Umar Javlad, Infomail 1184, 13. April 2022
Nach wochenlanger politischer Krise und einem Machtkampf zwischen seiner PTI-geführten Regierung und der Opposition endete die Amtszeit von Imran Khan als Premierminister am Samstag, den 9. April. Ein Misstrauensvotum, das von einer parlamentarischen Mehrheit um die traditionellen bürgerlichen Parteien Pakistan Muslim League – Nawaz (PML-N) und Pakistan People’s Party (PPP) durchgesetzt wurde, beendete schließlich die Regierung. 174 Abgeordnete – nur zwei mehr als die erforderliche Mehrheit der 342 Abgeordneten – sorgten für das vorläufige Ende von Khans Regierung.
Am Montag, den 11. April, wurde der PML-N-Vorsitzende Shehbaz Sharif mit denselben 174 Stimmen zum neuen Premierminister gewählt. Die Abgeordneten der PTI boykottierten die Abstimmung und Imran Khan rief zu Mobilisierungen gegen die neue Regierung auf.
Dies ist ein klares Zeichen dafür, dass die Wahl von Sharif zwar die Frage, wer die Regierung führt, für den Moment klären mag, dass sie aber die Spaltungen und den Machtkampf innerhalb der herrschenden Klasse oder die Polarisierung in der pakistanischen Gesellschaft nicht beenden wird. Das Land befindet sich nicht nur im Zentrum eines Kampfes zwischen den alten, westlichen imperialistischen Mächten, den USA und den europäischen Ländern, und dem neuen chinesischen Imperialismus. Es steuert auch auf eine wirtschaftliche Katastrophe zu. Die Rupie hat während Khans Amtszeit 40 % gegenüber dem US-Dollar verloren.
Ironischer Weise hat die Pandemie dazu beigetragen, eine wirtschaftliche Katastrophe zu vermeiden, da Geld in die Wirtschaft gepumpt und die Rückzahlung von Krediten aufgeschoben wurde. Nun müssen die Bedingungen der chinesischen und Internationalen Währungsfonds-Kredite erfüllt werden, während die Wirtschaft unter Abwertung, Schulden und massiven Preissteigerungen für Benzin und Strom leidet, die vor allem die Armen und die Arbeiter:innenklasse, aber auch die Mittelschichten und die kapitalistische Produktion treffen.
Vor diesem Hintergrund war der Machtkampf zwischen Khan und der Parlamentsopposition drauf und dran, die politischen Institutionen und das Land als Ganzes noch weiter zu destabilisieren.
Nach einer Reihe gewagter Manöver, zu denen auch offene Verstöße gegen die Verfassung des Landes und die Einmischung sowohl des militärischen Oberkommandos als auch des Chefs des Geheimdienstes ISI gehörten, wurde Khans Regierung zumindest formell verfassungsgemäß beendet. Noch vor der Abstimmung trat der Sprecher der Nationalversammlung, Asad Qaiser (PTI), zurück, und das Verfahren wurde an Ayaz Sadiq (PML-N) übergeben.
In den Wochen zuvor hatte Khan versucht, das Misstrauensvotum zu verhindern, und damit eindeutig gegen die Verfassung des Landes verstoßen. In einer Sitzung der Nationalversammlung am 3. April bezeichnete der Justizminister den Misstrauensantrag der Opposition als Teil eines ausländischen Komplotts. Dies wurde vom stellvertretenden Parlamentssprecher Qasim Suri akzeptiert, der den Misstrauensantrag auf dieser Grundlage abwies. In seiner Fernsehansprache an die Nation drückte er seine Freude über das Scheitern der „Verschwörung“ aus und erklärte, er habe den Präsidenten um die Auflösung der Versammlung gebeten, was dieser auch sofort in die Tat umsetzte, indem er Neuwahlen versprach.
Die Art und Weise, wie das Misstrauensvotum niedergeschlagen wurde, zeigt, dass die Widersprüche der herrschenden Klasse nicht auf verfassungsmäßigem Wege gelöst werden können. Das militärische Oberkommando kritisierte Khan offen für seine prorussischen Äußerungen und Angriffe auf die USA. Der Oberste Gerichtshof, eine weitere mächtige staatliche Institution, erklärte die Ablehnung des Misstrauensvotums für verfassungswidrig und forderte die Wiedereinberufung der Nationalversammlung. Das Gleichgewicht der Kräfte verschob sich eindeutig gegen die PTI-Regierung.
Am Tag der Abstimmung im Parlament erhielt Khan „Besuch“ von den Chefs der Armee und des ISI, die ihm klarmachten, dass er nachgeben und seinen Widerstand gegen die Übergabe der Regierungsgewalt im Parlament aufgeben müsse. Dies wurde auch von wichtigen Teilen der Kapitalist:innenklasse unterstützt, die eine „stabile“ Regierung forderten, die die bevorstehende wirtschaftliche Katastrophe bewältigen und den politischen Machtkampf vorerst beenden könnte.
Es ist natürlich höchst fraglich, ob die neue Regierung tatsächlich in der Lage sein wird, eine wachsende Krise zu überwinden. Was die gesamte politische Entwicklung beweist, ist, dass es zunehmend unmöglich ist, das System auf die alte Art und Weise weiterzuführen.
Mehr als drei Jahre lang basierte die Regierung Imran Khans auf extremer Tyrannei, und die Regierung regierte per Präsidialverordnung und nicht durch das Parlament. Sein Ziel war es, jede Opposition im Namen einer Kampagne gegen „Korruption“ zu zerschlagen. Dieser betrügerische „Kampf“ bildete den populistischen und zunehmend bonapartistischen Deckmantel für eine Politik im Namen der Reichen, wobei Khan eindeutig mehr dem chinesischen Imperialismus als den USA als Garanten für die künftige Entwicklung Pakistans zuneigte. Gleichzeitig musste Pakistan unter seiner Herrschaft das größte IWF-Paket in seiner Geschichte auf sich laden.
Seine Regierung war ganz klar eine Feindin der Arbeiter:innenklasse und der Armen. Mit ihrer Politik lieferte sie die pakistanische Wirtschaft dem chinesischen Kapital und dem IWF aus. Sie führte zur Verarmung von Millionen von Arbeiter:innen, Bauern und Bäuerinnen und verschaffte gleichzeitig den Kapitalist:innen Milliarden von Rupien. Große kapitalistische Exporteur:innen profitierten während der Pandemie von den staatlichen Hilfspaketen und Exportanreizen. Doch das Ende dieser kurzlebigen Wachstumsblase wird den Arbeiter:innen und den Armen in Stadt und Land das Leben zur Hölle machen. Der Sturm der Inflation hat ihr Leben zerstört. Infolgedessen wurden auch das Kleinbürger:innentum, die Freiberufler:innen und viele, die im informellen Sektor im Zuge der Urbanisierung arbeiten, weitgehend ruiniert.
In den Jahren der Regierung Khan ist die Zahl der Verschwundenen gestiegen und sie werden durch üble Propaganda beschuldigt. Denjenigen, die sich dem Terrorismus und der nationalen Unterdrückung widersetzen, wurde der Zugang zum Rechtswesen verweigert. Sie verloren ihre Arbeitsplätze und waren Gewalt und sogar Mordversuchen ausgesetzt. Gegen die Paschtun:innenschutzbewegung wurde eine bösartige Kampagne geführt, und die Frauen des Auratmarsches wurden der Blasphemie beschuldigt. Die Regierung war nicht bereit, irgendeine Art von Kritik zu dulden, und Imran Khan wollte das bestehende System diktieren. Eine Zeit lang genoss er die volle Unterstützung durch die militärische Führung.
Angesichts einer sich entwickelnden historischen Wirtschaftskrise wurde seine Regierung jedoch für die Bourgeoisie nutzlos und ihre Popularität in der Arbeiter:innenklasse und anderen Schichten sank rapide. Er versuchte, Unterstützung in Russland zu finden, wo Putins Modell eine Alternative zu den Vereinigten Staaten und Europa mit seinen Angriffen auf alle Arten von demokratischen Freiheiten und dem Einsatz von Krieg zur Überwindung seiner Krise bot.
Der Krieg in der Ukraine stellt das Ergebnis der Eskalation der imperialistischen Widersprüche dar und spaltet die Welt erneut in zwei Lager. In der aktuellen Situation zieht es ein großer Teil der herrschenden Klasse aufgrund der Handelsbeziehungen Pakistans und der Abkommen mit dem IWF sowie der Probleme des Chinesisch-Pakistanischen Wirtschaftskorridors (CPEC) vor, sich dem US-Lager anzuschließen. Das Ende der Herrschaft von Imran Khan ist das Ergebnis dieses Widerspruchs, der ihn zu einer Belastung für die herrschende Klasse machte.
Das Scheitern seines Projekts ist auch das der Generäle. Es ist gut, dass eine arbeiter:innen- und armenfeindliche Regierung zu Ende gegangen ist. Aber auch der Opposition darf man nicht trauen, obwohl sie von der Achtung der Demokratie spricht. Sie wird keinen grundlegenden Bruch mit der kapitalistischen und proimperialistischen Politik der Regierung Khan vollziehen. Sie wird versuchen, das Versagen seiner Regierung bei der Bewältigung der Wirtschaftskrise als Vorwand für Sparmaßnahmen, Kürzungen und Privatisierungen zu beschuldigen und die Massen für die Krise zahlen zu lassen. Es ist klar, dass die neue Regierung Massenwiderstand und Streiks gegen soziale Angriffe unterdrücken und angreifen wird. Sie wird demokratische und gewerkschaftliche Rechte abschaffen, wo es nötig ist. Sie wird weiterhin die Rechte von Frauen, nationalen und religiösen Minderheiten beschneiden. Und sie wird sich weiterhin auf einen Staatsapparat stützen, der von der Armee und dem ISI kontrolliert wird. Deshalb dürfen wir uns keinen Illusionen hingeben, dass die neue Regierung demokratische Freiheiten einführen wird.
Diejenigen Liberalen und Linken, die behaupten, die Absetzung Khans und die Wahl der neuen Regierung seien ein Sieg der Demokratie, irren sich. In Wirklichkeit handelte es sich um einen Kampf innerhalb der herrschenden Klasse, bei dem eine Fraktion vorläufig gewonnen hat.
Imran Khan und seine Partei stellen diese Situation als eine amerikanische Verschwörung dar. Er und seine Anhänger:innen haben Rücktritte aus den Parlamenten und eine Bewegung gegen die neue Regierung angekündigt, obwohl diese noch gar nicht gebildet ist.
Die PTI-Proteste vom 11. April deutlich gemacht, dass Stabilität nicht so schnell möglich ist.
Wichtige Teile der herrschenden Klasse fürchten sich vor dieser Situation, da sich die pakistanische Wirtschaft derzeit in einem Dilemma befindet. Sie glauben, dass die neue Regierung in dieser Situation besser in der Lage sein wird, eine Katastrophe zu verhindern. Sie hoffen, dass es möglich sein wird, bessere Bedingungen mit dem IWF auszuhandeln, so dass die Gewinne dieses Kapitals wiederhergestellt werden können. Aber, wie PML-N-Führer Miftah Ismail sagte, wird die Regierung schwierige Entscheidungen treffen müssen, um diese Krise zu lösen.
Kurzfristig könnte sie versuchen, die Massen durch einige Zugeständnisse wie die von Shehbaz Sharif angekündigte Erhöhung des Mindestlohns auf 25.000 Rupien pro Monat oder die Erhöhung der Renten ziviler und militärischer Beamt:innen um 10 % zu beschwichtigen. Aber das wird zu wenig sein, um auch nur die Einkommensverluste infolge der massiven Inflation der letzten drei Jahre auszugleichen.
Unter diesen Umständen sollten die Linke und Arbeiter:innenbewegung der neuen Regierung jegliche Unterstützung verweigern. Der Kampf für demokratische Freiheiten muss ausgeweitet werden und der demokratische Einsatz muss mit dem Ringen gegen die Wirtschaftskrise und die Angriffe auf die Arbeiter:innen verbunden werden. Ebenso müssen wir gegen die Kampagne der rechtspopulistischen PTI und Imran Khans kämpfen, die Antiamerikanismus und soziale Demagogie mit einer rechten, autoritären Agenda verbinden, die sich gegen die Arbeiter:innenklasse und die sozial Unterdrückten richtet.
Um eine Alternative zur neuen Regierung und ihren Unterstützer:innen sowie zur rechtspopulistischen PTI aufzubauen, müssen die Linke, Gewerkschaften, Frauenbewegung, Student:innen und national Unterdrückten ihre Kräfte für ein Aktionsprogramm um folgende Forderungen bündeln: einen Mindestlohn, der die Lebenshaltungskosten deckt; eine gleitende Skala von Löhnen und Renten; kostenlose soziale Dienste, Bildung und Gesundheit für alle; für Preiskontrollkomitees, die sich dagegen wehren, dass Arbeiter:innen und Arme zahlen müssen; für den Erlass von Schulden und die Enteignung von Großkapital und Finanzinstitutionen, um die Mittel daraus für einen Notfallplan gegen die Krise zu zentralisieren.
Es liegt auf der Hand, dass ein solches Programm, das die Imperialist:innen und die herrschende Klasse Pakistans zur Kasse bittet, auf offene Feindseligkeit und Angriffe seitens aller imperialistischen Mächte, der alten wie der neuen, seitens der neuen Regierung wie der falschen PTI-Opposition stoßen wird. Eine solche Bewegung kann in den Betrieben, in den Arbeiter:innenvierteln, in der Stadt und auf dem Land aufgebaut werden, indem Aktionskomitees gebildet werden, die den Kampf mit Streiks, Streikposten, Massendemonstrationen und durch die Organisation von Selbstverteidigung im Falle eines Angriffs organisieren.
Alle, die ein solches Vorgehen unterstützen, müssen nicht nur die Initiative für eine Einheitsfront für eine Arbeiter:innenantwort auf die Krise ergreifen – sie müssen auch die Initiative ergreifen, um ein politisches Instrument der Arbeiter:innenklasse zu schaffen, eine Arbeiter:innenpartei, die den Kampf gegen die drohende Katastrophe mit dem für eine sozialistische Revolution in Pakistan und darüber hinaus verbindet.