Dave Stockton, Infomail 1193, 21. Juli 2022
US-Präsident Joe Biden hat seine viertägige Reise in den Nahen Osten mit wenig vorzuweisen außer einem weiter beschmutzten Ruf als Verfechter der Menschenrechte.
Die beiden von ihm besuchten Staaten, Israel und Saudi-Arabien, sind nach wie vor von entscheidender Bedeutung für die fortgesetzte Hegemonie der USA über die Region, eine Vorherrschaft, die durch die Ereignisse des letzten Jahrzehnts zwar erschüttert, aber nicht gestürzt wurde. Die Störfaktoren waren nicht nur die Nachbeben des Arabischen Frühlings in Libyen, Sudan und Syrien und die Feindseligkeit von Staaten wie Iran, sondern auch der Trotz von US-Verbündeten wie der Türkei und Saudi-Arabien.
Der schwindende Einfluss Amerikas wurde in seinem zweiten Zielland, Saudi-Arabien, unter seinem streitbaren Kronprinzen Mohammed bin Salman deutlich sichtbar. Er hat die unabhängige Rolle des Königreichs in der Region gestärkt und führt im Jemen einen blutigen Krieg gegen die Huthis, die vom Iran unterstützt werden. Intern hat er zwar kosmetische Reformen durchgeführt, wie z. B. die Zulassung von Frauen zum Autofahren, aber seine Gegner:innen eingesperrt, darunter auch genau jene Frauenaktivistin, die sich für diese Reformen eingesetzt hat.
Besonders rachsüchtig war er gegenüber Journalist:innen, die ihn kritisierten. Der für Amerika ungeheuerlichste Fall war der von Jamal Khashoggi, einem Kolumnisten der Washington Post und amerikanisch-saudischen Staatsbürger mit Wohnsitz in Virginia. Als scharfer Kritiker des Kronprinzen wurde er in das Konsulat des Königreichs in Istanbul gelockt, brutal ermordet und sein zerstückelter Körper entsorgt.
Während seiner Präsidentschaftskampagne 2020 versprach Biden, das repressive Königreich in einen weltweiten „Paria“ zu verwandeln, falls Khashoggis Mörder:innen nicht vor Gericht gestellt würden. Das ist aussichtslos. Vor einem Jahr kamen die US-Geheimdienste zu dem Schluss, dass es bin Salman selbst war, der die Operation „zur Entführung oder Tötung“ des Journalisten genehmigt hatte.
Jetzt hat sich Biden von einem strengen Kritiker im Wahlkampf, der um liberale Wähler:innen wirbt, die sich um die Menschenrechte sorgen, in einen hartgesottenen „Realisten“ für internationale Beziehungen verwandelt. Obwohl er behauptet, er habe bin Salman bezüglich seiner Verantwortung für die Ermordung des Journalisten angesprochen, hat er mit ihm öffentlich seine Freundschaft bekundet. Dies unterstreicht, dass seine wahren Prioritäten darin bestanden, das Ansehen Amerikas im Nahen Osten zu stärken und die Saudis zu drängen, die Ölproduktion zu erhöhen, um die Weltwirtschaft vor den eskalierenden Treibstoffpreisen zu retten. Es scheint, dass seine Ergebnisse in beiden Punkten vernachlässigbar waren.
Ein weiterer Beweis dafür, dass für diesen Präsidenten Machtpolitik jedes Mal über Ethik geht, ist seine Reaktion auf den Tod einer anderen Journalistin, Shireen Abu Akleh, deren Mörder:innen Biden nicht beim Namen nennt, weil sie Israelis sind. Die bekannte Al-Jazeera-Journalistin, eine Palästinenserin und US-Bürgerin, wurde von einem israelischen Scharfschützen in den Kopf geschossen, während sie über Razzien im Flüchtlingslager Dschenin berichtete, bei denen mehrere Demonstrant:innen getötet wurden. Biden weigerte sich, ihre Familie auf seiner Reise zu treffen, lud sie jedoch nach Washington ein und vermied es so, sich mit seinen israelischen Gastgeber:innen anzulegen.
Der Grund für das Schweigen des US-Präsidenten wurde in dem Moment deutlich, als er auf dem Ben-Gurion-Flughafen landete und vom israelischen Interimspremierminister Jair Lapid begrüßt wurde. Biden rief aus: „Man muss kein Jude sein, um Zionist zu sein. Die Verbindung zwischen dem israelischen und dem amerikanischen Volk ist tief verwurzelt“. Lapid ließ sich nicht lumpen und lobte ihn als „großen Zionisten“. „Ihre Beziehung zu Israel war immer persönlich“, sagte er und nannte den Präsidenten „einen der besten Freunde, die Israel je hatte“. Beide Männer haben in diesem Punkt Recht.
Die jüngste Frucht von Bidens Zionismus bildete eine „Jerusalemer Erklärung“, die er und der israelische vorläufige Premierminister unterzeichneten. Damit wird die mit dem Ex-Präsidenten Obama unterschriebene 38-Milliarden-Dollar-Vereinbarung über die „Verteidigung“ Israels erweitert. Die palästinensische Frage wurde im Haupttext der Erklärung nicht erwähnt, sondern nur in einem Kodizill (Zusatzverfügung), in dem „die langjährige und konsequente Unterstützung der USA für eine Zwei-Staaten-Lösung“ bekräftigt wird, die, wie ein hochrangiger US-Beamter betonte, nicht von Israel unterzeichnet wurde.
In der Erklärung heißt es auch, dass sich beide Seiten verpflichten, dem Iran niemals zu erlauben, eine Atomwaffe zu erhalten. Lapid nutzte die Gelegenheit, um anschließend zu betonen, dass Israel nicht beipflichte, dass dies mit diplomatischen Mitteln erreicht werden könne. Mit anderen Worten: Er bekräftigte das „Recht“ Israels, die iranischen Atomanlagen anzugreifen. Die beiden Staatsoberhäupter werden ihre Unterstützung für das „Abraham-Abkommen“ der Ära Trump zum Ausdruck bringen, das 2020 zwischen Israel, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain unterzeichnet wurde.
Obwohl Biden kurz mit Mahmud Abbas, dem Leiter der Palästinensischen Autonomiebehörde (PNA), zusammentraf, zeigen seine Prioritäten, dass die Verfolgung der auf unbestimmte Zeit verschobenen „Zweistaatenlösung“ weit unten auf der Liste steht und weit hinter der Stärkung der Beziehungen zu ihren Unterdrücker:innen. Unter Trump wurden die US-Beiträge, die einen großen Teil des PNA-Budgets ausmachen, gekürzt, um Mahmud Abbas unter Druck zu setzen, sich dem „ultimativen Deal“ anzuschließen, den Trumps Schwiegersohn Jared Kushner mit dem damaligen israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu ausgehandelt hatte. Biden hat diese Zahlungen wiederaufgenommen, um sicherzustellen, dass die PNA ihr feindlich gesonnene Organisationen wie den Islamischen Dschihad unter Kontrolle halten kann.
Ein Teil von Trumps Vermächtnis, das Biden immer noch verfolgt, besteht darin, weitere arabische Staaten dazu zu bewegen, Israel anzuerkennen und jegliche aktive Unterstützung für die palästinensische Sache einzustellen. Trumps Pläne sahen die Schaffung einer israelfreundlichen Achse in der Region vor, zu der auch die saudische, jordanische und emiratische Monarchie gehören. Hinzu kommt die ägyptische Militärdiktatur, die von einer enormen gemeinsamen Rente aus den USA und Saudi-Arabien lebt und Tausende von politischen Gefangenen in ihren Gefängnissen hält, die gefoltert und misshandelt werden, ohne dass Washington sich beschwert.
In der Zwischenzeit ist Israel entschlossen, die Palästinenser:innen durch wiederholte Terroranschläge der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) in einem Zustand der apartheidähnlichen Trennung und wirtschaftlichen Verelendung zu halten. Sieben Millionen der insgesamt 14 Millionen Palästinenser:innen leben als Exilant:innen in den umliegenden Staaten der Region. Die Zahl derjenigen, die noch innerhalb der Grenzen von Palästina von 1948 leben, entspricht in etwa der der jüdischen Bürger:innen Israels.
Die Tatsache, dass die Palästinenser:innen in den von Israel kontrollierten Gebieten über weitaus weniger politische Rechte und wirtschaftlichen Wohlstand verfügen, ihnen aber das Recht auf Selbstbestimmung verweigert wird, ist ein unwiderlegbarer Beweis dafür, dass Israel ein rassistischer Siedler:innenstaat ist, der versucht, die Palästinenser:innen als Nation auszulöschen. Dieses Projekt kann nur durch mörderische Gewalt aufrechterhalten werden, wie die Äußerungen von Israels letztem Ministerpräsidenten Naftali Bennett zeigen, der als liberaler als Netanjahu gilt, aber 2013 sagen konnte: „Ich habe in meinem Leben viele Araber:innen getötet – und damit habe ich kein Problem“.
Eine wichtige Quelle des anhaltenden Widerstands befindet sich in Dschenin im Westjordanland, wo Shireen Abu Akleh ermordet wurde. In den letzten Monaten hat Israel eine Welle von Razzien im gesamten Westjordanland durchgeführt und damit Zusammenstöße mit militanten Palästinenser:innen ausgelöst, bei denen mindestens 25 Menschen getötet wurden.
Die westlichen Unterstützer:innen Israels, die den Umschwung ihrer eigenen öffentlichen Meinung gegen Israel spüren, insbesondere nach dem Blitzkrieg gegen Gaza und dem Abbruch jeglicher vorgetäuschter Verhandlungen über die chimärische Zweistaatenlösung, haben eine Lügenkampagne gestartet, in der behauptet wird, dass diejenigen, die Palästina unterstützen, Antisemit:innen seien. Dies zeigte sich in der erbitterten Kampagne gegen den lebenslangen antirassistischen Labour-Führer Jeremy Corbyn, dem Verbot der BDS-Bewegung in verschiedenen Ländern und dem Verbot propalästinensischer Demonstrationen durch die deutsche Regierung.
Doch wie das Schicksal der Apartheid in Südafrika gezeigt hat, wird ein reaktionäres rassistisches Projekt nicht ewig Bestand haben. Eines Tages wird Palästina frei sein, als ein säkularer und sozialistischer Staat für Palästinenser:innen und israelische Juden und Jüdinnen, die in Frieden und Gleichheit leben wollen.