Arbeiter:innenmacht

Myanmar: Schluss mit den ethnischen Säuberungen gegen die Rohingya!

Dave Stockton, Infomail 960, 11. September 2017

Bis zum 9. September sind mehr als 120.000 muslimische Rohingyas aus ihrer Heimat in der Rakhaing-Provinz (Rakhine), auch als Arakan bekannt, im südostasiatischen Staat Myanmar geflohen. Sie waren einer Militäroffensive gegen dort vermutete Terroristen ausgesetzt, die am 25. August begann. Soldaten sollen dabei Dörfer gebrandschatzt, Frauen vergewaltigt und BewohnerInnen ermordet haben.

Die Flüchtlinge sind zu Fuß oder mit Booten geflohen. Es wird auch davon berichtet, dass etliche von Minen zerfetzt worden sind, die die Streitkräfte von Myanmar entlang der Grenze zu Bangladesch gelegt haben, oder ertrunken sind, als ihre Boote kenterten. Weitere 400.000 der muslimischen Minderheit scheinen noch im Konfliktgebiet eingekesselt zu sein und sich in Lagern und verwüsteten Dörfern aufzuhalten.

Die Auffanglager von Kutupalong und Nayapara in Bangladesch sollen mit geschätzt mehr als 30.000 Rohingya überquellen, während andere in Behelfszelten und benachbarten Dörfern hausen. Eine unbekannte Anzahl Flüchtlinge befindet sich anscheinend im Niemandsland zwischen beiden Staaten, wo Hilfe kaum oder gar nicht hingelangt. Die Streitkräfte von Myanmar, die Tatmadaw, erklären die schweren Körperverletzungen damit, die Rohingya würden ihre eigenen Dörfer niederbrennen!

Ein Idol mit Dreck am Stecken

Diese ethnische Säuberung geht ohne Kritik vonseiten der de facto Regierungschefin und Friedensnobelpreisträgerin des Landes Aung San Suu Kyi vonstatten, bislang als Heilige von den westlichen Medien gefeiert. In ihrer Dankesrede für den Nobelpreis sagte sie, ihr Lebensziel sei „eine Welt frei von Vertriebenen, Heimat- und Hoffnungslosen … eine Welt, in der jedes Fleckchen ein wahres Asyl ist, wo die EinwohnerInnen die Freiheit und die Möglichkeit haben werden, in Frieden zu leben.“

Man erzähle dies den Opfern dieses ungeheuerlichen Vorgehens! Aung San Suu Kyi hat sich nun als hochgradige Schwindlerin bloßgestellt. Die 20-jährige pakistanische Nobelpreisträgerin Matala Yousafzai hat ihre gleichermaßen ausgezeichnete Würdenträgerin aufgerufen, die „tragische und schändliche Behandlung“ der Rohingya zu verurteilen. Der Kolumnist des britischen Guardian George Monbiot fordert, der myanmarischen Politikerin den Preis überhaupt abzuerkennen.

Die Staatsberaterin und Generalsekretärin der „Nationalen Liga für Demokratie“ (NLD) schwieg bisher, als das Militär im nördlichen Rakhaing-Gebiet wütete, sah sich nun aber genötigt, Stellung zu den Vorfällen zu beziehen. Jedoch beschwerte sie sich dabei nur über die Berichterstattung zum grausamen Vorgehen des Militärs und erklärte diese zu „fake news“ und „Ansporn zum Terrorismus“.

Sie hat sich außerdem als gelehrige Schülerin des US-Präsidenten Donald Trump erwiesen, denn sie erklärte ferner: „Die Welt muss verstehen, dass die Angst nicht einfach auf Seiten der MuslimInnen, sondern genauso auf Seiten der BuddhistInnen liegt (…) ich glaube, dass sehr viele BuddhistInnen auch das Land aus verschiedenen Gründen verlassen haben und in den Flüchtlingslagern sind. Das ist das Ergebnis unserer Leiden.“

Ihre westlichen BewundererInnen, die sie Nelson Mandela und „Mahatma“ (Mohandas Karamchand) Gandhi gleichgestellt haben, behaupten, dass die zivilen VertreterInnen in Regierung und Parlament das burmesische Militär nicht kontrollieren und von daher nicht in deren Operationen eingreifen könnten. Der britische Außenminister Boris Johnson erklärte, dass Aung San Suu Kyi „sich vor gewaltige Aufgaben zur Modernisierung ihres Landes gestellt sehe“ und dass es „lebenswichtig“ sei, „dass sie die Unterstützung des burmesischen Militärs erhalte und dass ihre Versuche, den Frieden herzustellen, nicht vergeblich seien. Sie und alle in Burma haben dabei unsere volle Unterstützung“.

Britannien, verschiedene europäische Staaten und die USA haben alle stark auf Aung San Suu Kyi gesetzt. Als Myanmar viele Jahre vom brutalen Regiment der Tatmadaw beherrscht wurde und fest an China ausgerichtet war, konnten die Westmächte und ihre Medien nicht genug Loblieder auf „Die Dame“ singen. Die Verleihung des Friedensnobelpreises war eine Folge davon. Die scheinbare „Rückkehr zur Demokratie“ 2011 ermöglichte einem Kreis von westlichen multinationalen Konzernen die Eröffnung von Büros in der Hauptstadt Yangon (Rangun) mit der Erwartung einträglicher Profite. Bis zur gegenwärtigen Flüchtlingsflut haben deren VertreterInnen die Nobelpreisträgerin immer wieder in Schutz genommen.

Doch die Fassade der Demokratie war dünn. Suu Kyi durfte nicht für das Präsidentenamt kandidieren, und die NLD-Kandidatin und die Regierung waren in ihren politischen Mitteln beschränkt. Die für die Streitkräfte zuständigen Ministerien und ihr Haushalt wurden voll unter militärischer Kontrolle belassen. Ihre VerteidigerInnen sagen, dass sie in der Klemme steckte und das Militär nicht herausfordern durfte, weil sie sonst wieder einen Putsch gegen die Zivilregierung riskiert hätte.

Zugleich waren die Hauptnutznießer der „Redefreiheit“ die buddhistischen Mönche, deren Safran-Revolution im September und Oktober 2007 die Generäle davon überzeugte, dass sie allmählich und vorsichtig die erste Reihe der Macht an sorgsam herangezogene ZivilistInnen abtreten sollten. Natürlich haben sie diesen Protest zunächst zerschlagen, danach wurden diese Bewegung und ihre Anführer jedoch inkorporiert. Nun, behaupten westliche KommentatorInnen, wage Aung San Suu Kyi es nicht, die weit verbreiteten buddhistischen und nationalistischen Gefühle zu verletzen, die zur Zeit äußerst islamfeindlich sind, denn es würde die Wahlchancen ihrer Partei mindern. In Wirklichkeit jedoch handelte sie als Feigenblatt und jetzt als offene Verteidigerin der Mörder aus dem Militär.

Eine lange Tradition von Rassismus und Repression

Die Unterdrückung der Rohingya in Myanmar ist nichts Neues. Der Staat verweigert ihnen die Anerkennung als StaatsbürgerInnen und auch als eine der 135 im Land verzeichneten Ethnien, da sie in Wirklichkeit Bangladeschis oder Bengalis seien. Aung San Suu Kyi selbst weigert sich, sie als Rohingya zu bezeichnen. Tatsächlich aber haben HistorikerInnen nachgewiesen, dass die Rohingya-Gemeinschaften schon Jahrhunderte in Rakhine gelebt haben, obwohl ihre Zahl sich durch den Zuzug von Arbeitskräften aus Bengalen unter der Herrschaft britischer Rajs (Könige) in Indien vergrößert hat. Jedenfalls haben sie keine andere Heimat, und sie als AusländerInnen im eigenen Land zu behandeln oder dabei zu helfen, sie zu vertreiben, ist ein bösartiger Akt von Chauvinismus und nationaler Unterdrückung.

Niemand sollte von Aung San Suu Kyis Reaktionen oder ihrem Nichtstun überrascht sein. 2013 zur Zeit der bereits damals landesweiten Stimmungsmache gegen MuslimInnen durch buddhistische Mönche und UltranationalistInnen gab sie den BBC-Nachrichten ein Interview, in dem sie gegenüber der Interviewpartnerin Mishal Husain die Gewalt von „beiden Seiten“ beklagte und sagte: “Muslime und Muslima sind betroffen gewesen, aber auch BuddhistInnen haben Gewalt erlitten.“

Dies sagte sie trotz der Tatsache, dass es eindeutig buddhistische Mönche waren, die damals die Pogrome gegen die muslimische Gemeinde von Meiktila in Zentralmyanmar anführten. Dabei wurden Häuser angezündet, und mehr als 40 Menschen starben. Als Speerspitze der meisten gegen die Rohingya gerichteten Aktionen operierte die faschistische „969 Bewegung des Buddhismus“ unter Führung von Ashin Wirathu. Diese Organisation ruft offen zur Ausrottung von ethnischen Minderheiten in Myanmar auf. Sie verteilt hasserfüllte Pamphlete gegen Minderheiten im Allgemeinen und MuslimInnen im Besonderen.

Die systematische Unterdrückung der Rohingya beschränkt sich jedoch nicht auf die faschistische Gewalt des buddhistischen Chauvinismus. Parlament und Regierung haben eine Reihe von Gesetzen erlassen, die Ehen zwischen StaatsbürgerInnen von Myanmar und den staatenlosen Rohingya praktisch untersagen. Konfessionswechsel unter 18 Jahren sind nicht erlaubt, danach nur mit Billigung von örtlichen Verwaltungen. Diese können Minderheiten auch Geburtenkontrollen auferlegen.

Diese unverhohlenen rassistischen Gesetze machen der muslimischen Minderheit das Leben noch unerträglicher. Die Aktionen der buddhistischen Straßenbanden, des Militärs und der GesetzgeberInnen verfolgen bei allen Differenzen ein gemeinsames Ziel: die Rohingya ganz aus Myanmar zu vertreiben.

Radikalisierung und Widerstand

Bis vor ein, zwei Jahren schien es trotz der grausamen Unterdrückung kaum Anzeichen für eine Radikalisierung unter den Muslimen und Muslima Myanmars zu geben. Im vergangenen Oktober und November führte aber eine bewaffnete Gruppe, die sich als Harakah al-Yakin (Glaubensbewegung auf Arabisch) bezeichnete und sich jüngst in Arakan Rohingya Rettungsarmee (Arakan Rohingya Salvation Army) umbenannt hat, Angriffe gegen die Regierungstruppen durch.

Ein Bericht der International Crisis Group, der im Time-Magazin Dezember 2016 erschien, schildert: „Am 9. Oktober hat die Glaubensbewegung vor Tagesanbruch Überfälle auf 3 Grenzpolizeistützpunkte verübt, darunter einen waghalsigen Angriff auf das Hauptquartier, eine Schlüsselstellung des Sicherheitsapparats. Es wurde in einer komplexen Attacke mit mehreren hundert Angreifern gestürmt. Dabei wurden selbst gebaute Sprengkörper eingesetzt und Hinterhaltsstellungen zum Beschuss des Zugangswegs gelegt, womit sich die Ankunft der Armeeverstärkung verzögerte, während die Angreifer die Waffenkammern plünderten. Bei einem weiteren Zusammenstoß am 12. November wurde ein höherer Armeeoffizier getötet. Diese Aktionen waren das Werk von entschlossenen, gut ausgebildeten Aufständischen, die wahrscheinlich weitere Angriffe ausführen werden.“

Harakah al-Yakins Wurzeln scheinen in Rohingya-Emigrantenkreisen zu liegen, die nun in Saudi-Arabien leben. Ihr Sprecher „Ata Ullah“ (Ataullah abu Ammar Jununi) hat in mehreren Videobotschaften erklärt, die Gruppe hätte zwei Jahre hunderte von Rekruten in Guerrilakampftechnik und Sprengstoffgebrauch ausgebildet und operiere nun im nördlichen Rakhaing-Gebiet. Die Flüchtlingslager für die Rohingya in Bangladesch könnten zweifellos ein Nährboden für die Rekrutierung solcher KämpferInnen sein. Sie werden auch Verbindungen zu den internationalen dschihadistischen Organisationen aufbauen, wenn dies nicht bereits geschehen ist. Doch laut der International Crisis Group bleibt es ein ortsgebundener und landesweiter Aufstand gegen die Sicherheitskräfte Myanmars und hat sich bislang nicht gegen ZivilistInnen oder nichtmuslimische religiöse Ziele gerichtet. Das alleinige erklärte Ziel der Bewegung bleibt die Sicherung der Rechte der Rohingya als StaatsbürgerInnen in Burma.

Der bewaffnete Selbstschutz und die Guerrillataktik sind eine Antwort auf die Aktionen der Tatmadaw, aber die Kraft, deren es bedarf, um die Rohingya zu befreien, muss bei den ArbeiterInnen und fortschrittlichen antichauvinistischen Jugendlichen in Myanmar und auch der umliegenden Länder liegen. Es liegt auf der Hand, dass Aung San Suu Kyi selbst als Demokratin eine Luftnummer ist, von der nichts zu erwarten und der nicht zu vertrauen ist. Das wird immer klarer, wenn ihre Rolle als Marionette für das Militär stärker hervortritt, oder wenn sie wie eine ausgequetschte Zitrone beiseite gewischt wird, da sie alle Glaubwürdigkeit verspielt hat.

International sollten SozialistInnen und die ArbeiterInnenbewegung die Beendigung aller wirtschaftlichen und logistischen Unterstützung für das Militär in Myanmar und seine Regierung fordern. Wir sollten stattdessen massive Hilfe für die Rohingya-Flüchtlinge und deren Aufnahme in verschiedene Staaten, darunter auch Australien, die EU und USA fordern. Wir sollten dem Widerstand der Rohingya beistehen, aber die vorherrschende Guerrilla-Strategie als ungeeignet für die Befreiung kritisieren und Taktiken, die in Kommunalismus oder religiöse Engstirnigkeit münden, ablehnen.

Wir rufen zum Rückzug des Militärs und der Polizei aus dem Rakhine-Gebiet auf und treten für den Aufbau demokratischer Milizen der EinwohnerInnen aller Nationalitäten, Religionen und Sprachgemeinschaften ein, so dass die Rohingya auf ihr Land und in ihre Dörfer zurückkehren können. So kann eine Grundlage gelegt werden für die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechtes der Rohingya.

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