Arbeiter:innenmacht

Libyen: Totgeschwiegenes Leid

Jaqueline Katherina Singh, REVOLUTION-Germany, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung No. 6

Während im Innern der Festung Europa rechte Hetze und Gewalttaten zunehmen, scheinen die Außengrenzen unbezwingbar. Menschen, die vor Hunger, Krieg, Gewalt und Ausbeutung fliehen, lässt man im Mittelmeer ertrinken oder in Massenlagern an der Grenze von Griechenland oder der Türkei ihr Dasein fristen. Damit man sich gar nicht erst mit dem „Problem“ der Flucht herumschlagen muss, wurde in den letzten Jahren viel getan. Kriegsgebiete wie Afghanistan wurden zu sicheren Herkunftsländern erklärt, um jene, die es nach Europa geschafft haben, wieder abschieben zu können. Daneben wurden auf unzähligen Gipfeltreffen und Konferenzen Abkommen geschlossen, die Länder, durch die zentrale Fluchtrouten verlaufen, dazu verpflichteten, die Menschen, die fliehen wollen, gar nicht erst passieren zu lassen. Aktivist_Innen wie von der Organisation Jugend rettet!, die hingegen versuchen, Menschen vor dem Ertrinken zu retten, oder Leute bei ihrer gefährlichen Flucht unterstützen, werden kriminalisiert.

Zusammengefasst: Man tut viel, um sich nicht mit dem Leid, oftmals durch die EU selbst erzeugt, herumzuschlagen. So wundert es auch nicht, dass es nur bei einem kurzem medialen Aufschrei, der schnell in der Leere verhallte, blieb, als im letzten Jahr an die Öffentlichkeit kam, wie die praktische Umsetzung der „Fluchtverhinderung“ aussieht. Die Rede ist hier von den Gefängnislagern und Sklavenauktionen in Libyen. Das Land selbst steht seit dem Sturz von Diktator Gaddafi unter der Kontrolle von Milizen, unterschiedlichen Warlords und zwei konkurrierenden Regierungen. Doch das hinderte die EU nicht, 2016 die Zusammenarbeit zu erneuern. Schließlich hatte diese bereits Tradition. Laut einem Bericht von Amnesty International gibt es die Kooperation zur Migrationsverhinderung seit den 1990er Jahren zwischen Italien und Libyen, die bis heute beispielsweise in Form von gemeinsamen Patrouillen im Mittelmeer anhält. Aktuell wird diese Küstenwache übrigens von einem Warlord angeführt. Die Europäische Union mischt zwar „erst“ seit 2005 mit, investierte aber bisher dreistellige Millionenbeträge, damit das Land in den Grenzschutz investieren kann. Zusätzlich gibt es Lehrgänge und Unterstützung für den dortigen Polizei- und Militärapparat.

Das alles geschieht im Namen der „Schlepperbekämpfung“. Doch schaut man sich die Situation an, merkt man, dass man eher Schlepper, Sklavenhandel, Folter und Tod finanziert, anstatt diese Übel zu beenden. Denn Menschen, die nach Libyen kommen, sind per se illegal. Aktuell sollen es 700.000 bis 1.000.000 sein. Meist werden sie von Schleppern oder Menschenhändlern mit dem Versprechen eines Arbeitsangebotes gewonnen und kommen oftmals Nigeria, Niger, Bangladesch oder Mali. Einmal in den Fängen solcher Leute, sind sie ihnen komplett ausgeliefert. Sie werden von ihrer Heimat nach Libyen gebracht, viele sterben auf dem Weg oder werden an andere Schlepper oder Milizen verkauft. Bei diesen müssen sie dann die Kosten für ihre Flucht abarbeiten. Für rund 400 Dollar werden Männer als Arbeitskräfte verkauft, Frauen als Sexsklavinnen oder Prostituierte. Geflüchtete, die von der Küstenwache auf der Flucht übers Mittelmeer erwischt werden, landen in Internierungslagern. Die dort erlebte Gewalt ist kaum in angemessene Worte zu fassen. Auf zu wenig Raum, mit maximal einer Mahlzeit am Tag sind sie dann der Willkür der Gefängniswärter ausgesetzt. 2017 veröffentlichte Oxfam einen Bericht, demzufolge 80 % der Befragten schilderten, Gewalt und Misshandlungen erlitten zu haben. Alle weiblichen Befragten gaben , Opfer von sexueller Gewalt geworden zu sein. Viele der Frauen berichteten, dass es keine Rolle spiele, ob sie schwanger seien.

Was ist unsere Perspektive?

Weltweit befinden sich 65,5 Millionen auf der Flucht. Viele davon Frauen und junge Mädchen, die besonders mit sexueller Gewalt zu kämpfen haben. Für diejenigen, die es nach Europa schaffen, hört der Schrecken nicht auf. Je nachdem, wo man landet, hat man es mit Massenlagern, mangelnder Privatsphäre etc. zu tun. Hinzu kommen die steigende Gewalt von Rechten und rassistische Gesetze. Um dagegen zu kämpfen, bedarf es einer antirassistischen Bewegung auf europäischer Ebene. Diese sollte sich gegen die Festung Europa richten und gegen rassistische Asylgesetze, Abschiebe- und Migrationsabkommen stellen sowie für sichere Fluchtrouten, offene Grenzen und Staatsbürger_Innenrechte für alle eintreten. Daneben muss sie auch für die spezifischeren Forderungen für geflüchtete Frauen einstehen wie den Ausbau und die kostenlose Nutzung von Frauenhäusern, die Möglichkeit, einen Asylantrag unabhängig vom Mann zu stellen, sowie für den Ausbau der medizinischen und physischen Versorgung für Geflüchtete.

Um Grauen wie in Libyen zu beenden, reicht es nicht, darauf zu hoffen, s sich aus dem „gescheiterten Staat“ eine zentrale Regierung entwickelt. Vielmehr verschleiert dies das Problem. Denn auch eine neue bürgerliche Zentralregierung würde Politik im Interesse der EU umsetzen – oder dazu gezwungen werden. Die unmenschliche Behandlung von Geflüchteten würde also weitergehen. Um das Problem an der Wurzel zu packen, müssen wir uns gegen den Imperialismus als Weltsystem stellen. Denn dieser ist verantwortlich für Armut, Kriege, Umweltzerstörung und Unterdrückung.

 

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