Christian Gebhardt, Infomail 1218, 31. März 2023
Donnerstagnacht gingen die Meldungen durch die Medien: Es kommt zu keiner Einigung im Tarifkonflikt im öffentlichen Dienst (TVöD). Unüberbrückbar seien die Unterschiede zwischen der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) und den Gewerkschaften. Die VKA habe sich nicht dazu entscheiden können, ein sozial gerechtes Angebot vorzulegen. Ver.di erklärte die Verhandlungen für gescheitert und die Gegenseite rief die Schlichtung an.
Das letzte Angebot, das von der VKA auf dem Tisch lag, waren 8 % mehr Lohn, ein Mindestbetrag von 300 Euro sowie eine Einmalzahlung von 3.000 Euro. Bei der Laufzeit stehen sich 12 Monate von den Gewerkschaften und 27 Monate vom VKA entgegen. Hier gab es laut Medienberichten die größte Kompromissbereitschaft von Seiten der Gewerkschaften.
Noch zeigt die Verhandlungsführung Standhaftigkeit. Das bisherige „Angebot“ wird für die Mitgliedschaft nicht beschönigt und sie stellt sich auch weiterhin noch gegen die Einmalzahlungen als Kompromissbestandteil. Wie lange die Standfestigkeit der Bürokratie in einem zugespitzten Arbeitskampf anhalten kann, haben wir jedoch beim Abschluss der Postkolleg:innen erfahren dürfen. Dort wurde ein bis dahin abgelehntes Angebotspaket nach erfolgreicher Urabstimmung und kurz vor Streikbeginn mit unwesentlichen Abänderungen in einem Nacht-und Nebel-Abschluss angenommen und zur Abstimmung den Kolleg:innen vorgeschlagen. Das gleiche Einknicken kann in der nun anstehenden Schlichtung bei den TVöD-Verhandlungen ebenfalls passieren. Die ver.di-Führungsleute sind aus dem gleichen Stall wie bei der Post.
Die jetzt angerufene Schlichtung ist keine Überraschung. Die Arbeit„geber“:innen wollen die Beschäftigten aus dem Verfahren ausgrenzen. Die ver.di-Führung offensichtlich auch, sonst hätte sie diese Verpflichtungsvereinbarung zur obligatorischen Schlichtung nicht unterschrieben oder gekündigt. (Diese war und ist natürlich beiden Konfliktparteien bekannt und wird einen Platz in ihrer Strategiefindung eingenommen haben.)
In dieser Zeit gilt Friedenspflicht, was übersetzt bedeutet, dass die große Aktivität und Streikbereitschaft, die sich in den letzten Wochen und Monaten gezeigt hat, gebremst und der Streik insgesamt somit erst mal demobilisiert wird. Das hat nicht nur einen positiven Aspekt für die VKA, sondern auch für die Gewerkschaftsbürokratie, die zu Recht anmerkt, dass der Druck groß ist und die Kolleg:innen auf ihren Forderungen mit Hinblick auf Inflation und Energiekrise bestehen.
Zum Dritten bringt die Schlichtung eine andere Perspektive in den Prozess. Ihre „Unabhängigkeit“ bedeutet die Nichtberücksichtigung unserer Forderungen und Bedürfnisse. Ihr Maßstab ist die „Gesellschaft“. Hinter der Frage „Was können ‚wir’ verkraften?“ werden in Wirklichkeit die Interessen des Staates, seiner Regierung und der herrschenden Klasse als die der „Allgemeinheit“ ausgegeben und versteckt.
Die Schlichter:innen werden sich auch an den Abschlüssen in anderen Branchen orientieren. Und die lagen alle nicht weit vom letzten Angebot der Gegenseite entfernt.
Es darf keine Annahme eines Schiedsspruchs unterhalb der Forderungen durch die ver.di-Vertreter:innen in der Schlichtungskommission geben! Und das heißt faktisch, die Schlichtung für gescheitert zu erklären und so rasch wie möglich die Urabstimmung über das Ergebnis der Schlichtung und einen möglichen Erzwingungsstreik einzuleiten.
Wir dürfen uns in den nächsten Wochen von der sog. Friedenspflicht nicht lähmen lassen. Wir müssen die Zeit nutzen zur Einleitung der Urabstimmung. Zentral hierbei ist, dass die Befragung über das Schlichtungsergebnis sowie die Urabstimmung über den Erzwingungsstreiks bindend für die Bundestarifkommission sind. Dies muss verbunden werden mit regelmäßigen Mitglieder- und Personalversammlungen, bei denen der Verlauf der Schlichtung öffentlich gemacht wird. Außerdem sollten auch in den nächsten Wochen regelmäßig Demonstrationen organisiert werden, um die Mobilisierung aufrechtzuerhalten und die Beschäftigten in anderen Branchen auf der Straße zu informieren.
Der Megastreiktag am 27. März hat uns gezeigt, was möglich ist. Wenn wir mit unseren Kolleg:innen branchenübergreifend und zusammen streiken, dann steht das Land still. Eine Überraschung ist das nicht, denn wir alle wissen, dass wir gemeinsam stärker sind. So stark, dass wir uns auch gemeinsam gegen die mediale Stimmungsmache, die es im Vorfeld zum Streiktag gab und bei einem Erzwingungsstreik droht, wehren können.
Die Tarifabschlüsse in der Metallindustrie und bei der Post senden eine Warnung: Trotz hoher Mobilisierung und Streikbereitschaft wurde heftiger Reallohnverlust vereinbart, garniert mit 3000 Euro steuer- und abgabenfrei, was im Sommer in der Konzertierten Aktion zwischen Regierung, Kapital und Gewerkschaftsspitzen ausgemacht worden war. Für den öffentlichen Dienst droht ein ähnliches Ergebnis, das Reallohnverlust auf dem Konto und ein Niederlage im Klassenkampf bedeutet.
Es ist strategisch nötig, eine kämpferische Basisopposition aufzubauen, gegen die sozialpartner:innenschaftliche Bürokratie in den Gewerkschaften, die stets die Interessen der Arbeitenden denen des Kapitals und seines Staates unterordnet.
Für die noch laufenden Tarifrunden heißt dies:
Das ist ein notwendiger Anknüpfungspunkt! Sollte auch in dieser Tarifrunde die Bürokratie einen miesen Abschluss zu verantworten haben, dann muss die Konsequenz sein, dass sich an der Basis eine dauerhafte Opposition aufbaut!