Christian Gebhardt, Neue Internationale 277, Oktober 2023
Unterhält man sich mit Kolleg:innen hier in Baden-Württemberg über die Streikbemühungen der Berliner Kolleg:innen rund um den Tarifvertrag Gesundheit (TV-G) kommt neben zustimmenden Antworten auch oft eine Frage zum Vorschein: „Wie viele Warnstreiks haben die Berliner Kolleg:innen eigentlich schon durchgeführt?“ Eine Frage, die einerseits die große Kampfbereitschaft der Kolleg:innen aufgreift und würdigt, aber gleichzeitig auch den Finger in die Wunde legt und indirekt die Frage stellt: „Bekommen sie eigentlich das, wofür sie auf die Straße gehen?“
Solche Fragen stellen sich nicht nur Kolleg:innen im entfernten Baden-Württemberg, sondern auch direkt vor Ort in Berlin. Eindrucksvoll spiegelte sich dies in den Abstimmungen auf der letzten zentralen Streikversammlung Ende des vergangenen Schuljahres wider, stimmten dort in einer großen Mehrheit die Berliner Kolleg:innen doch für eine Veränderung der bisherigen Streikstrategie und die Radikalisierung des Arbeitskampfes. Die aufeinanderfolgenden Streiktage sollten auf 5 erhöht werden und eine offene Debatte sowie Abstimmung über einen notwendigen Erzwingungsstreik stattfinden. Hierbei sollte die Basis miteinbezogen und nicht nur die Entscheidung alleinig der Tarifkommission überlassen werden. Diese Abstimmung zeigte auch, dass die mühsame Basisarbeit einer Basisgruppe innerhalb der (Jungen) GEW in Berlin auf offene Ohren gestoßen ist, schlug diese Gruppierung doch eine Diskussion über genau einen solchen Kampagnenplan vor mit dem Ziel der Ausweitung der Streikaktivitäten und der offenen Diskussion über einen Erzwingungsstreik.
Auf fruchtbaren Boden fielen diese Vorschläge aufgrund des offensichtlichen Scheiterns der bisher befolgten Strategie der Tarifkommission und der Berliner GEW-Bürokratie. Diese will letztlich eine entscheidende Konfrontation mit dem Senat vermeiden. Daher scheut sie auch vor einem Erzwingungsstreik zurück, weil dabei alle Seiten ihre Karten auf den Tisch legen müssten.
Hier wird deutlich, dass die Führung der GEW Berlin nicht an die eigene Mobilisierungsstärke und damit verbunden auch nicht an den Erfolg des Tarifkampfes glaubt. Stattdessen versucht sie, den Fokus der Verhandlungen weg von einem Tarifvertrag und hin auf eine Gesetzesänderung zu lenken, welche die Klassengröße festschreiben soll. Jede/r Kolleg:in weiß aber, dass politische und dienstliche Zwänge schnell dazu führen, dass gesetzlich festgeschriebene Klassenteiler schnell unter den Tisch fallen, wenn die Anzahl der Lehr- und Betreuungskräfte nicht stimmt oder die Schule nicht genügend Räume zur Verfügung hat. Diese Vorstellung war schon unter Rot-Grün-Rot fragwürdig. Unter dem neuen CDU-SPD-Senat wird sie vollends zur weltfremden Chimäre.
Es kann daher als Erfolg gewertet werden, dass die Demobilisierungsversuche der GEW-Bürokratie ins Leere liefen und sie stattdessen damit konfrontiert wurde, dass die aktiven Kolleg:innen für die Ausweitung der Streikaktionen plus transparente Debatte stimmten! Ein Erfolg, der begleitet wird von der Forderung, die Basis des Streikes zu verbreitern, indem aktiv schwach organisierte Schulen besucht werden sollen, um Unterstützung im Aufbau von GEW-Aktionsgruppen, für Streikversammlungen, Mobiveranstaltungen etc. anzubieten, um somit die Streikkraft der Bewegung zu vergrößern. Ein vollkommen verständlicher Vorschlag, da die abnehmende Zahl an Streikenden über die letzten Streiktage hinweg durchaus die Gefahr birgt, dass die Kolleg:innen ausgebrannt werden und keinen Sinn mehr in den Streikaktionen sehen. Damit dies nicht dem Senat sowie der GEW-Bürokratie in die Hände spielen kann, sind solche Vorschläge von kämpferischen Gewerkschafter:innen positiv aufzugreifen und zu unterstützen.
Darüber hinaus dient die Verbreiterung der Basis auch gleichzeitig dazu, den Druck auf die GEW-Bürokratie sowie auf die Tarifkommission zu erhöhen, um zu verhindern, dass sie die Abstimmung der Streikversammlung einfach umgehen. Dies erkennen wir daran, dass vonseiten der GEW-Führung nun nur ein 3-tägiger und kein 5-tägiger Warnstreik ausgerufen wurde. Hier redet sich die Bürokratie damit heraus, dass die Streikversammlungen keine demokratische Legitimität besäßen und von dieser keine Mandate ausgehen könnten.
Dieses Manöver zeigt deutlich, dass der Einfluss des Teils der Basis, welcher für die Ausweitung der Streikbemühungen einsteht, noch zu gering ist, um die Mehrheit auf Streikversammlungen auch wirklich in Aktionen der Gewerkschaft zu übertragen. Klar muss dem Manöver der Bürokratie widersprochen werden. Gleichzeitig sollte aber auch der Unmut über diese Entscheidung innerhalb des aktiven Kreises dazu verwendet werden, um Basisstrukturen aufzubauen, die sich kritisch mit der Rolle der GEW-Bürokratie auseinandersetzen und auch offen die demokratischen, gewerkschaftsinternen Prozesse der Streikführung kritisieren und diskutieren. Darüber hinaus müssen diese Diskussionen eingebunden werden in die oben schon angesprochenen Bemühungen zur Ausweitung der Basisstrukturen, um sich in zukünftigen Entscheidungen auf Streikversammlungen wie auch in konkreten Aktionen danach manifestieren zu können.
Schließlich sollte während des dreitägigen Warnstreiks vom 10. – 12. Oktober eine gut vorbereitete Vollversammlung stattfinden, die über die weitere Vorgehensweise beschließt. Es gibt keinen Grund, das demokratische Mandat einer solchen Versammlung anzuzweifeln, wenn schon im Vorfeld an Schulen und in den gewerkschaftlichen Strukturen genau diese Fragen anhand von Anträgen an die Vollversammlung diskutiert werden.