Arbeiter:innenmacht

Aufstieg der Grünen: Eine bürgerliche Partei für alle Klassen?

Karl Kloß, Neue Internationale 239, Juli/August 2019

Derzeit erleben die Grünen einen Höhenflug. Nach den neuesten Erhebungen vom 15. Juni 2019 kommen sie bei den Umfrageinstituten Emnid und Forsa auf jeweils 27 % und landen damit vor der Union. Es ist zwar nicht das erste Mal, dass die Grünen einen solchen Höhenflug hinlegen. Vor acht Jahren erzielten sie kurz nach dem GAU von Fukushima ähnliche Werte. Damals waren sie jedoch nur für eine kurze Zeit zweitstärkste Kraft hinter der Union.

Kurzer Abriss

Dass die Grünen nun so gehyped werden, hat vier Hauptursachen: a) die vermeintliche Erfolgsformel, b) die Realpolitik, c) die Krise im bürgerlichen Lager sowie d) die der SPD.

Nach der Gründung 1980 wurden die damals kleinbürgerlichen Grünen als schwarze Schafe des Parlamentarismus und sogar „systemgefährdend“ wahrgenommen. Über Jahre wurde ihren Abgeordneten – anders als der Linkspartei – die Teilnahme an „sicherheitsrelevanten“ Ausschüssen (z. B. Verteidigung) verweigert.

Der Radikalismus dieser Zeit speist sich aus Massenmobilisierungen gegen Aufrüstung, Krieg, Umweltzerstörung bis hin zur Teilnahme an und Unterstützung einer aktivistischen, wenn auch politisch kleinbürgerlichen Bewegung. Zugleich ging die Entstehung und Gründung der Partei mit einer Absage an proletarische Klassenpolitik einher. In ihr waren von Beginn an linke öko-sozialistische, reformerische und Kräfte einer „Neuen Mitte“ vertreten wie auch rechte ÖkologistInnen. Die Grünen priesen sich als neue Kraft an, die weder „links“ noch „rechts“, sondern einfach nur vorn wäre.

Auf die Einzüge in Parlamente folgte bereits Mitte der 1980er Jahre der Eintritt in die Landesregierung in Hessen, immer vorneweg der Realo Joschka Fischer.

Nach der Fusion mit der ostdeutschen Bürgerrechtsbewegung „Bündnis 90“ und einigen Richtungskämpfen bildeten sie im Jahr 1998 mit SPD-„Automann“ Schröder erstmals eine Regierung auf Bundesebene. Die einstige „Friedenspartei“ stimmte dem ersten deutschen Kriegseinsatz nach Ende des Zweiten Weltkrieges und den Bombardements auf Belgrad 1999 im Rahmen einer NATO-Kriegsintervention zu.

Sie trug den größten Angriff auf die ArbeiterInnenklasse nach dem Ende der DDR mit, nämlich die Agenda-2010-Reformen und die Einführung der Hartz-Gesetze. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde für die deutsche Bourgeoisie ersichtlich, dass die Grünen durchaus dazu geeignet sind, die eigenen Interessen im Inneren wie nach außen durchzusetzen. Sie hatten ihre Bewährungsprobe als verlässliche bürgerliche Partei, als ökologisch aufgepeppte Liberale und verlässliche JuniorpartnerInnen der SPD, bestanden, wenn auch vorerst unter Verlust von WählerInnen und AnhängerInnen. Nach knapp zwei Legislaturperioden Schröder/Fischer waren auch sie dem Verwelken und nicht dem Aufblühen nahe.

Erfolgsformel „Green New Deal“

Dass sie sich trotz dieser Enttäuschung und ursprünglich von ihren AnhängerInnen und Mitgliedern als „Tabubruch“ wahrgenommenen Regierungskoalitionen mit der CDU auf Länderebene (Baden-Württemberg, Hessen) halten konnten, ist erklärungsbedürftig. Der Erfolg und aktuelle Aufstieg der Grünen speist sich auch daraus, dass sie sich selbst in ihren „schwachen Jahren“ auf wachsende Teile der lohnabhängigen Mittelschichten stützen konnten, deren soziale Lage jener des KleinbürgerInnentums vergleichbar ist. Die Schichten reichen von Teilen des BildungsbürgerInnentums bis hin zu solchen der ArbeiterInnenaristokratie. Ähnlich wie die AnhängerInnen der AfD betrachten sie den zunehmenden Verlust „gesellschaftlichen Zusammenhalts“, das Ergebnis von verschärfter Konkurrenz und Neo-Liberalismus, mit Sorge. Anders als die RechtspopulistInnen wollen sie die Gesellschaft jedoch mittels eines neuen „Gesellschaftsvertrags“, eines „Green New Deal“ kitten. Die Reichen müssen nur etwas weniger gierig werden, ihre Profitinteressen längerfristig und staatlich „gezügelt“ verfolgen – und schon könnten die Armen besser „eingebunden“ werden. Die Mittelschichten könnten in einer solch gerechteren bürgerlichen Welt ohne die „übertriebenen“ kapitalistischen Exzesse des Großkapitals ruhiger leben. Gleichzeitig, so das Heilsversprechen der Grünen, ließe sich so auch der ökologische Umbau sozialverträglich, nachhaltig und profitabel gestalten. Diese vermeintliche Erfolgsformel der Grünen besteht darin, vordergründig Opposition und das „ökologische Gewissen“ zu spielen, das darauf verweist, dass wir diesen einen Planeten haben, auf dem wir leben können, und an die Vernunft aller zu appellieren, doch bitte damit aufzuhören, die Umwelt zu zerstören und sich gegenseitig zu bekriegen.

Grüne Realpolitik

Die grüne Realpolitik in insgesamt acht Landesregierungen erweist sich als wenig ruhmreich. Im ehemaligen CDU-Stammland Baden-Württemberg stellen die Grünen seit mittlerweile acht Jahren (!) den Ministerpräsidenten, Winfried Kretschmann. Dieser schaffte es durch mehr als fragwürdige Wendungen, über die Landesgrenzen hinaus, bundesweit Bekanntheit zu erlangen, sei es in Bezug auf die unendliche Dauerbaustelle Stuttgart 21 oder dadurch, dass er die reaktionäre Flüchtlingspolitik der Bundesregierung gegen seine eigenen ParteifreundInnen im Bundesrat durchboxte oder die deutsche bzw. schwäbische Autoindustrie hofiert und deren Betrügereien verharmloste. Wahrscheinlich kann man den baden-württembergischen Landesverband der Grünen als den rechtesten bezeichnen. Schließlich hat man neben Kretschmann auch den Rechtsaußenpolitiker und Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer, in den eigenen Reihen. Durch seine Social-Media-Präsenz und sein Law-and-Order-Gehabe schafft er es locker, Kretschmann rechts zu überholen. Ein Schelm, wer dabei an Horst Seehofer denkt. Auch in anderen Bundesländern waren sich die Grünen für so manche Sauerei nicht zu schade. So stimmten sie 2016 in Nordrhein-Westfalen der Rodung der restlichen 200 Hektar des Hambacher Forstes zu und ebneten damit RWE den Weg, weiter mit Braunkohle Gewinne einzufahren.

Krise im bürgerlichen Lager

Wer nun also denkt, die Grünen seien eine ernstzunehmende „linke“ Alternative zu Union oder SPD, der/die sollte spätestens nach der Darstellung der grünen Realpolitik eines Besseren belehrt sein. Dass die Grünen momentan nicht nur als Regierungsoption, sondern auch mögliche KanzlerInnenpartei erscheinen, ist auch der gegenwärtigen Situation im bürgerlichen Lager geschuldet. War mit Entstehung der CDU/CSU die Rollenverteilung unter den offen bürgerlichen Parteien klar geregelt, so ist das heute nicht mehr unbedingt der Fall. Zwar vertritt die Union nach wie vor die Interessen des deutschen Großkapitals, aber sie mag immer weniger gegensätzliche Interessen in der herrschenden Klasse zu einem Gesamtinteresse zu verknüpfen und dabei auch noch das KleinbürgerInnentum und die Mittelschichten einzubinden. Diese Gemengelage führte dazu, dass sich einige nicht unerhebliche Teile des KleinbürgerInnentums, aber auch der Bourgeoisie nach Alternativen umsehen. Diese beanspruchen für sich, kosmopolitisch, weltoffen, umweltbewusst und alternativ zu sein und wenden sich den Grünen zu. Diese präsentieren sich dabei nicht nur als LobbyistInnen der Mittelschichten, sondern offerieren mit dem „Green New Deal“ ein langfristiges Modell, das den „ökologischen“ Umbau des deutschen Imperialismus und seine langfristige Konkurrenzfähigkeit sichern soll. Dieser stellt zugleich auch eine „Vision“ von deutscher Führung in der EU dar, die in vielem der Linie Merkels ähnelt. Eine deutlich gestärkte grüne Partei könnte nach den nächsten, womöglich vorgezogenen, Bundestageswahlen als Koalitionspartnerin von CDU/CSU die „grüne Schrittmacherin“ für einen neuerlichen Anlauf zur Überwindung der Krise der EU spielen.

Krise der SPD als weitere Ursache

Einer der wichtigsten Gründe, dass die Grünen im Moment so erfolgreich sind, hängt auch damit zusammen, dass sie vorgeben, eine klassenübergreifende „Volkspartei“ zu sein, und sich als „moderne“ Alternative zur SPD und auch zur Linkspartei anpreisen. Konnten wir schon herausarbeiten, dass die Grünen es teilweise geschafft haben, Mittelschichten für sich zu gewinnen und auch für das Kapital attraktiver zu werden, so haben sie auch Einbrüche bei der SPD erzielt. Das betrifft vor allem jüngere Lohnabhängige und Frauen.

Zwar schnitten die Grünen bei den Europawahlen 2019 lt. DGB unter Gewerkschaftsmitgliedern unterdurchschnittlich ab, doch verdeckt dies, dass sie bei bestimmten Gruppen der Lohnabhängigen weit überdurchschnittlich punkteten. So erzielten sie 23,1 % der Stimmen aller gewerkschaftlich organisierten Frauen (und liegen damit vor allen anderen Parteien) und satte 23,9 % der jungen GewerkschafterInnen (also aller 18–29-Jährigen).

Dass aber ausgerechnet die Grünen vom Niedergang der SPD profitieren, liegt auch an der Unfähigkeit der Linkspartei, eine glaubwürdige Alternative anzubieten, an der Erosion von Klassenpolitik und dem Rechtsruck der Gewerkschaften. Die Grünen vermögen sich besser als Sozialdemokratie und Linkspartei als fortschrittliche Alternative zur AfD zu präsentieren. Zwar bieten sie für die dringendsten Probleme der Jugend ebenso wenig eine Lösung wie bei Klima- und Umweltschutz, weil dieser immer an die Grenzen der Profitinteressen stoßen wird. Im Gegensatz zu SPD und Linkspartei verfügen sie aber mit dem „Green New Deal“ über ein strategisches politisches Konzept, das die Interessen aller Klassen auszugleichen verspricht, zum Wohl von Demokratie, Umwelt und Wettbewerbsfähigkeit.

Perspektive

Zweifellos wird die Unterordnung der Grünen unter die Kapitalinteressen die Illusionen der Jugend, Mittelschichten und von breiteren Teilen der ArbeiterInnenklasse erschüttern, sobald die Partei in einer Bundesregierung Ernst machen muss. Schon jetzt zeigen z. B. die Ergebnisse der Kohlekommission, dass sie ihre Anliegen im Interesse der KraftwerkbetreiberInnen und Energiemonopole verschachert. Dort entpuppt sich der „Green New Deal“ als lohnendes Geschäftsmodell – aus Sicht der Energiekonzerne!

Für KommunistInnen ist es unerlässlich, die falschen Versprechen und die dahinter liegende bürgerliche Politik der Grünen offenzulegen. Um Jugendliche von Fridays for Future, um Millionen, die Illusionen in grüne Politik hegen, zu gewinnen, reicht es aber nicht, nur auf deren Selbstentlarvung und Kritik zu setzen.

Wir müssen auch organisiert und auf Grundlage klarer Forderungen versuchen, die Dominanz der Grünen über Massenbewegungen wie Fridays for Future zu brechen. Dem faulen „Green New Deal“ müssen wir eine antikapitalistische Politik entgegensetzen. Uns geht es darum, dass die ArbeiterInnenklasse gemeinsam mit den NutzerInnen die Kontrolle über die Energiekonzerne demokratisch übernimmt, deren Geschäftsbücher offengelegt und die letztendlich entschädigungslos enteignet werden müssen. Außerdem müssen sich die ArbeiterInnen sowie die NutzerInnen mit ForscherInnen zusammen an einen Tisch setzen, um nach CO2-freien, nichtfossilen Energieträgern zu forschen. Darüber hinaus fordern wir auch den massiven Ausbau und die energische Förderung erneuerbarer Energien, welche aus den Profiten und den bisher geleisteten Entschädigungssummen für die Energiekonzerne finanziert werden sollen. Vor allem aber braucht es den Kampf um ein anderes Wirtschaftssystem, eine demokratische Planwirtschaft, die es ermöglicht, die Ökonomie im Interesse der Arbeitenden und ökologischer Nachhaltigkeit umzugestalten.

Nachsatz: DIE PARTEI macht bei den Grünen mit

Bei der letzten Europawahl konnte diese Satiretruppe von Martin Sonneborn 2,4 % aller Stimmen für sich gewinnen und damit die Zahl ihrer Abgeordneten im EU-Parlament verdoppeln. Als Doppelspitze zogen somit Martin Sonneborn und Nico Semsrott, den manche aus der ZDF-Satiresendung „Heute-Show“ kennen, ins EU-Parlament ein.

Schon nach kürzester Zeit schloss sich Semsrott der Fraktion der Grünen (Greens/EFA) an, um eine Fraktion der RechtspopulistInnen zu verhindern (Fraktionsgröße im EU-Parlament hat man erst ab 75 Sitzen). Satirisch wie eh und je verkaufte DIE PARTEI diesen taktischen Schachzug damit, dass Semsrott sich die Fraktion der Grünen „einverleibt“ hätte.

Sonneborn twitterte daraufhin, er würde weiterhin beim „Abschaum des Parlaments“, den fraktionslosen Abgeordneten, bleiben – sich allerdings am Ende der Fraktionsbildungsfrist der meistbietenden anschließen. Nun mag man das Ganze witzig finden. Dass sie sich trotz manch witziger Enthüllung über den Politbetrieb in Brüssel den Grünen anschließt, zeigt, dass einem/r trotz reichlich Satire das Lachen im Hals steckenbleibt.

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