Leo Drais, Neue Internationale 236, April 2019
In den vergangenen Monaten fanden nicht nur die Tarifverhandlungen des öffentlichen Dienstes der Länder statt. In Berlin kämpfen die ArbeiterInnen der Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG) für bessere Arbeitsbedingungen.
Zu dem Zeitpunkt, da dieser Artikel verfasst wird, steht ein 24- Stunden-Streik am 01. April an, nachdem die Verhandlungen zwischen ver.di und dem Kommunalen Arbeitgeberverband (KAV) am 28. März abgebrochen wurden. Dieser Streik verdient in jedem Fall unsere Solidarität!
Konkret gefordert werden von ver.di: eine 36,5-Stunden-Woche, Weihnachtsgeld für neu Eingestellte, Wegfall der unteren Lohngruppen in Verbindung mit schnelleren Gehaltssprüngen sowie eine Einmalzahlung von 500 Euro für Gewerkschaftsmitglieder.
Angesichts der explodierenden Mieten in der Stadt und der geringeren Entlohnung der BVG-ArbeiterInnen im Vergleich zu anderen Infrastrukturbeschäftigten (DB/Deutsche Bahn, BWB/Berliner Wasserbetriebe, BSR/Berliner Stadtreinigung) sind die Forderungen mehr als berechtigt. Zudem müssen die BVG-Beschäftigen seit Jahren die verfehlte Personalpolitik ausbaden. Auch deshalb ist die Arbeitszeitverkürzung um 2,5 Stunden pro Woche so wichtig und richtig.
Berlin bildet dabei nur die Spitze des Eisberges. Laut ver.di fehlen bundesweit im ÖPNV mehr als 30.000 Beschäftigte. Hier zeigen sich die Folgen von Privatisierungen und der sogenannten Schuldenbremse, die die Kommunen zum Sparen verdonnert und damit die Kosten der Finanzkrise 2008 vor allem auf die ArbeiterInnen abwälzt – sei es durch geringe Löhne, Überlastung, fehlendes Personal oder durch hohe Fahrpreise.
Dementsprechend quer stellen sich die Arbeit„geber“Innen. Dreist war das Angebot Mitte März von 12 % über 5 Jahre Vertragslaufzeit. Das Ziel ist eindeutig: die Belegschaft durch einen hohen Wert blenden und sie gleichzeitig möglichst lange in die Friedenspflicht zwingen. Gleichzeitig verdient eine Sigrid Nikutta (BVG-Vorstand) 500.000 Euro pro Jahr und fährt selbstverständlich mit einer dicken Limousine durch die Gegend.
Wo gestreikt wird, da lauert auch der Streikbruch. Beim zweiten Warnstreik am 15. März lieferte ver.di gleich selbst die Möglichkeit zur Schwächung des Arbeitskampfes, indem die Gewerkschaft lediglich die FahrerInnen der Busse zum Streik mobilisierte.
Zu Recht empörten sich viele BVGlerInnen, viele Fahrgäste konnten auf Tram und U-Bahn ausweichen. Diese Art von Teilwarnstreik schwächt den Kampf. Daher ist es nur richtig, dass zum 1. April wieder die gesamte Belegschaft mobilisiert wird. Dazu gehört die Forderung, die ver.di nicht aufgestellt hat, an Subunternehmen ausgelagerte Buslinien mitsamt ihren Beschäftigten wieder unters Dach der BVG zu integrieren! Diese Linien werden am Montag nahezu uneingeschränkt betrieben und damit den Streik unterlaufen.
Aber auch aus einer anderen Ecke droht der Streikbruch: Die S-Bahn Berlin – ihrerseits Tochter der Deutschen Bahn AG und daher nicht Teil der Tarifverhandlungen – hat bereits angekündigt, Betriebsreserven zu mobilisieren, um die Auswirkungen des Streiks abzufedern. Hier wären die EisenbahnerInnengewerkschaften EVG und GdL sowie die Betriebsräte gefragt, diesen Streikbruch zu verhindern.
Diese Widersinnigkeit gegenseitigen Streikbruchs von Beschäftigten desselben Sektors und die Untätigkeit, diesen zu verhindern, verweist darauf, wie notwendig der Kampf für eine Transport- und Logistikgewerkschaft ist, die alle im Sektor Beschäftigen umfasst und die demokratisch von diesen kontrolliert wird statt durch Vorgaben der BürokratInnen. Für diese klassenkämpferische Neuausrichtung muss in der Basis von ver.di, GdL und EVG in Form von oppositionellen Strukturen gegen die Apparatschiks gekämpft werden.
Für den Streik selbst gilt, was wir bereits im Flugblatt zum ersten Ausstand der BVG schrieben: Nur ein entschlossener Arbeitskampf kann die Lage ändern – und das heißt: vom Warnstreik zum unbefristeten Vollstreik! Damit ein solcher breit getragen wird und erfolgreich sein kann, braucht es Vollversammlungen der Beschäftigten. Ver.di soll so rasch wie möglich die Urabstimmung einleiten. Inhalt von Versammlungen in den Depots wie einer Vollversammlung bei der BVG muss vor allem eine Diskussion sein, wie die Forderungen ohne faule Kompromisse erzwungen werden können. Dazu braucht es rechenschaftspflichtige Streikleitungen, die aus der Belegschaft heraus gewählt werden und den Arbeitskampf koordinieren. Die Verhandlungskommission muss diesen Versammlungen gegenüber rechenschaftspflichtig und von diesen abwählbar sein. Es darf keinen Abschluss ohne Zustimmung der Gewerkschaftsmitglieder geben!
Eine Aufwertung des Berufes der FahrerIn ist eines der Versprechen der viel gepriesenen Verkehrswende. Die Parteien des Berliner Senats (SPD, Linke, Grüne) befinden sich in der Tarifauseinandersetzung auf Arbeit„geber“Innenseite, auch wenn sie vorgeben, die SchülerInnenbewegung Fridays for Future zu unterstützen und den öffentlichen Nahverkehr zu stärken.
Trotzdem wird die Finanzierbarkeit als Grund vorgeschoben, die Forderungen ver.dis abzulehnen. Dies zeigt nicht nur die engen Grenzen der kommunalen Kassen, sondern auch die eines grünen Kapitalismus. Wenn sie nicht finanzierbar ist, gibt es eben keine Qualitätssteigerung im ÖPNV, gibt es weder mehr Personal noch Entlastung der FahrerInnen.
Deswegen treten wir anstelle einer kapitalistischen Verwaltung durch Land und BVG-ChefInnen für eine demokratische Kontrolle durch die VerkehrsarbeiterInnen und lohnabhängigen Fahrgäste in Form eines gewählten Verkehrsplanungskomitees ein. Unser Ziel ist ein kostenloser ÖPNV, finanziert durch hohe Besteuerung der Reichen und KapitalistInnen insbesondere der Automobil- und Ölindustrie sowie privater Verkehrsgesellschaften. Auch aufgrund dieses Zusammenhangs sollten sich ver.di und die streikenden SchülerInnen zusammentun, Schulstreiks und BVG-Streik zusammenführen. Unbefristeter Streik für unsere Zukunft!