Arbeiter:innenmacht

Die Wiederaufrüstung Europas

Martin Suchanek, Infomail 1278, 20. März 2025

„Whatever it takes“ gilt jetzt auch für die EU, jedenfalls für deren überwältigende Mehrheit. 800 Milliarden Euro will der Staatenbund in verschiedenen Formen bis 2030 zusätzlich zu den bestehenden Ausgaben der einzelnen Staaten mobilisieren. Dabei erreichten deren addierte Verteidigungsausgaben lt. EDA (European Defence Agency) schon 2024 ein Rekordniveau von 326 Milliarden (1,9 % des EU-BIP). Seit 2021 stiegen die Ausgaben um beachtliche 31 %.

Offenkundig rüsten nicht nur die USA, Russland und China auf, sondern auch die „marode“ EU, deren Gesamtausgaben für Militär und Rüstung seit Jahren über dem Niveau Russlands liegen. Keine Frage, dessen Verteidigungshaushalt stieg noch mehr und soll 2025 121 Mrd. Euro betragen, also rund 32,5 % des Budgets. Angesichts der Umstellung auf die Kriegswirtschaft hängen mittlerweile rund 40 % der Wirtschaftsleistung, der Einnahmen und Ausgaben an der „Sicherheit“ des Landes.

Der Stand

Hört man freilich die EU-Spitzen und allen voran die nun ganz auf Ausrüstung und Kriegstüchtigkeit getrimmten von CDU/CSU und SPD, so könnte man meinen, dass Deutschland und die EU militärisch total am Boden lägen. Wenn Ausstattung und Material und Bestand so total verrottet sind, stellt sich allerdings die Frage, warum deutsche und europäische Rüstungsgüter nicht nur in der Ukraine so nachgefragt sind, warum die halbe Welt den Leopard 2 oder Taurus-Raketen haben will. Doch nicht alles nur Schrott?

Auch ein Abgleich der Verteidigungsausgaben von NATO und Russland belegt die These von der totalen Vernachlässigung der Armeen in den letzten Jahren nicht. So gaben die NATO-Staaten 2023 1.341 Milliarden US-Dollar für Verteidigung aus. Davon entfielen 916 Milliarden auf die Vereinigten Staaten, während Russlands Verteidigungsetat nur 109 Milliarden US-Dollar umfasste. Doch, so die Unterstützer:innen der neuesten Aufrüstungsprogramme, der Schein trüge. So rechnet das IPG-Journal (Journal für Internationale Politik und Gesellschaft) damit, dass das Verhältnis nicht mehr bei 12:1 zugunsten der NATO liege, sondern nur bei 4:1, wenn man nicht die Aufwendungen nach Kaufkraftparitäten umrechne. Rechnet man auch noch die USA heraus, liegt es gar nur bei 2:1.

Da schrillten in Brüssel die Alarmglocken, zumal sich die EU nicht mehr auf die USA verlassen könne, die „transatlantische Partnerschaft“ jedenfalls unter Trump ad acta gelegt sei. „Wir befinden uns in einer Ära der Aufrüstung“, verkündet Kommissionschefin von der Leyen – und da muss Europa endlich wieder ganz vorne mitspielen. 800 Milliarden werden dafür von der EU bereitgestellt – und fast alle machen mit. Für die stärker verschuldeten Länder wie Italien, Frankreich und Spanien sollen günstige Kredite zur Verfügung gestellt werden. Die Frage ist „nur“ noch, wie viel genau. So soll die EU bis 2030 voll kriegstüchtig werden und notfalls auch ohne USA ihre politischen und ökonomischen Interessen militärisch zur Geltung bringen können.

Eine reaktionäre Befriedung der Ukraine, die sich unter dem Diktat Russlands und der USA abzeichnet und die wesentliche Teile der russischen imperialistischen Eroberungen beinhalten würde, wäre daher für die EU auch nur eine Durchgangsstation. Schließlich will man auch bei der Neuaufteilung der Ukraine mitspielen – und rüstet gegen den aktuellen und zukünftigen Hauptfeind Russland kräftig auf. Der neue Kalte Krieg verschärft den Rüstungswettlauf – und damit die Kriegsgefahr, die angeblich durch die Kriegstüchtigkeit Deutschlands und der EU abgewendet werden soll.

Weißbuch

Das in den letzten Tagen veröffentlichte Weißbuch („White Paper für European Defence Readiness 2023“) der EU-Kommission fasst auf 23 Seiten die zukünftigen Richtlinien zusammen. Im einleitenden Kapitel werden die Veränderungen der strategischen Lage konstatiert. Russland, aber auch der Aufstieg Chinas werden als strategische Bedrohungen gefasst. Hinzu kommen die Instabilität in anderen Regionen wie Afrika und dem Nahen Osten sowie die Herausforderungen durch hybride Bedrohungen, den Technologiewettlauf in der Wirtschaft und Rüstung und die Notwendigkeit, sich kritische Rohstoffe zu sichern. Und so sind dann auch die Ziele – keineswegs „nur“ gegenüber Russland – auch abgesteckt:

„In einer raueren Welt der hyperkompetitiven und transaktionalen Geopolitik, die sich über verschiedene Theater erstreckt, muss die EU in der Lage sein, jeder Herausforderung effektiv zu begegnen und selbst auf die extremsten militärischen Eventualitäten wie bewaffnete Aggressionen zu reagieren.“

Mit anderen Worten: Europa muss selbst zu einem globalen Player in politischer und militärischer Hinsicht werden. Dazu müsse man „eigenständig“ und bereit für den Krieg werden – und zwar nicht nur gegen Russland, sondern auf der ganzen Welt. All das inkludiert massive Beschaffungsprogramme für Rüstungsgüter und davon soll natürlich in erster Linie die europäische Industrie profitieren. Um auch von den USA unabhängig und nicht länger auf deren logistische Unterstützung angewiesen zu sein, müssten auch Forschung und Entwicklung im Hochtechnologiesektor angekurbelt werden, so dass auch Europa mit eigenen Satellitenleitsystemen und ggf. auch mit einem auf Nachbarländer erweiterten französischen nuklearen Schutzschirm aufwarten könne.

Die Armeen der EU-Staaten und ihrer engen Verbündeten wie Britannien sollen zwar zumindest vorerst unter dem jeweiligen nationalen Kommando verbleiben, aber ihre Ausrüstung und die Beschaffung vereinheitlicht werden. So sollen die Kosten reduziert und zugleich die Entstehung europäischer Rüstungskonzerne massiv beschleunigt werden, sind doch für Jahre Milliardengeschäfte garantiert. Bis 2030 soll die „Kriegsfähigkeit“ voll hergestellt sein, mit der Aufrüstung ist dann aber längst nicht Schluss, schließlich wird diese ja von anderen Mächten auch nicht eingestellt werden.

Das gesamte Papier durchzieht auch eine gewisse diplomatische Note. Über das Verhältnis zum „neuen“ Rivalen USA schweigt sich das Weißbuch weitgehend aus, will man doch im Moment keinen allzu offenen Konflikt mit der einstigen Schutzmacht riskieren. So wird im Abschnitt 8 noch einmal die Bedeutung der NATO als „Eckstein der europäischen Verteidigung“ beschworen. Doch nur wenige Zeilen später wird nach engen bilateralen Verbündeten der EU Ausschau gehalten. Darunter finden sich NATO-Staaten wie Großbritannien, Kanada, Norwegen und selbst die Türkei neben der Schweiz, Albanien, Island, Montenegro, Nordmazedonien und Moldawien. Darüber hinaus sollen Möglichkeiten der militärischen Zusammenarbeit mit Japan, Australien, Neuseeland, Südkorea und Indien überprüft werden. „Nur“ die USA sucht man vergeblich.
Ganz in diesem Sinne endet das Papier mit dem Kapitel „Der Weg vorwärts für die europäische Verteidigung“. Dort wird am Ende proklamiert: „Europa muss mutige Entscheidungen treffen und eine Verteidigungsunion aufbauen, die durch Einigkeit und Stärke den Frieden auf unserem Kontinent sichert.“

Friedenssicherung als Phrase

Wie jedes andere imperialistische Bündnis fehlt es auch der EU nicht an Phrasen, ihre eigene Ausrüstung und Kriegsfähigkeit als Friedenssicherung hinzustellen, während es in Wirklichkeit natürlich nur darum geht, die eigenen Interessen im Kampf um die Neuaufteilung der Welt zur Geltung zu bringen. Und das will die EU. Daher enthält das Weißbuch nicht „nur“ einen Plan zur Ausrüstung, die als „Nachrüstung“ schöngeredet wird. Es enthält auch einen Plan zur Vorbereitung einer eigenen europäischen Armee, wenn auch zurzeit noch unter dem Dach der NATO. Diese Ambition ist nicht neu und natürlich kann sie auch diesmal an den inneren Widersprüchen der europäischen kapitalistischen Einigung scheitern. Aber niemand sollte den Anlauf auf ein geeintes imperialistisches Europa, zur Vertiefung eines Blocks, unterschätzen, der mit den USA, China und Russland auch militärisch auf Augenhöhe um die globale Vorherrschaft ringt. In jedem Fall ist dies das strategische Ziel der EU-Kommission wie auch der führenden imperialistischen Mächte, darunter auch der zukünftigen Bundesregierung. Dafür werden scheinbar in Stein gemeißelte „Gewissheiten“ der deutschen Regierung und EU wie die restriktive Schuldenpolitik über Bord geworfen – und zwar deshalb, weil sie selbst ein Hindernis für die Verfolgung reaktionärer, langfristiger Kapitalinteressen darstellt.

Dieses gesamte Programm wird damit gerechtfertigt, dass „unsere“ Demokratie, „unsere“ Werte, „unsere“ Freiheit, „unser“ Staat bedroht wären. Es ist hier gar nicht zu bestreiten, dass die EU in einem brutalen Konkurrenzkampf mit anderen imperialistischen Mächten steht. Aber weder die EU noch die sie konstituierenden Nationalstaaten sind „unsere“. Sie verteidigen nicht „unsere“ Interessen, Werte, Demokratie oder Freiheit. Sie verteidigen die Werte, Interessen, Herrschaft und die Freiheit des Kapitals. Und dabei geht es vor allem darum, dass wir – wir Lohnabhängigen – uns für ihre Profite, ihre Unternehmen, ihre Auslandsinterventionen, ihren Krieg, kurzum ihre Klasseninteressen ins Zeug legen.

Daher: Nein zur (Wieder-)Aufrüstung Europas, nein zur Aufrüstung der Bundeswehr! Nein zum „demokratischen“ Militarismus!

Related Posts

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..

Vom Widerstand zur Befreiung

Für ein freies, demokratisches, sozialistisches Palästina!

Broschüre, A4, 48 Seiten, 3,- Euro

Lage der Klasse – Podcast der Gruppe Arbeiter:innenmacht