Arbeiter:innenmacht

Das Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz: Von Wutbullen und Beweislastumkehr

Jan Hektik, Neue Internationale 248, Juli/August 2020

Die Revolution hat begonnen! Der Berliner Senat führt mit dem Antidiskriminierungsgesetz (AGG) einen Generalangriff auf polizeiliche Befugnisse, welcher die Staatsmacht unterminieren und jegliche Arbeit der Polizei unmöglich machen wird. Oder jedenfalls könnte man das denken, wenn man sich anhört, was die Gewerkschaft der Polizei (GdP), im Unterschied zur Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG, Mitglied im Deutschen BeamtInnenbund DBB) Einzelgewerkschaft im DGB (!), über das neue Landesantidiskriminierungsgesetz Berlins so zu sagen hat.

Doch was sagt dieses Gesetz jetzt eigentlich genau?

Eigentlich nicht viel, es verbietet die Diskriminierung aufgrund von Ethnie, Hautfarbe, Geschlecht sexueller Orientierung usw. durch staatliches Handeln. Das ist an sich nicht neu, schon das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbietet sie bei der Gewährung von Leistungen, Bewerbungen und Ähnlichem. Weiterhin ist sie staatlichem Handeln sowieso nach Art 3 Grundgesetz (GG) verboten.

Neu sind eigentlich nur zwei Dinge. Erstens ermöglicht das Gesetz eine Klage auf Schadensersatz vor den Zivilgerichten gegen das Land Berlin. Zweitens sieht es vor, dass, nachdem glaubhaft gemacht wurde, dass eine Diskriminierung wahrscheinlicher ist, als dass keine vorlag, die Behörde dieses widerlegen muss.

Und genau da explodieren den Polizeibeamten die Köpfe. Vermutlich auch den Beamtinnen, aber da nahezu sämtliche öffentlichen Aussagen bisher von Männern getroffen wurden, werde ich mir hier das Gendern schenken.
Glaubt man der GdP und dem Tagesspiegel, so sieht das Gesetz eine komplette Beweislastumkehr vor, welche tiefstes Misstrauen gegen die Polizei zeige, dem deutschen Rechtssystem völlig fremd wäre und zu massiven Klagewellen führen würde.

Die Einwände sind vollkommener Schwachsinn und an den Haaren herbeigezogen, aber arbeiten wir sie einmal der Reihe nach durch.

1. Die Beweislastumkehr

Was das Gesetz aussagt, ist, dass es der Behörde die Pflicht auferlegt, die Diskriminierung zu widerlegen, WENN die Klägerseite glaubhaft macht, dass sie wahrscheinlich stattgefunden hat. D. h. diese Regelung greift überhaupt nur dann, wenn diese Glaubhaftmachung gelingt. Zwar reicht hierfür in der Regel eine eidesstattliche Versicherung, jedoch ist eine Falschaussage dabei strafbar und es wird auch schwierig, über die Motivation der BeamtInnen, welche die Maßnahme durchgeführt haben, eine glaubhafte Aussage zu treffen. Selbst wenn das gelingt, muss es immer noch wahrscheinlicher sein, dass eine Diskriminierung stattgefunden hat als nicht.

Die GdP schwadroniert von der Erschwerung der Bekämpfung von Clankriminalität, offenbar auch, weil alle kriminellen Organisationen natürlich immer ausschließlich aus AusländerInnen bestehen, wie man z. B. an den Hells Angels sieht. Ich lehne mich mal weit aus dem Fenster und behaupte, dass die Zivilgerichte bei einer Maßnahme, welche zu erfolgreichen Ermittlungsergebnissen gegen Clankriminalität geführt hat, davon ausgehen wird, dass die Motivation wahrscheinlich nicht diskriminierend war. Und schließlich ist Widerlegen nicht gleich Beweisen, also reichen auf Seite der Behörde auch Indizien, Aussagen und Begründungen. Und jede/r, der/die einmal mit der Polizei Kontakt hatte, weiß, dass sich nicht selten mehr PolizistInnen finden, die Dinge versichern als überhaupt vor Ort waren.

2. Misstrauen gegen die Polizei

Durch dieses Vorgehen würden die PolizistInnen unter Generalverdacht gestellt. Im Zweifel gegen die Polizei, so die GdP Bayern. Nur schade, dass sich die Klage gar nicht gegen BeamtInnen oder die Polizei richtet, sondern gegen das Land Berlin. Es sind auch keine Strafen angedroht, denn es handelt sich hierbei gar nicht um Strafrecht, sondern um Zivilrecht. Die Anspielung auf den strafrechtlichen Grundsatz im „Zweifel für die/den Angeklagte/n“ ist also schon deswegen Quatsch, weil es keine/n Angeklagte/n gibt, weil es sich nicht um Strafrecht handelt und dieser Grundsatz also gar keine Anwendung findet, und schließlich, weil es eben wie oben beschrieben gar keine Beweislastumkehr gibt!

3. Dem deutschen Rechtssystem völlig fremd

Dieser Vorwurf spielt auf den gerade beschriebenen Grundsatz im Strafrecht an. Wir hatten schon darauf hingewiesen, dass es um Zivilrecht geht. Also betrachten wir doch das Zivilrecht. Und plötzlich entdecken wir, dass es dort zwar auch die Beweislast für Klagende gibt, aber eben auch viele Ausnahmen, die eine umgekehrte Vermutung aufstellen z. B. im Kaufrecht, wo bei Mangelhaftigkeit der Kaufsache einer/s VerbraucherIn vermutet wird, dass die Sache bereits beim Kauf mangelhaft war und die/der VerkäuferIn das widerlegen muss.

Zweitens spielt Einwand 3 auf die Möglichkeit der Verbandsklage an. Das bedeutet, dass man nicht selbst verletzt oder betroffen sein muss, sondern dass auch ein Verband klagen kann, dessen Ziel das Vorgehen gegen Diskriminierung ist. Laut GdP sei dies neu.

Nur wieder schade, dass es Verbandsklagen schon seit Ewigkeiten gibt, beispielsweise für Umweltorganisationen, da man ansonsten schlecht gegen Umweltzerstörung klagen kann, weil man selbst nur mittelbar betroffen ist. Also auch hier sehen wir, dass diese Aussage nur dann nicht vollkommener Schwachsinn ist, wenn man sämtliche Fakten ignoriert und sie zusätzlich aus dem Zusammenhang reißt. Auch PolizeibeamtInnen sollten ein gewisses juristisches Grundwissen besitzen. Entweder verhindert ihre Empörung, dass sie einen Gesetzestext korrekt lesen können – oder sie führen bewusst die öffentliche Meinung in die Irre.

4. Die Klagewelle

Die bei Einführung des AGG beschworene Klagewelle stellt eine reine Schutzbehauptung dar. Auch bei anderen Gesetzen, die sich gegen Diskriminierung richten, ist sie nie eingetreten. Katrin-Elena Schönberg, Vorsitzende des Berliner Richterbunds, verweist zu Recht darauf, dass diese Regelungen weder neu sind noch die Überlastung von Gerichten zu befürchten sei. Und das, obwohl RichterInnen bei jeder Gelegenheit über die Überlastung der Gerichte jammern.

Jetzt haben wir nicht nur dargelegt, dass die Behauptungen der GdP vollkommener Schwachsinn sind, sondern sind auch gezwungen gewesen, einen großen Teil des Artikels damit zu verbringen, diesen zu widerlegen. Und genau darum geht es, wenn so etwas behauptet wird. Alles diskutiert über eine Beweislastumkehr, die es so nicht gibt, und die nicht einmal sonderlich ungewöhnlich wäre, gäbe es sie. Aber niemand beschäftigt sich mit der Frage, ob die Polizei oder Behörden im Allgemeinen diskriminierendes Verhalten an den Tag legen und ob dieses Gesetz eigentlich geeignet ist, dies zu bekämpfen.

Bewertung des Gesetzes

Wir gehen davon aus, dass die LeserInnen sich des Problems von „Racial Profiling“ und strukturellem Rassismus grundsätzlich bewusst sind.

Leider enthält das Gesetz eben nicht das, was die GdP kritisiert. Es stellt keinen Angriff auf die Befugnisse der Polizei oder anderer Behörden dar und es weitet nicht einmal den bestehenden Schutz vor Diskriminierung aus. Wie oben beschrieben sind neu nur der Schadensersatz, die Beweisfrage und die Verbandsklage.

Der Schadensersatz war prinzipiell schon vorher möglich, jedoch nur vor den Verwaltungsgerichten einklagbar und auch schwieriger zu beweisen. Diese bescheidene Verbesserung sollte nicht darüber hinwegtäuschen, was nicht geändert wurde. Es werden keine Maßnahmen ergriffen, um die betroffenen BeamtInnen zu disziplinieren, die Befugnisse der Polizei einzuschränken oder sonst irgendwie zukünftige Diskriminierung zu verhindern. Alles was passiert, ist, dass bei erfolgreicher Klage das Land Berlin einen Schadensersatz zahlt. Etwaige Ermittlungsergebnisse werden trotzdem verwertet, die Schikane wird bei der nächsten Kontrolle wieder stattfinden und Leistungen von den Ämtern werden weiter nur im Schneckentempo gewährt, wenn man einen nichtdeutschen Namen trägt.

Auch die Struktur der Polizei bleibt natürlich unangetastet. Diese ist ein hierarchisch strukturiertes Organ, welches nicht gewählt wird und der Aufrechterhaltung der Ordnung, aber eben der bürgerlich-kapitalistischen Ordnung dient – also vor allem der Verteidigung des Eigentums und seiner BesitzerInnen. Die Polizei stellt das Gewaltmonopol des bürgerlichen Staates nach innen dar (wie das Militär es nach außen tut) und stellt sicher, dass die kapitalistischen Verhältnisse auch mit Gewalt verteidigt werden: dass Wohnungen geräumt werden, wenn man sich die Miete nicht mehr leisten kann, dass Proteste niedergeschlagen werden, wenn sie für das kapitalistische System gefährlich zu werden drohen, dass Obdachlose vertrieben, SchwarzfahrerInnen und Menschen, die im Laden klauen, weil sie sich das Überleben kaum leisten können, festgenommen werden.

Als eine solche Stütze des kapitalistischen Systems reproduziert die Polizei zwangsläufig auch Rassismus und Sexismus. Diese beiden Formen der Unterdrückung sind untrennbar mit dem realen Kapitalismus verbunden. Die vorhandenen Spaltungslinien der Gesellschaft und auch innerhalb der ArbeiterInnenklasse werden nicht durch die Polizei hervorgebracht, aber durch deren Agieren unwillkürlich reproduziert oder gar verschärft. Ein Kampf gegen Diskriminierung durch die Polizei bleibt also bestenfalls Stückwerk, wenn er nicht mit dem gegen kapitalistische Ausbeutung und deren Repressionsapparat verbunden wird für eine Gesellschaft, die ohne bürgerliche Polizei auskommen kann. Dafür bietet das Gesetz natürlich keine Grundlage. Es ist nicht mehr als ein schönes Symbol eines Senats, der wenig tut und dafür auch mal links blinkt.

Perspektive

Doch die Angriffe der GdP auf das AGG schaffen Notwendigkeiten und Chancen, insbesondere jetzt, wo die Debatte um Rassismus aufgrund der Massenbewegung in den USA von links entfacht wurde. Übrigens argumentieren auch dort die Polizei„gewerkschaften“ auf die gleiche Art gegen Kontrolle über die BeamtInnen, gegen jede noch so kleine Reform, wie es unsere Bullen tun: mit den gleichen Verzerrungen der Realität und düsteren Aussichten auf unbekämpft zunehmende Kriminalität. Und genau wie dort macht dies notwendig, zunächst das AGG gegen diese Angrife zu verteidigen, bloßzulegen, wie falsch diese Behauptungen sind, aber auch darüber hinauszugehen und zu sagen: „Ihr mögt behaupten es gibt keine Amtshilfe nach Berlin mehr.“ Doch das sind leere Versprechungen, die GdP entscheidet nicht über die Amtshilfe.

Das Gesetz stellt kein generelles Misstrauen gegenüber der Polizei dar, aber dieses wäre angebracht! Wenn Ihr schon an die Decke geht, wenn man Euch auf die Finger gucken will und bei Verletzungen für Euch bezahlt, was macht Ihr dann erst, wenn wir – ähnlich wie bei der Bundeswehr – jeden Euro, jeden Cent für die bürgerliche Polizei ablehnen?

Wenn wir gegen Diskriminierung kämpfen wollen, müssen wir das selbst in die Hand nehmen. Die Linkspartei wird es nicht für uns tun und Grüne und SPD oder der Berliner Senat schon gar nicht. Was wir brauchen, sind Selbstverteidigungskomitees, welche sich gegen rechte Übergriffe (ob mit oder ohne Uniform) schützen und die Kieze, Betriebe, Schulen und Unis organisieren und gegen die Rechten und die KapitalistInnen verteidigen können.

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