Arbeiter:innenmacht

Liebig 34 wurde geräumt – es lebe die Wohnungsspekulation!

Lukas Resch/Martin Suchanek, Infomail 1121, 11. Oktober 2020

Der Berliner Senat oder jedenfalls Linkspartei und Grüne geben sich „szenefreundlich“. Die Räumung wollten sie verschieben, eine „Dialoglösung“ finden und so wenigstens ein paar Stimmen bei den Wahlen abstauben.

Verhindern konnten und wollten sie das Aus für das besetzte Haus am 9. Oktober jedoch nicht. Für die BesetzerInnen gibt es allenfalls tröstende Worte und Bedauern über den Verlust an „Vielfalt“ und „städtischer Kultur“.

Den Taktstock des Senats schwangen einmal mehr Innensenator Geisel, Gerichte und die Polizeiführung. Diese Kräfte wollten aus verschiedenen Gründen lieber ein Exempel statuieren – sei es, weil ihnen ohnedies immer schon die angeblich so großzügige Duldung der wenigen verbliebenen linken Freiräume ein Dorn im Auge war, sei es, um der medialen bürgerlichen Hetze und den ScharfmacherInnen aus CDU, FDP und AfD durch eigene Law-and-Order-Politik den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Räumung geht schließlich auch sozialdemokratisch – mit stillschweigender Duldung von Grünen und Linkspartei, die bei aller Solidarität die gemeinsame Koalition nicht gefährden wollen. Wie schon beim Syndikat oder in der Friedelstraße agierte der Senat auch diesmal arbeitsteilig. Linkspartei, Grüne und der SPD-Nachwuchs namens Jusos drücken ihr Bedauern aus ob der Verhältnisse, die sie ansonsten gern „mitgestalten“, Geisel und Co. setzen sie durch. Gemeinsam geht es weiter in der Tagesordnung.

Auf den Kopf gestellt

Die Räumung der Liebig 34 wurde schon seit Wochen, ja Jahren medial vorbereitet. Vor und auch noch während der Räumung beschwor die Berichterstattung abwechselnd Gewaltexzesse tausender radikaler Linker, die aus ganz Europa angereist wären, oder von Kleingruppen, die möglichst viel Schaden in der Stadt anrichten wollten.

„Ich verurteile die blinde Gewalt aufs Schärfste“, twitterte Innensenator Geisel. „Wer Scheiben einschlägt und Autos anzündet, hat sich aus der politischen Diskussion verabschiedet“.

Und wie verhält es sich mit denen, die brutal ein anarcha-queerfeministisches Hausprojekt räumen, die mit tausenden Bullen gerade 57 (!) Besetzende aus dem Haus werfen und mit Räumungspanzern, Schneidegeräten … das Haus kaputt machen? Wie verhält es sich mit einem Innensenator, ja der gesamten Senatscombo, die 5.000 PolizistInnen aus Berlin und dem Bundesgebiet samt Räumpanzern, Wasserwerfern ankarren, die Kräfte der Bergrettung und des SEK in Abrufbereitschaft versetzen?

All das wurde als das nötige Minimum verkauft, um ein Haus mit gerade einmal 50 Menschen zu räumen. Die Realität spottete jeglichen Schreckensszenarien. Zwar konnten der Berliner Polizei „nur“ 1.500 Personen als Unterstützung zugesichert werden, die 300 DemonstrantInnen jedoch, die sich erst bis 22 Uhr an einem Konzert und die rund 1500, die sich am Morgen an weitgehend friedlichen Kundgebung beteiligten, verdeutlichen, dass hier ein politisches Zeichen gesetzt werden sollte.

Auch um die Hetze der Innenverwaltung und der Polizei zu stützen, wird jede Spontandemo, jede Protestaktion vor und nach der Räumung zum marodierenden Raubzug stilisiert. Ein Brand an der S-Bahn wird völlig unhinterfragt den Protestierenden zur Last gelegt.

Warum?

Es fragt sich freilich, warum auf solche massive Hetze gegen verbliebene Besetzungsprojekte zurückgegriffen wird?
Einen Grund stellt dabei zweifellos die grassierende und stärker werdende Wohnungsnot in der Stadt selbst dar. Nicht nur die Besetzungen sollen als solche kriminalisiert werden, der gesamte Kampf gegen private Miethaie, für Begrenzungen von Mietpreisen oder gar für die Enteignung des Kapitals – wie z. B. der Deutschen Wohnen – soll gleich mit kriminalisiert werden. Wer das Privateigentum und die verbrecherischen Machenschaften der Immobilienlobby angreift, soll selbst als geistiger/e BrandstifterIn an den Pranger gestellt werden.

Daher gerät ironischer Weise selbst der Berliner Senat von Seiten der WohnungsbesitzerInnen und der Medien ins Visier. Dem Regierenden Bürgermeister wird Untätigkeit vorgeworfen, der Linkspartei und den Grünen, dass sie dem Projekt im Sommer 2020 „volle Unterstützung“ zugesagt haben. Dass dieser Senat schon seit Jahren ein Hausprojekt nach dem anderen räumt und außer mit Worthülsen nichts zu deren Erhaltung beiträgt, scheint den solcherart engagierten ReporterInnen wohl entgangen zu sein.

Dabei zeigt sogar die Entwicklung seit den 1990ern deutlich, welche Position ein rot-grüner Senat in dieser Frage einnimmt. Nach der Wende und einem Regierungswechsel stand 1990 ein solcher vor der Aufgabe, die bisher praktizierte Politik der Räumung innerhalb von 24-Stunden („Berliner Linie“) weiter umzusetzen. Einen Höhepunkt erreichte dabei das Kräftemessen zwischen Senat und BesetzerInnen in der Räumung der Mainzer Straße am 14. November 1990.

Nach einem Kellerbrand räumten unter massiver Gewaltanwendung 3.000 PolizistInnen die insgesamt 13 besetzten Häuser. Obwohl sich das Räumungsbegehren, auf das sich die Polizei berief, nicht auffinden ließ, verurteilte der damalige Regierende Bürgermeister Momper (SPD), ganz so wie heute Geisel und Müller, die „Gewaltkriminalität“ und „Verrohung“ der BesetzerInnen.

Diese Niederlage lege den Grundstein für die Bereitschaft der BesetzerInnen, in Kooperation mit dem Senat Verhandlungen um die besetzen Häuser zu führen und Nutzungsverträge auszuarbeiten. Umgekehrt wollte auch der Senat die Lage befrieden. Eines dieser Objekte war das Haus in der Liebigstraße 34.

Als in den kommenden Jahren die Restitution durch die DDR enteigneter Immobilien vollzogen wurde, fiel auch dieses Haus aus den Händen der öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften zurück an eine Erbengemeinschaft, die die Interessen der ursprünglichen Besitzerin vertrat. Die in den Jahren davor hastig ausgearbeiteten Verträge und der Unwille des Senates, zu seinen Zusagen zu stehen, wurde den Hausprojekten nun zum Verhängnis.

Auf den guten Willen der neuen EigentümerInnen angewiesen, stimmten die Hausprojekte oftmals schlechten Deals zu, um weiter in den Objekten zu bleiben. Die Liebig 34 konnte sich 1998 einen bis 2008 dauernden Mietvertrag sichern. Als aber 2008 das Objekt zum Verkauf gestellt wurde, bekamen nicht die BewohnerInnen den Zuschlag, sondern der jetzige Besitzer, die Padovicz-Unternehmensgruppe, die zwar einem 10-jährigen Mietvertrag zustimmte, die Weiterführung dessen 2018 jedoch verweigerte.

Bei den darauf folgenden Gerichtsprozessen sah sich der Berliner Senat jedoch nicht in der politischen Verpflichtung, den Zustand der frühen 1990er Jahre wiederherzustellen, sondern verfolgte schweigend die rechtliche Scharade. Die Eigentümerin, die Padovicz-Unternehmensgruppe, ist dabei keine Unbekannte. Mit einem 2.000 Immobilien und dutzenden Unternehmen umfassenden Netzwerk rund um deren Verwaltung ist sie ein relevanter Faktor auf dem Berliner Wohnungsmarkt und für diesen auch recht charakteristisch. Nicht zuletzt ist sie bekannt für ihr extrem rücksichtsloses Verhalten gegenüber MieterInnen, wie HausmeisterInnen, die die Gartenprojekte von BewohnerInnen zerstören, Fahrräder als Sperrmüll entsorgen oder offenes Mobbing um unliebsame MieterInnen betreiben, um diese loszuwerden und so neue Mietsteigerungen durchzusetzen.

Was tun?

Dieser kurze Abriss verdeutlicht ausreichend, dass sich die Räumung der Liebig 34 und anderer Hausprojekte nicht nur gegen die linksradikale, autonome Szene, nicht „nur“ gegen Freiräume für Unterdrückte und gegen alternative Wohnformen richtet. Sie bildet einen Bestandteil der neoliberalen Privatisierungspolitik der letzten Jahrzehnte, die natürlich der Berliner Senat, ganz so wie praktisch alle kommunalen Verwaltungen im Interesse des Kapitals, vorangetrieben hat. Konzerne wie Deutsche Wohnen oder die Padovicz-UG wollen ihre Gewinne auch in Zukunft einfahren – und können sich dabei auf Gerichte, Polizei (einschließlich der sog. Gewerkschaft der Polizei) und Medien verlassen. Das reicht offenbar, damit der Senat nach ihrer Pfeife tanzt, auch wenn sie sicherlich CDU, FDP oder auch die AfD an den Schaltstellen des Senats vorziehen würden, statt ständig unsichere KantonistInnen von Linkspartei, Grünen und auch aus den Reihen der SPD unter Druck setzen zu müssen.

Diese Kapitalfraktion hat mit der Räumung der Liebig 34 zweifellos einen Sieg davongetragen. Und sie legt nach, indem sie die Beendigung der „unhaltbaren“ Zustände in der Rigaer Straße 94, einem der letzten verbliebenen Hausprojekte, fordert.

Der Zusammenhang zwischen Räumung linker Hausprojekte und der Auseinandersetzung um die Wohnungspolitik in Berlin verdeutlicht aber auch, dass die Unterstützung der von der Räumung Betroffenen nicht nur eine Frage der Solidarität und moralischer Verpflichtung gegenüber den Opfern von Miethaien, Gerichten und Repression darstellt, sondern auch im ureigenen Interesse der Masse der MieterInnen, der Klasse der Lohnabhängigen liegt.

Die mediale Hetze gegen „Randale“ und „linksradikale GewalttäterInnen“ soll nicht nur einen Spaltkeil zwischen die BesetzerInnen und die Masse der MieterInnen treiben, sie soll selbst bescheidene Reformprojekte wie den Mietendeckel, vor allem aber politische Kampagnen wie „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ (DWE) öffentlich in die Defensive bringen. Letztere wirft schließlich für den gesamten Wohnungsmarkt die Eigentumsfrage auf. In den Augen der Miethaie und Konzerne erscheint schon die Besetzung eines leer stehenden Hauses als „terroristischer“ Akt. Kein Wunder also, dass die Enteignung von milliardenschweren Konzernen als schlimmster aller Anschläge erscheinen muss, als Angriff auf die Freiheit des Privateigentums, als drohender Sozialismus.

Kampagnen wie „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ zeigen daher auch einen Weg auf, wohin der Kampf gegen Räumungen und für Enteignung gehen muss. So richtig die Solidarisierung mit Liebig 34 und anderen einzelnen Hausprojekten auch ist, so fehlt diesen eine über die Szene der radikalen Linken hinausgehende Mobilisierungsstrategie und ein Plan, die Masse der MieterInnen als Verbündete um gemeinsame politische Forderungen zu scharen – wie z. B. für entschädigungslose Enteignung des Immobilienkapitals und den massiven Neubau unter Kontrolle der MieterInnen und der lohnabhängigen Bevölkerung.

Es gilt zweifellos, den Preis für Räumungen in die Höhe zu treiben. Das wird aber nicht gelingen, wenn wie von Teilen der AktivistInnen darunter eingeschlagene Fensterscheiben oder beschädigte Häuser der Immobilienlobby verstanden werden. Solche Aktionen sind zwar als Ausdruck von Wut und Empörung verständlich, politisch sind sie oft wirkungslos. Vielmehr werden sie oft genug vom/von der politischen GegnerIn instrumentalisiert für öffentliche Hetze und Stigmatisierung, um die Spaltung zwischen BesetzerInnenszene und MieterInnen aus der ArbeiterInnenklasse aufrechtzuerhalten oder gar zu vertiefen.

Im Kampf gegen die Konzerne auf dem Wohnungsmarkt und gegen deren faktische Unterstützung durch den Senat brauchen wir mehr als den Protest einer zumeist studentisch und kleinbürgerlich geprägten BesetzerInnenszene. Es geht vielmehr darum, eine Massenbewegung aufzubauen, die sich auf die Masse der MieterInnen stützt, diese in MieterInnenkomitees um Kampagnen wie DWE organisiert und die von den Gewerkschaften und MieterInnenvereinigungen unterstützt und getragen wird. Eine solche Bewegung könnte nicht nur einzelne Räumungen effektiver verhindern, sie könnte der ganzen Immobilienlobby das Handwerk legen, indem sie die Quelle ihre gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Macht trockenlegt und den Kampf um deren Enteignung führt.

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