Arbeiter:innenmacht

Kommunalwahlen in Brasilien: Bolsonaro verliert, Linke gewinnt in Städten

Liga Socialista, Infomail 1130, 11. Dezember 2020

Die Bedeutung des zweiten und letzten Wahlgangs der brasilianischen Kommunalwahlen am 29. November liegt nicht so sehr in der genauen Zahl der abgegebenen Stimmen, sondern vielmehr in dem, was sie uns über die politische Lage des Landes vier Jahre nach dem Staatsstreich, durch den Präsidentin Rousseff von der ArbeiterInnenpartei PT abgesetzt wurde, und zwei Jahre nach der Wahl von Jair Bolsonaro zum Präsidenten aussagen.

Seit dem Putsch

Der Putsch von 2016, der einige Jahre vor der Amtsenthebung von Dilma Rousseff vorbereitet wurde, sollte nicht nur die PT aus der Regierung herausnehmen, sondern auch die Macht an die offen bürgerlichen Kräfte zurückgeben. Obwohl die PT-Regierung eine Regierung der Klassenversöhnung darstellte, war ihre bloße Existenz sowohl für die nationale Bourgeoisie als auch für den US-Imperialismus beunruhigend. Was sie wollten, war eine Regierung, die die Rechte der ArbeiterInnen zurücknimmt und sicherstellt, dass es keine Einschränkungen für die Fähigkeit des Kapitals gibt, den Reichtum des Landes auszubeuten.

Dazu mussten sie die PT und ihren langjährigen Führer Lula, aber auch den Rest der brasilianischen Linken vernichten, damit sie keine Opposition hätten. Ein solcher Staatsstreich ist keine einzelne, momentane Aktion, sondern Teil eines kontinuierlichen Prozesses. Ein Erfolg des Putsches würde die Eliminierung der PT und die effektive Vernichtung der gesamten Linken bedeuten.

Bei den Präsidentschaftswahlen 2018 sahen wir, dass die PT noch immer am Leben war und dass sie zwar den Kandidaten des Putschlagers, den faschistoiden Bolsonaro, nicht besiegen, aber die Wahl in eine zweite Runde zwingen konnte. Zu diesem Zeitpunkt war die Schlüsselaktion des Staatsstreichs die illegale Verhaftung von Lula, dem wichtigsten populären Führer des Landes, und damit die Verhinderung seiner Kandidatur. Sie taten dies, um den Wahlsieg der Rechten zu garantieren.

Es war ein Sieg des Hasses. Bolsonaro und seine AnhängerInnen und UnterstützerInnen ritten auf der Welle und wählten sich selbst im ganzen Land. Die etablierten Rechtsparteien, die brasilianische sozialdemokratische Partei PSDB, die eigentlich die Hauptpartei der Industriebourgeoisie ist, die Partei der brasilianischen demokratischen Bewegung MDB, die auf dem Agrobusiness im ganzen Land basiert, und die DemokratInnen, die DEM, die Nachfolgerin der offiziellen Partei unter der Militärregierung, verloren die Kontrolle über den Putsch und wurden von der extremen Rechten besiegt, so dass sie gezwungen waren, Bolsonaro in der zweiten Runde zu unterstützen.

Hätte der Putsch den beabsichtigten Weg eingeschlagen, wäre heute die Linke zerstört worden, ganz ohne Kräfte für den Kampf. Darüber hinaus würden die PSDB und die MDB die politische Szene dominieren und ihren Einfluss auf die mittleren und großen Gemeinden verstärken. Doch dies war nicht der Fall.

Die Kommunalwahlen

Der große Verlierer dieser Wahlen war zweifelsohne Bolsonaro, dessen Versuch, eine eigene Partei aufzubauen, völlig scheiterte. Nur 13 BürgermeisterkandidatInnen akzeptierten seine ausdrückliche Unterstützung, und von diesen waren nur zwei erfolgreich. Die Höhepunkte dieser Niederlage waren die Siege von Crivella (Republikaner) in Rio de Janeiro und Hauptmann Wagner (PROS – Republikanische Partei der sozialen Ordnung) in Fortaleza.

Er war nicht der einzige Verlierer, denn auch die traditionellen Parteien der Rechten, die MDB und PSDB, konnten keine wirklichen Gewinne erzielen. Diese Parteien förderten den Putsch von 2016 in der Erwartung, die Macht zu übernehmen, aber sie wurden bei den Wahlen von 2018 geschlagen. Ihre Kandidatur für das Präsidentschaftsamt kam nicht zum Erfolg, und sie verloren schließlich an Boden in den Landesregierungen und im Parlament.

Seitdem konnten sie sich nicht etablieren und sind den so genannten „Zentrumsparteien“ unterlegen, die keine klaren Programme haben, sondern auf der Grundlage von lokalen Geschäften, Klientelismus, Ausbeutung öffentlicher Ämter und Vetternwirtschaft florieren. Dies ist der Sektor, der seit dem Putsch am stärksten gewachsen ist. Ihr Wachstum begann unter Bolsonaro, hat sich aber unabhängig von ihm fortgesetzt.

Nach dem Putsch verloren die PT und die Linke im Allgemeinen die Kontrolle über viele Gemeinden, aber sie wurden durch den Staatsstreich nicht völlig zerschlagen. Im Gegenteil, diese Wahlen zeigen, dass sie in großen und mittelgroßen Städten allmählich wieder an Boden gewinnen. Der Putsch, die Anti-PT und die Verbreitung rechter Ideen haben es nicht geschafft, die Linke zu besiegen.

Wir können jedoch nicht sagen, dass der Bolsonarismus besiegt ist. Bolsonaro geht zweifellos geschwächt aus diesen Wahlen hervor, aber die rechtsextreme Bewegung, die sich mit ihm erhoben hat, ist immer noch da. Die anhaltende Stärke der kleinen Parteien der Mitte bedeutet, dass sich Brasilien in einer Art politischem Patt befindet, und das kann nicht ewig so weitergehen.

Die linke Kampagne

In Städten mit mehr als 200.000 Einwohnern trat der linke Flügel in der zweiten Runde zur Eroberung von 18 Rathäusern an und gewann 5. Vergleicht man dies mit den Wahlen von 2016, bei denen die PT in 7 antrat und nur eine gewann, war dies ein Durchbruch.

Darüber hinaus erhielt der Hauptkandidat der Linken in São Paulo Guilherme Boulos von der Partei des Sozialismus und der Freiheit, PSOL, 40,62 Prozent, über 2 Millionen der Stimmen. In den entsprechenden Wahlen von 2008, 2012 und 2016 erhielt die Partei insgesamt 289.000 Stimmen. Diese Zahlen zeigen, dass die PSOL zwar nicht das Rathaus, aber einen großen Sieg in São Paulo errungen hat. Außer in São Paulo gewann die PSOL auch in Pará, wodurch Edmilson zum Bürgermeister der Stadt Belém gewählt wurde.

Der große Fehler der PT und der Linken war, mit wenigen seltenen Ausnahmen, dass sie keine Kampagne zu nationalen Themen führten. Es versäumt zu haben, die ernste Situation, in der wir leben, anzuprangern, ist eine selbst auferlegte Niederlage für die Linke, die die Gelegenheit der Kommunalwahlen nicht genutzt hat, um die ArbeiterInnen um die KandidatInnen und ihre FührerInnen zu mobilisieren.

Sie zeigt auch die Wurzel der politischen und Identitätskrise der Linken. Diese Kampagne hätte den Putsch, die Bolsonaro-Regierung und die Angriffe auf die ArbeiterInnenrechte anprangern, die Rücknahme der Arbeits- und sozialen Sicherheits„reformen“, die Wiederverstaatlichung des Energiekonzerns Petrobras und der Ölquellen sowie die Annullierung aller Klagen gegen Lula und die linken FührerInnen fordern sollen. Es hätte eine Kampagne sein sollen, um die Militanz zu mobilisieren und die Klasse auf künftige Kämpfe vorzubereiten.

Schließlich wissen wir sehr gut, wofür die bürgerlichen Wahlen dastehen und wem sie  dienen. Unter keinen Umständen glauben wir, dass sie die vom Kapitalismus auferlegten Probleme lösen können. Wir stehen vor einer politischen Krise der brasilianischen Linken, und um eine Lösung zu finden, müssen wir über die gegenwärtigen linken Parteien hinausgehen. Die Illusion, dass bei den Wahlen 2022 durch die Wahl einer fortschrittlichen Regierung auf der Grundlage eines breiten Bündnisses alles gelöst wird, um Bolsonaro zu besiegen, dient nur dazu, die ArbeiterInnenklasse zu demobilisieren.

Für uns besteht der wirkliche Weg nach vorn darin, die ArbeiterInnenklasse und die sozialen Bewegungen zu mobilisieren und eine revolutionäre Partei aufzubauen, mit einem Programm, das der Agenda der unmittelbaren und Übergangsforderungen der ArbeiterInnenklasse entspricht und den Weg zum Sturz des Kapitalismus öffnet.

Bürgerliche Wahlen werden den Forderungen der ArbeiterInnenklasse nicht gerecht, aber sie können und müssen eine Gelegenheit sein, die Debatte mit den ArbeiterInnen zu eröffnen, um den wirklichen Ausweg aufzubauen und dafür zu mobilisieren. Nur mit einem revolutionären Programm wird es uns gelingen, den bürgerlichen Staat zu zerstören und auf seinen Trümmern einen sozialistischen Staat unter dem Kommando der ArbeiterInnen aufzubauen.

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