Revolutionary Socialist Movement Pakistan, Infomail 1219, 3. April 2023
In der letzten Woche sind 12 Menschen, drei Kinder und neun Frauen, gestorben, als sie in einem Wohltätigkeitszentrum für den Fastenmonat Ramadan in Karatschi für Mehl anstanden. Hunderte von Frauen und Kindern hatten sich vor dem Zentrum versammelt, das von einer Textilfärberei eingerichtet worden war, in der Hoffnung, wenigstens einen Sack Mehl zu bekommen, während die Lebensmittelpreise in die Höhe schnellen. Als die Menschenmenge immer größer wurde, ging die Polizei mit Schlagstöcken gegen sie vor.
Ähnliche Szenen spielten sich im Quaid-e-Azam-Stadion (Mirpur-Cricketstadion in Azad Kaschmir) ab, wo 45 Frauen verletzt wurden und eine alte Frau bei einer Massenpanik nach einem weiteren Schlagstockeinsatz der Polizei und Schlägen zu Tode kam. Die vom Fasten bereits dehydrierte und geschwächte Menge hatte mehrere Stunden in der prallen Sonne ausgeharrt, nachdem die für die Identifizierung der Empfänger :innen verwendete Handy-App ausgefallen war.
Aus vielen anderen Städten des Landes wurden Tote und Verletzte gemeldet, was die Nahrungsmittelkrise, mit der Millionen Menschen konfrontiert sind, verdeutlicht.
Weizen ist das Grundnahrungsmittel in Pakistan. Der Premierminister kündigte ein Ramadan-Paket an, das den von der Inflation betroffenen Armen kostenloses Mehl zur Verfügung stellt. Die Regierung von Punjab stellte 64 Milliarden Rupien bereit, um 15,8 Millionen Haushalte, die von Armut betroffen sind, mit je drei 10-kg-Säcken zu versorgen. Die Regierung von Khyber Pakhtunkhwa kündigte die gleiche Regelung für 5,8 Millionen Haushalte an, die im Benazir Income Support Programme (Einkommensunterstützungsprogramm BISP) registriert sind, und stellte 19,7 Milliarden Rupien bereit.
Die Regierung von Belutschistan kündigte an, sie werde 0,5 Millionen 20-kg-Säcke verteilen, als ob die Menschen in der ohnehin schon verarmten Provinz weniger Lebensmittel bräuchten als die in Punjab und Khyber Pakhtunkhwa! In der Zwischenzeit hat die Regierung von Sindh angekündigt, dass sie 7,8 Millionen Familien, die beim BISP registriert sind, 2.000 Rupien zur Verfügung stellen wird, um Mehl zu kaufen.
Die dreißigjährige Asma Ahmed, deren Großmutter und Nichte unter den Toten in Karatschi waren, sagte gegenüber AFP: „Wir kommen jedes Jahr in die Fabrik, um die Zakat (Abgabe gegen den Hunger) abzugeben. Sie begannen jedoch, die Frauen mit Knüppeln zu schlagen und sie zu schubsen. Überall herrschte Chaos. Warum haben sie uns gerufen, wenn sie nicht damit umgehen können?“
Der Vorfall ereignete sich am Freitag, dem 31. März. Der Freitag ist der „heilige Tag“ im Islam, und normalerweise geben die Menschen an diesem Tag ihre jährlichen Almosen in Form von Zakat an die Armen, weil sie glauben, dass dies an einem Freitag im Ramadan mehr Segen bringt. Schon vor der Pandemie und den Überschwemmungen im Jahr 2022 war es üblich, dass die Armen freitags im Ramadan an die Türen der Wohlhabenden klopften oder zu karitativen Einrichtungen strömten, um Almosen zu sammeln.
Jetzt hat sich das Elend für die arme, arbeitende Bevölkerung für Tausende von Menschen verdoppelt und verdreifacht, die während der Covidpandemie und den verheerenden Überschwemmungen im Jahr 2022 entlassen wurden. Die durch den Klimawandel verursachten Überschwemmungen haben einen Großteil der Ernte vernichtet, aber das ist nur einer der Gründe für die exorbitant hohen Lebensmittelpreise. Hinzu kommen die Auswirkungen der Mehrwertsteuer, die auf Anweisung des Internationalen Währungsfonds (IWF) erhöht wurde.
Der IWF vergibt Kredite an Pakistan nur unter ganz bestimmten Bedingungen, von denen die meisten direkt die Armen treffen, wie z. B. die Erhöhung der Mehrwertsteuer, die Kürzung der Subventionen für Strom, Gas und Benzin, die Privatisierung der Industrie und die Einführung eines marktgerechten Wechselkurses für die Rupie gegenüber dem US-Dollar.
Letztes Jahr lag die Inflation im März bei 12,72 Prozent. In diesem Jahr hat sie bereits 35,37 Prozent erreicht. Dies ist die höchste Inflationsrate, die das Land in den letzten sechs Jahrzehnten verzeichnet hat. Bei verderblichen Lebensmitteln beträgt die Inflation im Jahresvergleich 51,81 Prozent, bei nicht verderblichen Waren liegt sie bei 46,44 Prozent.
Im Bericht des Finanzministeriums heißt es eindeutig: „Es wird erwartet, dass die Inflation auf einem hohen Niveau bleibt, was auf die Marktspannungen zurückzuführen ist, die durch die relative Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage bei wichtigen Gütern, die Abwertung des Wechselkurses und die jüngste Anpassung der administrierten Preise für Benzin und Diesel nach oben verursacht werden. Aufgrund der verlängerten Auswirkungen der Überschwemmungen sind die Produktionsverluste, insbesondere bei den wichtigsten landwirtschaftlichen Kulturen, noch nicht vollständig aufgeholt worden. Infolgedessen ist ein Mangel an lebenswichtigen Gütern entstanden und hält an. Die Inflation könnte durch den Zweitrundeneffekt weiter ansteigen.“
Außerdem geht der Bericht davon aus, dass die Weizenproduktion durch verspätete Regenfälle und anschließende Hitzewellen im April und Mai beeinträchtigt werden könnte. Alles in allem macht die Übersicht des Ministeriums überdeutlich, dass Armut, Elend und Hunger in den kommenden Wochen und Monaten weiter bestehen und sich sogar noch verschärfen werden.
In dieser Situation zeigen Philanthropie und Wohltätigkeit ihr wahres Gesicht: Staatliche und nichtstaatliche Akteur:innen kombinieren ein Minimum an Hilfslieferungen mit einem Maximum an Fototerminen. Sie versammeln große Menschenmengen, damit sie ihren Spender:innen Fotos von ihnen zeigen können, um mehr Geld in ihre eigenen Taschen zu bekommen.
Selbst wenn all dieses Geld den Armen zugutekäme, wäre es immer noch unzureichend. Solche einmaligen kostenlosen Mehllieferungen, die ohnehin mit dem Risiko von Schlägen und Todesfällen verbunden sind, werden nicht ewig reichen. Was sollen die Menschen unterhalb der Armutsgrenze essen, wenn die 30 Kilo Mehl aufgebraucht sind?
Die Misswirtschaft in den Verteilungszentren hat gezeigt, dass die herrschenden Klassen gleichgültig und unfähig sind, die Krise zu bewältigen. Wir rufen die Arbeiter:innen auf, Lebensmittelausschüsse zu bilden, um den Verteilungsprozess zu kontrollieren. Die Unfähigkeit der herrschenden Klassen, die anhaltend dramatischen Zustände zu meistern, zeigt sowohl die realen Gefahren als auch die Aussichten auf eine wirkliche soziale Umgestaltung. Rosa Luxemburgs Vorhersage „Sozialismus oder Barbarei“ ist heute zutreffender als je zuvor. Die herrschenden Klassen in Pakistan bewegen sich in eine Richtung, in der sie nicht mehr in der Lage sein werden, so zu regieren, wie sie es bisher getan haben. Es ist höchste Zeit, den subjektiven Faktor vorzubereiten, um diese objektiven Bedingungen zu ergänzen.
Dies ist umso wichtiger, als sich sonst reaktionäre Kräfte wie die Jamaat-e-Islami (Islamische Gemeinschaftspartei) wieder durchsetzen werden. Wenn die Geschichte uns etwas gezeigt hat, dann, dass solche Parteien die Feind:innen der Arbeiter:innenschaft, der Frauen und der Minderheiten sind. Deshalb müssen sich die Arbeiter:innen, die Armen auf dem Land und in der Stadt, die Bauern und Bäuerinnen sowie die unterdrückten Teile der Gesellschaft jetzt zusammenschließen, um gemeinsam gegen die derzeitige Wirtschaftskrise zu kämpfen. Unsere Frauen haben etwas Besseres verdient! Wir verdienen es nicht, für eine Handvoll Mehl zu sterben!
Wir rufen alle linken Parteien und Organisationen sowie die Gewerkschaften und Frauenorganisationen auf, sich für eine entschlossene Strategie gegen die Wirtschaftskrise zusammenzuschließen. Keine NGO oder Wohltätigkeitsorganisation wird diese Krise lösen. Nur eine revolutionäre Partei der Arbeiter:innenklasse mit einem echten Aktionsprogramm, das die Kämpfe für freie Lebensmittel und gegen Inflation und IWF mit dem Kampf für eine Revolution der Arbeiter:innenklasse in Pakistan verbindet, kann dies tun!
Vorwärts zu einer sozialistischen Revolution in Pakistan und ganz Südasien!