Jürgen Roth, Infomail 1070, 27. September 2019
Am 25.9.2019 hat das Bundeskabinett u. a. die Eckpunkte zum Klimaschutzprogramm 2030 beschlossen. Diese waren zuvor, rechtzeitig zum Klimastreik, vom sog. Klimakabinett in der Nacht vom 19. auf den 20. September verabschiedet worden.
Einer der größten Streitpunkte war die Frage, wie man die CO2-Emissionen mit einem Preis versehen kann. Die SPD war für einen schnellen Preisaufschlag ab 2020, um das Wort CO2-Steuer nicht in den Mund nehmen zu müssen. Der Wirtschaftsflügel der Union hatte jedoch das Nachdenken über neue Steuern zum Tabu erklärt. Das CDU-Klimakonzept sah denn auch die Einführung eines Emissionshandels (CO2-Zertifikate) in Bereichen vor, wo dieser noch nicht gilt: im Verkehrs- und Gebäudesektor.
Der Vorteil aus Unionssicht: Der Handel würde frühestens in 3 Jahren, also nach der nächsten Bundestagswahl 2021, greifen. Die Zertifikate würden auch von den großen Öl- und Gasversorgern gehandelt, die die Kosten an die EndverbraucherInnen weiterreichen. Zudem käme das neue Preisschild aus der Privatwirtschaft, nicht vom Staat. Weil im Verkehrsbereich seit 1990 überhaupt kein Kohlendioxid eingespart wurde und die Emissionen bis 2030 um mindestens 40 % sinken sollen, müsste die Anzahl der Zertifikate sehr knapp bemessen sein und ihr Preis und mit ihm der für Kraftstoffe in die Höhe schnellen. Deswegen trat die Christenunion für einen Preisdeckel ein. Sollte dieser nicht genug Wirkung zeigen, wollte die CDU weitere Zertifikate emittieren für die Renaturierung von Mooren und Aufforstung des Waldes. Pflanzt Bäume und fahrt weiter SUV-Panzer, lautet das Motto dieser Mogelpackung.
Konsens innerhalb der Großen Koalition herrschte beim Ausgeben von Fördermilliarden: erhöhte Kaufprämien für E-Autos, besondere Förderung der Elektromobilität bei der Dienstwagenbesteuerung, Aufstocken des Ladesäulenprogramms, Senkung der Mehrwertsteuer für Bahnfahrkarten, Steuerförderung der Gebäudesanierung, Abgabe auf Inlandsflüge, Nachlässe bei der Stromsteuer bzw. unter bestimmten Umständen Erlass der EEG-Umlage. Auf 40 Milliarden Euro jährlich werden die Kosten dessen geschätzt. Ohne CO2-Steuer und/oder Subventionsabbau entsteht allerdings ein Haushaltsproblem. Die Regierung stellt sich vor, die Zusatzkosten aus dem Energie- und Klimafonds zu bestreiten. Dieser speist sich aus Bundeszuschüssen und dem Verkauf von Emissionszertifikaten an Kraftwerke und energieintensive Industrie und beläuft sich auf gerade mal 6 Milliarden!
Nachdem Deutschland sein angestrebtes Klimaziel für 2020 (40 % Reduktion im Vergleich zum Ausgangsjahr 1990) sicher verfehlen wird, erwarteten viele nun den großen Wurf, um den Rückstand (Ende 2018: erst 30,6 %) aufzuholen. Doch dem staunenden Publikum wurde ein Mini-Päckchen serviert, das den Kurs auf die Pariser Klimaziele nicht einhalten können wird. Beim strittigsten Thema innerhalb der GroKo, der CO2-Bepreisung, haben sich die Koalitionspartnerinnen auf einen Kompromiss geeinigt. Ab 2021 wird ein nationaler Emissionshandel für die Bereiche Verkehr und Gebäude aufgebaut. Zunächst sollen die Zertifikate einen Festpreis erhalten, was einer Steuer gleichkommt und die SPD ihr Gesicht wahren lässt. Der Einstiegspreis liegt bei 10 Euro pro Tonne. Im Europäischen Emissionshandel werden derzeit 26 bezahlt. Bis 2025 soll er schrittweise auf 35 Euro steigen. Ab 2026 wird eine von Jahr zu Jahr geringer ausfallende maximale Emissionsmenge festgelegt. Der Preiskorridor soll sich danach zwischen 36 und 60 Euro bewegen.
Dafür werden die BürgerInnen an anderer Stelle entlastet. Die Pendlerpauschale steigt um 5 Cent/km. Damit würden anfangs nicht nur die Preissteigerungen für Benzin und Diesel überkompensiert, sondern es profitieren zusätzlich am meisten noch die TopverdienerInnen! Aus den Einnahmen soll das Sinken der EEG-Umlage finanziert werden, beginnend mit ¼ Ct./KWh.
Von einem zuvor noch geäußerten Wunsch nach Ausbau der Erneuerbaren ist im Entwurf keine Rede mehr. Im Gegenteil: Die Bundesregierung will einen größeren Mindestabstand von Windkraftanlagen zur Wohnbebauung (1.000 m) einführen. Das soll auch für den Austausch alter Windräder gelten.
Dieser tagte am 23.9.2019 in New York. Sprechen durften nur PolitikerInnen mit vorweisbaren Klimazielen. Dazu gehörten nicht Australien, Brasilien, Japan und die USA. In diesem Kreis konnte Merkel die beschlossenen Maßnahmen verteidigen und unter den anderen Habenichtsen glänzen, obwohl sie angesichts des Mini-Päckchens nicht angeben konnte, wie viel Emissionseinsparungen es erbringen wird.
Das Kyoto-Protokoll setzte als Ausgangspunkt für die Bemessung der Klimaziele das Jahr 1990. Mit der Deindustrialisierung Ostdeutschlands nach der Wende als Folge des Treuhand-Kahlschlags gingen die CO2-Emissionen um 20 % binnen 10 Jahren zurück. Seither gab es nur einmal einen nennenswerten Rückgang bei der tiefen Rezession 2009. Danach stiegen die Emissionen wieder an. Lediglich 2018 führte ein milder Winter zu einer Abnahme. Die Bundesregierung hat sich verpflichtet, den CO2-Ausstoß bis 2020 um 40 %, bis 2030 um 55 %, bis 2040 um 70 % zu reduzieren. 2050 soll die BRD weitgehend klimaneutral wirtschaften.
Es wundert nicht, dass die Grünen, Umweltverbände, WissenschaftlerInnen und die Klimajugendbewegung das Klimapäckchen als völlig unzureichend bezeichnen. Mehrere Forschungsinstitute, die in „Climate Action Trackers“ zusammengeschlossen sind, rechnen vor, dass sich die Erde im Vergleich zur unmittelbar vorindustriellen Zeit in 16 Jahren um 1,5 °C, bis 2053 um 2 °C und bis Ende des Jahrhunderts um 3,2 °C erwärmt haben wird, falls keine zusätzlichen Maßnahmen zur Reduktion der Treibhausgase ergriffen werden. Kurz vor Beginn des Klimagipfels verbreitete die UN die Nachricht, 66 Länder (darunter auch die BRD), 102 Städte, 10 Regionen und 93 Unternehmen hätten sich bis 2050 zur Klimaneutralität verpflichtet. Ziele in weiter Ferne lassen sich wohlfeil und ungestraft verkünden. Wie diese erreicht werden können, das zeigten sie nicht.
Das größte Lager unter den KlimaschützerInnen stellen Leute vom Schlag des Grünen-Politikers Cem Özdemir. Sie sehen keine Systemfrage. Ökologie und Ökonomie seien vereinbar. Damit setzen sie das herrschende Wirtschaftssystem mit Wirtschaften schlechthin gleich. Im Wirtschaftswachstum können sie keinen prinzipiellen Widerspruch zum Klimaschutz entdecken. Senkung des CO2-Ausstoßes bleibt für sie eine Frage des politischen Willens, der sich gegen Partikularinteressen der Kohle- und Autoindustrie durchsetzen muss.
Ihnen gegenüber stehen die WachstumskritikerInnen. So macht die „taz“ die „Wachstumsfallen“ „Massenproduktion und Massenkonsum“ aus, die an ökologische Grenzen stießen. WachstumsfreundInnen wie –gegnerInnen vermengen dabei munter die stoffliche (die produzierten Güter, Gebrauchswerte) mit der finanziellen Ebene. Das Streben der Unternehmen nach Profiten ist für sie das Gleiche wie das Streben der Menschen nach mehr Konsumgütern. Der existierende Wachstumszwang ergibt sich aber nicht aus der unersättlichen „Natur des Menschen“, sondern aus der Eigenart des herrschenden Wirtschaftssystems.
Der „Wille“ zum Wirtschaftswachstum ergibt sich aus dem durch die Konkurrenz auferlegten Zwang dazu. Produktion findet nur statt, wenn sie sich rentiert, die Geschäftsbilanz wächst. Maßgeblicher Wohlstand in diesem kapitalistischen System besteht nicht in den produzierten Gütern, sondern im Wachstum von Kapitalsummen.
Deren VertreterInnen setzen auf Technologie und Innovationen, die gewährleisten sollen, dass dieser Reichtum sich weiter vermehrt – aber ohne ökologische Konsequenzen. In der Praxis verursacht Klimaschutz jedoch Kosten und diese sind ein Konkurrenznachteil für Unternehmen wie Standorte. Die Umwelt dient den kapitalistischen Unternehmen als kostengünstige Rohstoffquelle und Schadstoffdeponie. Technisch ist der Klimaschutz kein Rätsel, aber er muss auch rentabel gemacht werden. Damit sich Klimaschutz lohnt, versuchen ÖkonomInnen, die oft eine Wirtschaftskrise nicht erkennen, wenn sie vor der Haustür steht, einen CO2-Preis festzulegen, der den Ausstoß auf das politisch gesetzte Maß senkt und gleichzeitig Rentabilität und Wirtschaftsleistung steigert, wodurch Deutschland zur Klimatechnologie-Exportnation werden soll. Die Realität besteht also nicht im Kampf „der Menschheit“ um das Klima, sondern im Kampf der Standorte darum, wer die Kosten des Klimaschutzes zu tragen hat und wer die Früchte ernten wird. Diesem Kampf wird meist die Schuld dafür gegeben, dass es mit dem Klimaschutz kaum vorangeht. Doch spiegelt dieses politische Ringen lediglich die ökonomische Konkurrenz um Kosten und Erträge, um Anteile am Kapitalwachstum, das eben nicht alle brauchen.