Frederik Haber/Karl Kloß, Infomail 1062, 23. Juli 2019
650 Beschäftigte versammelten sich vor der Unternehmenszentrale, als am Freitag, dem 12. Juli, der Aufsichtsrat tagte. Sie protestierten gegen die Schließung des Werkes in Öhringen, die zwei Wochen zuvor verkündet worden war. Aus diesem Werk waren zwei Busse, praktisch die halbe Belegschaft, angereist. Aus anderen Werken waren nur kleine Delegationen vertreten. Beschämend gering war die Beteiligung aus der Zentrale in Cannstatt, in der rund 2.500 Menschen beschäftigt sind. Aus der Zentrale in Feuerbach waren immerhin ca. 240 von insgesamt ca. 1.900 Menschen vertreten.
Erfreulich allerdings, dass endlich überhaupt Bewegung in den Konflikt gekommen ist. Vor drei Monaten hatte die Geschäftsführung erstmals ein „Sparprogramm“ angekündigt. 20 % der Kosten sollen weltweit eingespart werden – ein Generalangriff also! Die Betriebsratsspitzen allerdings gaben sich Illusionen hin. Der Chef des Gesamtbetriebsrates, Schwarte, hoffte damals auf die „Einhaltung der Standortsicherung“ (Stuttgarter Nachrichten). KollegInnen berichteten, dass ein Betriebsratsgremium „Sparfüchse“ per Aushang am schwarzen Brett gesucht hätte. Das heißt, es wandte sich nur gegen die Rasenmähermethoden der Bosse, hatte aber offensichtlich nichts gegen das „Sparprogramm“ als solches einzuwenden.
Nachdem die Angriffe Anfang Mai konkretisiert wurden, hatten in den Zentralen jeweils Hunderte Beschäftigte an Betriebsversammlungen teilgenommen. Für die Zentralen wurde ein Personalabbau von 380 Stellen verkündet, der vorrangig durch „weiche“ Maßnahmen wie Altersteilzeit und „freiwillige“ Aufhebungsverträge geschehen sollte. Ganz offensichtlich reichte dies dem Betriebsrat in der Cannstatter Zentrale, um in Wartestellung zu gehen, aber fleißig weiterhin Überstunden zu genehmigen. In solch einer Situation können diese aber nur bedeuten, der Personalleitung zu erlauben, Stellen überflüssig zu machen. In der Feuerbacher Zentrale nahm der Betriebsrat immerhin gegen Verlagerungspläne in Flugblättern Stellung. Die Betriebsräte der Produktionswerke hofften wohl weitgehend, dass der Angriff auf „Angestellte“ beschränkt bleiben würde. Selbst die angekündigte Schließung des britischen Werkes in Telford wurde nicht als der nächste Warnschuss wahrgenommen, der er war.
Jetzt, nachdem die Mahle-Bosse mit ihrer leicht durchschaubaren, aber offensichtlich bisher erfolgreichen Salami-Taktik auch das erste Produktionswerk in Deutschland angreifen, wachen manche auf. Ganz offensichtlich stand hinter der Aktion am Freitag aber vor allem auch die IG Metall, der die Passivität der Betriebsräte plötzlich zu weit ging. Passend erklärte der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Uwe Schwarte auf einer Betriebsversammlung in Öhringen, man habe die Bezirksleitung der IG Metall Schwäbisch Hall eingeschaltet und bitte die Belegschaft darum, die anstehenden Aktionen massiv zu unterstützen.
Entsprechend lieferte Uwe Meinhardt, früher erster Bevollmächtigter in Stuttgart und stellvertretender Aufsichtsratschef bei Mahle, jetzt Chef der Rechtsabteilung im Berliner Büro des IG Metall-Vorstandes und Leiter der Abteilung Grundsatzfragen und Gesellschaftspolitik beim Vorstand der IG Metall, eine kämpferische Rede ab. Er kündigte Widerstand der Gewerkschaft an. Wie dieser außer einem europaweiten Aktionstag aussehen soll, ließ er offen.
Das ist zwar als solches ein Schritt vorwärts. Aber viele Beschäftigte haben noch in den Ohren, was er 2015 auf dem Hof bei Mahle erklärt hatte: „Keiner verlässt den Betrieb gegen seinen Willen!“. Ein Jahr später wurden dann nach Abschluss der Standort- und Beschäftigungssicherung die Werke in Schwäbisch Hall und Schwaikheim geschlossen und die Werke in Plettenberg und Roßwein verkauft. Ähnliches hatten schon die KollegInnen vom Werk 8 erlebt, als dies sofort nach der Übernahme von Behr durch Mahle geschlossen wurde. Auch hier folgte Meinhardts großen Worten nichts, die Taten blieb er schuldig.
Um zu verhindern, dass die Erwartungen der Menschen, die um Arbeitsplätze und die Zukunft kämpfen, erneut enttäuscht und verraten werden, ist es nötig, dass sie selbst die Kontrolle über ihren Kampf erringen. Ja, die GewerkschaftsführerInnen müssen beim Wort genommen werden, die Betriebsräte bei ihren Versprechungen – aber entscheiden müssen diejenigen, um deren Schicksal es geht und die das Risiko für die Aktionen tragen.
Deshalb sind Aktionskomitees nötig und Belegschaftsversammlungen, die über die nächsten Schritte entscheiden. Deshalb müssen alle Verhandlungen betriebsöffentlich geführt werden.
Für uns als KommunistInnen zeigen die Verweise der Geschäftsleitung, die die Verantwortung für ihren Generalangriff so gerne von sich selbst auf das „wirtschaftliche Umfeld“, „den Brexit“, die „E-Mobilität“ oder „die Transformation“ schiebt, dass es tatsächlich das kapitalistische System ist, in dem technische Entwicklungen zu Lasten von Mensch und Umwelt gehen und in dem die ständige Konkurrenz immer härter wird und immer mehr Reichtum sich in immer weniger Händen aufhäuft – ein System also, das keines der Zukunftsprobleme lösen kann. Das heißt keinesfalls, dass die Mahle-Geschäftsführung an den Problemen dieses Systems unschuldig ist – sie profitiert von ihm und heizt den Konkurrenzkampf und den sozialen Wettlauf nach unten noch an.
Deshalb unterstützen wir alle Initiativen von Beschäftigten, sich nicht nur gegen zerstörerische Maßnahmen der KapitalistInnen zu wehren, sondern auch eigene Forderungen und Vorschläge für die Produktion und die Organisation der Arbeit zu machen und durchzusetzen.
Die Ankündigung eines „europaweiten“ Aktionstages Ende Juli ist ein richtiger Schritt. Aber solange die Betriebsräte und IG MetallerInnen bei ihrer Hoffnung bleiben, sich auf Kosten anderer, gerade auch ausländischer Werke, zu retten, wird der Aktionstag zum Flop werden. Auch die Illusionen in „neue Produkte“ und „neue Technologien“ für die deutschen Standorte sind ein fataler Trugschluss. Diese werden zwar in Deutschland entwickelt, produziert werden sie aber zu billigeren Konditionen im Ausland, um gegenüber der Konkurrenz profitabler zu sein und gleichzeitig die Belegschaften in den (nicht-)europäischen Werken gegeneinander auszuspielen und sie besser zu kontrollieren. Dass diese anfangen, sich zu vernetzen und gemeinsam über Ländergrenzen hinaus für ihre Interessen zu kämpfen, ist sowohl der Geschäftsführung als auch den reformistischen GewerkschaftsführerInnen ein Dorn im Auge. So sind es doch gerade die deutschen GewerkschaftsführerInnen, welche sich hauptsächlich darum bemühen, ein paar Brosamen in Form von Partizipation an Extraprofiten (man kann es auch generös „MitarbeiterInnenerfolgsbeteiligung“ nennen) für die eigene Klientel, sprich die Kernbelegschaften, herauszuholen, um diese bei der Stange zu halten. Für alle anderen springt dabei nichts heraus und somit bleibt auch die Spaltung innerhalb der ArbeiterInnenklasse in den Betrieben erhalten.
Südamerika - Politik, Gesellschaft und Natur
Ein politisches Reisetagebuch
Südamerika: Politik, Gesellschaft und Natur
Ich reise ein Jahr durch Südamerika und versuche in dieser Zeit viel über die Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und natürlich auch die Landschaften zu lernen und möchte euch gerne daran teilhaben lassen