Arbeiter:innenmacht

Wilder Streik in Bornheim – Solidarität und Perspektive

Korrespondent Bonn, Infomail 1104, 22. Mai 2020

Genug ist genug. Den SpargelstecherInnen aus Bornheim reicht es, nachdem sie bis heute auf den größten Teil ihrer Löhne vom April warten und mit 50 bis 300 Euro abgespeist worden sind. Seit dem 18. Mai haben sie die Arbeit niedergelegt und sind in einen wilden Streik getreten. Mit Demonstrationen, Kundgebungen vor dem Sitz des Insolvenzverwalters haben sie gezeigt, dass Kampf, dass Widerstand selbst für gewerkschaftlich kaum organisierte ArbeitsmigrantInnen aus Rumänien und Bulgarien möglich sind, dass Solidarität kein leeres Wort ist.

Die Mobilisierung zwang das Unternehmen, das rumänische Arbeitsministerium sowie die BundesministerInnen Heil und Klöckner dazu, auf das Unternehmen, den Spargel- und Erdbeerhof Ritter in Bornheim, Druck auszuüben und den Beschäftigten einige Zugeständnisse zu machen. So wurden am Mittwoch, den 20. Mai, Löhne ausgezahlt und etliche ArbeiterInnen wurden in andere Betriebe nach Belgien und in Rheinland-Pfalz vermittelt. Viele der Beschäftigten nahmen das Angebot an, obwohl (oder weil?) die Gewerkschaft FAU nicht bei der Auszahlung dabei sein durfte, diese von Sicherheitsleuten überwacht wurde. Rund 30 Beschäftigte warten noch immer auf ihren Lohn. Effektiv wurde damit die Kampffront massiv geschwächt. Für die wenigen verbliebenen ArbeiterInnen wird es sehr schwer, ihre Interessen durchzusetzen.

Vorgeschichte

Mit Beginn der Coronakrise und dem Verhängen von Einreiseverboten war die Panik unter den deutschen LandwirtInnen und Agrarunternehmen groß. Wer würde im Frühjahr Spargel und Erdbeeren von den Feldern holen, wenn die dazu normalerweise angestellten ArbeiterInnen aus Osteuropa nicht über die Grenze dürfen?

Das Geschäft mit dem Spargel ist sehr lukrativ, allerdings auch deutlich arbeitsintensiver als die Ernte anderer Feldfrüchte. Es werden viele ArbeiterInnen benötigt, die den Spargel aus der Erde holen können. Diese Arbeit ist körperlich anstrengend und alles andere als leicht.

Auch der Spargel- und Erdbeerhof Ritter in Bornheim stand in den letzten Wochen vor diesem Problem und sicherlich freuten sich die ChefInnen, als im März klar wurde, dass es unter bestimmten Voraussetzungen doch möglich sei, billige Arbeitskräfte aus Rumänien und Bulgarien zu importieren. Der Hof steckt in der Krise. Das Unternehmen ist insolvent und die aktuelle Lage spitzt diese Krise noch zu. Doch wie immer sind es nicht die Bosse, die die Kosten der Krise tragen sollen, sondern die ArbeiterInnen. Zusammengepfercht in engen und mangelhaften Unterkünften verbringen die ca. 240 SpargelstecherInnen nach langen Tagen auf dem Feld dort ihre Freizeit.

Doch damit nicht genug, viele ErntehelferInnen berichten, bislang keinen bzw. zu wenig Lohn bekommen zu haben. Der Insolvenzverwalter des Hofes begründet dies damit, den Lohn gäbe es erst zum Ende des Arbeitsvertrages. Womit die Lohnabhängigen bis dahin ihre Rechnungen zahlen sollen, interessiert ihn offenkundig nicht.

Aktion

Vollkommen richtig war die Reaktion der ArbeiterInnen. Obwohl sie nicht in DGB-Gewerkschaften organisiert sind, begannen sie in den letzten Tagen einen wilden Streik, weigerten sich, auf den Feldern zu arbeiten und forderten die Auszahlung ihres Lohns.

Die Polizei wurde gerufen, um die streikenden ArbeiterInnen unter Kontrolle zu halten, und in der letzen Woche gab es Demonstrationen beim Hof und am Sitz der Insolvenzverwaltung.

Mittlerweile ist klar: Die Spargelernte soll abgebrochen werden. Was mit dem Lohn der ArbeiterInnen geschieht, die noch nicht bezahlt wurden, bleibt weiter unklar.

Dass nun Spargel nicht geerntet wird, weil den KapitalistInnen die Felle, also ihre Profite, davonschwimmen und sie die ArbeiterInnen nicht bezahlen wollen, ist nur ein weiteres Beispiel für die Absurdität der kapitalistischen Produktionsweise.

Die Teilerfolge für alle jene, die am 20. Mai Lohn erhielten, geht auf die Aktionen der Beschäftigten und die Unterstützung durch die anarchosyndikalistische Organisation FAU Bonn zurück, die auch mit dem rumänischen Konsulat und dem Insolvenzverwalter verhandelt hat bzw. die KollegInnen dabei unterstützte. Notwendig wäre freilich eine Verbreiterung der Solidarität, d. h. die Unterstützugn durch die gesamte Gewerkschaftsbewegung, insbesondere durch die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) und die IG Bauen-Agrar-Umwelt (BAU) gewesen. Um das Unternehmen in die Knie zu zwingen und die Entlassung der Beschäftigten zu verhindern, wären ein unbefristeter Streik und eine Betriebsbesetzung nötig gewesen.

Der Kampf hat freilich gezeigt, dass auch unorganisierte ArbeiterInnen unter überaus prekären und entrechteten Bedingungen kämpfen und Teilerfolge erzielen können. Der Spargel- und Erdbeerhof Ritter ist jedoch kein Einzelfall, sondern sein Geschäftsmodell steht für eine ganze Branche.  Es braucht zugleich eine politische Perspektive und klare Forderungen für die gesamte Sparte, für die die Gewerkschaften mobilisieren müssten:

  • Ausbezahlung der ausstehenden Löhne! Bereitstellung sicherer Unterbringung statt der Sammelunterkünfte!
  • Offenlegung der Finanzen aller Firmen! Entschädigungslose Enteignung aller Betriebe, die mit Entlassung drohen, Löhne nicht auszahlen oder Gesundheitsvorschriften missachten! Weiterführung und Wiederaufnahme der Ernte unter Kontrolle der Beschäftigen! Kontrolle der Einhaltung der Gesundheitsvorschriften durch die Gewerkschaften!
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