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Michael Märzen, Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail 1267, 18. Oktober 2024
Die Nationalratswahlen 2024 sind mit einem traurigen historischen Ereignis zu Ende gegangen: Die FPÖ hat mit knapp 29 % gewonnen – ein Schlag für die Linke, die Arbeiter:innenbewegung, von Rassismus Betroffene, Frauen und LGBTQIA-Personen. An zweiter Stelle folgt mit etwas über 26 % die ÖVP mit einer ähnlichen konservativen, kapitalist:innenfreundlichen, rassistischen und umweltfeindlichen Politik. Damit vereint der rechtskonservative, reaktionäre Block mit 108 von 183 Mandaten eine bequeme absolute Mehrheit im Parlament. Auch wenn es nicht zu einer blau-schwarzen Koalition kommen sollte: Wir haben für die nächsten Jahre nichts zu erwarten als eine Politik gegen die Interessen der Lohnabhängigen.
Die FPÖ unter Herbert Kickl wirbt mit einer „Festung Österreich“, einer „Festung der Freiheit“ – so ist auch ihr Wahlprogramm betitelt. Das Versprechen dahinter ist einfach: „Asylant:innen“ und „Fremde“ sollen ferngehalten werden, dadurch würde den österreichischen Staatsbürger:innen mehr vom „eigenen“ Wohlstand bleiben. Sieht man sich das Programm der FPÖ genauer an, wird deutlich, wie diese Politik konkret aussieht. Eine Senkung der Abgabenquote bedeutet weniger Steuereinnahmen für den Staat, weniger Mittel für das Sozialsystem, mehr Angebot für Privatunternehmen. Dasselbe bedeutet die Rede von der Senkung von Lohnnebenkosten oder Körperschaftssteuer, was den Unternehmer:innen zugutekommt. Gleichzeitig sollen keine neuen Steuern eingeführt (vermögensbezogene Steuern lehnt sie explizit ab), das Budgetdefizit abgebaut und der Haushalt konsolidiert sowie mehr Geld für Polizei und Bundesheer zugeteilt werden. „Finanziert“ werden soll das z. B., indem Sozialleistungen nur noch an Staatsbürger:innen gezahlt, Geflüchtete abgeschoben werden oder „Leistungsunwilligen“ (wie etwa Langzeitarbeitslosen) die Unterstützung gekürzt wird. Damit werden die ärmsten und prekärsten Teile der Lohnabhängigen weiter ins Elend und in die Abhängigkeit gestürzt, was natürlich den Druck auf die Arbeitsbedingungen der restlichen Arbeiter:innenklasse erhöht, die nebenbei allgemein unter Sozialabbau leidet.
Die FPÖ bedient die Grundideologie jeglicher rechtspopulistischer Politik: Es wird ein „Wir“ mit gemeinsamer Identität und gemeinsamen Interessen konstruiert (das Volk), dem „die Anderen“ gegenüberstehen (Ausländer:innen, Eingewanderte) und uns bedrohen. Diese völkisch-nationalistische Ideologie lenkt davon ab, dass es in einer Klassengesellschaft die beschworene Interessengemeinschaft des Volks gar nicht gibt, sondern einen unauflöslichen Gegensatz zwischen Unten und Oben, Arm und Reich, Lohnarbeit und Kapital. Da in der rechten Ideologie Arbeiter:innen und Kapitalist:innen symbiotisch zusammenarbeiten müssen, die Kapitalist:innen aber gleichzeitig unter der ausländischen Konkurrenz leiden, läuft rechte Politik immer darauf hinaus, die Ausbeutung der Arbeiter:innen zugunsten der Kapitalist:innen zu verschärfen – alles für die Nation, versteht sich.
Es kommt aber noch ein weiterer Faktor hinzu und zwar die Verbindung zwischen rechtsradikalen und neonazistischen Kräften wie den Identitären und der FPÖ, insbesondere in deren Jugendstrukturen. Durch den Wahlerfolg werden sich die faschistischen Kräfte ermutigt fühlen, offener aufzutreten und ihre vergiftende Ideologie zu verbreiten. Und in einer Situation, in der die FPÖ von den anderen Parteien von der Regierungsmacht ausgeschlossen wird, was angesichts der Absage von ÖVP-Chef Nehammer an eine Koalition mit Kickl recht wahrscheinlich ist, könnten rechte und rechtsradikale Mobilisierungen auf die Straße in einem gefährlichen Ausmaß zunehmen.
Eigentlich müsste sich die ÖVP trotz herber Verluste von 11,2 % auf 26,3 % mit dem zweiten Platz sehr zufriedengeben, denn gemeinsam mit der FPÖ käme sie auf eine stabile Mehrheit im Parlament bei ähnlich reaktionärer Ausrichtung. Die blau-schwarze Koalition wäre für die Kapitalist:innenklasse eine willkommene Gelegenheit, bedeutende Angriffe auf die Arbeiter:innenklasse zu starten, die Ausbeutungsrate zu erhöhen und den „Wirtschaftsstandort“ zu stärken.
Doch ÖVP-Chef Karl Nehammer hat vor und nach den Wahlen eine Koalition mit FPÖ-Chef Herbert Kickl abgelehnt. Das bedeutet, dass dieser jedenfalls nicht Kanzler werden und am besten auch nicht Teil der Regierung sein solle. Das hat vor allem den Hintergrund, dass Kickl als ehemaliger Innenminister eine polizeiliche Hausdurchsuchung im Inlandsgeheimdienst veranlasst und damit politisches Vertrauen verspielt hat. Weiters verbündete sich die FPÖ unter seiner Führung mit den irrationalen Gegner:innen der Coronapolitik und bediente selbst gewisse Verschwörungsmythen dieses Teils der radikalen Rechten. Zusätzlich könnte eine FPÖ-geführte Regierung die Stellung Österreichs in der Europäischen Union schädigen und in Verbindung mit anderen rechten Regierungen die Kraft des europäischen Imperialismus unterminieren. Die ÖVP pokert also um eine Koalition mit einer „gezähmten“ FPÖ, die sich zu Rechtsstaatlichkeit und Europäischer Union bekennt und auf die man sich politisch verlassen könne.
Geht dieser Plan nicht auf, bleibt nur eine Regierung mit der SPÖ, wahrscheinlich unter Beteiligung einer dritten Kraft, die eine komfortable Mehrheit im Parlament garantiert. Für die ÖVP ist das wahrscheinlich die einfachere und realistischere Variante, auch wenn sie damit weniger von ihrem Programm durchsetzen könnte.
Für die SPÖ unter dem neuen „linken“ Vorsitzenden Andreas Babler ist das Wahlergebnis von 21,1 % eine klare Niederlage. Er hat es selbst aus der Opposition und nicht einmal angesichts von Teuerung und Hochwasser geschafft, die Partei nach vorne zu bringen und fährt mit einem Minus von 0,1 % sogar das schlechteste Ergebnis in der Geschichte der Partei ein.
Doch die SPÖ ist mit einem Versprechen angetreten, und zwar, Blau-Schwarz zu verhindern. Im parlamentarischen Rahmen, in dem sich die sozialdemokratische Partei fast ausschließlich bewegt, bleibt ihr nur eine Möglichkeit, das zu tun: die Koalition mit der ÖVP. Doch die sitzt in Verhandlungen auf dem längeren Ast und wird der SPÖ die gemeinsame Koalition gegen die Blauen einiges kosten lassen. Babler müsste sich politisch der ÖVP unterordnen und seine Partei zur Steigbügelhalterin eines Kanzlers Nehammer machen. Diese Perspektive mag zwar als das kleinere Übel erscheinen, es ist aber immer noch ein Übel, auf das die Linke und die Arbeiter:innenbewegung nicht orientieren darf, bedeutet es doch die passive Unterordnung der organisierten Arbeiter:innenbewegung, insbesondere der Gewerkschaften, unter die politische Agenda der ÖVP. Das ist eine Perspektive, die nur zur weiteren Demoralisierung der Arbeiter:innenklasse beitragen kann und der FPÖ weiterhin politischen Nährboden liefert.
Die politische Lähmung der Arbeiter:innenbewegung durch ihre eigene Bürokratie ist das eigentliche Übel, das es zu bekämpfen gilt. Eine Regierungsbeteiligung der SPÖ würde diesen Kampf deutlich erschweren. Linke und klassenbewusste Sozialdemokrat:innen sind daher aufgerufen, gegen diese Unterordnung unter die Bourgeoisie aufzutreten und gemeinsam mit ähnlich denkenden Kräften den Widerstand gegen Rassismus und Abbau sozialer wie demokratischer Rechte vorzubereiten.
Die KPÖ hat bei diesen Wahlen einen beachtlichen Erfolg verbucht und mit beinahe 2,4 % ihre Stimmen mehr als verdreifacht. Doch die große Hoffnung, in den Nationalrat einzuziehen, wurde deutlich enttäuscht. Damit ist auch klar, dass sich ihre Strategie als brave sozialreformerische Kraft mit Fokus auf Wohnen schwer auf Bundesebene verwirklichen lässt.
Nichtsdestotrotz hat es die KPÖ bei diesen Wahlen geschafft, so sichtbar zu sein wie nie zuvor. Sie ist nun eine besser bekannte und stärker ernstzunehmende Kraft als viele Jahrzehnte zuvor. Und die Erfolge der letzten Jahre haben ihr Zulauf und die Verjüngung ihrer Mitgliedschaft gebracht. Sie ist inzwischen die einflussreichste Kraft links der Sozialdemokratie, damit trägt sie auch eine Verantwortung gegenüber der Arbeiter:innenbewegung und der Linken. Sie ist sicherlich eine Kraft, die in der Lage wäre, die politische Frustration vieler Menschen in Widerstand gegen die reaktionären Maßnahmen der neuen Regierung zu verwandeln – wenn ihr da nicht ihre eigene elektorale Strategie im Weg stünde, die ein Anecken mit der Bourgeoisie und ernsthafte Mobilisierung ihrer Mitglieder abseits von Wahlwerbung tunlichst vermeidet. Gerade deswegen müssen wir die KPÖ aufrufen, den Widerstand von unten zu organisieren und eine Einheitsfront der Linken und der Arbeiter:innenbewegung abseits der Wahlen aufzubauen. Sozialberatung ist gut und schafft Vertrauen, doch es liegt auch an einer kommunistischen Partei, die Probleme nicht nur im Kleinen zu lösen, sondern mit Organisierung und Schulung auf die Lösung im systemischen Großen hinzuarbeiten.
Was die SPÖ nicht tun wird und die KPÖ nicht tun möchte, das müssen wir zumindest ansatzweise selbst tun. Eine Einheitsfront bedeutet die gemeinsame Aktion aller Linken und aller Kräfte der Arbeiter:innenbewegung für gemeinsame politische Ziele bzw. zur Abwendung bestimmter Angriffe. Eine solche Front ermöglicht es, breitere Kreise von Lohnabhängigen und Jugendlichen auf die Straße zu mobilisieren, politisch zu organisieren und gemeinsam mit ihnen Schlagkraft zu entwickeln. Das ist es, was im politischen Klima fehlt und den reaktionären Kräften erst ermöglicht, in die Offensive zu gehen.
Schon vier Tage nach dem Wahlergebnis war sichtbar, was im Ansatz möglich ist, als 20.000 Menschen in Wien zur Donnerstagsdemo kamen, um gegen die Gefahr einer blau-schwarzen Regierung zu demonstrieren. Bis eine Regierung steht, wird es vermutlich noch eine Weile dauern. Die Zeit könnte genutzt werden, damit linke Organisationen zusammenkommen und über den Aufbau einer Einheitsfront gegen zukünftige Angriffe beraten. So wäre es dann rasch möglich, in allen Stadtteilen und auch über Wien hinaus Aktionskomitees aus dem Boden zu stampfen. Solche Komitees stehen Personen aus verschiedensten Organisationen und bisher Unorganisierten offen. Damit können sie breit mobilisieren, sich zu diesem Zweck auch regional vernetzen und eine Koordination von größer angelegten Aktionen leisten. Denn eine große Demonstration allein bringt noch nichts, wenn sie die demonstrierte Stärke nicht auch politisch aktiv einsetzt. Das steht nun auf der Tagesordnung.
In Wien hätte LINKS das Potential, den Anstoß zu geben und auf andere Organisation, insbesondere die KPÖ, mit einem Vorschlag zuzugehen. Das würde die Mobilisierungsfähigkeit einzelner Organisation übersteigen und gleichzeitig den politischen Austausch der Aktivist:innen fördern. Als Aktivist:innen vom Arbeiter*innenstandpunkt, die in LINKS aktiv sind, wollen wir uns für eine solche Perspektive einsetzen, um einen effektiven Widerstand zu organisieren.
One thought on “Österreich: Wahlsieg der FPÖ, was nun?”