Leo Drais, Neue Internationale 240, September 2019
Verschiedene Parteien und Organisationen haben dazu aufgerufen, am 13.–15. September 2019 gegen die Internationale Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt am Main auf die Straße zu gehen. Geplant sind eine Großdemo mit Sternfahrt sowie Blockaden rund um das Messegelände.
Aufrufe zum Protest kommen von Greenpeace, BUND, attac, von den Grünen und ihrer Parteijugend sowie aus dem linken (DIE LINKE, DiEM 25, Linksjugend [’solid]) bis linksradikalen Spektrum (Ende Gelände, ISO). Nicht auf der UnterstützerInnenliste – weder der Demo noch der Blockaden – stehen die Gewerkschaften, SPD und auch Fridays for Future. Demgegenüber rufen Change for Future und Extinction Rebellion zur Blockade auf.
Die Proteste gegen die IAA zeugen von einem erhöhten Aktivismus und einer Verbreiterung der Umweltbewegung. Sie deuten an, dass die Lösung der Umweltkrise alle Lebensbereiche, auch die Mobilität, umfassen muss. Die Kritik am Automobil beschränkt sich nicht bloß auf die Luftverpestung und den Anteil des motorisierten Individualverkehrs an der menschengemachten Erderwärmung, sondern richtet sich auch gegen das Verstopfen der Städte mit Blech auf Rädern und die Ineffizienz des aktuellen Verkehrskonzeptes.
Auf der anderen Seite der Barrikade steht im Falle der IAA vor allem die deutsche Autoindustrie. Sie ist die Veranstalterin der Messe. Die Branche selbst steckt in der Krise: Abgasskandal, Handelskrieg und eine drohende Rezession, die die ohnehin schon zugespitzte internationale Konkurrenz noch weiter treiben wird, sind die Herausforderungen, denen sich das Autokapital gegenübersieht.
VW, BMW und Daimler konzentrieren sich zunehmend auf einkommensstärkere Schichten – ArbeiterInnenaristokratie, Mittelschichten, Mittelstand und BürgerInnentum. Vor allem der schwere, Sprit fressende SUV boomt: Er verzeichnet 30 % der Neuzulassungen 2019, vor zwei Jahren war es noch die Hälfte. Die Konzentration auf die Produktion immer fetterer Karren hat ihren Ursprung in dem Zwang, die Profitrate zu steigern. Die Autoindustrie ist geprägt davon, eine immer höhere Produktivität (Automatisierung, Produktionsgeschwindigkeit) für immer schwerere Wagen zu erzielen.
Das Problem dabei ist, dass dadurch langfristig immer weniger menschliche Arbeitszeit in den einzelnen Autos steckt. Die menschliche Arbeitskraft ist aber die Quelle des Mehrwerts und damit des Profits. Auf den Massenmärkten ist die Konkurrenz erdrückend, während die Einkommen der möglichen KäuferInnen wenig wachsen oder gar stagnieren. Entgegengewirkt wird deshalb mit der Produktion von Autos, die auf zahlungsfähigere Schichten und damit auch (noch) expandierende Märkte zugeschnitten sind.
Gerade weil in Deutschland und anderen Ländern die Neuzulassungszahlen tendenziell rückläufig sind, ist die Autoindustrie versucht, aus den einzelnen abgesetzten Autos mehr Profit zu generieren. So erklärt sich auch der Fokus auf das Elektroauto – selbst ein Beschleuniger der Emissionen der Autoindustrie – als angepriesene „Lösung“ der Umweltproblematik. Da die zulässigen Emissionen der Hersteller über den Flottenverbrauch geregelt sind, begünstigt das E-Auto derzeit die dicken Verbrenner.
Aufgrund der Struktur des Kapitalismus kann die Autoindustrie nicht anders handeln, als die Welt weiter mit Autos zu bewerfen, wenn sie international in der Konkurrenz bestehen will. Diese findet ihren politischen Ausdruck in der Politik der deutschen Regierungen. Sie sind durch die Kapitalmacht die willigen Dienerinnen der deutschen Autolobby.
Das Bündnis „Sand im Getriebe“ schreibt im Aufruf: „Alle haben erkannt, dass die drohende Klimakatastrophe nur noch durch sofortige, radikale Maßnahmen abgewendet werden kann. Doch für die Autoindustrie? Gilt weiterhin rücksichtsloser Profit als Maxime. Längst ist sie damit zu einem der gefährlichsten Geisterfahrer auf dem Weg in die klimagerechte Zukunft geworden.“
Es entsteht hier der Anschein, als müsse die Autoindustrie einfach mal die Richtung ändern. Natürlich ist rücksichtsloser Profit die Maxime der Autoindustrie – weil die Konkurrenz sie dazu zwingt. Auch stellt sich die Frage, was genau radikale Maßnahmen sind. Die Blockade der IAA ist sicher eine kämpferische Aktion, die als Symbol dienen kann. Die Macht der Autoindustrie ist damit aber nicht infrage gestellt.
Weiter heißt es: „Unser Ziel sind autofreie Städte, mehr Platz für Fuß- und Radverkehr sowie ein massiv ausgebauter und kostenloser Nahverkehr. Der politische Stillstand zwingt uns, die Verkehrswende selbst in die Hand zu nehmen.“
Ersatz des privaten PKW-Verkehrs durch kostenlosen ÖPNV – dieses Ziel teilen wir. Die Verkehrswende selbst in die Hand zu nehmen, bedeutet aber, nicht bloß hier und da einen Fahrradvolksentscheid durchzuführen oder Kreuzungen zu blockieren. Es bedeutet vielmehr, die direkte Kontrolle über die Produktion des Verkehrs zu gewinnen – und hier kommen wir zur Eigentumsfrage.
Viele der radikalen Gruppierungen in der Umweltbewegung treten durchaus für eine Enteignung der Automobilindustrie ein. Trotzdem spricht „Sand im Getriebe“ eher diffus von „entmachten“. Das wirft natürlich die Frage auf: Worauf gründet sich die Macht von VW, Daimler und BMW? Wenn jetzt die Autolobby die Macht hat, wer übernimmt sie dann bei ihrer Entmachtung?
Die Konzerne haben eine enorme gesellschaftliche Macht, weil sie die Produktion kontrollieren können. Das wiederum gründet sich auf ihr Eigentum an den Produktionsmitteln. Die Entmachtung der Autoindustrie heißt also, selbige zu enteignen.
Viele im linken Spektrum teilen dies, manche tragen es auch in die Öffentlichkeit. Doch wie soll die Enteignung aussehen? Wenn der Staat BMW enteignet, kann er sich als Besitzer genauso kapitalistisch verhalten (VW bspw. befindet sich zu guten Teilen in der Hand von Niedersachsen). Es braucht also die Kontrolle über die Produktion. Die aber können nur die ausüben, die produzieren – also die ArbeiterInnen. Sie können sie demokratisch planen und über die Umsetzung der Verkehrswende zusammen mit PendlerInnen, Stadtteilinitiativen usw. entscheiden und Gleisanlagen, Radwege bauen und das überhaupt erst gegen den (bürgerlichen) Staat und die Konzerne durchsetzen.
Wir sind sicher weit davon entfernt, eine breite Masse gerade der Arbeitenden für die Perspektive der Enteignung zu mobilisieren. Teile der Linken in der Umweltbewegung stellen daher die Forderung der Enteignung zurück, auch um es sich nicht mit dem bürgerlichen Teil (NGOs, Grünen) zu verscherzen. So verbleibt aber die Umweltbewegung unterm Strich auch im bürgerlichen Rahmen. Die Forderung der Enteignung und der ArbeiterInnenkontrolle über die Produktion wird aber niemals einer breiteren Masse zugänglich werden, wenn die, die sich heute über deren Notwendigkeit klar sind, das in der Umweltbewegung verschweigen.
So besteht dann auch unsere Perspektive darin, die Forderung nach Enteignung und ArbeiterInnenkontrolle über Autoindustrie und den gesamten Verkehrssektor in die Bewegung zu tragen und zu diskutieren. Vor allem Kräfte wie Fridays for Future, insbesondere Change for Future sowie linke GewerkschafterInnen laden wir dazu ein!