Tobi Hansen, Infomail 1055, 23. Mai 2019
Eine Woche vor den EU-Wahlen folgten mehr als 150.000 Menschen in Köln, Stuttgart, Leipzig, Frankfurt, München, Hamburg und Berlin dem Aufruf von „Deine Stimme gegen Nationalismus“. Dass das Bündnis sechsstellig mobilisieren konnte, liegt sicher auch an der Erwartung der Zusammensetzung des nächsten Europaparlaments. Dort könnten die Salvinis, Meuthens und Co. vielleicht sogar eine vereinigte rechtspopulistische Fraktion hinbekommen, die hier zweitstärkste werden könnte.
Viele jüngere AktivistInnen, gerade aus anti-rassistischen Initiativen, waren aktiv bei den Demos, wie auch viele NGOs die Demonstrationen prägten. Diese wollen ihre Stimme gegen Nationalismus erheben, gegen den aktuellen staatlichen Rassismus der EU demonstrieren – eine Woche vor den EU-Wahlen zweifellos ein klares Zeichen gegen Rassismus und Nationalismus.
Von den politischen Parteien waren Linkspartei, SPD und Grüne mit dabei, also diejenigen, die vorgeben, in der nächsten EU-Legislaturperiode den RechtspopulistInnen Einhalt gebieten zu wollen. Dem gegenüber war die „radikale“, sozialistische und kommunistische Linke eher spärlich vertreten, mit wenigen positiven Ausnahmen wie in München. Der dortige internationalistische Block kritisierte den imperialistischen und rassistischen Charakter der EU und rief zu europaweitem Klassenkampf auf. Genau dies müssen wir auch den reformistischen und kleinbürgerlichen Parteien entgegenhalten, die weiterhin die Illusion verbreiten, dass diese EU reformierbar wäre.
Die europäischen SozialdemokratInnen und die Grünen werden wahrscheinlich einen Kommissionschef Weber (CSU/EVP) unterstützen und damit auch das fortgesetzte Sterben im Mittelmeer. Aufgrund dieser Realität bleiben manche „Linke“ diesen „pro-europäischen“ Demos fern. Hier wird nicht nur gerne Europa mit der EU verwechselt, es werden auch jene 150.000, die gegen Nationalismus und Rassismus auf die Straße gehen, mehr oder minder offen mit den Führungen von SPD und Grünen gleichgesetzt. Eine solche Passivität hilft freilich nur den etablierten Kräften. Diesen wird das Feld überlassen, statt für Perspektiven von Widerstand, Protest und Klassenkampf einzutreten und dafür unter Zehntausenden zu agitieren.
Diese Passivität überlässt vielmehr den EU-„Fans“ wie „Pulse of Europe“ das Feld, die hoffen, dass die EU durch etwas Druck liberaler, sozialer, klimafreundlicher … wird – als ob sich Kapitalismus und Imperialismus einfach wegtünchen ließen.
Doch die Alternative zu einer solchen Politik, die auf Sand gebaut ist, besteht keinesfalls in der nicht minder verklärten Rückkehr zum „Nationalstaat“, wie sie Teile des linken Reformismus und der Linkspopulismus schon propagieren. Dies spielt nämlich allein den bürgerlichen, den reaktionären und nationalistischen Kräften in die Hände.
Eine radikale, sozialistische, antikapitalistische Linke darf diesen Weg nicht mitgehen. Sie muss in dieser EU und darüber hinaus in ganz Europa eine Klassenkampfperspektive vertreten und einbringen. Tut sie es nicht, versagt diese auf ganzer Linie. In der gegenwärtigen Lage brauchen wir vielmehr eine internationalistische und international koordinierte Politik in der gesamten EU und weltweit.
Viele „Linke“ halten sich an der Gegnerschaft zur EU fest. Die PopulistInnen wie FI in Frankreich versprechen sich sogar von der Rückkehr zum Nationalstaat mehr sozialen Fortschritt für die ArbeiterInnenklasse insgesamt. Dass im Nationalstaat „auch“ Kapitalismus herrscht, ist zwar eine „Binsenweisheit“, aber diese wird derzeit gern vergessen. Also wird keine Perspektive gegeben, worin denn die „Alternative“ zur neoliberalen und rassistischen EU besteht. Stattdessen wird so getan, als wäre der Kapitalismus auf nationaler Ebene besser zu „beherrschen“.
In der ArbeiterInnenbewegung wurde während und nach dem Ersten Weltkrieg die Losung der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa entwickelt, um diesem Kontinent eine revolutionäre Alternative zu bieten – eine Alternative, die Rassismus, Nationalismus, Imperialismus und Krieg beseitigen kann. Darum geht es auch heute. Die Krise der EU, mit all ihren kapitalistischen Widersprüchen, erfordert eine revolutionäre Antwort der ArbeiterInnenklasse auf diesem Kontinent.
Die Gruppe ArbeiterInnenmacht tritt bei den EU-Wahlen für eine kritische Unterstützung der der Linkspartei ein. Wir tun das nicht, weil wir das Programm dieser Partei teilen. Ihre reformistische Strategie halten wir für falsch und sie führt folgerichtig zu Anpassung und Parlamentarismus. Aber sie mobilisiert jene Schichten der ArbeiterInnenklasse und der Jugend, die eine kämpferische Alternative zur EU, die Sozialabbau, Lohndumping, Rassismus, Aufrüstung den Kampf ansagen wollen – und mit ihrer Stimme ein Zeichen gegen die Rechte, Liberalen und Konservativen, aber auch gegen die Politik der Grünen und der Sozialdemokratie setzen wollen.
Diese AktivistInnen wollen wir für eine Perspektive gewinnen, die über den parlamentarischen Rahmen hinausgeht, für einen europäischen Klassenkampf und Widerstand. Daher fordern wir auch von der Linkspartei, dafür zu mobilisieren. Wir sind uns ebenso bewusst, dass Linkspartei und NGOs (und erst recht SPD und Grüne) solche Demos gerne als „Ventil“, als einmalige Aktion verwenden, ohne danach nur eine Idee vom „Wie weiter?“ zu haben.
Dies stellt auch einen zentralen Kritikpunkt an den sehr schwammigen Aufrufen dar, die keinerlei konkrete Aktionsperspektive beinhalten. Wir fordern von diesen Kräften, von denen sicherlich viele AktivistInnen ernsthaft gegen den Rechtsruck, gegen die neoliberale und rassistische EU kämpfen wollen, dass sie außer Großdemonstrationen auch Aktionskonferenzen auf europäischer Ebene organisieren, auf denen konkrete Aktionen diskutiert und dann europaweit durchgeführt werden.