Arbeiter:innenmacht

Organisierung von oben – Buchbesprechung von A Collective Bargain (McAlevey)

Tim Nailsea, Workers Power, Infomail 1220, 12. April 2023

A Collective Bargain –  Unions, Organizing and the Fight for Democracy (Macht. Gemeinsame Sache. Gewerkschaften, Organizing und der Kampf um die Demokratie, VSA Verlag, Hamburg 2021) ist nach Raising Expectations (and Hell) und No Shortcuts (Keine halben Sachen. Machtaufbau durch Organizing. VSA Verlag, Hamburg 2019) das dritte Buch von Jane McAlevey. Diese Bücher bilden eine nützliche Lektüre für aktive Gewerkschafter:innen und die Grundlage für ihr internationales Organizing-Netzwerk O4P, das sich auf seiner Website rühmt, seit September 2019 fast 25.000 Organizer:innen aus 110 Ländern beherbergt zu haben.

A Collective Bargain wurde im Kontext der Trump-Präsidentschaft und der daraus resultierenden Krise der Linken geschrieben. McAlevey argumentiert, dass die von ihr entwickelte Organizing-Methode in der politischen Arena von Nutzen sein kann.

Methoden

Im Hinblick auf Organizing befürwortet McAlevey „zwei Schlüsselmethoden“: Strukturtests – um die Popularität der Gewerkschaft, das Engagement der Mitglieder und ihre Bereitschaft zu Aktionen zu messen – und die Identifizierung von „organischen“ Führungspersönlichkeiten in den Betrieben durch Organisanizer:innen, um den Kampf voranzutreiben.

Beide Methoden können für jene nützlich sein, die ernsthaft versuchen, ihren Arbeitsplatz zu organisieren, aber es hängt viel davon ab, wie und von wem sie eingesetzt werden. Für Organizer:innen, die auf erfolgreiche Aktionen hinarbeiten wollen, könnten Strukturtests wertvoll sein. Aber auch für viele Gewerkschaftsführer:innen könnten endlose Strukturtests, Urabstimmungen oder eintägige Streiks dazu dienen, die Beschäftigten den Berg hinauf und wieder hinunter marschieren zu lassen, und so die Kraft zu schwächen, anstatt sie aufzubauen.

Ebenso ignoriert McAlevey mit ihrem Fetisch, eine „Supermehrheit“ zu gewinnen, bevor sie offen organisieren, geschweige denn streiken kann, die Lehren der Kommunist:innen, Sozialist:innen und Syndikalist:innen, die Organisierung als Teil des Klassenkampfes sahen. Sie befürwortet zwar die Mobilisierung sozialer Bewegungen zur Unterstützung der gewerkschaftlichen Organisierung, aber wenn sich die Gelegenheit zu Massenstreiks bietet, müssten all diese übervorsichtigen Methoden in den Hintergrund treten.

Ihre Methode ignoriert auch die Notwendigkeit, auf schwerwiegende Angriffe mit sofortigen Maßnahmen zu reagieren, die radikalisierende Wirkung eines Streiks und die Tatsache, dass die großen Wellen der gewerkschaftlichen Organisierung sich nicht auf betriebliche „Strukturtests“ oder die Sicherstellung einer Supermajorität beschränkten und es auch nicht konnten.

Wenn es um die Identifizierung von Führungspersönlichkeiten geht, sind Menschen, die sich selbst als Gewerkschaftsaktivist:innen bezeichnen, möglicherweise keine Führungspersönlichkeiten. Sie könnten das sein, was McAlevey als „Großmäuler“ bezeichnet, die von ihren Kolleg:innen einfach ignoriert werden mögen.

Stattdessen schlägt sie vor, „organische Führungspersönlichkeiten“ auszuwählen, d. h. Personen, die aufgrund ihrer Erfahrung oder ihrer Fähigkeiten Einfluss auf ihre Kolleg:innen haben, charismatisch sind oder sich selbstbewusst gegenüber der Geschäftsleitung verhalten. Eine erfolgreiche Organisierungskampagne sollte sich darauf konzentrieren, solche Beschäftigten zu gewinnen, um das Machtgleichgewicht zugunsten der Gewerkschaft zu verschieben, auch wenn sie der Gewerkschaft zunächst skeptisch oder feindlich gegenüberstehen.

McAlevey unterschätzt jedoch, wie die Identifizierung von Führungspersönlichkeiten, wenn sie von Gewerkschaftsfunktionär:innen vorgenommen wird, zur Auswahl solcher Führer:innen führen kann. Wenn eine solche organische Führungspersönlichkeit ihre Position hauptamtlichen Organisator:innen verdankt und nicht ihren Kolleg:innen , wenn sie nur durch den Gewerkschaftsapparat ersetzt werden kann und nicht durch diejenigen, die sie anführt, dann führt dies nicht langfristig zu einer stärkeren Beteiligung der Arbeiter:innen an ihrer Gewerkschaft und letztlich zu deren Kontrolle.

Prinzipien

McAlevey unterstützt jedoch „zwei Schlüsselprinzipien“: Demokratie und Beteiligung. Keine Kampagne kann ihrer Meinung nach erfolgreich sein, wenn sich die Arbeiter:innen nicht für sie verantwortlich fühlen und ihre Richtung mitbestimmen können. Ihr Verständnis von Gewerkschaftsdemokratie ist jedoch fragwürdig.

In A Collective Bargain geht sie auf diese Frage zwar nicht näher ein, aber in ihrem ersten Buch Gestiegene Erwartungen plädiert sie für eine Struktur, in der hauptamtliche Gewerkschaftsmitglieder gewählte Positionen besetzen. Die gewerkschaftliche Organisierung, so McAlevey, erfordert eine professionelle Führung.

Wie wir aus den Erfahrungen in den britischen Gewerkschaften wissen, wo sowohl die Basis als auch die hauptamtlichen Gewerkschaftsmitglieder um Positionen konkurrieren, werden die Aktivist:innen an der Basis oft von den Berufsgewerkschafter:innen verdrängt, die Zugang zur gewerkschaftlichen Infrastruktur haben, um Kampagnen durchzuführen. Für McAlevey bleibt die Basisorganisation als Ausbildungsstätte für Kämpfer:innen, die von der professionellen Bürokratie unabhängig sind, ein Buch mit sieben Siegeln.

Politik

Wie McAlevey glaubt, dass ihre Methoden in der Politik eingesetzt werden können, wird nicht wirklich erforscht. Sie ist eine US-Demokratin und sieht die Hauptschwäche der Demokratischen Partei darin, dass sie keine wirksamen Organizing-Methoden einsetzt, um ihre Basis zu mobilisieren. Aber sie geht nicht darauf ein, warum das so ist.

Die Demokratische Partei kann keine Methoden anwenden, die zu einer Organisierung und Radikalisierung am Arbeitsplatz führen, und zwar aus Gründen, die auf der Hand liegen sollten: Sie ist eine Partei der Kapitalist:innenklasse.

Die Lehrer:innen von Los Angeles, denen sie ein ganzes Kapitel widmet, befanden sich in direkter Konfrontation mit dem US-demokratischen Parteiapparat. Dies gilt auch für andere Gewerkschaftsaktivist:innen des öffentlichen Sektors in amerikanischen Großstädten. McAlevey weist auch auf die gewerkschaftsfeindliche Natur des Silicon Valley hin, das politisch fast ausschließlich demokratisch ist.

Natürlich ist die Demokratische Partei in keiner Weise eine Arbeiter:innenpartei. Aber könnten die Methoden von McAlevey innerhalb der britischen Labour Party angewendet werden?

Sie wurden in gewissem Maße in der Momentum-Bewegung ausprobiert, aber förderten keine demokratische Kontrolle, sondern überließen diese den von Jon Lansman und dem Team Corbyn ausgewählten Organizer:innen. Es wurden Kompromisse und Pakte geschlossen, um die Abgeordneten des rechten Flügels an Bord zu halten, während die Linken in den Wahlkreisen isoliert wurden.

Umwandlung der Gewerkschaften

A Collective Bargain ist wahrscheinlich das bisher am wenigsten wertvolle Buch von McAlevey. Raising Expectations war eine nützliche Darstellung der betrieblichen Organisierung in Amerika, und No Shortcuts ist ein klares und präzises Argument für ihre Organizing-Methode. Das jüngste Buch betritt wieder altbekanntes Terrain, so dass die gleichen Stärken und Schwächen zu Tage kommen.

Vor allem versteht sie weder als Organizerin noch als Akademikerin die Rolle der Gewerkschaftsbürokratie als Ganzes (im Gegensatz zu den konservativen Spitzenfunktionär:innen, die das Organisieren so lange vernachlässigt haben).

Hauptamtliche und Funktionär:innen, die die Gewerkschaften bestimmen, setzen sich für den Erhalt des Verhältnisses zwischen Lohnarbeit und Kapital ein. Ihre soziale Stellung hängt davon ab. Das ist die Quelle ihrer Feindseligkeit gegenüber der Basis, die durch die Eskalation von Konflikten bis zu dem Punkt, an dem die grundlegenden Interessen des Kapitals in Frage gestellt werden, „außer Kontrolle gerät“. Diese Ansicht liegt auch der Strategie von McAlevey zugrunde.

Die Arbeiter:innen hingegen haben kein Interesse daran, die kapitalistische Ordnung aufrechtzuerhalten, die ständig versucht, die Löhne zu drücken, die Arbeitsintensität zu erhöhen und sie regelmäßig aus der Arbeit zu werfen. Sozialist:innen versuchen, diese Spannung in den Gewerkschaften zum Vorteil der Arbeiter:innenschaft aufzulösen, indem sie die direkte Kontrolle der Lohnabhängigen über ihre Auseinandersetzungen und ihre Gewerkschaft einführen und so die Bürokratie als Ganzes auflösen.

Bei allen nützlichen Organizing-Methoden, die McAlevey befürwortet, ist diese Blindheit gegenüber der Bürokratie ein grundlegender Fehler in ihrer Analyse und ihrem Ausblick, der verhindert, dass ihr Werk ein Leitfaden für die Basis ist, um die Gewerkschaften zu transformieren und sie für den Sozialismus zu gewinnen.

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