Arbeiter:innenmacht

Der Aufstieg der extremen Rechten und die Notwendigkeit einer revolutionären Antwort

Martin Suchanek, Rede auf dem LIS-Veranstaltung in Buenos Aires, 7. Dezember 2024, Infomail 1273, 7. Januar 2025

Genossinnen und Genossen, der Aufstieg der extremen Rechten ist eine der größten Bedrohungen für die Arbeiter:innenklasse und alle unterdrückten Menschen.

Und sie ist auf dem Vormarsch, wie nicht nur der Sieg von Trump bei den US-Wahlen zeigt. In Deutschland wird die AfD (Allianz für Deutschland) ihren Stimmenanteil von 10,4 % im Jahr 2021 auf 16 bis 20 % im Februar 2025 massiv erhöhen.

Globales Phänomen

Aber um es klar zu sagen: Der Aufstieg der extremen Rechten ist ein globales Phänomen, das wir auf allen Kontinenten, in imperialistischen und halbkolonialen Ländern beobachten können, auch wenn es sehr unterschiedliche Formen annimmt. Heute sind die meisten rechtsextremen Parteien, Bewegungen und Kräfte nicht faschistisch, sondern rechtspopulistisch. Und obwohl sie sich in vielerlei Hinsicht unterscheiden, haben sie doch einige Gemeinsamkeiten: Sie alle richten ihre Politik gegen Migrant:innen und Flüchtlinge, gegen nationale Minderheiten, gegen die Errungenschaften der Frauen- und LGBTIAQ-Bewegungen und trotz einer gewissen Sozialdemagogie auch und vor allem gegen die der Arbeiter:innenklasse.

Sie alle verbinden ihre reaktionäre Politik mit einem massiven Angriff auf das „Establishment“ und präsentieren sich als diejenigen, die „das Volk“ wieder an die Macht bringen würden. Mit Elite meinen sie nicht die Kapitalist:innenklasse, sondern Teile der politischen Institutionen und der bürokratisierten Führungen von Gewerkschaften und reformistischen Parteien. Und natürlich bieten die sehr realen Privilegien und der Verrat dieser Kräfte der „Mitte“ oder Mitte-Links des politischen Spektrums einen fruchtbaren Boden für eine Mischung aus echten Skandalen und reaktionärer Demagogie und Irrationalismus. Wir konnten dies in den reaktionären Antiimpfbewegungen oder bei denen beobachten, die die globale Erwärmung und die Umweltkrise leugnen.

Sie alle vertreten auch eine rein nationalistische Agenda. So wie Trump für „America first“ steht, steht die AfD für „Germany first“, Putin für „Russia first“. Deshalb können und werden die Rechtsextremen, während sie sich gegenseitig applaudieren, keine gemeinsame internationale Agenda haben. Ganz im Gegenteil, sie stehen für eine entschlossenere, aggressivere, nationalistische Sache. Die AfD geht sogar so weit, dass sie die EU und den Euro als „Ausbeutung“ Deutschlands ansieht. Und obwohl dies derzeit von der deutschen Bourgeoisie und all ihren Mainstreamparteien abgelehnt wird, könnte eine solche Politik durchaus Unterstützung von Teilen der herrschenden Klasse erhalten, wenn sich die Krise der EU verschärft, was mit ziemlicher Sicherheit der Fall sein wird.

All dies ist kein Zufall. Der Aufstieg der extremen Rechten ist ein reaktionäres Produkt der kapitalistischen Krise, die 2008 begann und deren Grundursachen – die Überakkumulation von Kapital und sinkende Profitraten – nicht überwunden wurden, sondern sich sogar noch gesteigert haben. Sie haben zu einer massiven Zuspitzung der globalen kapitalistischen Konkurrenz und des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt zwischen den alten imperialistischen Mächten wie den USA, aber auch Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan und ihren internationalen wirtschaftlichen und militärischen Institutionen auf der einen Seite und den neuen imperialistischen Mächten China und Russland geführt. Und obwohl wir die Entstehung solcher Blöcke beobachten können, sind sie selbst nicht homogen, wie wir an den Beziehungen zwischen den EU-Staaten und den USA sehen können.

Aufgabe und Funktion der extremen Rechten

Ein wichtiger Teil der Agenda der extremen Rechten in den imperialistischen Ländern besteht darin, diese für diesen globalen Wettlauf fit zu machen – und sie wollen dies erreichen, indem sie alle, die sie als Hindernis für eine „nationalere“ Einheit betrachten, an den Rand drängen oder beseitigen. Dazu gehören Rechte und Errungenschaften der Arbeiter:innenklasse, der Frauenbewegung und demokratische Rechte.

Wir sollten uns zwar nicht über die tatsächlichen Unterschiede zwischen der extremen Rechten und den etablierten Formen der bürgerlichen Herrschaft hinwegtäuschen, aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die „demokratischen“ oder liberalen bürgerlichen sowie die reformistischen Parteien selbst in der Regierung viele Maßnahmen umgesetzt haben, die von der extremen Rechten gefordert werden oder die ihr noch radikaler aufgezwungen werden sollen.

Die Abschottung der Europäischen Union gegenüber Migrant:innen und Flüchtlingen und die Verweigerung grundlegender demokratischer Rechte für die am stärksten unterdrückten Bevölkerungsgruppen in den europäischen Ländern wurde in den meisten Fällen von „Mitte“- oder sogar Mitte-Links-Regierungen durchgesetzt. Die Erweiterung der NATO und die Erhöhung der Rüstungsausgaben wurden von einer breiten Koalition aus konservativen, liberalen, sozialdemokratischen und grünen Parteien beschlossen, manchmal sogar mit Unterstützung sogenannter linker Parteien.

Darüber hinaus kamen die neoliberalen Kürzungen, Subventionen für die Reichen und das Banken- und Industriekapital während der Pandemie und der Krisen, Angriffe auf Löhne, Sozialleistungen und Privatisierungen von der „demokratischen“ Bourgeoisie. Und allzu oft erhielten sie dabei Zustimmung und Einverständnis der Vorsitzenden der reformistischen Parteien und der großen Gewerkschaften.

Kräfteverhältnis

Dies führt uns zu einem sehr wichtigen Punkt, um den Aufstieg der extremen Rechten zu verstehen. Ein ganzer Sektor der liberalen oder kleinbürgerlichen Linken, aber auch der Reformist:innen oder sogar Teile der extremen Linken sehen den Aufstieg der Rechten irgendwie als unvermeidliche, fast natürliche Reaktion auf die Krise. Darin liegt natürlich ein Körnchen Wahrheit, da jede Krise dazu neigt, alle Klassen zu radikalisieren, und daher Teile des Kleinbürger:innentums, der Mittelschicht und ein Teil der Bourgeoisie nach reaktionären Antworten auf die Krise suchen. Aber wir müssen erklären, warum in der aktuellen Situation die extreme Rechte überall massiv an Zulauf gewinnt, während die Arbeiter:innenbewegung und die Linke in der Defensive sind, einschließlich wichtiger Teile der Arbeiter:innenklasse und der Armen, die die extreme Rechte unterstützen, zumindest bei den Wahlen.

Dies führt zu der Frage nach der Politik und dem Klassenkampf. Die erste Reaktion auf die kapitalistische Krise nach 2008 war eindeutig nicht der Blick nach rechts, sondern eine globale Hinwendung zur Linken. Selbst die herrschenden Klassen waren sich dessen bewusst. Angesichts der globalen Rezession stellten sie die Frage: „Hatte Marx recht?“ Und, um es klar zu sagen, er hatte recht.

Noch wichtiger ist jedoch, dass wir einen massiven Anstieg des Klassenkampfes erlebt haben, der zu revolutionären Situationen und Bewegungen im Arabischen Frühling oder zu einer vorrevolutionären Situation in Griechenland führte, die das Scheitern von Regierungen, zum Zusammenbruch der PASOK und zum Aufstieg der neoreformistischen Syriza zur Folge hatte. Diese Massenbewegungen, die die Frage von Revolution oder Konterrevolution aufwarfen, wurden jedoch besiegt und die Niederlagen hatten tiefgreifende Auswirkungen auf das Gleichgewicht der Klassenkräfte und schwächten das Vertrauen, das Bewusstsein und den Internationalismus der Arbeiter:innenklasse.

Das Problem aufstrebender Bewegungen, die an die Grenzen ihrer eigenen inneren Schwäche stoßen, zeigt sich bei der feministischen Bewegung mit den globalen Frauenstreiks. Diese politischen Krisen der Arbeiter:innenbewegung und anderer progressiver Bewegungen sind letztlich eine Folge der Führungskrise der Arbeiter:innenklasse auf allen Ebenen. Diese Niederlagen und die Politik der bestehenden reformistischen Führungen während der Pandemie und während des Ukrainekrieges, als sie mit der zunehmenden globalen Konkurrenz konfrontiert waren, haben alle zu dieser Führungskrise beigetragen und sie vertieft, sodass selbst massive Kämpfe, die die Situation hätten verändern können, wie der Kampf gegen die Rentenreformen in Frankreich, ihr Potenzial nicht ausschöpfen konnten.

Alles in allem haben die Führungen der Arbeiter:innenklasse, aber auch der meisten sozialen Bewegungen angesichts von Krisen, Pandemien oder Kriegen auf eine Politik der „nationalen Einheit“ zurückgegriffen – und sie tun dies auch heute angesichts der Krise des Kapitalismus und des Aufstiegs der extremen Rechten. In Deutschland stehen wir heute nicht nur der extremen Rechten gegenüber, wie in vielen anderen europäischen Ländern, es wurden auch massive Entlassungen in der Automobil-, in der Chemieindustrie und bei der Deutschen Bahn angekündigt. Wir hatten einen großen Warnstreik bei Volkswagen mit Zehntausenden von Arbeiter:innen erlebt, und das hätte weiter gehen könnten. Das hätte nicht nur enorme Auswirkungen auf den Klassenkampf nicht in Deutschland, sondern in ganz Europa haben können, wenn die Gewerkschaften einen umfassenden Kampf gegen den Abbau aller Arbeitsplätze, gegen alle Schließungen führen und dies nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa koordinieren würden. Aber die Gewerkschaftsführer:innen – wie die Bürokrat:innen überall – wollen diese Mobilisierungen nur nutzen, um Dampf abzulassen und die Chef:innen an den Verhandlungstisch zu bringen, um einen „nicht allzu schlechten“ Kompromiss zu erzielen.

Eine solche Politik, die von den Gewerkschaften und auf politischer Ebene von reformistischen Parteien verfolgt wird, um den Neoliberalismus mit einem menschlichen Antlitz, Rassismus mit Tränen und Militarisierung mit moralistischem Geschwätz umzusetzen, ist nichts als eine Fake News. Und die vielleicht größte Fake News und politische Täuschung ist das Märchen, dass angesichts des Aufstiegs der Rechten die einzige Alternative die „Einheit“ mit der demokratischen Bourgeoisie sei. Dies kann nur zu einer Niederlage führen. Es wird nicht nur nicht zum Niedergang der extremen Rechten führen, sondern als Katalysator für ihr Wachstum dienen und es ihr ermöglichen, sich als einzige Alternative für die Menschen zu präsentieren.

Einheitsfront

Angesichts dieser Situation brauchen wir eine klare und durchdachte revolutionäre und internationalistische Antwort.

Der Aufstieg der Rechten und die Krise haben uns in den meisten Ländern in eine defensive Situation gebracht. Aber sie haben auch Bewegungen und Kämpfe hervorgebracht, um der extremen Rechten zu widerstehen. Darüber hinaus ist dies ganz klar mit der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Krise, der Umweltkatastrophe, dem Anstieg des Rassismus und Angriffen auf demokratische Rechte usw. verbunden.

Als Revolutionär:innen müssen wir intervenieren und solche Bewegungen aufbauen, wo wir können. Wir müssen alle Kräfte der Arbeiter:innenklasse, einschließlich der Gewerkschaften und reformistischen Parteien, dazu aufrufen, mit der Bourgeoisie zu brechen, mit der Sozialpartner:innenschaft zu brechen und sich im Kampf zu vereinen. Wir sind uns dessen bewusst, dass die Bürokrat:innen in den meisten Fällen einen gemeinsamen Kampf ablehnen, sabotieren oder verraten werden. Die Politik der Einheitsfront ist notwendig, weil nur Massenkämpfe und -bewegungen den Aufstieg der Rechten besiegen können, nicht nur Bewegungen der Linken oder der Avantgarde. Zweitens müssen wir die reformistischen oder radikalen kleinbürgerlichen Anführer:innen in den Augen derjenigen Arbeiter:innen, Jugendlichen und Unterdrückten bloßstellen, die noch Illusionen in sie hegen, einschließlich der Illusion, dass sie ein geringeres Übel und eine Art Sicherheitsnetz gegen die Rechte sind. Daher muss eine mutige Interventionspolitik und die Einheitsfront mit konkreten Forderungen verbunden werden, nicht nur für das, was eindeutig erforderlich ist, um die extreme Rechte zu stoppen, sondern auch mit offener Kritik an diesen Irreführer:innen.

Revolutionäre Parteien und Internationale

Dies muss mit dem Kampf für den Aufbau neuer revolutionärer Parteien vor Ort einhergehen, für Parteien, die eine Strategie und ein Programm von der gegenwärtigen Defensive zur Offensive bereitstellen können, ein Programm, das vom Kampf gegen die extreme Rechte und die kapitalistische Offensive zum Kampf um die Macht führen kann.

Im Übergangsprogramm macht Trotzki sehr deutlich, dass die kapitalistische Krise, der Verfall der bürgerlichen Gesellschaft, die drohenden Kriege und die Umweltkatastrophe die Forderungen des Minimalprogramms nicht überflüssig machen, sondern es ermöglichen oder besser erfordern, sie mit dem Kampf um die Macht zu verbinden.

Für uns ist der Kampf gegen den Aufstieg der extremen Rechten keiner, der von dem gegen Kürzungen, Entlassungen, Krieg, Rassismus, Geschlechter-, nationale Unterdrückung oder gegen Autoritarismus getrennt ist. Er ist ein integraler Bestandteil des Kampfes gegen die Grundursache dieser Formen der Ausbeutung und Unterdrückung – das kapitalistische, imperialistische System als Ganzes.

Die extreme Rechte präsentiert ein reaktionäres Programm für eine reaktionäre Umgestaltung der bürgerlichen Gesellschaft als Ganzes, wobei sie natürlich den Kapitalismus bewahrt und verteidigt.

Unser Programm muss ein Programm für die revolutionäre, sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft als Ganzes sein. Und es muss ein internationales Programm sein, ein Programm für die globale Revolution, denn der Sozialismus kann und wird nur auf internationaler Ebene aufgebaut werden – oder überhaupt nicht.

Wenn wir für ein solches Programm kämpfen wollen, müssen wir auch dafür eintreten, die Mittel zu seiner Umsetzung zu schaffen. Das ist die Schaffung einer neuen, revolutionären Internationale.

Im letzten Jahr haben die ITO, die LIS und unsere Organisation, die Liga für die Fünfte Internationale, eine sehr weit reichendes  gemeinsames Verständnis von der aktuellen globalen Situation entwickelt, die durch einen Kampf der imperialistischen Mächte um die Neuaufteilung der Welt gekennzeichnet ist. Wir haben eine tiefgreifende Übereinstimmung über einige der Schlüsselfragen des internationalen Klassenkampfes, den Krieg in der Ukraine und den palästinensischen Befreiungskampf gegen den von den imperialistischen Mächten unterstützten israelischen Völkermord erzielt.

Wir wollen noch weiter gehen. Wir sind uns einig, dass Revolutionär:innen international auf der Grundlage eines prinzipientreuen revolutionären Programms und einer gesunden Aufbaumethode neu gruppiert werden müssen. Wir sind uns bewusst, dass eine solche Organisation noch weit von dem entfernt wäre, was wir brauchen, nämlich eine neue revolutionäre Internationale – aber es wäre eine größere und politisch stärkere internationale Tendenz, die für dieses Ziel kämpft, für die Aufgabe unserer Zeit – die Überwindung der Führungskrise.

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