Lia Malinovski, zuerst veröffentlicht auf www.onesolutionrevolution.de, Infomail 1219, 11. April 2023
Mittlerweile dürfte es den meisten Menschen ein Begriff sein: das Selbstbestimmungsgesetz. Es soll das alte, menschenverachtende und diskriminierende „Transsexuellengesetz“ (TSG) abschaffen und durch eine menschenwürdige und progressive Gesetzgebung ersetzen. Klingt erstmal gut, aber ist es das wirklich? Das wollen wir in diesem Artikel klären.
Um eine Vorstellung davon zu bekommen, was das Selbstbestimmungsgesetz konkret verändert, sollten wir uns vorher das TSG angucken. Es regelt, wie Menschen ihren Namen und Geschlechtseintrag rechtlich ändern können, also wie sie im Personalausweis und in anderen offiziellen Dokumenten lauten. Bisher sah das Verfahren so aus: Anstatt einfach zum Standesamt zu gehen und dort die Änderungen vorzunehmen, entscheidet das Gericht. Dieses will wiederum zwei psychologische Gutachten vorgelegt bekommen, die besagen, dass man „wirklich trans“ ist, was auch immer das bedeuten soll. Die Gutachten müssen unabhängig voneinander, von spezialisierten Sachverständiger:innen erstellt werden und auch Auskunft darüber geben, ob sich das „Zugehörigkeitsempfinden [zum anderen Geschlecht] des Antragstellers mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr ändern wird.“ (TSG § 4, Abs. 3). Danach entscheidet das Gericht, ob der Wunsch der/des Antragssteller:in erfüllt wird. Selbst wenn man das ganze Verfahren durchlaufen hat und positive Gutachten vorweisen kann, kann es also sein, dass Personenstand, Name oder Geschlechtseintrag gar nicht geändert werden.
Das ist aber nicht das Schlimmste. Denn die Gutachten kosten nicht nur extrem viel, sondern sind im Prozess ihrer Erstellung oft sehr übergriffig. Erfahrungsberichte vieler Transpersonen zeigen, dass es nicht selten ist, dass man über die Sexualität, sexuelle Fantasien, Pädophilie, Masturbation etc. befragt wird. Also Dinge, die nicht nur gar nichts mit dem Geschlecht zu tun haben, sondern deren Nachfragen auch noch extrem übergriffig ist und teilweise ekelhafte Unterstellungen vermittelt. Die erwähnten hohen Kosten machen es außerdem besonders für Transpersonen aus armen Verhältnissen oder Transjugendliche schwer, das Verfahren überhaupt einzuleiten. 500 bis 1000 Euro pro Gutachten lassen sich nicht immer einfach so auftreiben, doppelt erst recht nicht!
Es braucht also eine Alternative zum bisherigen TSG. Das sagen nicht nur wir, mittlerweile hat es selbst die Bundesregierung verstanden. Deshalb haben sich Justizminister Marco Buschmann und Familienministerin Lisa Paus jetzt endlich auf eine Reform geeinigt. Wie die aussehen soll, haben sie in den „Eckpunkten für das Selbstbestimmungsgesetz“ aufgeschrieben und mittlerweile sogar einen Gesetzentwurf vorgestellt. Unter anderem ist darin vorgesehen, dass Transpersonen künftig nicht mehr zum Gericht gehen müssen, sondern beim Standesamt und ohne unnötige und diskriminierende Gutachten die Namensänderung beantragen können. Das Gleiche gilt auch für den Geschlechtseintrag. Wie im alten TSG soll es auch ein Offenbarungsverbot geben, wodurch es illegal ist, den „Deadname“, also den alten, toten Namen zu veröffentlichen oder zu gebrauchen. Das ist ziemlich cool, denn der Deadname heißt nicht umsonst so und es ist sehr respektlos, den alten Namen zu nutzen oder sogar zu verraten. Aber nicht alles an dem Gesetzentwurf ist cool: Es wurde laut der „Süddeutschen Zeitung“ eine Passage eingefügt, die expliziten Frauenräumen das Recht gibt, auch nach der Namens- und Personenstandsänderung Transfrauen aus diesen Räumen auszuschließen – und ihnen damit die Identität abzusprechen. Also ziemlich uncool, nett ausgedrückt.
Diese Passage im Selbstbestimmungsgesetz würde eine transfeindliche Praxis, die sowieso schon vorkommt, legalisieren! Sie stellt also einen krassen Rückschritt dar, denn es soll legal werden, Transpersonen rauszuwerfen, wenn sich andere mit ihnen unwohl fühlen. Da man ihnen ihre Transidentität aber nicht immer ansieht, wird das auf lange Sicht auch auf Cisfrauen zurückfallen, wenn sie nicht den klassischen Geschlechterrollen entsprechen. Unter dem Deckmantel der Bekämpfung von Sexismus werden Geschlechterrollen gestärkt und der Verstoß dagegen weiter geächtet.
Die Passage ist erst auf Druck von TERFs reingekommen. Sie verbreiten seit Jahren das Bild des Mannes, der sich in Kleider steckt, um Frauen zu belästigen. Um das zu untermauern, fälschen sie sogar Statistiken und schüren ein Klima der Angst vor Transfrauen. Unterstützt wird das von AfD und Co., von Medien, aber auch in der „bürgerlichen“ Politik. Und Auswirkungen hat das nicht nur auf Transpersonen, sondern auch auf Cisfrauen. Schon jetzt gibt es Berichte, nach denen diese angegriffen werden, weil ihnen unterstellt wird, trans zu sein. Auf Twitter werden jetzt schon Vaginavergleiche angestellt, mit einer pseudowissenschaftlichen Unterscheidung zwischen „echten“ Vaginas und „künstlichen“. Auch diese sind nicht haltbar und gefährden nicht nur Transfrauen!
Dieser Teil reiht sich ein in eine Welle transfeindlicher Gesetze weltweit. Im US-Bundesstaat Tennessee beispielsweise gibt es mittlerweile einen staatlichen Zwang zum Detransitionieren (eventuelle Geschlechtsangleichungen, und sei es nur gesellschaftlich, nicht körperlich, wieder rückgängig machen) und Transpersonen werden aus der Öffentlichkeit gedrängt. Der Absatz aus dem Selbstbestimmungsgesetz muss gestrichen werden! Keinen Meter der menschenverachtenden transfeindlichen Politik, die versucht, unsere hart erkämpften Rechte wieder zurückzunehmen!
Auch abgesehen davon ist das Selbstbestimmungsgesetz nicht genug. Es geht zwar einen wichtigen Schritt, aber ist lange nicht ausreichend. Beispielsweise soll, nachdem man den Antrag ans Standesamt übergeben hat, eine dreimonatige Bedenkzeit eingeführt werden. Das macht die Änderung von Namen und Geschlechtseintrag unnötig kompliziert und bürokratisch.
Statt eines Selbstbestimmungsgesetzes, das reaktionäre Ideen enthält und in den progressiven Punkten viel zu kurz greift, braucht es tatsächliche Selbstbestimmung, eine revolutionäre Perspektive. Und die Selbstbestimmung darf sich nicht nur auf den Namen und Geschlechtseintrag beschränken, sondern muss auch die medizinische Transition organisieren.