Arbeiter:innenmacht

Britannien: Der neue Haushalt der Labour-Partei: Steuern, Kredite, Ausgaben

KD Tait, Infomail 1268, 8. November 2024

Schatzkanzlerin Rachel Reeves verbrachte einen Großteil ihrer Haushaltsrede damit, auf die Tories einzudreschen und ein Ende der Sparmaßnahmen zu versprechen. Die Schlagzeilen reichten aus, um den Vorsitzenden von TUC, dem Gewerkschaftsdachverband, und Unison, der Gewerkschaft des Öffentlichen Dienstes, überschwängliche Reaktionen zu entlocken. Millionen von schlecht bezahlten Arbeiter:innen und Pfleger:innen würden eine Verbesserung in Form eines höheren Mindestlohns und einer Änderung der Schwelle für das Pflegegeld ab April 2025 spüren.

Haushalt

Ein Blick auf die Zahlen zeigt jedoch, dass es sich zwar um den zweitgrößten Steuererhöhungshaushalt seit 1993 handelt, aber bei weitem nicht um den versprochenen „transformativsten Haushalt in der Geschichte der Labour Party“.

Er lässt die grundlegende Architektur eines schrumpfenden „Wohlfahrtsstaates“ bestehen und vermeidet es, die Steuern für Reiche zu erhöhen, unverdienten Reichtum mit dem gleichen Satz wie Löhne zu besteuern oder sich mit den riesigen Summen öffentlicher Gelder zu befassen, die direkt in die Bereicherung von Unternehmensriesen, Vermieter:innen und Outsourcing-Unternehmen fließen, die von öffentlichen Aufträgen profitieren.

Die Begrenzung des Kindergeldes auf zwei Kinder wurde nicht aufgehoben, was nach Ansicht von Aktivist;innen der schnellste und billigste Weg wäre, um Millionen von Kindern sofort über die Armutsgrenze zu heben.

Die Deckelung der Heizkosten für den Winter wird gestrichen; die Sozialhilfe für Kranke wird stark gekürzt. Die Gebühren für den öffentlichen Nahverkehr werden erhöht, die Busfahrpreise um 50 % und die Bahntarife um 5 % – und das, obwohl die Mineralölsteuer weiterhin eingefroren wird.

Die Erhöhung der laufenden Ausgaben für den Nationalen Gesundheitsdienst NHS um 22 Milliarden Pfund und der Investitionsausgaben um 3,1 Milliarden Pfund hört sich im Vergleich zu den Tories zwar gut an, entspricht jedoch nur dem historischen Durchschnittsanstieg. Aber „die Reformen werden sofort beginnen“.

Die Erhöhung des Pflegegeldes wird auch für Zehntausende von Frauen, die gezwungen sind, Angehörige zu pflegen, willkommen sein, kann aber nicht über das eklatante Fehlen eines Plans zur Bewältigung der Krise in der sozialen Pflege hinwegtäuschen.

Daniel Kebede, Vorsitzender der Lehrer:innengewerkschaft NEU (Nationale Gewerkschaft für Erziehung), begrüßte die 2,3 Mrd. Pfund für die Schulfinanzierung und die 6,7 Mrd. Pfund zur Bewältigung der Krise bröckelnden Betons – aber die 1 Mrd. Pfund für SEND (Bildungsprogramm) werden aus dem bereits angespannten Haushalt kommen. Dies wird die Reihe von Schulschließungen aufgrund der sinkenden Schüler:innenzahlen nicht aufhalten.

Der nationale Mindestlohn wird für über 21-Jährige um 6,7 % und für jüngere Arbeiter:innen um 16 % angehoben. Dies ist eine deutliche Verbesserung für 1,5 Mio. Niedriglohnempfänger:innen, liegt aber immer noch deutlich unter den Zahlen der Low Wage Foundation, die sich an den realen Lebenshaltungskosten orientieren, und weit unter der Gewerkschaftsforderung nach 15 Pfund pro Stunde.

Finanzierung

Der größte Teil des Geldes wird aus der Manipulation der „fiskalischen Regeln“ herrühren, um die Berechnung der Verschuldungsziele zu ändern und die Arbeit„geber“:innenbeiträge zur Sozialversicherung zu erhöhen. Aber Großbritannien wird weiterhin die niedrigste Kapitalertragssteuer in Europa haben, und die Arbeit„geber“:innenbeiträge zur Sozialversicherung werden an die Arbeiter:innen in Form von niedrigeren Löhnen, weniger Arbeitsplätzen und höheren Preisen weitergegeben.

Wenn Wes Streeting (Minister für Gesundheit und Soziale Dienste) und andere Minister:innen davon sprechen, diese Haushaltserhöhungen durch „Reformen“ zu finanzieren, meinen sie damit, dass die öffentlichen Dienste mehr wie ein Unternehmen geführt werden sollen, sowohl im Hinblick auf die Maximierung der Effizienz als auch auf die der Möglichkeiten für private Gewinne.

Der Gründer von Phones4U (ehemalige Mobilfunktelefongesellschaft), John Caudwell, ein ehemaliger Tory-Spender, der jetzt Labour-Unterstützer ist, sagte: „Der Haushalt zeigt, dass die Regierung das Memo erhalten hat“, dass das Land „wie ein Unternehmen geführt werden muss“ und „eine grundlegende Reform des öffentlichen Sektors erforderlich ist“.

Dieses Versprechen einer umfassenden Reform des öffentlichen Sektors soll die Märkte davon überzeugen, die drastischen Steuererhöhungen und Kreditaufnahmen der Labour-Partei zu akzeptieren.

Die Rede löste auf den Märkten zunächst eine relativ verhaltene Reaktion aus, zumindest im Vergleich zu den Turbulenzen der jüngsten Katastrophen. Doch als die Weltmärkte reagierten, stiegen die Kosten der britischen Schulden. Die volatilen Schuldenmärkte können sich nach oben und unten bewegen, aber selbst kleine Veränderungen können den „Spielraum“, den die Schatzkanzlerin durch Änderungen ihrer Haushaltsregeln gewonnen hat, zunichtemachen.

Die Labour-Partei hat ihre Glaubwürdigkeit auf die „Wiederherstellung des Vertrauens“ durch eine stabile Regierung und wirtschaftliche Kompetenz gesetzt.

Aber selbst die offizielle Regierungsbeobachtungsstelle OBR (Amt für Haushaltsverantwortlichkeit; vergleichbar dem Bundesrechnungshof) weigerte sich, die Existenz von Reeves‘ „schwarzem Loch“ in Höhe von 22 Mrd. Pfund voll und ganz zu bestätigen, während das IFS (Institut für Fiskalstudien) vorschlug, dass die Finanzministerin weitere 9 Mrd. Pfund benötigen wird, nur um die öffentlichen Dienste aufrechtzuerhalten.

Und genau hier liegt das Problem. Indem sie sich weigert, in den riesigen Reichtum einzugreifen, der sich in den oberen Einkommensregionen Großbritanniens tummelt, wo die reichsten 50 Familien 500 Milliarden Pfund schwer sind, setzt die Labour Party auf eine Lawine privater Investitionen und die Generierung von Wachstum, die grundsätzlich unsicher ist, selbst wenn wir externe politische Schocks außer Acht lassen.

Wichtige Reformen der Infrastruktur wurden nicht finanziert oder in die Hände von Interessengruppen gelegt, die sich als unfähig erwiesen haben, diese umzusetzen. Zum Beispiel können die Kommunen endlich das gesamte Geld aus dem Verkauf von Sozialwohnungen behalten, aber damit lassen sich keine 300.000 neuen Wohnungen pro Jahr finanzieren, und die Wohnungsbaugesellschaften sagen, sie könnten sich keine großen Investitionen leisten.

Ja, HS2 (Eisenbahnschnellfahrstrecke von London-Euston nach Birmingham, seit 2020 im Bau) wird nun nach Euston verlegt. Aber fast 60 Milliarden Pfund pro Jahr fließen immer noch über das Wohngeld in die Taschen der Vermieter:innen, und die Abschaffung einiger Konzessionen für den Personenverkehr wird weder die Fahrpreise senken noch die Profitgier und die Zersplitterung der Eisenbahn beenden, die eine entscheidende Abkehr vom Auto verhindern.

Alles in allem sind die großen Schlagzeilen das, was fehlt: keine Reformen für die großen Krisen im Hochschulwesen, in der Kommunalverwaltung oder im Wohnungswesen; keine große Steigerung beim Übergang zum Klimaschutz; und da selbst optimistische offizielle Prognosen bescheidene Wachstumsraten für diese Ausgabenorgie zeigen, werden die Arbeiter:innen in den kommenden Jahren mit einem sinkenden Lebensstandard dafür bezahlen.

Die Ausgaben und die Kreditaufnahme wurden alle im Voraus getätigt, wobei der Haushalt einen Rückgang der Investitionen in drei Jahren vorsieht. Mit einem Haushalt, der auf Zugeständnissen an die Stadt beruht, wurde die beste Gelegenheit vertan, den von Regierungschef Starmer versprochenen „Wandel“ herbeizuführen.

Der Grund dafür ist, dass ein echter Wandel bedeuten würde, mächtige Besitzstandswahrer:innen aus dem Weg zu räumen, die sich in allen Bereichen der Wirtschaft und politischen Institutionen verwurzelt haben, so dass wichtige sozialdemokratische Maßnahmen sowohl politisch als auch finanziell nicht mehr möglich sind.

Wo bleiben also die oppositionellen Stimmen? Es gab zwar Geräusche der Unzufriedenheit von Kabinettsmitgliedern, die Geschichten durchsickern ließen, um ihren eigenen Willen in den Verhandlungen vor dem Haushalt durchzusetzen, aber in Wahrheit gibt es auch innerhalb der Partei keine ernsthafte Opposition, weil kein glaubwürdiges alternatives politisches Projekt existiert.

Die großen Mitte-Rechts-Gewerkschaften scheinen es nicht eilig zu haben, sich zur Wehr zu setzen. Das gilt auch für die vermeintlich eher links stehenden Gewerkschaften. Matt Wrack von der FBU (Gewerkschaft der Feuerwehr) und Sharon Graham von Unite, einer der beiden größten britischen Gewerkschaften, äußerten sich zwar gegen diese oder jene Politik, begrüßten aber im Großen und Ganzen die Nachricht.

Schlussfolgerung

In vielerlei Hinsicht war dies ein typischer Labour-Haushalt des 21. Jahrhunderts. Es ist keine „Rückkehr zur Sparsamkeit“, sondern eine Fortsetzung der Leitplanken, die durch den Angriff der Tories und der Liberaldemokrat:innen auf den „Wohlfahrtsstaat“ gesetzt wurden. Auch Starmer und Reeves halten sich eng an das New-Labour-Handbuch von Blair und Brown.

Öffentliche Investitionen werden an privates Profitstreben gekoppelt sein. Staatliche Eingriffe belässt man in allen entscheidenden Fragen wie Stahl, Öl, Klimawandel usw. in den Händen des Großkapital. Und sie werden mit Zuckerbrot und Peitsche (oder Spritze!) versuchen, Arbeitslose, Kranke und ältere Arbeiter:innen wieder in den Arbeitsmarkt zu bringen.

Es wird an der politisierten Basis der Gewerkschaften und sozialen Bewegungen liegen, diese Punkte zur Sprache zu bringen und die Arbeiter:innenklasse auf einen Gegenschlag vorzubereiten.

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