Katharina Wagner, Fight! Revolutionärer Frauenzeitung, März 2021
Man hatte es kommen sehen! Nicht erst seit dem Beginn der weltweiten Corona-Pandemie war es um das deutsche Gesundheitssystem nicht gut bestellt. Seit vielen Jahren existiert ein Fachkräftemangel im Gesundheits- und vor allem im Altenpflegebereich. Die herrschenden, schlechten Arbeitsbedingungen tun ihr Übriges dazu, potenzielle BerufsanfängerInnen abzuschrecken bzw. Fachkräfte aus dem Arbeitsumfeld zu vertreiben. Dabei war und ist der Bereich Kranken- und Altenpflege, sowohl der bezahlten als auch in viel größerem Maße der unbezahlten, weiterhin eine Domäne der Frauen. Der Anteil weiblicher Beschäftigter liegt bei über 80 %. Nun, inmitten der Pandemie, mehren sich die Stimmen, die vor einem Kollaps des deutschen Gesundheitssystems warnen, vor allem auf den Intensivstationen.
Gleichzeitig spielten die Beschäftigten in den Krankenhäusern eine zunehmend bedeutendere Rolle in den Klassenkämpfen der letzten Jahre, sei es um mehr Personal an diversen Unikliniken oder als VorkämpferInnen in der Lohntarifrunde des öffentlichen Dienstes von Bund und Kommunen im letzten Herbst.
Seit Anfang Februar gehen zwar die Zahlen von Covid-Neuinfizierten zurück. Noch immer sterben aber hunderte Menschen täglich und Grund zu Entwarnung gebt es aufgrund des Zick-Zack-Kurse von Bund und Ländern bei der Pandemie-Bekämpfung und aufgrund neuer Mutationen erste recht nicht. Laut DIVI-Intensivregister (DIVI: Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin) sind in den erfassten 1.200 Akut-Krankenhäusern derzeit 22.433 Intensivbetten belegt, lediglich 17 % der Gesamtbetten stehen bundesweit für weitere PatientInnen zur Verfügung. Von den derzeit intensivmedizinisch behandelten COVID-19-PatientInnen (über 5000 Anfang Januar 2021) müssen rund 57 % beatmet werden, mit einer durchschnittlichen Beatmungsdauer von rund zweieinhalb Wochen (Quelle: Neues Deutschland, 12.11.2020). Mit rund 64 % sind die Betten allerdings mit anderen als an COVID-19 Erkrankten belegt, bspw. nach Notfällen oder planbaren Operationen.
Denn anders als im Frühjahr haben viele Kliniken aufgrund finanzieller Gründe den Regelbetrieb noch immer nicht eingeschränkt. Allerdings muss hier berücksichtigt werden, dass diese Zahlen teilweise nicht der Realität entsprechen. So meldete das ARD-Magazin „plusminus“ am 02. Dezember 2020 aufgrund interner Recherchen, dass etliche Krankenhäuser mehr verfügbare Betten gemeldet hatten, als tatsächlich zur Verfügung stehen, um den versprochenen Bonus von bis zu 50.000 Euro pro neu aufgestelltem Intensivbett vom Bund zu bekommen. Allerdings kann ein nicht unerheblicher Teil dieser Betten aufgrund fehlender Fachkräfte nicht eingesetzt werden. Dieser Fehlanreiz seitens des Bundesgesundheitsministers kostete den/die SteuerzahlerIn bisher rund 626 Millionen Euro (Quelle: www.daserste.de/information/wirtschaft-boerse/plusminus/videos/sendung-vom-02-12-2020-video-102.html).
Zusätzlich erhielten die Kliniken sogenannte Freihaltepauschalen im Zuge von zwei Rettungsschirmen, um finanzielle Anreize für das Freihalten von Intensivbetten durch Verschiebung planbarer und nicht dringend notwendiger Operationen zu setzen. Während die Pauschalen beim ersten Rettungsschirm im Frühjahr 2020 an alle Krankenhäuser ausgezahlt wurden, sollen innerhalb des zweiten nur Kliniken Geld bekommen, die in Gebieten mit hohem Infektionsgeschehen liegen und weitere Bedingungen erfüllen. Die Entscheidung über die Auszahlung liegt bei den jeweiligen Bundesländern. Trotz der beiden Rettungsschirme fordern bereits verschiedene Organisationen, darunter die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) weitere Liquiditätshilfen für das gesamte Jahr 2021 inklusive Streichung der Einhaltung und Dokumentation von Personaluntergrenzen. Auch die Prüfquote des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen soll auf max. 5 % reduziert werden. All dies geht natürlich zu Lasten der Beschäftigten und PatientInnen.
Unterm Strich können diese Ausgleichszahlungen allerdings die Defizite im Krankenhaus nicht wettmachen, die ein auf gewinnträchtigen Behandlungen fußendes System mit sich bringt und besonders durch die Pandemie schonungslos aufgedeckt wurden. Wir kritisieren also nicht die Ausgleichszahlungen als solche, sondern ihre Planlosigkeit und ihren zu geringen Umfang. So wurden sie teils nicht an die Behandlung von CoronapatientInnen geknüpft, teils wurden Einrichtungen geschlossen (Rehakliniken) und ihr Personal in Kurzarbeit geschickt, während die Hotspots mit Überlastung und Einnahmeverlusten zu kämpfen hatten.
Für das Personal in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen gab es außer Beifall und warmen Worten wenig für seine aufopferungsvolle Tätigkeit während der Pandemie. Zwar wurde eine Corona-Prämie seitens des Bundes zugesagt, diese aber an sehr viele Bedingungen geknüpft und von vornherein nur für ca. 100.000 der über 440.000 Angestellten in Krankenhäusern vorgesehen. Die Entscheidung, wer nun den Bonus bekommen solle, wurde dabei den Betriebs- und Personalräten sowie MitarbeiterInnenvertretungen (in kirchlichen Einrichtungen, wo Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsgesetz nicht gelten) zugeschoben. Dagegen gab es allerdings teilweise heftigen Widerstand. Für die stationäre und ambulante Pflege wurde bereits im Frühjahr 2020 eine Bonuszahlung beschlossen, diese aber in sehr vielen Fällen nicht an die Beschäftigten weitergegeben.
Während die Krankenhäuser in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg bis in die Anfänge der 1970er Jahre komplett durch den Staat finanziert wurden (Kameralistik), fand 1972 ein Wechsel zu einer dualen Finanzierung statt. Dabei wurden die Kosten zwischen den Bundesländern und den Krankenkassen aufgeteilt. Während letztere für die laufenden, also Betriebs- und Behandlungskosten, aufkamen, übernahm der Staat die sogenannten Investitionskosten. Allerdings gingen diese Aufwendungen seit Einführung dieses Systems drastisch zurück, während es gleichzeitig zu einem Personalkostenanstieg für die Krankenkassen, genauer gesagt für die Versicherten, kam. Dies alles bereitete den Boden für die Einführung der sogenannten diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRGs: diagnosis related groups) 2004, nachdem bereits 2002 eine gesetzlich verordnete Öffnung des Krankenhausbereichs für private Konzerne eingeführt wurde. Dies erlaubte nur noch eine Abrechnung von gleichen Behandlungskosten pro Fall, wohingegen anfallende Kosten für z. B. für Rettungswesen, Verwaltung, Materialbesorgung etc. nicht berechnet werden können. Daraus resultiert eine Auslagerung von Tätigkeiten außerhalb der Pflege mit gleichzeitigem Personalabbau im Bereich der Pflegearbeit. So ermittelte beispielsweise eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahre 2018 einen Mangel von 100.000 Vollzeitstellen allein in der Krankenhauspflege. Durch mögliche Verluste der Kliniken bei überdurchschnittlich hohem Fallaufwand sieht man sich gezwungen, PatientInnen entweder frühzeitig zu entlassen oder profitorientierte Eingriffe wie das Einsetzen künstlicher Gelenke stark gegenüber konventionellen und langwierigen Therapien zu favorisieren. Auch zahlreiche Schließungen von kommunalen Krankenhäusern sowie eine starke Privatisierungswelle waren direkte Folgen des Wechsels hin zu einem profitorientierten Abrechnungssystem.
Darunter haben nicht nur die Beschäftigten im Gesundheits- und Pflegebereich stark zu leiden. Auch für PatientInnen, Pflegebedürftige und ihre Angehörigen bedeutet dies eine schlechtere Gesundheitsversorgung. Mittlerweile formiert sich schon seit einigen Jahren Widerstand gegen ungenügende Personalbemessungsgrenzen, Fachkräftemangel und schlechte Arbeitsbedingungen. Im Zuge der Corona-Pandemie kamen weitere Probleme wie die nicht ausreichende Versorgung mit Test- und Schutzausrüstung sowie die Aushebelung von erkämpften Arbeitsschutzrechten, als Beispiel sei an dieser Stelle die Erhöhung der maximalen Arbeitszeit angeführt, hinzu. So hat Niedersachsen eine Vorreiterrolle eingenommen und als erstes Bundesland die maximale tägliche Arbeitszeit für Beschäftigte in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen sowie im Rettungsdienst von 10 auf 12 Stunden täglich über den 1.1.2021 hinaus angehoben. Ausgleichsstunden oder besondere Entschädigungszahlungen sind in dieser Allgemeinverfügung zum Arbeitszeitgesetz nicht vorgesehen (Quelle: Neues Deutschland, 12.11.2020).
Die Antwort auf diesen besonders dreisten Vorstoß kann nur in einer Verstärkung des Kampfes für die Abschaffung der Fallpauschalen, eine gesetzlich geregelte Personalbemessung („Der Druck muss raus!“) und die Verstaatlichung der privatisierten Kliniken unter Kontrolle der Beschäftigten und PatientInnenverbände bestehen. Dieser muss aktuell ergänzt werden durch einen Pandemienotplan unter ArbeiterInnen- und NutzerInnenkontrolle für flächendeckende Impfungen, Tests, Infektionskettenrückverfolgungen und Bereitstellung aller Krankenhäuser und Kliniken für die Coronatherapie.
Die Gewerkschaften, allen voran ver.di, haben sich in dieser Situation des Pflegenotstandes meist auf Lobbyismus, wie etwa das Sammeln von Unterschriften oder Starten diverser Petitionen, konzentriert. Kam es tatsächlich mal zu Streikaktionen, blieben diese meist auf einzelne Krankenhäuser wie etwa die Charité in Berlin oder andere Unikliniken beschränkt. Bei der letzten Tarifrunde im öffentlichen Dienst im Herbst 2020 wurde in erster Linie von der Tarifkommission eine Verbesserung der Entlohnung gefordert. Forderungen nach Einhaltung der beschlossenen Personaluntergrenzen wurden dagegen nicht aufgenommen, obwohl vielen Beschäftigten bessere Arbeitsbedingungen wichtiger gewesen wären als eine Anhebung ihrer Löhne. Denn selbst in Krankenhäusern, wo in der Vergangenheit Personaluntergrenzen vereinbart wurden, als Beispiel sei hier wieder die Charité in Berlin genannt, haben die Beschäftigten keinerlei Möglichkeiten, die Einhaltung durchzusetzen. Denn eigentlich müssten bei Unterschreitung der Personaluntergrenzen Betten gesperrt und planbare Operationen verschoben werden. Dies verringert allerdings den Gewinn der profitorientierten Krankenhäuser und wird demzufolge nicht durchgeführt.
Um dies zu verhindern und die Einhaltung der Personalbemessungsgrenzen durchzusetzen, sind daher dringend Kontrollorgane der Beschäftigten sowie der PatientInnenorganisationen notwendig. Und statt eines „Häuserkampfs“ in einzelnen Kliniken sollte seitens der Gewerkschaften ein bundesweiter Tarifvertrag mit gesetzlich geregelten Personaluntergrenzen und einer damit einhergehenden Mindestbesetzung gefordert werden. Um dies zu erreichen, müssen innerhalb der Gewerkschaften Streikaktionen bis hin zum politischen Streik als einem wichtigen Kampfmittel der Beschäftigten sowie der gesamten ArbeiterInnenklasse organisiert werden. Dafür sollten zunächst Aktions- und Kontrollkomitees in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen aufgebaut werden und die Beschäftigten sowie die GewerkschaftsaktivistInnen gemeinsam mit PatientInnenorganisationen über notwendige Maßnahmen entscheiden. Ein weiterer notwendiger Schritt wäre die Durchführung einer bundesweiten Aktionskonferenz zur Vernetzung für einen gemeinsamen Kampf und die Unterstützung der #ZeroCovid-Kampagne als ersten Schritt in Richtung eines Pandemiebekämpfungsnotplans.
Allerdings dürfen wir keine Illusionen in die bürgerliche Gewerkschaftsbürokratie hegen, sondern müssen für einen internen Wandel hin zu kämpferischen Gewerkschaften eintreten. Die Vernetzung für kritische Gewerkschaften (VKG) bildet einen ersten Sammelpunkt für die Möglichkeit der Bildung einer klassenkämpferischen, antibürokratischen Basisbewegung in den Gewerkschaften, die diese wieder auf den Pfad des Klassenkampfs statt der Sozialpartnerschaft mit dem Kapital führen und die Bürokratie durch jederzeit abwählbare, der Mitgliedschaft verantwortliche, zum Durchschnittsverdienst ihrer Branche entlohnte FunktionärInnen aus den Reihen der besten AktivistInnen ersetzen kann!
Als Ausgangspunkte für Diskussionen im Zuge einer solchen bundesweiten Aktionskonferenz im Gesundheitsbereich halten wir folgende Forderungen für sinnvoll: