Stefan Katzer, Neue Internationale 276, September 2023
Der Aufschwung der Rechten geht einher mit einem Erstarken nationalistischer, rassistischer und antisemitischer Ideologien und Diskurse.
Doch das ist längst nicht alles. Besonders die Ablehnung der von diesen Akteur:innen so bezeichneten „Gender-Ideologie“ und die Bekämpfung der Rechte von Frauen und LGBTQIA-Personen stiften Zusammenhalt und wirken mobilisierend auf die verschiedenen Strömungen innerhalb der reaktionären Melange aus konservativen, christlichen, rechtspopulistischen und rechtsextremen Kräften.
Ursprünglich vor allem von Vertreter:innen der katholischen Kirche und konservativer Parteien ins Visier genommen, ist die „Gender-Ideologie“ heute eines der Hauptangriffsziele fast aller rechten und konservativen Parteien und Gruppierungen. Die ersten eindeutigen Anti-Gender-Kampagnen entstanden Mitte der 2000er Jahre in Ländern wie Spanien, Kroatien, Italien und Slowenien. Sie richteten sich zunächst hauptsächlich gegen die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe oder die Sexualaufklärung an Schulen.
Mit den Massenprotesten in Frankreich im Jahr 2012 zur Verhinderung der Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe erreichte die Bewegung ihren vorläufigen Höhepunkt. Im Anschluss daran breitete sie sich auch in Deutschland, Italien, Polen, Russland und der Slowakei aus.
In Bezug auf die USA konnte Joanna Wuest detailliert aufzeigen, wie Teile der herrschenden Klasse bereits seit der Präsidentschaft Ronald Reagans intensiv daran arbeiteten, ein reaktionäres Netzwerk aus religiösen Traditionalist:innen und rechten Gruppierungen aufzubauen. In diesem Zusammenhang kam es zur Gründung zahlreicher Thinktanks und Lobbygruppen, deren politisches Ziel vor allem darin besteht, den Unmut über die wachsende soziale Ungleichheit in eine für das Kapital genehme Bahn zu lenken. In den USA seien Kapitalverbände seit Langem bemüht, sich den Rückhalt für ihren Widerstand gegen jede Umverteilung von oben nach unten dadurch zu sichern, dass sie an konservative Gesellschaftsnormen appellieren.
Als Beispiel nennt Wuest die Heritage Foundation, die seit ihrer Gründung im Jahr 1973 zusammen mit gleichgesinnten Gruppierungen gegen die Homo-Ehe und gegen Bürger:innenrechte für trans Menschen kämpft und sich ansonsten vor allem für einen „freien Markt“ starkmacht. Milliardenschwere Familienunternehmen und -stiftungen wie die von Charles Koch, Betsy DeVos oder Lynde und Harry Bradley sowie Wirtschaftsverbände wie das American Legislative Exchange Council mischen auf diesem Feld mit und finanzieren transfeindliche Gruppierungen aller Art, bis hin zu transfeindlichen Radikalfeminist:innen wie etwa die Women’s Liberation Front.
Es ist also offensichtlich, dass auf Seiten des Kapitals und seiner politischen Handlanger:innen großes Interesse daran besteht, die Spaltung der Lohnabhängigen weiter zu vertiefen, um sich selbst aus dem Schussfeld zu nehmen. Denn das, was die Kapitalist:innen am meisten fürchten, ist eine geeinte, sich ihrer gesellschaftlichen Lage und Macht bewusst werdende Arbeiter:innenklasse, die die wirklichen Ursachen ihres Elends erkennt und bereit ist, dagegen zu kämpfen.
Angriffe auf die Rechte von LGBTIAQ-Personen, die reproduktiven Rechte von Frauen und die Reproduktionsmedizin sowie die Aufklärung über Sexualität und Geschlechtergleichstellung stehen seither im Fokus dieser kräftig bezuschussten Bewegung. Dabei werden nicht nur die Rechte von Frauen und LGBTQIA-Personen angegriffen, sondern häufig die Personen selbst.
Sowohl der Attentäter von Utøya, der 2011 insgesamt 77 Menschen ermordete, als auch jener von Christchurch, der 51 Menschen tötete, schwadronierten in ihren „Manifesten“ von der Gefahr des Feminismus und des Gender-Mainstreamings. Neben rassistischen waren somit auch antifeministische Ideologeme Bestandteil der irrationalistischen Weltanschauungen dieser rechtsextremen Massenmörder. Frauen- und Transfeindlichkeit sind integraler Bestandteil ihrer Ideologie.
Dies geht einher mit der Überhöhung einer Form heroisch-soldatischer Männlichkeit, die sich durch Härte und Durchsetzungsvermögen auszeichnet, und deren angeblicher Verlust in den durch Feminismus und Gender-Mainstreaming weichgespülten westlichen Gesellschaften beklagt wird. Bedroht seien nicht nur „echte Männer“, sondern ebenso die traditionelle Familie, die vermeintlich natürliche Geschlechterordnung sowie die spezifischen Rollenzuweisungen, die damit einhergehen.
Weiblichkeit wird dabei vor allem mit Nähe, Emotionalität und Fürsorglichkeit assoziiert, während Männlichkeit mit Durchsetzungsvermögen, Tatkraft und Autonomie in Zusammenhang gebracht wird. Die Rolle des Mannes wird darin gesehen, die Familie mit dem notwendigen Einkommen zu versorgen, während Frauen die Aufgabe zufällt, sich um die Kinder und den Haushalt zu kümmern.
Dieses tradierte Rollenverständnis korrespondiert mit der vorherrschenden geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und der ihr zugrundeliegenden Trennung von gesellschaftlicher Produktion und privater Reproduktion. Diese bildet die materielle Grundlage der Unterdrückung von Frauen und LGBTQIA+-Personen und der binären Unterscheidung der Geschlechter.
Dabei ist die Entstehung der Frauenunterdrückung zwar durchaus mit der Gebärfähigkeit der Frauen verbunden. Die geschlechtlich ungleiche Verteilung der Reproduktionsarbeit kann aber nicht nur aus biologischen Faktoren erklärt, sondern muss vielmehr aus der historischen Entwicklung begriffen werden.
Die gesellschaftlich notwendige, meist von Frauen geleistete Hausarbeit ist unter kapitalistischen Produktionsbedingungen vom Produktionsprozess real ausgeklammert und findet „privat“ statt. Obwohl sie als notwendige Arbeit für die Reproduktion der Gesellschaft unerlässlich ist, ist sie keine produktive Arbeit, da sie keinen Mehrwert für das Kapital produziert. Die Frauen erhalten für diese Tätigkeiten auch keinen Lohn. Falls sie einer Lohnarbeit nachgehen, leiden sie häufig unter einer Doppelbelastung. Im Beruf werden sie für die gleiche Arbeit zudem im Durchschnitt schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen. Ihr Lohn gilt häufig als Zuverdienst, während der Mann als „Ernährer“ der Familie gilt. Damit einhergehend werden die meist von Männern ausgeführten Tätigkeiten höher bewertet als jene meist von Frauen übernommenen und der Sphäre der „Weiblichkeit“ zugeschriebenen Tätigkeiten und Werte.
Die Frauenunterdrückung ist dabei keine „Erfindung“ des Kapitalismus. Dieser hat vielmehr die bereits zuvor bestehenden Formen der Ungleichheit aufgenommen und den Bedürfnissen der kapitalistischen Verwertung entsprechend transformiert. Aufgrund der langen Geschichte der Frauenunterdrückung ist es nicht verwunderlich, dass vielen diese Form der sexistischen Unterdrückung als „natürlich“ erscheint. Dabei werden geschlechtliche Merkmale aber letztlich nur herangezogen, um ein gesellschaftliches Unterdrückungsverhältnis mit Verweis auf vermeintlich naturgemäße Eigenschaften, Vorlieben und Fähigkeiten zu legitimieren.
Im Kapitalismus bildet die bürgerliche Familie eine zentrale Institution für die Vermittlung und Reproduktion der reaktionären, heteronormativen Geschlechterrollen, Geschlechtsidentitäten und heterosexuellen Orientierung auf der Grundlage der sexuellen bzw. geschlechtlichen Arbeitsteilung. Für Konservative und rechte Kräfte ist die bürgerliche (Kern-)Familie heilig. Sie gilt ihnen als vermeintlich überhistorische – wahlweise von Gott oder der Natur vorgesehene – Form des menschlichen Zusammenlebens. Dabei ist ihr Bestehen aufs Engste mit dem Aufkommen des Kapitalismus verbunden. Wie die derzeitige Krise der bürgerlichen Familie zudem deutlich macht, ist ihr Bestehen für den größten Teil der Lohnabhängigen und Unterdrückten in Wirklichkeit abhängig von einem bestimmten Stand der kapitalistischen Akkumulation.
Während es nach dem Zweiten Weltkrieg für große Teile der Arbeiter:innenklasse in den imperialistischen Zentren möglich wurde, das bürgerliche Familienideal zu realisieren, unterhöhlte die kapitalistische Expansion diese Form des Zusammenlebens, da nun auch Frauen zunehmend als Arbeitskräfte gebraucht wurden.
In den letzten Jahrzehnten verschlechterten sich die Lebensbedingungen für viele Familien dramatisch. Die kapitalistische Verwertungskrise und die ihr von politischer Seite entgegengesetzten Maßnahmen in Form von Deregulierung, Lohnsenkungen, Privatisierungen und der Zerstörung sozialer Sicherungssysteme unterhöhlen objektiv die bürgerliche Familie als Form des Zusammenlebens. Damit einhergehend werden auch die Geschlechterrollen der Familienmitglieder unterminiert.
Vor diesem Hintergrund bilden der seit den frühen 2010er Jahren erstarkende Antifeminismus und Antigenderismus eine Form der projektiven, reaktionären Verarbeitung persönlicher und gesellschaftlicher Krisenerfahrungen, deren zentraler Mechanismus darin besteht, verstärkte soziale Ängste speziell von Männern aufzugreifen und sie umzuformen. Die Infragestellung der herrschenden Rollenbilder und des diesen zugrundeliegenden Systems der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung wird tabuisiert. Mehr noch, sie wird mit eine angeblich „besseren“ Zeit ideologisch verknüpft. Wer Familie und reaktionäre Geschlechterrollen angreift, attackiert in dieser Weltanschauung auch die soziale „Sicherheit“.
In die allgemeine ängstigende Wahrnehmung gesellschaftlicher Krisen ist somit eine spezifische Form männlicher Furcht verwoben. Um dies besser nachvollziehen zu können, ist es notwendig, auf die grundlegenden Momente männlicher Subjektkonstitution näher einzugehen.
Zentral ist dabei die Einsicht, dass „Männlichkeit“ keine überhistorische Eigenschaft von Personen mit männlichen Geschlechtsmerkmalen darstellt, sondern ein äußerst wandelbares kulturelles und psychosoziales Konstrukt, das im Laufe der Sozialisation hergestellt und mittels Identifizierung mit bestimmten Personen und/oder (von diesen verkörperten) Idealen aktiv angeeignet wird. Die Ausbildung einer Geschlechtsidentität erfolgt somit in der Interaktion des Kindes mit den primären Bezugspersonen in der von Normen der „Männlichkeit“ geprägten Gesellschaft.
Diese Interaktion ist gekennzeichnet durch die einseitige Abhängigkeit des Kindes von den Eltern (oder anderen primären Bezugspersonen). Da der Säugling seine grundlegenden physiologischen Bedürfnisse nicht eigenständig befriedigen kann, ist er darauf angewiesen, von anderen mit Nahrung, Wärme und emotionaler Zuwendung versorgt zu werden. In dieser körperlichen Interaktion zwischen primärer Bezugsperson und Säugling werden zugleich die Triebe des Säuglings geweckt, geformt und mit bestimmten (phantasmatischen) Objekten verknüpft.
Die primären Bezugspersonen sind für das Kind so zum einen „Objekte“, mit denen es positive Erfahrungen verbindet, da es von diesen genährt und versorgt wird. Zugleich kommt es selbst dann, wenn die primären Bezugspersonen sich bei der Versorgung des Kindes größte Mühe geben, unweigerlich zu Situationen, in denen die Befriedigung eines Bedürfnisses nicht unmittelbar erfolgen kann und der Säugling frustrierende Erfahrungen macht.
Das „Objekt“ ist somit ambivalent besetzt. Ein früher Modus des Umgangs mit dieser Ambivalenz – und als etablierte Form der Abwehr zugleich Grundlage für spätere Projektionen – ist die phantasmatische Spaltung des zugleich befriedigenden wie Unlust bereitenden Objektes. Dabei wird das „böse“, die Befriedigung elementarer Bedürfnisse versagende Objekt außen verortet. Es ist für das Kind mit der Erfahrung existenzieller Not verbunden und wird deshalb von diesem gehasst. Umgekehrt wird das „gute“, befriedigende Objekt innen verortet, d. h. dem eigenen Ich zugerechnet. Diese Phase der narzisstischen Selbstidealisierung ist mit der Konstitution des Ich aufs Engste verknüpft, da der Säugling erst in dieser Interaktion mit der Außenwelt allmählich eine Vorstellung von innen und außen, von Ich und Objekt entwickelt.
„Das Subjekt entsteht so in der Spannung zwischen Narzissmus und Objektliebe, zwischen Trennungsbestreben gegenüber den primären Beziehungspersonen und zugleich der ständigen Angewiesenheit auf sie. […] Auch wenn das Subjekt später lernt, die beiden Teile mehr zusammenzubringen […], das dargestellte Dilemma, das auch als Autonomie-Abhängigkeits-Konflikt beschrieben werden kann, bleibt für immer bestehen. Das Begehren hat einen Riss, einen Mangel im werdenden Subjekt produziert, der nicht mehr zu kitten ist.“ (Brunner 2019: S. 24f.)
Das Entscheidende für das Verständnis der den Antigender-Diskurs prägenden affektiven Dynamik besteht nun darin, die Ausbildung der männlichen Geschlechtsidentität als einen Abwehrmechanismus zu begreifen, der auf die mit dem beschriebenen Autonomie-Abhängigkeits-Konflikt auftretenden innerpsychischen Spannungen mit der Ausbildung einer „männlichen Identität“ antwortet, welcher die Abwertung des mit Abhängigkeit assoziierten „Weiblichen“ und die Privilegierung des mit Autonomiewünschen verknüpften „Männlichen“ von Beginn an eingeschrieben ist.
Durch die Internalisierung der symbolischen Geschlechterdifferenz und der damit zusammenhängenden Ausbildung einer Geschlechtsidentität kommt es nun zu einer nachträglichen Umschreibung aller bisheriger Erfahrungen des Kindes entlang des gesellschaftlich vorherrschenden Geschlechtergegensatzes. Im Zuge dieser Umschreibung werden narzisstische Autonomiewünsche „männlich“, Wünsche nach Verschmelzung mit dem Objekt „weiblich“ codiert.
Wie bereits dargelegt, bedeutet die kapitalistische Krise und die politische Form ihrer Verarbeitung für große Teile der Lohnabhängigen und auch des Kleinbürger:innentums eine enorme Verunsicherung und eine Verschlechterung ihrer Reproduktionsbedingungen. Was lange Zeit als „normal“ galt, gerät plötzlich ins Wanken. Dem Ernährermodell mit seinen spezifischen Rollenerwartungen wird das Wasser abgegraben. Viele Männer können den gesellschaftlichen Erwartungen, die an sie gestellt werden, nicht mehr gerecht werden, da die gesellschaftlichen Grundlagen sich gewandelt haben. Die Ideale, mit denen sie sich identifizieren, sind unerreichbar geworden. Anstatt autonom über ihr eigenes Schicksal bestimmen zu können, bricht eine gesellschaftliche Krise über sie herein, der sie in ohnmächtiger Passivität gegenüberstehen. Es sind genau solche Verhältnisse, die als schwächend, als Verlust der mit dem eigenen Geschlecht verbundenen Integrität und Unabhängigkeit empfunden werden.
Um aus dieser spannungsvollen und für die eigene Psyche beinahe unerträglichen Zwangslage herauszukommen, bieten sich nun allerdings verschiedene Möglichkeiten.
Sofern es nicht zu einer Reflexion der gesellschaftlichen Ursachen der persönlichen Krisenerfahrungen kommt, die Betroffenen also nicht zu der Einsicht gelangen, dass es weder ihre eigene noch die Schuld von irgendjemand anderem/r ist, dass sie die an sie gestellten Erwartungen nicht mehr erfüllen können, sondern die kapitalistische Krise ihnen die Erfüllung ihrer Rollenerwartungen verunmöglicht, bereitet der Antigenderismus ein politisches Angebot, das es erlaubt, die unerträglichen Schuldgefühle und die damit verbundenen Affekte wie Angst und narzisstische Wut in eine bis zum Hass reichende Feindseligkeit gegen andere Gruppen (Feminist:innen, Frauen, LGBTQIA+-Personen) umzuwandeln. Die strafenden Überichanteile werden somit projektiv ausgelagert und die Ängste vor dem Verlust der eigenen Autonomie „[in] einen berechtigt erscheinenden Kampf gegen einen im Außen (wieder-)gefundenen Gegner als vermeintlichen Verursacher des eigenen und des kollektiven Leids transformiert.“ (Pohl 2010: S. 11)
Im Antifeminismus und Antigenderismus wird somit „die in die ,Normalmännlichkeit’ unserer Gesellschaft eingelagerte paranoide Abwehr von Weiblichkeit und allem, was die männliche Autonomievorstellung und das daran geknüpfte Machtversprechen ankratzt, in einen politischen Diskurs überführt.“ (Brunner 2019: S. 29)
Die kapitalistische Krise, die wesentlich auch eine Krise der Reproduktionsbedingungen ist, befördert somit die Zunahme reaktionärer Diskurse und sexistischer Gewalt.
Es ist daher auch kein Zufall, dass vor allem kleinbürgerliche und Mittelschichten die eigentlichen massenhaften Träger:innen des reaktionären Antigenderismus sind. Selbst der viel zu gering entfaltete Klassenkampf bildet in der Arbeiter:innenklasse einen Rahmen kollektiver Erfahrung und der, wenn auch reformistisch und bürokratisch begrenzten, Weitergabe historischer Erfahrung. Die kleinbürgerlichen Schichten haben diese kollektive Erfahrung nicht. Im Gegenteil. Als Eigentümer:innen an Produktionsmitteln, als Ausbeuter:innen von Arbeitskräften hängen sie selbst am Privateigentum – auch wenn sie mehr und mehr in der Konkurrenz unter die Räder zu kommen drohen.
Die Zunahme reaktionärer Einstellungen stellt keinen Automatismus dar, der unabhängig von Bewusstsein, vom Organisationsgrad und der Mobilisierung der Arbeiter:innenklasse vor sich geht. Ob sich die reaktionären Tendenzen durchsetzen, ob sie zur Vertiefung der Spaltung innerhalb der Arbeiter:innenklasse und der Unterdrückten führen, hängt wesentlich davon ab, ob es gelingt, die Klasse im Kampf gegen den vorherrschenden Sexismus und seine tieferen gesellschaftlichen Ursachen zu vereinen. Darüber hinaus bildet die Steigerung des Bewusstseins und der Kampfkraft der Arbeiter:innenklasse auch die Voraussetzung dafür, Teilen des Kleinbürger:innentums und der Mittelschichten eine alternative Perspektive zur reaktionären populistischen Regression zu bieten.
Wir können das toxische Ideologieamalgam aus Rassismus, Antisemitismus und Sexismus der Rechten nur bekämpfen, wenn wir zugleich die gesellschaftlichen Verhältnisse in den Blick nehmen, auf denen diese Ideologien beruhen. Der Kampf gegen Frauen- und Queerfeindlichkeit muss daher als integraler Bestandteil des Kampfes gegen die kapitalistische Klassenherrschaft begriffen und entsprechend geführt werden.
„Nur eine Gesellschaftsordnung, die die Ausbeutung eines Menschen durch einen anderen, die historische Unterdrückung der Frau und die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, auf der sie beruht, bewusst überwindet, kann den Boden entziehen, auf dem reaktionäre Geschlechterrollen, die bürgerliche Familie und eine repressive Sexualmoral wachsen. Nur die Errichtung der Herrschaft der Arbeiter:innenklasse kann den Übergang zu einer solchen Gesellschaft und damit auch zu einer Ordnung frei von jeglicher sozialer Unterdrückung ermöglichen.“ (https://arbeiterinnenmacht.de/2020/07/28/die-unterdrueckung-von-transpersonen/)
Es geht bei dem Kampf gegen Sexismus und Queerfeindlichkeit also nicht nur um individuelle „Awareness“ und den kritischen Umgang mit gesellschaftlichen Rollenerwartungen, sondern wesentlich um die Errichtung gesellschaftlicher Verhältnisse, in denen sich jede:r Einzelne unabhängig von seinem/ihrem biologischen oder sozialen Geschlecht in der Solidarität aller frei entfalten kann.
Brunner, Markus (2019): Enthemmte Männer. Psychoanalytisch-sozialpsychologische Überlegungen zur Freudschen Massenpsychologie und zum Antifeminismus in der «Neuen» Rechten. Online: https://www.psychoanalyse-journal.ch/article/view/jfp.60.2/1178 (21.08.2023)
Pohl, Rolf: Männer – das benachteiligte Geschlecht? Weiblichkeitsabwehr und Antifeminismus im Diskurs über die Krise der Männlichkeit (Vorabdruck aus: Bereswill, Mechthild und Neuber, Anke (Hg.) (2010): In der Krise? Männlichkeiten im 21. Jahrhundert. Reihe: Forum Frauen- und Geschlechterforschung. Westfälisches Dampfboot. Münster). Online: http://www.agpolpsy.de/wp-content/uploads/2010/06/pohl-krise-der-mannlichkeit-vorabdruck-2010.pdf
Wuest, Joanna (2023): Gezielte Grausamkeit. Das Kapital und die trans*feindliche Agenda. Online: https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/gezielte-grausamkeit/
Dieser englischsprachige Artikel von Joanna Wuest könnte diesbzgl. auch noch interessant sein und ist kostenlos downloadbar:
https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=4306283