Aventina Holzer, Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail 1226, 19. Juni 2023
Selma Schacht, die Betriebsrätin von „Bildung im Mittelpunkt“, meinte bei einer Streikkundgebung letztes Jahr, dass Freizeitpädagog:innen viele Jobs haben. Sie sind Künstler:innen, Sportler:innen, Lehrer:innen und emotionale Begleiter:innen und noch vieles andere mehr. Sie machen viele Sachen, die sonst im pädagogischen Angebot unter den Tisch fallen würden.
Die Freizeitpädagogik ist eine besondere Berufsbranche in Österreich, die als Reaktion auf den Lehrer:innen- und Betreuer:innenmangel entstanden ist. Seit einigen Jahren gibt es dafür auch einen eigenen Lehrgang, der speziell auf die Nachmittagsbetreuung an Schulen zugeschnitten ist. Dieser ist mit 60 ECTS-Punkten (also 2 Semester; ECTS = European Credit Transfer System, Europäisches System zur Übertragung und Akkumulierung von Studienleistungen; d. Red.) eine Reaktion auf einen Gesetzesbeschluss, der die Qualifikationen von Pädagog:innen in diesem Bereich besser systematisieren wollte. Der seit mehr als 10 Jahren bestehende Lehrgang ist ohne Matura zugänglich und bietet damit eine gute Möglichkeit für Menschen ohne Abschluss einer höheren Schule, in einem pädagogischen Beruf zu arbeiten.
Der neue Gesetzesentwurf der Regierung möchte sehr viel von diesen Beschlüssen wieder ändern. Bevor wir uns aber mit diesem genauer beschäftigen, wollen wir uns die momentane Situation in der Freizeitpädagogik genauer anschauen, die ist nämlich auch alles andere als rosig.
Die Arbeitsbedingungen in der Freizeitpädagogik sind zwischen Personalmangel, schlechter Bezahlung und fehlendem Respekt oft eine Zumutung. Im Kollektivvertrag der Sozialwirtschaft Österreich, unter den aktuell die Freizeitpädagogik fällt, ist ein Gehalt von 2.638,80 Euro brutto vorgesehen für 37 Wochenstunden. Die meisten Mitarbeiter:innen arbeiten aber eher 32 Stunden. Vorbereitungsstunden sind davon auch nur 5, der Rest ist mit den Kindern zu verbringen.
Zeitgleich gibt es starken Personalmangel, zu wenig inklusionsgeschultes Personal und Schulungen für das Team und oft standortspezifische Probleme wie zu wenige Sozialarbeiter:innen, überfüllte Klassen, zu viele unkompensierte Krankheitsausfälle, räumliche Probleme, kein Material (oder nur solches, das aus eigener Tasche gekauft wird) und vieles mehr. Unter diesen Umständen ein ernsthaftes und gutes pädagogisches Programm aufzubauen, ist schwierig. Die ständigen Forderungen der Politik nach Umstrukturierung der Nachmittagsbetreuung, die als rotes Projekt speziell der ÖVP ein Dorn im Auge ist, machen auch Jobunsicherheit zu einem großen Thema.
Aus diesen und einigen anderen Gründen haben die Nachmittagsbetreuer:innen im letzten Jahr mehrmals gestreikt und Streikhandlungen angekündigt. Neben dem „BiM“ (Verein Bildung im Mittelpunkt GmbH), der die Wiener Nachmittagsbetreuung an öffentlichen Schulen organisiert, standen auch die Elementarpädagog:innen bundesweit im Streik.
Jetzt trifft diese Berufsgruppe der nächste große Schlag. Es soll eine Gesetzesnovelle kommen, die im Sommer beschlossen und 2024 umgesetzt werden soll. Sie sieht vor, Teile des Schulordnungs- und Schulunterrichtsgesetzes (inklusive anderer Bereiche) zu ändern. Das betrifft vor allem die Freizeitpädagogik als Berufsgruppe, die mit dieser Änderung abgeschafft werden soll. Statt dieser soll eine neue, die sogenannte „Assistenzpädagogik“, geschaffen werden. Die Assistenzpädagogik hat, wie das Wort schon andeutet, eher die Aufgabe, das Lehrpersonal bei der Arbeit zu unterstützen und nicht ein eigenes freizeitpädagogisches Programm zu gestalten und umzusetzen. Das bedeutet mehr Fokus auf Lernassistenz (also Hausaufgabenbetreuung und Ähnliches) und weniger auf Freizeitgestaltung. Abgesehen davon gibt es weitere Verschlechterungen, die sich anbahnen:
Die ohnehin recht kurze Ausbildung soll von 60 auf 30 ECTS-Punkte (also von zwei auf ein Semester) gekürzt werden. Zeitgleich soll ein Maturaabschluss eine Voraussetzung dafür werden. Zwar wurde angekündigt, dass die meisten Freizeitpädagog:innen übernommen werden sollen, trotzdem ist noch mehr als fraglich, ob das für die Beschäftigten ohne Matura auch letztlich wirklich gilt. Über ihnen hängt das Damoklesschwert des Jobverlustes.
Des Weiteren werden auch gröbere Gehaltskürzungen vermutet. Der Betriebsrat von „Bildung im Mittelpunkt“ schreibt dazu: „Der Vergleich mit unserem aktuellen Gehalt zeigt, dass vor allem in den ersten Jahren mit einem Minus von bis zu 19 % zu rechnen ist. Erst nach über 18 (!) Berufsjahren würde die Anwendung dieses Gehaltsschemas mit unserem jetzt gültigen Kollektivvertrag gleichziehen bzw. diesen erst ab 24,5 Jahren spürbar überholen. Und das auch nur, wenn es zur vollen Anrechnung sämtlicher bisheriger Vordienstzeiten kommt.“
Es gibt einige Sachen, die noch sehr unklar sind: zum Beispiel die Übernahme des Jobs in öffentliche Hand und was dann mit den Trägern passiert, die diese Arbeit momentan organisieren. Zeitgleich zeigt der Gesetzesentwurf eine klare Richtung, die sich deutlich gegen die Interessen von ganztägigen Schultypen und Betreuungsangeboten stellt, indem sie an deren Bedürfnissen vorbei wirkt.
Es wurden bereits einige Maßnahmen verkündet, in Wien wurde bereits demonstriert, es gibt Betriebsversammlungen, eine Petition, Streiks und noch einiges mehr, um die Änderungen abzuwehren. Jetzt wurde auch die Streikfreigabe für den 15. Juni erteilt. Die Gewerkschaften und nahestehende Institutionen scheinen dahinterzustehen. „Weder Beschäftigte noch Betriebsrat oder Gewerkschaft waren in die Novellierung eingebunden“, sagt Barbara Teiber, Vorsitzende der GPA. In der Sozialdemokratie hört man immer mehr einzelne Stimmen dagegen, so auch den neuen SPÖ-Chef Babler oder die SPÖ-Bildungssprecherin Petra Tanzler. Es war ja auch eines der größeren sozialdemokratischen Projekte, die Nachmittagsbetreuung flächendeckend durchzusetzen.
Die Forderungen des BiM-Betriebsrats sind gut und verknüpfen einige Probleme miteinander. Es wird unter anderem gefordert, dass die beschriebenen Verschlechterungen durch die vorgeschlagene Novelle nicht eintreten dürfen. Besonders wichtig sind folgende Forderungen: „Übernahme aller ausgelagerten Schulküchenmitarbeiter:innen und Reinigungskräfte“ und „Kein Ersatz von Lehrer:innenstellen oder -stunden durch Freizeitpädagog:innen. Ausbildungsoffensive und Personalaufstockung bei Lehrer:innen“. Diese Forderungen versuchen, aktiv Kämpfe zu verbinden. Weil Schulorganisation zum Großteil Ländersache ist, ist es schwierig, diesen speziellen Kampf auch über die Bundesländergrenzen hinauszutragen. Klar ist aber, dass es auch in anderen Bundesländern Personalmangel und extreme Unzufriedenheit wegen schlechter Bezahlung gibt.
Lehrer:innenmangel steht auf der Tagesordnung und anstatt ihn mit komplett neuen Jobs auszugleichen, die andere wertvolle pädagogischen Aufnahmen übernehmen sollten, braucht es hier gezielte Verbesserungen. Eine Aufwertung der Ausbildung, ohne auf Kosten von Zugänglichkeit und Kosten zu gehen, wäre dabei schon ein wichtiger Schritt. Zeitgleich braucht es eine starke Veränderung der Lehrpläne, um sie an aktuelle Bedürfnisse anzupassen. Mehr Ressourcen für Bildung und damit auch Freizeitpädagogik sind essenziell. Die Bildung von Kindern und Jugendlichen sollte nicht immer nur davon abhängen, ob sich Lehrer:innen oder Freizeitpädagog:innen individuell besonders engagieren, sondern direkt aus dem Bildungssystem heraus erwachsen. Dafür ist auch essenziell, dass wir nicht nur bei der Abwehr dieser Novelle bleiben, sondern auch für mehr Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen kämpfen sowie für mehr Geld im Bildungssystem im Allgemeinen.