Jan Hektik, Neue Internationale 238, Juni 2019
Seit Fridays for Future (FFF) hunderttausende Jugendliche weltweit auf die Straße bringt, ist der Klimawandel ein Thema, das überall und vermehrt diskutiert wird. Am 24. Mai gingen allein in Deutschland wieder über 300.000 SchülerInnen und erwachsene UnterstützerInnen auf die Straße. Weltweit sollen sich 1,8 Millionen Menschen beteiligt haben. Für den 21. Juni plant die Bewegung eine europaweite Massendemonstration in Aachen samt Unterstützung der Aktionen von „Ende Gelände”. Am 20. September soll ein weiterer Klimastreik samt Aktionswoche folgen, die mit einem weltweiten Generalstreik (Earth Strike) am 27. September abgeschlossen werden soll.
Alle seriösen wissenschaftlichen Erkenntnisse belegen, dass sich etwas ändern muss und zwar grundsätzlich und sehr schnell! Doch es ist auch klar, dass die etablierten Parteien – insbesondere CDU, SPD, FDP und AfD – dies weder durchsetzen wollen noch werden. Dass zumindest der Jugend dies klar ist, zeigt alleine die explodierende Bekanntheit des Videos von Rezo, welches beim Verfassen dieses Artikels 11 Millionen Views hatte. Folgerichtig mobilisiert FFF auch weiter auf der Straße und an den Schulen. Hierbei sind vor allem drei Aspekte maßgeblich für den Erfolg der Bewegung.
FFF mobilisiert die SchülerInnen aus den Klassenräumen auf die Straße und trägt den Protest sichtbar an die Öffentlichkeit. Die Jugendlichen bauen Druck auf, vernetzen sich und versuchen, die Bewegung zu verstetigen. Vor unseren Augen entsteht eine fortschrittliche neue Massenbewegung, die sich einer zentralen Überlebensfrage der Menschheit annimmt und die das Potential hat, zu einer dauerhaften, langfristig kämpfenden Bewgung zu werden. All dies verdeutlicht ihre Bedeutung.
Auch die Wahl des Mittels zeugt von einem richtigen Verständnis, wie man politische Veränderungen erkämpfen kann. Das Mittel des Streiks ist seit jeher die Waffe der Lohnabhängigen, der Ausgebeuteten, der Unterprivilegierten gegen Staat und Kapital, um wirklichen und gesellschaftlichen Druck aufzubauen. Leider richtet dieser, solange er nur durch SchülerInnen praktiziert wird, keinen wirtschaftlichen Schaden an. Solange „nur“ SchülerInnen streiken, stehen eben nicht alle Räder still. Deshalb geht es darum, auch die Lohnabhängigen und die Gewerkschaften für die Bewegung zu gewinnen – und zwar nicht nur als sympathisierende UnterstützerInnen, sondern als eine zentrale Kraft der Bewegung. Der Streik an der Schule muss zum Streik im Betrieb werden. Schon heute sind auch Tendenzen der Solidarität zu erkennen, z. B. hat die GEW dazu aufgefordert, den Streik der SchülerInnen solidarisch zu unterstützen. Entscheidend wird jedoch sein, dass sie selbst auch zum Arbeitskampf aufruft. Die gewerkschaftliche Mobilisierung, betriebliche Aktionen und Streiks beim globalen Klimastreik wären dazu ein wichtiger Schritt. Die DGB-Gewerkschaften sollten ihre Mitglieder zu einem Massenstreik an diesem Tag auf die Straße und vor die Betriebe mobilisieren!
Es ist auch besonders bedeutsam, dass es gerade die Jugend ist, die sich gemeinsam erhebt und ihren Protest auf die Straße trägt. Dies ist natürlich auch einleuchtend angesichts der Tatsache, dass sie die Folgen der Politik der „Alten“ – genauer der Regierungen und PolitikerInnen, die die Interessen des Kapitals vertreten -, ausbaden müssen. FFF legt dabei auch den Grundstein für das Entstehen einer neuen, massenhaften Jugendbewegung, die sich nicht nur der ökologischen Frage, sondern auch des gesamten Kampfes gegen Ausbeutung und Unterdrückung, gegen Rassismus, Sexismus und Imperialismus annehmen kann und sollte.
Die streikenden SchülerInnen haben die Notwendigkeit eines internationalen Kampfes erkannt. FFF war von Beginn an eine globale Bewegung, um ein globales Problem anzupacken. Und das ist gut so. Schließlich hält sich der CO2-Ausstoß auch nicht an Landesgrenzen. Folglich ist es auch besonders essentiell, internationale Proteste zu verbinden. Es wäre beispielsweise sinnvoll, eine internationale Aktionskonferenz einzuberufen, um die Proteste inhaltlich und aktionistisch miteinander zu verbinden und Strukturen zu schaffen, welche eine Koodination des Protestes ermöglichen. Die Mobilisierung nach Aachen stellt einen bedeutenden Schritt dar, die AktivistInnen aus verschiedenen Ländern nicht nur in einer Aktion zu verbinden, sondern auch direkte Netzwerke aufzubauen und in Aachen selbst über die Form und Notwendigkeit einer solchen demokratischen Koordinierung zu diskutieren.
Doch die Bewegung hat auch einige Schwächen, die genau wie ihre Stärken richtig erkannt und angegangen werden sollten und die es zu überwinden gilt.
Zunächst ist hier ihre Orientierung am Pariser Abkommen zu nennen. Sich Klimaziele zu setzen, ist zwar gut und richtig, aber absolut nicht ausreichend. Weder wird erwähnt, wie und durch wen die Ziele erreicht werden sollen. So bleiben sie – selbst wenn Länder wie die USA nicht ausgetreten wären – letztlich unverbindliche Absichtserklärungen, die ihre Grenze an den Profitinteressen des Kapitals finden. Angesichts der zunehmenden internationalen Konkurrenz und eines erbitterten Kampfes um die Neuaufteilung der Welt wollen natürlich alle bürgerlichen Regierungen dafür sorgen, dass Klimaschutz nicht auf die eigenen Kosten geht. Die Entwicklung der letzten Jahre bedeutet, dass die reichen, imperialistischen Länder denen des Südens die Kosten für den Klimaschutz aufhalsen wollen. Solange die Profitinteressen die Wirtschaft bestimmen, kann daher von einer nachhaltigen oder wirksamen „Umweltpolitik” keine Rede sein.
Die Bewahrung und Regeneration der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit, die Rettung einer lebenswerten Umwelt stößt im Kapitalismus an Systemgrenzen. Um wirksame, globale Maßnahmen durchzusetzen, müssen die Konzerne und die großen VermögensbesitzerInnen enteignet und die Wirtschaft gemäß den Interessen der arbeitenden Menschen und den Erfordernissen ökogischer Nachhaltigkeit umgestaltet werden. Die Reichen müssen für die Rettung der Umwelt bezahlen, das kapitalistische System muss beseitigt und durch eine demokratische, sozialistische Planwirtschaft ersetzt werden.
FFF scheint große Illusionen in die Grünen zu hegen. Wenn wir uns den Zusammenhang von Kapitalismus und Umweltzerstörung vor Augen halten, wird auch schnell klar, warum das problematisch ist. Mit den Grünen ist keine Politik gegen die Konzerne möglich. Sie wollen die Quadratur des Kreises und versprechen einen „Green New Deal“, der den Kapitalismus „zügeln“ und ökologisch umgestalten soll. Doch das ist eine Illusion, ein leeres Versprechen, wie die Grünen selbst beweisen, wenn sie an der Regierung sind. Die Landesregierung in Baden-Württemberg sucht den Schulterschluss mit den Automobilkonzernen, setzt auf private Elektroautos statt auf öffentlichen Verkehr – und erfreut sich der Beliebheit der Konzernchefs. In Nordrhein-Westfalen haben die Grünen an der Landesregierung der Rodung des Hambacher Forstes zugestimmt – und tun jetzt so, also hätten sie damit nichts zu tun. Und in der Kohlekommission haben sie einen faulen Kompromiss akzeptiert, der vor allem die Kohle der Kohlekonzerne vergoldet. Die Grünen haben – wie manche NGOs – auch immer wieder bewiesen, dass sie die Interessen des Kapitals über ihre Grundsätze stellen, sofern jene diesen zuwiderlaufen.
Genau deshalb ist es auch problematisch, dass viele führende Mitglieder von FFF bei den Grünen oder NGOs organisiert sind und faktisch die Kontrolle über alle wichtigen Entscheidungen ausüben. Damit untergraben sie nicht nur die Demokratie von FFF, sondern lenken auch die Bewegung in eine für das Kapital ungefährliche Richtung. Damit verunmöglichen sie, sofern sie erfolgreich bleiben, die Erreichung der Ziele, die sich FFF gesetzt hat. Dieser Bewegung zu helfen, sich von der politischen Dominanz der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Kräfte zu befreien, ist Aufgabe revolutionärer Kräfte. Daher braucht es eine offene politische Diskussion über die verschiedenen Programme, Strategien, Taktiken – und vor allem über die Notwendigkeit, die Bewegung gegen den Verursacher der Misere zu richten – den Kapitalismus.
Große, ja entscheidende Teile des Kapitals haben kein Interesse an einem wirksamen Umweltschutz, da er ihre Geschäftsinteressen unmittelbar bedrohen würde. Die großen Öl-, Gas, und Bergbau-Konzerne, die Energiewirtschaft und die meisten großen Monopole setzen nach wie vor auf fossile Energieträger, weil sie fette Gewinne versprechen. Auch die Kapitale, die auf erneuerbare Energien bauen, sind in erster Linie am Profit und nicht an der Umwelt oder an Nachhaltigkeit interessiert. Schließlich führt das marktwirtschaftliche System der Umweltpolitik nicht nur zu aberwitziger Konzeptlosigkeit, sondern geradezu zu Verschwendung und zugleich dazu, dass gerade jene Länder und Bevölkerungsschichten, die am meisten von Klimawandel und anderen globalen Umweltproblemen (Wasserknappheit, Umweltverschmutzung, Müll, …) betroffen sind, über die geringsten Mittel verfügen, um etwas gegen die Probleme zu tun.
Dies liegt in der Natur des Kapitalismus, welcher durch seine Konkurrenz nur Profitstreben ermöglicht. Auch die kleinbürgerlichen Kräfte haben ein Interesse daran, die Last, die durch den Klimaschutz entstehen könnte, für die Masse der Lohnabhängigen und BäuerInnen möglichst gering zu halten.
Die einzige Kraft, die ein langfristiges, grundlegendes objektives Interesse am Klimaschutz hat, ist die ArbeiterInnenklasse, weil sie selber von Marktwirtschaft und Privateigentum an Produktionsmitteln ausgebeutet wird. Sie profitiert nicht von der Zerstörung der Umwelt, sondern leidet im Gegenteil sogar unter steigenden Preisen für Lebensmittel, Trinkwasser und sonstige knapp werdende Ressourcen. Sobald saubere Luft beispielsweise immer rarer wird, werden sich nur die reichsten Menschen die entsprechenden Filter oder Ähnliches leisten können. Umgekehrt stellen die Lohnabhängigen – im Bündnis mit den Ausgebeuteten auf dem Dorf – jene gesellschaftliche Kraft dar, die über das Wissen und die Kompetenz verfügt, die Produktion auf globaler Ebene sowohl im Interesse der ProduzentInnen wie im Sinne ökologischer Nachhaltigkeit zu reorganisieren.
Nur die ArbeiterInnenklasse ist in der Lage, einen weltweiten Plan zur Reorganisierung der Produktion mit Blick auf die Umwelt zu ermöglichen, während die nationalen Kapitale und ihre Staaten in Konkurrenz zueinander stehen und immer darauf bedacht sein werden, bloß nicht mehr für den Klimaschutz zu zahlen als die Kapitalistenklassen der anderen Nationen. Ein solcher Plan ist aber absolut notwendig. Keine noch so tolle Subventionspolitik kann die Produktionsweise radikal genug umstellen, um die Bedürfnisse der Weltbevölkerung zu erfüllen und gleichzeitig eine weitere Zerstörung der Umwelt zu verhindern. Zudem kann sie erst recht nicht die entstandenen Umweltschäden beseitigen.
Hierfür ist es absolut notwendig, die Produktionsmittel der Konzerne entschädigungslos zu enteignen und unter die Verwaltung der ArbeiterInnenklasse zu stellen. Diese Planung darf nicht wie in den stalinistischen Staaten von einer Bürokratie bestimmt werden, welche ihre eigenen Interessen im Kopf hat, sondern muss demokratisch beschlossen und umgesetzt werden. Nur so können die Interessen der überwiegenden Mehrheit der Weltbevölkerung zum Maßstab allen Wirtschaftens geraten.