Arbeiter:innenmacht

Ergebnisse der Münchner Sicherheitskonferenz 2018 – Ein weiterer Schritt in Richtung Abgrund?

Karl Kloß und Christian Gebhardt, Infomail 988, 25. Februar 2018

Unter dem Motto „Bis zum Abgrund und wieder zurück?“ trafen sich vom 16.-18. Februar Staats-, Wirtschafts- und RegierungsvertreterInnen zur 54. Münchner Sicherheitskonferenz (SiKo), einer Konferenz, die offiziell den Zweck verfolgen soll, Absprachen zur Gewährleistung von Sicherheit und Frieden in der Welt zu treffen.

Nicht nur das Motto, sondern auch die unterschiedlich vorgetragenen Strategievorstellungen zeigten auf, dass die krisengeschüttelte „Weltordnung“ auch in den Reihen der Herrschenden für Sprengstoff sorgt. Zwar wurden vordergründig Kooperation und Gemeinsamkeiten in der Sicherheits- und Friedenspolitik zelebriert, dennoch reihte sich auch dieses internationale Strategietreffen in die Liste gescheiterter Meetings ein. Nach den Treffen der G7 in Italien, der G20 in Hamburg oder den Klimagipfeln offenbarte auch die diesjährige SiKo mehr Spaltung als Einheit – ein Zeichen der zunehmenden innerimperialistischen Spannungen und Konflikte, die essentiell für die Arbeit von RevolutionärInnen sowie deren eigene strategische Debatten sein sollten.

Ambitionen der Europäischen Union?

Schon in seiner Eröffnungsrede wies der Organisator der SiKo, Wolfgang Ischinger, auf die ambivalente Lage sowie die sichtbaren Warnsignale hin. Die internationale Ordnung und die westlichen Werte seien seiner Meinung nach durch Terrorismus und antidemokratische Bestrebungen bedroht, gegen die es offensiv vorzugehen gelte. Darüber hinaus wies er auf eines der Hauptthemen der diesjährigen Konferenz hin: die Rolle der Europäischen Union. Für ihn stellen die Fragen der europäischen Verteidigungsunion sowie der Wille der EU, eine globale Führungsrolle einzunehmen, wichtige strategische Grundpfeiler der Diskussion dar. Wie soll eine EU mit größeren militärischen Möglichkeiten und den damit einhergehenden Ambitionen im Verhältnis zur NATO aufgestellt werden? Steht eine europäische Verteidigungsunion in Konkurrenz zur NATO oder kann sie als eine Ergänzung aufgefasst werden? All dies wurde unter der Überschrift „transatlantische Partnerschaft“ ausgiebig diskutiert.

Diesen Fragen widmeten sich im Anschluss die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sowie ihre französische Kollegin Florence Parly. Beide näherten sich der Frage der Konkurrenz zur NATO mit der Aussage, dass eine militärisch stärker aufgestellte EU nicht als Gegensatz zu ihr aufgefasst werden dürfe. Eher müsse eine größere und eigenständigere Rolle der EU als Ergänzung betrachtet werden. Als Beispiele hierfür wurden gemeinsame Einsätze wie auch die geschichtliche Rolle der NATO als stabilisierende Institution für den europäischen Frieden nach dem Zweiten Weltkrieg hervorgehoben. Auch unterstrichen die beiden Verteidigungsministerinnen den Willen ihrer Regierungen, das eingeforderte 2 %-Ziel der NATO in den kommenden Jahren zu erreichen.

Die Reden des deutsch-französischen Duos gingen aber auch auf eigenständige Ambitionen der Europäischen Union wie auch ihrer einzelnen Nationen ein. Beide waren klar darin, dass eine größere militärische Stärke der EU auch von ihr genutzt werden wird und sollte. Die ersten unternommenen Schritte dazu in Form von PESCO wurden unterstrichen. Damit diese nun auch effektiv angewandt werden kann, müsse über die Entscheidungsfindungen innerhalb der EU gesprochen und verhandelt werden. Florence Parly nannte dies die „Tyrannei des Konsenses“, welcher überwunden werden müsse.

Für beide Ministerinnen beginnt aber auch eine starke europäische Verteidigung mit verbesserten nationalen Systemen. Die beschlossenen Erhöhungen der Militärausgaben sollen in beiden Ländern für die Professionalisierung, Modernisierung und den personellen Ausbau der jeweiligen Streitkräfte (nach innen wie außen) genutzt werden. Das strategische Ziel der beiden Führungsmächte innerhalb der EU wurde jedoch klar. Die EU will sich (noch) nicht als militärische Konkurrenz zur NATO (und damit zum US-Imperialismus) betrachten, will jedoch ihre Stärke erhöhen und, wenn notwendig, auch alleine tätig werden. Hier war von der Leyen sehr eindeutig, wenn sie sagte, dass „…wer voranschreiten möchte, von einzelnen nicht behindert werden darf.“ Auch wenn dies unter den derzeitigen Verhältnissen hauptsächlich als eine Ansage gegen die derzeitigen Konsensentscheidungen innerhalb der EU verstanden werden konnte, so muss als an die internationale Konkurrenz gerichtet bewertet werden, dass eine militärische Armee der EU auch im Sinne des europäischen Imperialismus (vornehmlich dem deutschen und französischen) unabhängig eingesetzt werden soll.

Transatlantische Partnerschaft

Neben der Rolle der Europäischen Union wurde die transatlantische Partnerschaft immer wieder auf der Konferenz thematisiert. Hierunter verstanden die SprecherInnen einerseits die Absicherung von „westlichen Werten“ wie Demokratie, Sicherheit und Frieden und andererseits die NATO als militärisches Mittel dazu. In den Gesprächen wurde sehr deutlich, dass die FürsprecherInnen für transatlantische Partnerschaft weiterhin die Kooperation mit der Europäischen Union suchen und von dieser auch eine effektivere Rolle verlangen. So ließ der Generalsekretär der NATO Jens Stoltenberg die Anwesenden wissen, dass die EU Europa alleine nicht schützen könne und eine europäische Verteidigungsunion nur als Ergänzung zur NATO gesehen werden könne. Schließlich bestehe Europa aus einem Sammelsurium von Staaten – Mitgliedern der EU und der NATO oder nur einer der zwei Vereinigungen. Daher könne eine EU-Verteidigung alleine auch nicht im gesamteuropäischen Interesse handeln, sondern immer nur in enger Kooperation mit der NATO – ein interessanter Ansatz des Prinzips „Teilen und Herrschen“ seitens des US-Imperialismus in Einflusssphären konkurrierender Mächte! Indirekt wies die Rede Stoltenbergs auf ein strategisches Mittel der USA hin, vermittelt durch die NATO unterschiedliche europäische Länder gegeneinander auszuspielen und die Ambitionen der EU zu unterbinden. Zuletzt wurde dies im Ukrainekonflikt deutlich sichtbar, bei dem der US-Imperialismus durch seinen Einfluss den Ansprüchen des deutschen Imperialismus Knüppel zwischen die Beine werfen konnte.

Daneben hob Jens Stoltenberg die wieder zunehmende nukleare Bedrohung hervor. Nordkorea sei hier der Hauptaggressor, welchem mit Druck und klaren Sanktionen begegnet werden müsse. In diesem Teil seiner Rede wurde ein sehr klares Blockdenken deutlich: eines Blocks des anwesenden „Westens“ gegen einen aus dessen Konkurrenten Russland und China. Beide Länder könnten, so Stoltenberg, mit ihrem Einfluss auf Nordkorea dessen Aggressionen stoppen, wenn sie nur wollten – vom eigentlichen Aggressor, dem US-Imperialismus und seinen Verbündeten, schwieg er.

Innerimperialistische Konflikte

Die Konflikte zwischen den unterschiedlichen imperialistischen Mächten wurden aber nicht nur in Bezug zum Konflikt auf der koreanischen Halbinsel diskutiert. Vor allem Russland wurde von vielen SprecherInnen – allen voran von Petro Poroschenko stark angegriffen. Auch wenn einzelne Redebeiträge für einen umsichtigeren und kooperativeren Umgang mit Russland argumentierten, wurde von den meisten Anwesenden Härte gegen diesen Rivalen gefordert. Dies lässt auf weitere Zuspitzungen internationaler Konflikte schließen, an denen Russland beteiligt ist. Beispielhaft können wir dies an den aktuellen Entwicklungen in Syrien erkennen, wo die imperialistischen Interessen Russlands, mit denen der USA, der EU sowie etlicher Regionalmächte im Nahen Osten immer stärker und intensiver aufeinanderprallen.

Der chinesische Imperialismus wurde widersprüchlicher auf der Konferenz diskutiert. Dies liegt wohl auch daran, dass China eine wichtigere wirtschaftliche Stellung in der kapitalistischen Weltordnung einnimmt als der wirtschaftlich geschwächte russische Imperialismus. Ein weiterer Punkt ist auch, dass sich China aus den Konflikten der letzten Jahre eher herausgehalten bzw. sich wie im Falle von Nordkorea beschränkt kooperativ gezeigt hatte. Am stärksten wurde China in der Rede des deutschen Außenministers Sigmar Gabriel  angegriffen. Hier sieht er die Neuprägung der Welt durch das „Seidenstraßenprojekt“ Chinas aufkommen. Laut ihm liefen der Westen und seine Werte in Gefahr, von einem „neuen chinesischen Zeitalter“ abgelöst zu werden. Er plädierte deshalb für ein gemeinsames Dagegenhalten und die Ausformulierung einer „europäisch-westlichen Zukunft“.

Die unterschiedlichen Töne zu China – und in geringerem Maße auch zu Russland – verdeutlichten jedoch auch, dass es „den Westen“ als einheitlichen Block nicht gibt. Die US-Politik unter Trump richtet sich auch gegen die Formierung der EU als mögliche Rivalin. Die neue, aggressive und unilaterale Ausrichtung des „America First“ bedeutet auch, dass für die EU allenfalls der Platz des ewigen Zweiten übrigbleibt. Deutschland und Frankreich drohen, politisch, militärisch weiter zurückzufallen, was letztlich auch die ökonomische Position Deutschlands längerfristig unterminieren wird. Daher wollen sich diese Mächte und insbesondere die BRD auch andere Optionen offenhalten, wie u. a. auch Gabriels Vorstoß bezüglich des Abbaus der Sanktionen gegen Russland zeigte.

Das Fragezeichen bleibt, weitere Konflikte werden kommen!

Zu Beginn der Konferenz hatte Wolfgang Ischinger zum Ziel erklärt, dass das Fragezeichen hinter ihrem diesjährigen Motto nach Ende der Tagung gestrichen werden könne. Für ihn hätte dies bedeutet, dass klare Handlungsversprechen ausgearbeitet, also Wege gezeichnet werden könnten, die weg vom „Abgrund“ zeigten. In seiner Abschlussrede musste aber auch er zugeben, dass dieses Ziel nicht erreicht wurde. Auch wenn viele „gute Ideen und Visionen“ diskutiert wurden, konnten keine gemeinsamen Handlungen von den Anwesenden formuliert werden.

Dies kommt wahrscheinlich auch für Ischinger nicht überraschend. In Wirklichkeit ist es schlichtweg ausgeschlossen, dass die zunehmenden Gegensätze auf Konferenzen wegverhandelt werden können. Die diesjährige SiKo ist nur ein weiterer Beweis dafür.

Wie schon in unserem Aufruf zu den diesjährigen Protesten gegen die SiKo formuliert, stellt für uns der einzige Weg, um Schluss zu machen mit Krieg, Ausbeutung und Zerstörung, der Aufbau eines effektiven Widerstands gegen die VerursacherInnen selbst dar! Dazu ist es auch nötig, die ArbeiterInnenklasse und ihre Organisationen verstärkt für diesen Widerstand zu gewinnen und diesen mit einer antikapitalistischen Ausrichtung zu verbinden.

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