Tobi Hansen, Neue Internationale 225, Dezember 17/Januar 18
Es gibt Kriege und Bürgerkriege, die stehen im Mittelpunkt des internationalen medialen Interesses. Das Gegenteil davon verkörpert der Krieg im Jemen seit 2013. Das ärmste Land der Arabischen Halbinsel steht kaum im Fokus der Öffentlichkeit. Neulich schaffte es ein Beinahe-Raketenbeschuss des Flughafens von Riad in die Weltpresse, aktuell ist es der Tod des Ex-Präsidenten Ali Abdullah Salih, welcher in Sanaa, wahrscheinlich von seinen ehemaligen Verbündeten, ermordet wurde.
Der Ausbruch einer Choleraepidemie, Millionen von Binnenflüchtlingen, massive Ernteausfälle, Hunger und Elend haben eines der ärmsten Länder der Welt in die Katastrophe gestürzt. Die Welt aber schaut zu und der „Westen“ unterstützt die kriegführenden Saudis, die 2015 einmarschiert sind.
2013 brach die Regierung von Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi zusammen. Sein Vorgänger Salih hatte seit 1978 den Nordjemen (Jemenitische Arabische Republik, Hauptstadt Sanaa) regiert und nach der Vereinigung 1990 mit der Demokratischen Volksrepublik (Südjemen, Hauptstadt Aden) auch den Gesamtstaat (Republik Jemen). Das Land wurde schnell von der Protestwelle des „Arabischen Frühlings“ erfasst. Als in Tunesien die Massen auf die Straße gingen, protestierten die Menschen in Sanaa und Aden. Diese Massenbewegung führte auch zum Ende der Regierung Salih. Dessen Nachfolger Hadi konnte aber kein stabiles Regime aufbauen.
Seit 2013 führten verschiedene Fraktionen im Jemen Bürgerkrieg: Generäle, die sich mit ihren Truppen als „Warlords“ gerierten; al-Qaida-Milizen, die als sunnitische Extremisten speziell die schiitische Bevölkerung attackierten; wie auch die schiitischen Huthi-Rebellen, die ihrerseits nach der Macht im gesamten Staat griffen. Sunnitische Milizen wie al-Qaida unterstützten zusammen mit Teilen des Militärs den Ex-Präsidenten Hadi, andere Teile des Militärs wie auch die schiitische gläubige Bevölkerung (30 – 40 Prozent der EinwohnerInnen) die Huthi-Rebellen. Diese eroberten 2015 die Provinzhauptstadt Ibb, beherrschten Teile der Hauptstadt Sanaa, lösten das Parlament des Jemen auf und ernannten ihr „Revolutionskomitee“ zur alleinigen Regierung. Dies erklärt auch, warum die Huthi inzwischen Ministerien wie zur Zeit das des Inneren unter Kontrolle haben.
Wie viele andere Halbkolonien ist auch der Jemen vom Verkauf der natürlichen Ressourcen abhängig. Das ärmste Land der Arabischen Halbinsel muss seine Öl- und Gasreserven ausplündern lassen, was vor allem US-amerikanische, französische und südkoreanische Unternehmen besorgen. Daraus erwachsen dem Land die einzigen nennenswerten Deviseneinnahmen und folglich auch die bedeutendsten Einkommensquellen. Ex-Präsident Salih hatte den im ehemaligen Nordjemen verankerten Huthis mehr Teilhabe an den Erlösen zugesichert. Einige Quellen bezeichneten ihn deshalb als „Überläufer“. Ihm gegenüber stand sein Nachfolger Hadi, welcher sich vor allem auf die Machtstrukturen des ehemaligen Südjemen stützte. Außerdem gibt es in beiden Landesteilen Sezessionsbestrebungen, welche natürlich vor allem den jeweiligen Eliten der Abtrünnigen zugutekommen sollen. Jede Kompradorenclique versucht, die alleinige Kontrolle über die Öl- und Gasfelder zu erlangen.
Ökonomisch betrachtet ist die Landwirtschaft weiterhin größtes Beschäftigungsfeld für die rund 28 Millionen JemenitInnen. Das BIP (2014 ca. 28 Mrd. US-Dollar) wird zu ca. einem Viertel im Agrarsektor erwirtschaftet, der über 50 % aller Arbeitskräfte beschäftigt. Die Industrie mit einem Anteil von knapp 9 % ist extrem unterentwickelt (15 % der Beschäftigten), der Dienstleistungssektor (vor allem rund um die Landwirtschaft und die Öl- und Gasbranche) hat einen Anteil von 67 % am BIP (ca. 36 % aller Beschäftigten).
90 % der Wasserressourcen des Landes müssen zur Bewässerung der Landwirtschaft aufgewendet werden, auch weil nur ca. 3 % des Landes agrarisch nutzbar sind. Der Bürgerkrieg und der Einmarsch Saudi-Arabiens haben Millionen ihrer Existenz beraubt. Die Ernten fielen aus, die Felder konnten nicht bestellt werden, Millionen sind auf der Flucht. Für die Resultate des Krieges sind auch die imperialistischen Staaten wegen ihrer Unterstützung der Saudi-Monarchie verantwortlich!
Der Erfolg der Huthi-Rebellen im Bürgerkrieg veranlasste diese aufstrebende Regionalmacht zum Angriff auf das Nachbarland. Offiziell soll die gescheiterte Regierung Hadis unterstützt werden, de facto geht es aber um die Verhinderung eines schiitischen Regimes auf der Arabischen Halbinsel. Schon 2012 schickte das Königshaus Truppen nach Bahrain, als dort die schiitische Bevölkerung gegen ihre Unterdrückung und Benachteiligung im Staat als Teil des „Arabischen Frühlings“ aufbegehrte und tagelang die Hauptstadt lahmlegte. Mit tausenden Soldaten, Panzern und Luftwaffe wurde ein friedlicher Protest zusammengeschossen. Die saudische Kriegsführung im Jemen ist allerdings nur vordergründig ein Konflikt zwischen SunnitInnen und SchiitInnen.
Die Blockade und Isolation von Katar zeigen deutlich: Religion ist nur Fassade! Der saudischen Hofclique geht es allein um die Beherrschung der Halbinsel und vor allem darum, jeglichen möglichen Einfluss des großen regionalen Konkurrenten, des Iran, zu verhindern.
In der Geschichte des Jemen hatte es lange relativ wenig religiöse Konflikte gegeben, im Gegenteil: Zwischen schiitischen ZaiditInnen und sunnitischen SchafiitInnen gab es regelmäßigen religiösen Austausch wie z. B. gegenseitige Predigten in den Gotteshäusern. Diese eher ausgleichende Praxis zwischen den islamischen Strömungen fand ihr Ende mit den 2000er Jahren. Der sunnitische Extremismus konnte sich in Form von al-Qaida-Gruppierungen wie (A)QAP (engl. Abkürzung für: al-Qaida on the Arabian Peninsula) verankern. Seit 2015 ist auch ein Ableger des sog. „Islamischen Staates“ im Jemen aktiv.
2015 bildete Saudi-Arabien eine Militärkoalition zum Einmarsch in den Jemen. Das Prinzip wurde von den USA übernommen, eine Koalition der Willigen zusammengesucht bzw. -gekauft. So wurden Ägypten, Bahrain, Katar, Kuwait, die Vereinigten Arabischen Emirate, Jordanien, Marokko, Sudan und Senegal Teil der sog. „Operation Decisive Storm“. Zunächst war auch Pakistan Teil des Militärbündnisses, lehnte aber die Luftangriffe ab und ist somit ähnlich wie Marokko eher passiver Teil der Allianz, während alle anderen Staaten Armeeeinheiten schickten. Dieses Militärbündnis wird logistisch, vor allem nachrichtendienstlich, von den USA, Frankreich und Großbritannien unterstützt. Diese imperialistischen Staaten setzen auf „ihren“ langjährigen Verbündeten Saudi-Arabien. Erst im Frühjahr 2017 unterschrieben die Saudis einen Rüstungsdeal mit den USA, welcher ein Volumen von über 300 Mrd. US-Dollar haben soll. Dazu kommen noch unzählige Abkommen mit europäischen Staaten wie Deutschland. Saudi-Arabien verfügt über eine moderne Armee und will diese für seine Ziele einsetzen.
Kronprinz Mohammed bin Salman hat sich in den Nachfolgekämpfen innerhalb der Dynastie durchgesetzt. Teile seiner Verwandtschaft sind wegen Korruption angeklagt und stehen in einem Luxushotel unter Hausarrest. Dort war auch der libanesische Ministerpräsident Saad Hariri kurzzeitig untergebracht. Dieser innere Machtkampf wird aktuell mit besonders aggressiver Rhetorik nach außen begleitet – nicht gerade ein Zeichen für innere „Stabilität“. Die internen Skandale, speziell mit dem Vorwurf der „Korruption“ garniert, erinnern der Form halber auch an die „Säuberungen“ innerhalb der chinesischen Bürokratie. Obwohl sich alle Teile des Königshauses wie auch seiner Hofbürokratie am erarbeiteten Reichtum bereichert haben, wird der Korruptionsvorwurf nur jenen zum Verhängnis, die in diesem Machtkampf unterliegen.
Die westlichen KommentatorInnen verweisen schnell auf diese Gegensätze am Persischen (Arabischen) Golf. Schließlich will auch die Regionalmacht Iran ihre Ambitionen aufrechterhalten, nicht nur im Irak, in Syrien und im Libanon. Diese Konfliktstellung zwischen beiden Regionalmächten ist Folge der zugespitzten imperialistischen Konkurrenz, insbesondere zwischen ihren im Hintergrund agierenden Schutzmächten USA und Russland. Es ist auch nicht verwunderlich, dass Saudi-Arabien eine aggressivere Politik einschlägt, gerade wenn die USA das Nuklearabkommen mit dem Iran aufkündigen wollen und im Kabinett stramme Kriegsbefürworter gegen diesen Staat sitzen.
So sehr die unmittelbar revolutionäre Perspektive auch im Jemen durch den Krieg verschüttet scheint, so schnell kann sich diese Lage ändern. Weder die Führung der Huthis, welche vor allem ihre Pfründe im Staat erhöhen will, noch der Ex-Präsident Hadi mit der saudischen Luftwaffe im Rücken werden dem jemenitischen Volk Frieden, geschweige denn eine Perspektive bieten können. Was den Bürgerkriegsaspekt des Konflikts betrifft, dürfen RevolutionärInnen keines der beiden Lager um Hadi- und Salih-AnhängerInnen unterstützen.
Doch neben den lange Zeit dominierenden Bürgerkriegscharakter im jemenitischen Krieg ist mit dem direkten militärischen Eingreifen Saudi-Arabiens, neben Israel eine der beiden Hauptstützen des US-Imperialismus in Nahost, eine zweite, zunehmend an Bedeutung gewinnende Komponente getreten. Die Bekämpfung dieser Aggression ist auch ein Ziel aller fortschrittlichen Kräfte. Im heutigen Konflikt treten wir deshalb für die vollständige Niederlage des saudischen Aggressors ein. Das schließt auch die Zusammenarbeit mit den jemenitischen Kräften wie den Huthi-Milizen ein, die sich der Intervention entgegenstellen, ohne deren politische Ziele und Führung auch nur einen Moment zu unterstützen.
Vor allem in Saudi-Arabien wie auf der gesamten Arabischen Halbinsel ist es darum Pflicht der ArbeiterInnen- und BäuerInnenmassen, den Kriegsanstrengungen der Monarchie eine Niederlage beizufügen. Dies gilt auch für die organisierte ArbeiterInnenbewegung weltweit. In Deutschland muss z. B. der Export von Rüstungsgütern nach Saudi-Arabien gestoppt werden.
Diese Taktik könnte sich freilich ändern, wenn der regionale Aspekt des Kriegs die Oberhand gewänne, also die beiden verfeindeten Streithähne als Stellvertreter Riads/Washingtons oder Teherans/Moskaus, also als diesen untergeordnete Kampfverbände, agierten und der Krieg zu einem reinen StellvertreterInnenkrieg werden würde.
Jemen war einer der ersten Staaten, die von den Massenprotesten 2011/2012 erfasst wurden. Diese führten zum Ende der über 30-jährigen Amtszeit Salihs. Heute müssen viele JemenitInnen in Saudi-Arabien arbeiten, sind z. B. als Tagelöhner und im Haushalt der Willkür des saudischen Herrschaftssystems ausgeliefert. Dieses islamistisch-klerikale System ist ähnlich der iranischen Theokratie im Inneren nicht stabil. Jede demokratische Bewegung, jedes Eintreten für die mindesten Frauenrechte, jegliche Bewegung der Millionen ArbeitsmigrantInnen kann diese Dynastie beenden und somit ein Zentrum der Reaktion, Ausbeutung und Unterdrückung in dieser Region zerschlagen. Letztlich müssen die BäuerInnen, die Armut in Stadt und Dorf, die ArbeiterInnen auf den Öl- und Gasfeldern und in der Stadt sich politisch organisieren, müssen für ihre sozialen und demokratischen Rechte eine Partei ihrer Klasse aufbauen, eine Partei der ArbeiterInnen, die die permanente Revolution, gestützt auf die BäuerInnenschaft, auf die Arabische Halbinsel trägt!