedingungen, finanziert aus massiver Besteuerung privater Profite und unter Kontrolle der Beschäftigten, wäre die Alternative. Damit wäre ein großer Pool an Lokpersonal vorhanden, was nicht erst per Taxi nach Rotterdam gefahren werden muss, um da einen Zug zu holen, der nicht fertig vorbereitet ist. Die sinnlosen und Trassen blockierenden Leerfahrten wären somit auch Geschichte.

Durchsetzen, zusammen kämpfen!

Aber zurück zur GDL-Runde. Dass eine rasche Urabstimmung angestrebt wird, ist ein gutes Zeichen und das richtige Vorgehen angesichts der Blockade durch Martin Seiler. Es gibt der GDL-Spitze jedoch auch freies Geleit. Umso wichtiger ist es, für öffentliche Verhandlungen, tägliche Streikversammlungen und eine wähl- und abwählbare Streikdelegation einzutreten – Forderungen, die angesichts der Popularität Weselskys einer Debatte bedürfen. Was soll die Selbstermächtigung, wenn es wen gibt, der das schon alles für eine/n macht?

Die Diskussion sollte vor dem Hintergrund geführt werden, warum eigentlich von Anfang an bereits hinter den Kulissen gesagt wird, dass das Geforderte nicht erreicht werden wird.

Die Tarifrunde der GDL geht aber nicht nur diese an. Die EVG darf nicht ihrerseits die Politik der Entsolidarisierung betreiben, die die GDL-Spitze während der EVG-Tarifverhandlungen führte, sie muss vielmehr jeden Streikbruch ablehnen und den Streik der GDL unterstützen. Ein Erfolg der GDL wäre schließlich einer für alle – und Solidaritätsbekundungen durch die EVG und, falls die Führung das verweigert, durch kämpferische Kolleg:innen wären ein wirklicher Schritt, die reale Entsolidarisierung bei der Bahn zu verhindern. So könnte auch die Grundlage für gemeinsame Kämpfe für höhere Einkommen, bessere Arbeitsbedingungen und kürzere Arbeitszeiten geschaffen werden – und für den kommenden Großkonflikt, nämlich gegen die Zerschlagung der Bahn.

Schließlich ist die Tarifrunde auch eine, die alle Lohnabhängigen betrifft und die wir offensiv mit der Forderung nach einem kostenlosen Nahverkehr für alle verbinden müssen, für einen ersten Schritt zu einer realen Verkehrswende im Sinne der gesamten Arbeiter:innenklasse. Die Bildung von Solidaritätskomitees mit einem GDL-Streik wäre ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Um eine solche Perspektive bei der Bahn, EVG und GDL gegen die Vorstände, alle Bürokrat:innen, die farblosen wie die schillernden, durchzusetzen, brauchen wir Organisierung der kämpferischen und klassenbewussten Basis.

Daher: Unterstützt die Vernetzung für kämpferische Eisenbahner:innen! Tretet mit ihr in Kontakt, beteiligt Euch an deren Aufbau!

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