Arbeiter:innenmacht

Alles Querfront?

Martin Suchanek, Neue Internationale 272, April 2023

Der Querfrontvorwurf erlebt Konjunktur in der Linken. Einmal erhoben, bedarf er keiner weiteren Begründung. Jede Diskussion erledigt sich damit von selbst. Schließlich will ja auch niemand in Verdacht geraten, Querfrontler:innen zu verteidigen, mit ihnen zusammenzuarbeiten oder auch nur zu reden.

Längst ist das Wort zum Kampfbegriff geworden. Worum es sich bei den einzelnen wirklichen oder vermeintlichen Querfronten handelt, bedarf oft kaum einer weiteren Betrachtung. Kein Wunder also, dass unterschiedliche politische Phänomene darunter verstanden und einsortiert werden.

So gelten als Querfronten nicht nur Bündnisse und Bewegungen zwischen Linken und Rechten bis hin zu protofaschistischen Gruppierungen, die zu Recht politisch geächtet werden. Auch der Vorwurf ähnlicher Ziele (z. B. in der Kriegsfrage) reicht, um aus dieser Gemeinsamkeit eine Querfront zu konstruieren. Dieser trifft nicht nur den „Aufstand für den Frieden“ vom 25. Februar, zu dem Wagenknecht und Schwarzer aufriefen. Auch gegenüber der Demonstration der Linkspartei gegen die Krisenpolitik der Bundesregierung am 4. September 2022 wurde der Querfrontvorwurf laut, weil die Linken mit 4.000 Menschen durch die Stadt zogen, statt sich auf die Blockade einer deutlich kleineren rechten Kundgebung zu konzentrieren.

Schließlich gilt mitunter schon als Querfront eine Zusammenarbeit mit Gruppen, die unter Querfrontverdacht stehen. Die Problematik einer solchen Herangehensweise zeigt sich nicht nur bei großen Friedensdemonstrationen wie am 25. Februar, sondern auch im Umgang mit Coronaskeptiker:innen und Impfgegner:innen. Zweifellos stellten z. B. die Querdenkerdemos eine reaktionäre Massenbewegung dar – sowohl wegen des Einflusses Rechter wie auch wegen ihres eigentlichen Zieles, das sich gegen einen Gesundheitsschutz für die Bevölkerung richtete.

Aber das erklärt natürlich nicht, warum diese Demonstrationen auch reale und berechtigte Ängste vor den Auswirkungen der Coronakrise und nachvollziehbare Vorbehalte gegen staatliche Maßnahmen mit einem reaktionären Ziel verbinden konnten – und wie dem hätte entgegengewirkt werden können. Indem die Teilnehmer:innen dieser Demos allesamt für immer als „Querfrontler:innen“ gebrandmarkt werden, haben wir politisch noch nichts gewonnen. Es braucht auch eine Politik, wie alle jene, die keine Nazis oder unverbesserliche Irrationalist:innen sind, von den Rechten weggebrochen werden können. Bevor wir uns aber diesen Fragen widmen, müssen wir uns mit dem Begriff, dem Wesen und verschiedenen Formen von „Querfront“ beschäftigen. Das erscheint leider unumgänglich, weil die Häufigkeit und Selbstverständlichkeit, mit der dieser Vorwurf erhoben wird, in einem krassen Missverhältnis zur Unklarheit und Erklärungsbedürftigkeit des Begriffs steht.

Querfront als Bündnis

Der Terminus „Querfront“ tauchte erstmals am Beginn der 1930er Jahre in der Weimarer Republik auf. Die ökonomische Krise, die damit verbundene Polarisierung und politische Unmöglichkeit, eine stabile parlamentarische Mehrheit zu bilden, führte zur Einsetzung (halb)bonapartistischer Regierungen unter Brüning, Papen und von Schleicher, die ihrerseits nach einer gesellschaftlichen Stütze suchten.

Der Reichswehrgeneral von Schleicher entwickelte dabei die Vorstellung, seine Herrschaft auf ein Bündnis von Reichswehr, „linker“ NSDAP (dem Strasser-Flügel) und dem Gewerkschaftsbund ADGB zu gründen. Da die anvisierte Allianz „quer“ zur traditionellen Rechts-links-Polarisierung lag, wurde das Vorhaben als „Querfront“ bezeichnet.

Als Grundlage eines Bündnisses, das ihn an die Spitze einer „Regierung alle Volkskreise“ und einer Präsidialdiktatur bringen sollte, schlug von Schleicher eine etatistische Wirtschaftspolitik, staatliche Regulierung und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sowie Besteuerung von Reichen vor, womit er an Forderungen der Gewerkschaften, aber auch am kleinbürgerlich-reaktionären „Antikapitalismus“ der Strassers anknüpfte. So weit zum Ursprung des Begriffs. Bekanntlich wurde von Schleichers Vorhaben nie realisiert und sein eigenes Regime erwies sich letztlich als Übergang zur faschistischen Diktatur.

Klassenpolitischer Kern

Ihrem Wesen nach ist die Querfront jedenfalls ein Bündnis zwischen verschiedenen Klassenkräften, das sowohl Teile der bürgerlich-reformistischen Arbeiter:innenbewegung wie auch der extremen (faschistischen oder halbfaschistischen) Rechten einschließt. Solche Konstellationen entstehen fast immer in Krisenperioden des Kapitalismus, wenn die „normale“ bürgerlich-parlamentarische Herrschaftsform, die in relativ stabilen Phasen das eigentliche Betätigungsfeld des Reformismus, linkspopulistischer und linker kleinbürgerliche Kräfte darstellt, selbst nicht mehr die Ordnung sichern kann.

Von Seiten der „linken“ Kräfte geht es bei der Querfront um eine ähnliche Zielsetzung wie bei der Volksfront, also um ein Bündnis mit offen bürgerlichen Kräften, um den Kapitalismus in der Krise zu stabilisieren. Ideologisch rückt jeder Anklang an Klassenpolitik in den Hintergrund oder wird entsorgt zugunsten der vermeintlich gemeinsamen Interessen „des Volkes“ auf Basis eines (zeitweilig) regulierten Kapitalismus.

Dies wird grundsätzlich dadurch möglich, dass Reformismus, Populismus und andere Spielarten kleinbürgerlicher Politik letztlich immer auf dem Boden bürgerlicher Verhältnisse stehen. Es ist daher nur naheliegend, dass sie diese, wenn auch mit eigenen Brosamen für die Massen retten wollen. Da Querfront wie Volksfront auf einem Bündnis antagonistischer Klassenkräfte beruhen, brauchen sie aber auch eine/n „oberste/n Vermittler:in“, die/der scheinbar über den antagonistischen Kräften steht und das „Volksganze“ verkörpert. Daher die innere Tendenz zum Bonapartismus.

Auch wenn das Vorhaben von Schleichers nicht umgesetzt wurde, so fanden dennoch einigermaßen ernste, teilweise geheime Unterredungen im Jahr 1932 statt, bis NSDAP- und  SPD-Führung dem Vorhaben einen Riegel vorschoben. Eine Reihe anderer Abkommen und Regierungsbündnisse offenbart freilich die Nähe von Volks- und Querfront, so der Eintritt der KPI in die „antifaschistische“ italienische Regierung unter Badoglio (einem ehemaligen General Mussolinis, der mit ihm gebrochen hatte, als sich die Niederlage Italiens abzeichnete) im März 1944, so die Volksfront Allendes unter Einschluss von Pinochet, so die Syriza-Anel-Regierung in Griechenland.

Das deklarierte Ziel dieser Regierungen bestand auf Seiten der Reformist:innen darin, „Schlimmeres“ zu verhindern wie eine Machtübernahme der Rechten in Chile, die offen faschistische Diktatur in Deutschland. In Wirklichkeit bestand und besteht die Funktion dieser Bündnisse darin, eine konterrevolutionäre Stabilisierung des Kapitalismus gegen den möglichen Ansturm der Arbeiter:innenklasse herbeizuführen. Gelingt dies, so kann diese wie in Griechenland oder Italien eine „demokratische“ Form annehmen. Gelingt es nicht wie in Chile, so wird „Schlimmeres“ (Militärputsch in Chile, Faschismus in Deutschland) nicht verhindert, sondern diesem der Boden bereitet.

Der konterrevolutionären Wesenskern der Quer- wie Volksfront und deren gemeinsame Funktion spielen in der aktuellen Debatte jedoch so gut wie keine Rolle. Und das aus gutem Grund. Schließlich haben die meisten Kräfte, die unter Querfrontverdacht stehen, wie auch deren Kritiker:innen gegen die Volksfront nichts einzuwenden – und sind damit ihrerseits daran interessiert, die Ähnlichkeiten der beiden nicht weiter zu beleuchten.

Querfront und rechte Ideologie

Der Begriff Querfront umfasst allerdings auch einen anderen Aspekt, den wir schon im und nach dem Ersten Weltkrieg als politisches Phänomen beobachten können. Die Niederlage im Krieg, die ökonomische Zerrüttung und die politische Krise führten auf der Rechten zur Entstehung pseudoradikaler Strömungen in der Intelligenz (und davon beeinflusst auch von völkischen, rechtsextremen bis hin zu faschistischen Kräften).

Autoren wie Oswald Spengler, Arthur Moeller van den Bruck oder Carl Schmitt stehen beispielhaft für diese präfaschistischen Ideologien, die bis heute gern von Rechten als angeblich vom Faschismus getrennter „radikaler“ Konservativismus und Nationalismus zurechtgebogen werden. Paradigmatisch dafür steht die sog. „konservative Revolution“.

Anders als der traditionelle bürgerliche Konservatismus griffen diese Intellektuellen die Krisenmomente der imperialistischen Ordnung so auf, dass sie ihre reaktionäre, autoritäre und diktatorische Antwort mit einem pseudoradikalen kleinbürgerlichen Antikapitalismus,  Kritik an der bürgerlichen Demokratie und Dekadenz verbanden. Sie erschienen daher als „revolutionär“, inszenierten sich als Vertreter:innen des „Volkes“, der Nation, der „Rasse“, deren echte Gemeinschaft keine Klasse mehr kennt. Ihr „Sozialismus“ nahm zwar auch Anleihen bei der revolutionären Linken, einzelnen Begriffen, Konzepten oder Aktionsformen, war aber zugleich von Beginn an strikt gegen den Marxismus gerichtet, um der „Volksgemeinschaft“ den Weg zu bereiten, und eng verbunden mit Antisemitismus und -liberalismus.

Die Krise des Kapitalismus und der Kampf um die Vorherrschaft im Rahmen der Weltordnung bildeten den Hintergrund und den Nährboden dafür, dass diese Ideologien einen Resonanzboden beim vom Untergang bedrohten Kleinbürgertum und unter der Intelligenz finden konnten. Anstelle des „verrotteten“ Parlamentarismus und Liberalismus sollte eine „echte“ Volksordnung ohne Parteien treten. So sollte den inneren Kämpfen der Nation – und das heißt vor allem dem Klassenkampf – ein Ende bereitet werden, samt aller inneren und äußeren Feind:innen. So sollte die Nation wieder fit gemacht werden für den „natürlichen“ Kampf zwischen den Völkern und „Rassen“. Auch wenn nicht alle diese Autor:innen in der Weimarer Republik (oder der heutigen „neuen Rechten“) dem Faschismus direkt zuzurechnen sind, so gehen sie in eine ähnliche, aggressive imperialistische Richtung. Mit dem Faschismus teilen sie außerdem, dass sie der äußersten Reaktion einen aktivistischen, pseudorevolutionären, antibürgerlichen Anstrich geben.

Als Bewegung fand dieser demagogische „Antikapitalismus“ seinen extremsten Ausdruck im Faschismus. Dieser stellt dabei nicht einfach eine besonders reaktionäre Partei oder Ideologie dar, sondern sein Wesen besteht gerade darin, das „wild gewordene Kleinbürgertum“ als Rammbock zur Zerschlagung der Arbeiter:innenbewegung zusammenzufassen. Einmal an der Macht, verliert der Faschismus seinen Bewegungscharakter, entledigt sich seines „linken“ Randes wie z. B. beim sog. Röhmputsch und gerät zu einer extremen Form der kapitalistischen, imperialistischen Diktatur.

Um ihre Rolle als demagogische, scheinbar antibürgerliche oder gar „sozialrevolutionäre“ Kraft spielen zu können, müssen die rechten Intellektuellen wie auch bürgerlichen oder kleinbürgerlichen Kräfte demagogische Anleihen bei der wirklichen, gegen das Kapital gerichteten Arbeiter:innenbewegung aufnehmen. Daher stellt das demagogische, entstellende Ausschlachten von Symbolen, Versatzstücken, Begriffen und Aktionsformen fortschrittlicher Bewegung oder auch des Marxismus einen Zug aller diese alt- wie neurechten Gruppierungen und Ideolog:innen dar.

Natürlich sind solche „Übernahmen“ von Begriffen, Symbolen, Dresscodes unangenehm und irritierend. Daher ist es wichtig zu verstehen, warum dies stattfindet – und man muss sich auch ihre Grenzen vor Augen halten. In jedem Fall stellen diese Phänomene keine „Querfront“ zwischen Linken und Rechten dar, sondern eher das Gegenteil. Wenn man den Begriff dafür verwenden will, so besteht die „Querfront“ in der Übernahme von Symbolen oder bestimmter Termini, deren Sinn zudem oft entstellt wird und die immer in einen politischen und ideellen Gesamtkontext so eingefügt werden, dass sie eine gänzlich andere Bedeutung als in einem klassenpolitischen oder gar marxistischen Kontext annehmen. Der Rekurs auf Begriffe, Konzepte, Themen der Arbeiter:innenbewegung oder Linken ist kein Zufall und auch kein originelles „neues“ Konzept rechter Ideolog:innen, sondern ergibt sich vielmehr aus ihrem Ziel, auch die „unteren“ Klassen, also rückständige Schichten des Proletariats und Teile des Kleinbürger:innentums zu einer rechten, reaktionären Bewegung zu formieren, die in Scheinopposition zum Kapital steht, letztlich aber nur für eine andere Ausrichtung der Nation in der Konkurrenz zu anderen eintritt. Der Populismus, der positive Bezug zum von den Klassen gereinigten „Volk“ stellt daher eine Grundideologie aller rechten „Querfrontler:innen“ dar.

Die Linke und rechter Pseudoradikalismus

Die Entstehung von rechten, populistischen, völkischen bis hin zu faschistischen Bewegungen samt ihrer pseudoradikalen, „antielitären“ Ideologie stellt an sich eine Gefahr für die Arbeiter:innenklasse und die Linke dar. Das trifft insbesondere zu, sobald sich aufgrund von krisenhaften Verwerfungen populistische, pseudoradikale Bewegungen mit Massencharakter bilden, die auch Teile des Kleinbürger:innentums und der Arbeiter:innenschaft zu mobilisieren vermögen.

Natürlich muss eine revolutionäre Linke dabei nach Wegen suchen, wie rückständige Schichten der Arbeiter:innen, die von solchen Bewegungen angezogen werden oder sich diesen gar anschließen, für die Klasse (zurück)gewonnen werden können. Die Geschichte der Weimarer Republik liefert dabei etliche Beispiele, wie es sicher nicht geht – nämlich durch ideologische Anpassung.

Der Nationalbolschewismus, die Schlageterrede Radeks, Ruth Fischers Zugeständnisse an den Antisemitismus, das KPD-Programm der „nationalen und sozialen Befreiung“, aber auch die Sozialfaschismustheorie gehören zu diesen schweren politischen Fehlern.

Hinter all dem steckt eine Verkennung und Unterschätzung des aggressiv-reaktionären Charakters populistischer, nationalistischer, völkischer oder gar faschistischer „Bewegungen“. Dies rührt daher, dass sich die „oppositionelle“ Rechte scheinbar gegen die bürgerliche Klasse, gegen den Liberalismus oder sogar gegen den Imperialismus – natürlich nur den der anderen Mächte – richtet.

Die Anhänger:innen dieser Bewegungen erscheinen daher als irregeleitete, von den Verhältnissen bedrückte Menschen, die sich eigentlich gegen den/die vermeintlich gemeinsame/n Gegner:in – die dekadente, bürgerliche „Mitte“, Liberalismus, Zentrum, Reformismus und Gewerkschaftsbürokratie – zu richten scheinen. Diese Sicht gewinnt an Plausibilität dadurch, dass diese tatsächlich die bestehenden Verhältnisse in der Krise verteidigen, verwalten oder im Fall der Sozialdemokratie als „Arzt am Krankenbett des Kapitalismus“ fungieren.

Wird der wahre, reaktionäre Kern des demagogischen rechten Pseudoradikalismus nicht richtig begriffen, so droht eine Politik der Anpassung an einen kämpferischen, mit der herrschenden Ordnung scheinbar in Konflikt geratenen Rechtspopulismus.

So biedert sich Radek in der Schlageterrede, die allerdings von Lenin scharf kritisiert wurde, dem Nationalsozialisten Schlageter als „Märtyrer des deutschen Nationalismus“ an. Im Nationalbolschewismus wird der Nationalismus des geschlagenen deutschen Reiches zu einem „Befreiungsnationalismus“ mythologisiert. Im Programm der „nationalen und sozialen Befreiung“ versucht die stalinisierte KPD, der NSDAP den Nationalismus streitig zu machen, und die Sozialfaschismustheorie ging oft auch noch damit einher, dass die Kommunist:innen ihr „Hauptfeuer“ gegen die Sozialdemokratie richten sollten, statt eine Einheitsfront mit ihr gegen die Nazis zu bilden.

Auch wenn diese politischen Positionen zu wenig realen gemeinsamen Fronten oder wenigstens Absprachen von KPD und Rechten oder Nazis führten, so beinhalteten sie eine fatale politische Konsequenz. Sie verschleierten den eigentlichen Klassencharakter der pseudoradikalen, reaktionären Intelligenz und reaktionärer kleinbürgerlicher Bewegungen (inklusive der realen Gefahr, die der Faschismus darstellte).

Dies umfasste sowohl fatale taktische Fehler (insbesondere Sektierertum gegenüber sozialdemokratischen Arbeiter:innen und den Gewerkschaften), aber auch eine Anpassung an die reaktionäre rechte Ideologie – z. B. an den Nationalismus oder auch Verharmlosungen des Antisemitismus. Dies spielte, wie Trotzki zu Recht am KPD-Programm der „nationalen und sozialen Befreiung“ kritisierte, den Rechten in die Hände. Die Anpassung an den deutschen Nationalismus, das Kokettieren mit der Idee, dass Deutschland aufgrund der Versailler Verträge zu einer unterdrückten Nation geworden wäre, trug natürlich nicht dazu bei, dass sich nationalistisch geprägte Kleinbürger:innen oder rückständige Arbeiter:innen der KPD zuwandten. Im Gegenteil, die Nazis und andere Rechte griffen diese Anpassung auf, indem sie darauf verwiesen, dass die KPD nur selbst die zentrale Bedeutung der Nation, das Primat des Volkes vor der Klasse anerkennen müsse.

Die allgemeine, grundlegende Schlussfolgerung aus diesen geschichtlichen Fehlern lautet: Gegenüber dem Kleinbürger:innentum (wie generell gegenüber allen nicht ausbeutenden Klassen und Schichten) müssen Kommunist:innen Forderungen und ein Programm zur Lösung ihrer realen existenziellen Probleme (z. B. Verschuldung, Not) entwickeln. Sie dürfen jedoch keinerlei Zugeständnisse an reaktionären Ideologien und rückständiges Bewusstsein machen, schon gar nicht, wenn dies in Bewegungsform auftritt.

Linkspopulismus heute

Genau hier, in der Anpassung an rückständiges Bewusstsein liegt in der aktuellen Lage das eigentliche politische Problem. Natürlich gibt es auch reales Mitschwimmen von Menschen oder Gruppierungen, die der politischen Linken zuzurechnen sind, bei aktuellen rechtspopulistischen oder rechten Mobilisierungen. So beteiligten sich die sog. Freie Linke oder der sog. Demokratische Widerstand an der reaktionären Querdenker:innenbewegung und demonstrierten dabei auch gemeinsam mit Nazis oder rechtsradikalen Gruppen.

Aber diese Gruppierungen stellen politisch eine Randerscheinung dar. Der größte Teil der Linken lehnte eine Beteiligung an den Querdenker:innendemos und jedes Bündnis mit diesen ab, selbst wenn sie nur eine verharmlosende Position zur Pandemie und ihren Gefahren vertraten.

Auch wenn Sahra Wagenknecht von rechten Magazinen wie Compact oder von der AfD gelegentlich gelobt wird, so besteht keine organisierte Zusammenarbeit. Man mag ihr, dem ihr nahestehenden Flügel der Linkspartei, Aufstehen oder auch Teilen der Friedensbewegung vorwerfen, dass sie sich nicht ausreichend von rechten Mitläufer:innen auf ihren Aktionen abgrenzen. Aber selbst wo das zutreffen mag, ist das etwas anderes als eine Zusammenarbeit.

Das politische Problem liegt in Wirklichkeit woanders. Sahra Wagenknecht, Gruppierungen wie Aufstehen und eine ganze Reihe andere Linker haben in den letzten Jahren einen politischen Schwenk zum Linkspopulismus vollzogen. Anstelle eines, wenn auch bloß reformistischen Bezugs zur Klasse als zentralem Referenzpunkt der eigenen Politik trat das „Volk“. Die Lohnabhängigen operieren dabei nicht mehr als besondere Klasse, sondern nur als Teil einer Mehrheitsbevölkerung, die verschiedene Klassen umfasst, Arbeiter:innen, Kleinbürger:innen und auch „hart arbeitende“ Unternehmer:innen. In ihren Büchern hat die einstige Stalinistin längst der Marx’schen Kapitalismuskritik entsagt.

Ihr Ziel ist nicht die Umwälzung der Verhältnisse, sondern eine regulierte, soziale Marktwirtschaft – daher auch ihr positiver Bezug auf die Sozialdemokratie der Nachkriegszeit und selbst auf Ludwig Erhard.

Ihre „linke“ Politik läuft letztlich darauf hinaus, die Menschen für ein nationales, sozialstaatliches Programm zu gewinnen, das seinerseits eine bessere Stellung für alle Deutschen bringen soll. So wie Wagenknecht den Kapitalismus als gegeben betrachtet, so nimmt sie auch konservative, nationalistische, rückständige Bewusstseinsformen als gegeben. Dass Menschen an reaktionären Geschlechterstereotypen hängen, heimatverbunden und auf „ihre“ Nation stolz sind, erscheint ihr einfach als „natürlich“.

Daher richtet sich Wagenknecht – dem rechten Diskurs in der Tat nicht ganz unähnlich – gegen „Kosmopolitismus“, „offene Grenzen“, „Genderwahn“. Sie verknüpft ein sozialstaatliches Versorgungsversprechen mit einer reaktionären Kritik am bürgerlichen Liberalismus und „Kosmopolitismus“.

Am Liberalismus kritisieren Marxist:innen seinen bürgerlichen Charakter. Sie kritisieren, dass seine Freiheitsversprechen letztlich immer auf halbem Wege steckenbleiben müssen, weil die formale, rechtliche Gleichheit immer Makulatur bleiben muss, wenn die kapitalistischen Verhältnisse selbst nicht in Frage gestellt, ja verteidigt werden. Das Problem des „Kosmopolitismus“ besteht nicht in seinem universalen, den Nationalstaat transzendierenden Versprechen, sondern darin, dass es auf dem Boden einer imperialistischen, auf kapitalistischer Ausbeutung basierenden Weltordnung für die Masse immer unerfüllbar bleiben muss. Wirkliche Freiheit und Gleichheit kann es allenfalls als formale geben – und selbst dies ist, wie wir bei der Entrechtung von Migrant:innen und Geflüchteten wie überhaupt der Bevölkerung der meisten vom Imperialismus beherrschten Länder sehen können, für Milliarden Menschen nicht der Fall. Daher treten wir für einen proletarischen Internationalismus ein, für eine Politik des revolutionären Klassenkampfes, die dem historisch überholten Nationalstaat und der imperialistischen Ordnung wirklich die Totenglocken läuten kann.

Dass Wagenknecht und generell der Linkspopulismus „anschlussfähig“ an die Rechte sind, ist also nicht Folge einer bündnispolitischen Ausrichtung. Es ist vielmehr Resultat einer Ideologie, die selbst einen klassenübergreifenden Charakter trägt, die daher notwendigerweise den Klassenkampf hintanstellen muss und vorhandene, rückständige Bewusstseinsformen als „Band“ zwischen verschiedenen Klassen verwendet. Es ist dabei kein Zufall, dass dazu eifrig vor allem auf Bejahung der Nation oder „fortschrittlichen“ Patriotismus gemacht werden muss, weil der Nationalismus selbst eine quasi natürliche Kernideologie im imperialistischen Staat darstellt.

Eine gewisse Ironie besteht natürlich darin, dass auch das „Establishment“, die politische Kaste, die Elite, also das politische Personal des deutschen Imperialismus und die herrschende Klasse auch auf Nationalismus und Patriotismus setzen – sich also ihrerseits die „nationale Einheit“ auf die Fahnen geschrieben haben. Wenn also von Seiten der Regierung, der SPD, der Grünen, des SPIEGEL, der taz oder anderer linksbürgerlicher Medien an Wagenknecht der Vorwurf kommt, sie spiele zu viel mit nationalen, rückwärtsgewandten Ressentiments, so entbehrt dies nicht einer gewissen Komik angesichts des nationalen, liberaldemokratischen Schulterschlusses zur Aufrüstung für „unsere“ NATO. Die Querfrontvorwürfe gegen Wagenknecht und Schwarzer, die von dieser Seite kommen, sind im Grunde nichts als politische Nebelkerzen, um die eigene imperialistische Politik zu rechtfertigen.

Das ändert natürlich nichts daran, dass linkspopulistische Theorie und Politik von Marxist:innen einer scharfen Kritik unterzogen werden müssen, weil sie, setzen sie sich durch, zu einer Stärkung bürgerlicher Ideologie und weiteren Zersetzung des Klassenbewusstseins führen müssen.

Das bedeutet jedoch keineswegs, dass Revolutionär:innen im Kampf gegen soziale Angriffe oder Kriegstreiberei mit solchen Kräften nicht zusammenarbeiten dürfen. Im Gegenteil. Wo sie fortschrittliche und reale Sorgen und Nöte der Massen aufgreifen, müssen Linke in die Mobilisierungen intervenieren, freilich ohne ihre Kritik am Populismus zurückzustellen, sondern um für eine revolutionäre Klassenpolitik einzutreten.

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