Arbeiter:innenmacht

Die Auferstehung des russischen Imperialismus

Frederik Haber, Revolutionärer Marxismus 46, Oktober 2014

 

Das globale imperialistische System

Wenn wir Russland als imperialistische Macht ansehen, dann stützen wir unsere Analyse dabei auf Lenins theoretisches Modell des Imperialismus als „höchstes Stadium des Kapitalismus.“ Innerhalb dieser einfachen Formulierung liegt eine reiche und komplexe Ausarbeitung der Analyse des Kapitalismus von Marx selbst. Der Imperialismus ist die höchste Stufe, weil der Prozess der Monopolisierung zu seiner Beherrschung durch das Finanzkapital geführt hat, welches die konkreteste Form ist, in der sich der abstrakte Begriff von „Kapital“ ausdrücken kann: Akkumulierter Wert, der zu jeglicher Investition in jeglicher Branche und an jeglichem Ort verfügbar ist, da er an keine spezielle Branche oder ein bestimmtes Territorium gebunden ist. Es ist sozusagen die „reinste“ Form tatsächlich existierenden Kapitals, es kann keine „höhere“ Form desselben geben.

Imperialismus ist von seiner Natur aus ein globales System, denn er ist die höchstmögliche Entwicklungsstufe des Kapitalismus, der schon immer ein internationales System war, aber es dann geschafft hat, die ganze Welt in der heutigen – der imperialistischen – Epoche zu beherrschen.

Logischerweise kann es keine Expansion über ein globales System hinaus geben, weshalb Lenin zum Schluss kam, dass jede weitere kapitalistische Entwicklung in der imperialistischen Epoche die Neuaufteilung der Welt zwischen den rivalisierenden Imperialismen oder „Großmächten“ mit sich bringen würde, wie sie damals auch oft genannt wurden.

Die Gleichsetzung der Begriffe „Imperialismus“, „Großmacht“ und „imperialistisch“ im Sprachgebrauch war zu Lenins Zeiten – und ist heute wieder – von besonderer Bedeutung bei der Charakterisierung Russlands. Es ist ziemliche Verwirrung dadurch entstanden, dass der Begriff „Imperialismus“ sowohl verwendet wird, um einen bestimmten Staat als auch eine einzelne Großmacht oder das gesamte globale System zu bezeichnen. Als Folge dessen haben viele angenommen, dass Lenins berühmte Liste der 5 bestimmenden Merkmale des globalen Systems auch als Check-Liste dienen kann, mit der bestimmt werden könne, ob ein bestimmter Staat als „imperialistisch“ gilt oder nicht. Das ist falsch. Lenin selbst betonte in seinem Vorwort zu der französischen und deutschen Ausgabe seiner Broschüre im Jahr 1920 (1), dass er ein Gesamtbild der kapitalistischen Weltwirtschaft, also den Imperialismus als Gesamtsystem vorstelle, nicht eine Beschreibung einer bestimmten imperialistischen Macht. Dass dies der Fall sein musste, ist sofort klar, wenn man berücksichtigt, was seine Aufnahme des zaristischen Russlands unter die „imperialistischen Mächte“ bedeutet.

Dem damaligen Russland fehlten natürlich mehrere der angeblich bestimmenden Merkmale eines „Imperialismus“. Seine eigene kapitalistische Entwicklung war noch schwach und hatte sich noch nicht in Finanzkapitalismus umgewandelt. Weit davon entfernt Kapital zu exportieren, war Russland ein wichtiger Importeur von ausländischem Kapital, während es umgekehrt ein wichtiger Exporteur von Waren und Rohstoffen, vor allem von Lebensmitteln, war. Der Warenexport allerdings – schrieb Lenin – würde im Imperialismus an Bedeutung verlieren. Der Aspekt des “ Gesamtbildes“, der in Russland offensichtlich dominierte, war die Fähigkeit, sich am  fünften von Lenins Merkmalen zu beteiligen, der territorialen Aufteilung der Welt.

Allerdings existierte diese Fähigkeit Russlands nicht unabhängig von seiner inneren wirtschaftlichen Entwicklung. Wie Trotzki in seiner eigenen Bestandsaufnahme der Einzigartigkeit der russischen Geschichte klar gemacht hatte, hatten die Beziehungen des Landes zu anderen Mächten einen entscheidenden Einfluss. Die Notwendigkeit, einen starken Staatapparat zu errichten und aufrecht zu erhalten, führte zu einer größeren Beteiligung des Staates an der wirtschaftlichen Modernisierung und einer entsprechend schwächeren Rolle für die nationale Bourgeoisie. Nichtsdestoweniger waren die vom zaristischen Staat angewandten wirtschaftlichen Maßnahmen solche, die für die imperialistische Epoche charakteristisch sind; vor allem die großen Industriezentren waren typisch für das Zeitalter der Monopole.

Viele dieser Überlegungen behalten ihre volle Gültigkeit und Anwendbarkeit, wenn wir darangehen, den Charakter des heutigen Russlands zu bewerten. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion als degenerierter Arbeiterstaat zeigen die Wechselwirkungen zwischen der internationalen Rolle Russlands, seinem Status und seiner inneren Entwicklung, sowohl der wirtschaftlichen, der sozialen und der politischen, viele Parallelen und Analogien zu denen seiner früheren Geschichte. Natürlich ist die Welt selbst heute eine ganz andere, aber wir befinden uns noch immer in der Epoche des Imperialismus, einer Epoche, in der die Widersprüche zwischen national basiertem Kapital und den Dynamiken der Weltwirtschaft die heutigen Großmächte in Rivalität und letztlich Konflikt treiben. Innerhalb dieser Welt ist garantiert, dass Russland eine Hauptrolle spielen wird und daher müssen RevolutionärInnen ein klares Verständnis seines Charakters haben, wenn sie eine Strategie für eine politisch unabhängige Partei der Arbeiterklasse entwickeln wollen, die sich allen imperialistischen Mächten widersetzen und zugleich die Konflikte zwischen ihnen zum eigenen Vorteil ausnutzen kann.

Russlands Platz in der Weltordnung

Russland trat als unabhängiger Staat wieder auf die Weltbühne nach der Auflösung der Sowjetunion. Diese Auflösung war insbesondere die Folge von zwei Entwicklungen. Die entscheidende war die Zerstörung des degenerierten Arbeiterstaates als Ergebnis des wachsenden Drucks des US-Imperialismus auf die stagnierende Wirtschaft in den 1980er Jahren und die Entscheidung der Hauptkräfte der stalinistischen Bürokratie, die Aufgabe zu Ende zu bringen, die diese mit der Konterrevolution in den 1920er Jahren begonnen hatte. Die zweite war die Schaffung von Nationalstaaten aus der ehemaligen Union. Einige von diesen begründen sich auf einer früheren Existenz als Staat oder Nation oder berufen sich auf einen nationalen Kampf gegen großrussische Vorherrschaft in der Vergangenheit, eine Vorherrschaft, die von der stalinistischen Bürokratie fortgesetzt worden war. Dies gilt zum Beispiel für die baltischen Staaten. Andere, wie Kasachstan, Tadschikistan, Usbekistan, Weißrussland entstanden zum ersten Mal als eigenständige Staaten. Wieder andere wie die Republik Moldau können sich weder auf ein „Volk“ noch auf eine patriotische Bewegung beziehen.

Diese beiden Aspekte hängen zusammen. Obwohl bis zu einem gewissen Grad in der UdSSR eine groß-russische Dominanz bestand, war die stalinistische Bürokratie als solche nicht national russisch. Die Bourgeoisie andererseits ist per Definition eine nationale Klasse. Ein kapitalistischer Staat in den Grenzen der UdSSR würde eine viel stärkere nationale Unterdrückung der nicht-russischen Republiken als zuvor erfordern. Dies war eine unmögliche Aufgabe in einem Land, in dem eine herrschende Klasse noch gebildet werden musste.

Weil Russland und die slawischen Russen immer eine führende Rolle in der Sowjetunion gespielt hatten, traten sie im Zerfallsprozess der Union das Erbe der „Supermacht“ an, wenn auch derjenigen, die gerade besiegt worden war. Dies wäre eine schwere Aufgabe für jede herrschende Klasse gewesen. Aber in Russland existierte eine solche Klasse nicht, die russische Bourgeoisie musste noch erschaffen werden.

In der Zeit der kapitalistischen Restauration hatten die Herrschenden in Russland wie ihre zaristischen Vorgänger also die Aufgabe, die Stellung des Landes in der Welt wieder aufzubauen und zu erhalten. Den Kampf nicht zu führen, ein imperialistisches Land zu werden und zu bleiben, wäre mit der Degradierung auf den Status einer Halbkolonie bestraft worden. Dies würde fast sicher zum Auseinanderbrechen unter dem Druck ausländischer Kräfte, vor allem der imperialistischen Mächte, und zur Auflösung des großen Militärapparates und der Staatsbürokratie geführt haben. (2)

Diese Aufgabe ist umso schwieriger, wenn sie vor dem Hintergrund einer historischen Krise des Kapitalismus gestellt wird: die führende imperialistische Kraft, die USA, hat an Boden verloren; Deutschlands Ambitionen, gestützt auf eine geeinte EU die Stellung der USA in Frage zu stellen, haben einen schweren Dämpfer erlitten, da die EU genau durch die Maßnahmen, mit denen die Bundesregierung Deutschland gestärkt aus der Krise bringen wollte, nur tiefer in die Krise getrieben wurde; China ist zur führenden Industriemacht geworden, nicht nur auf Kosten der EU und Japans, sondern auch der USA, und Japan wurde gezwungen, alle Optionen zu überdenken, um nicht völlig an den Rand gedrängt zu werden

An der wirtschaftlichen Front kann Russland sich nicht ewig auf die Gewinnung von Öl, Gas und anderen Bodenschätzen verlassen, auch wenn im Moment dies eine hohe Exportquote garantiert und sogar einen Exportüberschuss, höher als derjenige Chinas2. Letzten Endes würde dies bedeuten, sich selbst auf die Rolle einer Halbkolonie zu beschränken, wenn auch eine sehr großen. Die Hindernisse sind sehr hoch, vielleicht unüberwindbar. Wettbewerbsfähigkeit in der Industrie, also in der Produktion von Mehrwert, würde erfordern, dass russische Fertigung effektiver als japanische oder deutsche Produktion wäre oder die Arbeitskraft billiger als chinesische zu haben. Um in der Finanzsphäre konkurrieren zu können, würde das bedeuten, stark genug zu sein, um andere dazu zu bringen, Kredite zu günstigen Konditionen anzubieten oder Kredite zu Russlands Bedingungen zu akzeptieren. Auch keine leichte Aufgabe. Das Mindeste, was Russland erreichen muss, ist eine Industrie aufzubauen, die in der Lage ist, den heimischen Markt (sowie die ehemaligen SU-Republiken als Hinterhof (3) zu bedienen. Auch wenn die Produkte möglicherweise nicht auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig wären, könnte die militärische und politische Stärke Russlands wahrscheinlich einen solchen Markt zu einem gewissen Grad schützen. Bis heute hat sich die russische Bourgeoisie allerdings als unfähig erwiesen, selbst dies zu erreichen.

Auf der anderen Seite sind die anderen imperialistischen Staaten nicht bereit, Russland eine starke Position in der imperialistischen Weltordnung zu überlassen. Vor allem die USA und die EU wollen einen Anteil an den Gewinnen für sich, vor allem aus den Öl- und Gasgeschäften, und sie wollen Russlands Militärmacht in Schranken halten, die die Hauptbasis seiner politischen und diplomatischen Stärke in der Welt darstellt. Allerdings steht Russlands neuer imperialistischer Nachbar China teilweise den gleichen Herausforderungen auf internationaler Ebene gegenüber, so dass das Potenzial für einen konkurrierenden Block existiert.

Dies also ist der weltweite Kontext, innerhalb dessen die russische Regierung, der russische Kapitalismus und die russischen Kapitalisten, handeln und innerhalb dessen wir Russlands Entwicklung verstehen müssen.

Die russische Bourgeoisie

Der Charakter der russischen Bourgeoisie ist von historischen Fakten bestimmt.

a. Russland war schon eine Großmacht, als der Kapitalismus das dominierende Wirtschaftssystem (als soziales Verhältnis) im Land wurde, die russische Bourgeoisie aber war von der politischen Macht ausgeschlossen.

b. Anschließend wurde die russische Bourgeoisie in der Oktober-Revolution geschlagen und hörte für rund 70 Jahre auf zu existieren.

c. Daher musste sie ab 1990 völlig neu gebildet werden.

Zwei Dinge können daraus geschlossen werden: Die russische Bourgeoisie ist extrem schwach, vor allem gemessen daran, dass sie die herrschende Klasse eines imperialistischen Landes ist. Sie unterscheidet sich von allen anderen imperialistischen Bourgeoisien.

Der heutigen russischen Bourgeoisie fehlt die historische Kontinuität als Klasse. Sie wurde zu einem großen Teil aus bestimmten Sektoren der stalinistischen Bürokratie gebildet. Trotzki hat dies bereits vorhergesagt: „Würde dagegen die herrschende Sowjetkaste von einer bürgerlichen Partei gestürzt, so fände letztere unter den heutigen Bürokraten, Administratoren. Technikern, Direktoren, Parteisekretären, überhaupt privilegierten Spitzen, nicht wenig willige Diener.“ (4)

Die dynamischste Kraft im „Transformationsprozess“, der in den späten 80ern mit Gorbatschows Perestroika begann, war ganz natürlich der Sektor der Bürokratie, der mit der Wirtschaftsverwaltung verbunden war. Diese FunktionärInnen hatten direkten Zugriff auf Entscheidungen, die die Produktion des Reichtums betrafen. Natürlich war die Bürokratie als Ganzes sehr erfahren darin, Teile des gesellschaftlichen Eigentums in die eigenen Hände zu lenken, auch wenn dies Konflikte in den eigenen Reihen bedeutete, aber die Wirtschaftsverwaltung, das heißt die Fabrikdirektoren, saßen an der Quelle. (5)

Eine zweite Komponente mit dem starken Bestreben, sich in eine herrschende Klasse zu erheben, waren Teile der Intelligentsia (6), die als untergeordnete Schicht innerhalb der Bürokratie betrachtet werden kann. Bestimmte Berufsgruppen, die sich – wie alle – als „Arbeiterklasse“ verhalten mussten und ebenso behandelt wurden, die aber in den meisten Ländern die lohnabhängigen Mittelschichten bilden, meinten, dass sie was Besseres verdient hätten, als einem alten krisengeschüttelten System dienen zu müssen. Die wirtschaftliche Stagnation der 80er Jahre und eine Bürokratie, die immer weniger in der Lage war, einen möglichen Weg in die Zukunft zu weisen, brachte Bewegung in diese Schichten. So wie der linke Flügel der Intelligentsia begann, sich für bürgerlich-demokratische Rechte einzusetzen, so begann auch der rechte Flügel der Intelligentsia, seine Augen auf eine „Marktwirtschaft“ zu richten. Es war für diese Kräfte weniger nötig an die Öffentlichkeit zu gehen, weil ihre politische Orientierung durch stärkere Kräfte innerhalb der stalinistischen Bürokratie um Gorbatschow vollkommen ausgedrückt wurde und enge Verbindungen zwischen diesen beiden Schichten bestanden (7).

Die dritte Komponente war das kriminelle Milieu, das aus dem Schwarzmarkt entstanden war und auch in den Gulags operierte. Seine gesellschaftliche Rolle hatte natürlich ihren Ursprung in der Unfähigkeit der stalinistischen Bürokratie, die Bedürfnisse der Bevölkerung, ja die der Bürokratie selbst, zu befriedigen. Trotzki beschrieb diese Schicht bereits in der „Verratenen Revolution“. Während des Restaurationsprozesses gab es einige Debatten unter den politischen und wirtschaftlichen Strategen darüber, ob kriminelles Kapital legalisiert werden sollte. Besonders die westlichen Berater bestanden aber darauf und behaupteten, dass zu Sowjetzeiten der Schwarzmarkt ja der einzige Ort gewesen sei, an dem sich unternehmerische Fähigkeiten hätten entfalten können (8). Das hält natürlich die westlichen „demokratischen“ Kapitalisten und Politiker jetzt nicht davon ab, ihre russischen Gegenstücke der Korruption, krimineller Methoden und des „Oligarchentum“ (9) zu bezichtigen, Eigenschaften, die einen handfesten Grund in der Art und Weise hatten, in der staatliches Eigentum geplündert und privatisiert worden war, die aber schon eine lange Tradition in dieser dritten Komponente hatten.

Die russische Bourgeoisie in der Geschichte

Die Schwierigkeiten, aus diesen beteiligten Elementen eine neue herrschende Klasse in Russland zu entwickeln, können mit denen verglichen werden, die die russische Bourgeoisie hatte, als sie vor 1917 darum kämpfte, ein dominierender Faktor zu werden. Sie war nicht imstande, ihre eigene Ideologie oder Religion zu entwickeln, um ihren Anspruch auszudrücken, die herrschende Klasse zu werden. Weit davon entfernt, das autokratische System stürzen zu können, verzichtete die russische Bourgeoisie nach dem erfolglosen „Dekabristen-Aufstand“ (10) 1825 auf alle Angriffe auf das zaristische Regime. Als Klasse fürchtete sie einen möglichen Aufstand der ausgebeuteten Klassen mehr, als dass sie die politische Macht und Verantwortung zu übernehmen begehrte. In den Jahren 1905 und 1917 war es nur das Proletariat, das die zaristische Autokratie angriff. Die Bourgeoisie war weder fähig, einen möglichen Kompromiss mit dem Zaren zu formulieren, noch die Macht zu nutzen, die die Februar-Revolution ihr in die Hände gelegt hatte. Die russische Bourgeoisie hat eine lange Historie des Versagens und Verlierens.

Als Lenin vorhersagte, dass die Kette des Welt-Imperialismus an ihrer schwächsten Stelle brechen werde, hat er nicht nur seine Sicht des Kapitalismus als Weltsystem ausgedrückt, sondern er sagte auch etwas über das Verhältnis zwischen der wirtschaftlichen Schwäche Russlands und seiner Beziehung zu dem System als Ganzem aus.

Trotzki beschreibt diese historische Schwäche, die ihren Ursprung in einer Kombination bestimmter nationaler Faktoren und dem Kapitalismus als Weltsystem hatten, mit den folgenden Worten:

„Die Kargheit nicht nur des russischen Feudalismus, sondern auch der ganzen altrussischen Geschichte fand ihren traurigsten Ausdruck im Mangel echt mittelalterlicher Städte als Handwerks- und Handelszentren. Das Handwerk hatte in Russland keine Zeit gehabt, sich vom Ackerbau zu trennen, bewahrte vielmehr den Charakter der Heimarbeit. Die altrussischen Städte waren Handels-, Verwaltungs-, Heeres- und Adelszentren, folglich konsumierend, nicht produzierend. Sogar die der Hanse verwandte Stadt Nowgorod, die das tatarische Joch nicht gekannt hatte, war nur eine Handels-, keine Gewerbestadt. Allerdings schuf die Verstreutheit des bäuerlichen Gewerbes in verschiedenen Bezirken das Bedürfnis nach einer Handelsvermittlung breiten Maßstabes. Doch vermochten die nomadischen Händler im öffentlichen Leben in keinem Fall jenen Platz einzunehmen, der im Westen der handwerklich-zünftigen und handelsgewerblichen Klein- und Mittelbourgeoisie zukam, die mit ihrer bäuerlichen Peripherie unzertrennlich verbunden waren. Die Hauptwege des russischen Handels führten überdies ins Ausland, sicherten die leitende Stellung seit alters her dem ausländischen Handelskapital und verliehen dem ganzen Umsatz, bei dem der russischer Händler Mittler zwischen der westlichen Stadt und dem russischen Dorf war, einen halbkolonialen Charakter. Diese Art ökonomischer Beziehung erfuhr eine weitere Entwicklung in der Epoche des russischen Kapitalismus und erreichte ihren höchsten Ausdruck im imperialistischen Kriege.

Die Bedeutungslosigkeit der russischen Städte, die zur Entstehung des asiatischen Staatstypus am meisten beigetragen hat, schloss insbesondere die Möglichkeit der Reformation aus, das heißt der Ablösung der feudal-bürokratischen Orthodoxie durch irgendeine modernisierte Abart eines den Bedürfnissen der bürgerlichen Gesellschaft angepassten Christentums. Der Kampf gegen die Staatskirche ging nicht über die bäuerlichen Sekten, einschließlich der mächtigsten unter ihnen, das altgläubige Schisma, hinaus.“ (11)

Er verglich auch die russische Bourgeoisie mit ihren europäischen Schwestern:

„Die englische und französische Bourgeoisie hatten die neue Gesellschaft nach ihrem Ebenbilde errichtet. Die deutsche ist später gekommen, und sie musste lange bei dem Haferabsud der Philosophie sitzen. Die Deutschen haben das Wort „Weltanschauung“ ausgedacht, das weder die Engländer noch die Franzosen besitzen: während die westlichen eine neue Welt schufen, beschauten die Deutschen sie. Aber die in Bezug auf politische Tätigkeit so dürftige deutsche Bourgeoisie schuf die klassische Philosophie – und dies ist keine geringe Einlage. Die russische Bourgeoisie kam noch später. Zwar hat sie das deutsche Wort „Weltanschauung“ ins Russische übersetzt, sogar in mehreren Varianten, aber damit zeigte sie nur krasser zugleich mit ihrer politischen Impotenz ihre tödliche philosophische Dürftigkeit. Sie importierte Ideen wie auch Technik, richtete für die letzteren hohe Zölle ein und für die ersteren eine Quarantäne der Angst.“ (12)

Auf der Basis dieses Erbes wurde die Industrie in kürzerer Zeit und in größerem Maßstab entwickelt. Da die ganze historische Epoche der handwerklichen Produktion übersprungen wurde, wurde die Industrie schnell in großen Fabriken und ohne eine breite Basis von Manufakturen und kleinen Werkstätten entwickelt. Dies wurde in großem Ausmaße mit Auslandskrediten bewerkstelligt. Auch dies machte die russische Bourgeoisie schwächer – sowohl im Verhältnis zu ihrer wirtschaftlichen Basis als auch gegenüber anderen Imperialisten. So wurde auch ein industrielles Proletariat direkt aus der Bauernschaft ohne Tradition in Handwerken und Zünften geschaffen. Dies wiederum machte die Bourgeoisie im Verhältnis zum Proletariat relativ schwach. Zusammengenommen machten diese Faktoren aus ihr eine Klasse ohne Selbstvertrauen.

Es gibt also mit Blick auf die Geschichte nicht viel, auf was die neue russische Bourgeoisie stolz sein könnte. Sie kann nichts Positives von ihren historischen Vorgängerinnen lernen, während das Proletariat seinerseits dies in großem Maße kann. Wenn die russische Bourgeoisie ihre Schwächen im Jahre 1917 nicht überwinden konnte, warum sollte sie 1990 dazu in der Lage sein? Die einzige materielle Tatsache, die sich geändert hat, ist, dass der Reichtum der russischen Kapitalisten heute definitiv viel größer als im Jahr 1917 ist. Aller kapitalistischer Reichtum ist letztlich dem Proletariat weggenommen worden, aber wenn dies durch die Organisation von Mehrwertproduktion getan wird, so erscheinen die Kapitalisten als die „Produzenten“. Die heutige russische Bourgeoisie erscheint nicht so sehr als eine „produzierende Klasse“, sondern vielmehr als eine „aneignende Klasse“.

Das gleiche gilt für die militärische Macht. Die militärische Stärke des zaristischen Russlands lag in der großen Zahl von Soldaten und den gewaltigen Dimensionen des Landes, die auch Napoleon, der alle anderen geschlagen hatte, zwangen, sich zurückzuziehen. Im Jahr 1905 allerdings hatte Russland gegen Japan und die Türkei verloren. Im Jahr 1917 verlor es gegen die Mittelmächte Deutschland, Österreich und Rumänien, wobei Deutschland mit weniger als der Hälfte seiner Streitkräfte agierte. Russlands heutige Militärmacht basiert auf den Reichtum, dem Wissen und der Technik, die unter bürokratischem Kommando im degenerierten Arbeiterstaat entwickelt worden waren, auch wenn das jetzt schon ein paar Jahrzehnte zurückliegt.

Die russische Bourgeoisie kann keine eigenen Führer oder Helden vorweisen, um sich mit dem Sieg im „Großen Vaterländischen Krieg“, wie ihn die Stalinisten nannten, zu schmücken. Die Zeiten in der Weltgeschichte, in denen Russland als Hauptkomponente der UdSSR seine größten Auftritte in der globalen Arena hatte, fielen in eine Ära, in der die russische Bourgeoisie einfach nicht dabei war.

Stalinistische Bürokratie und russische Bourgeoisie

Die Oktoberrevolution hatte der Bourgeoisie die Macht entrissen, aber selbstverständlich gab es in der folgenden Übergangszeit bürgerliche Elemente als Händler oder Kulaken. Die „Neue Ökonomische Politik“, NEP, musste diese Schichten sogar wieder fördern. Als nach Lenins Tod die Kommunistische Partei als revolutionäre Partei zerstört wurde, war es für bürgerliche Elemente leicht möglich, in die Partei einzutreten, aber die notwendige materielle Basis für ihr Überleben als eine Klasse, nämlich das Privateigentum an den Produktionsmitteln, war für die Bourgeoisie dahin.

Das war die Konstellation, die Trotzki später als „degenerierten Arbeiterstaat“ bezeichnete. Mit dieser Charakterisierung widersprach er einerseits einer Argumentation, die behauptete, dass die politische Konterrevolution durch die Stalin-Fraktion, die der Arbeiterklasse alle Mittel genommen hatte, die politische Macht auszuüben, zugleich eine soziale Konterrevolution darstelle, die alle Errungenschaften der Revolution eliminiert hätte, wie andererseits auch der offiziellen Linie, dass die Sowjetunion auf dem Weg zum Sozialismus voranschreite. In seiner Analyse charakterisierte er die Bürokratie als „Agenten des Imperialismus innerhalb des Arbeiterstaates“, was nicht bedeutet, dass sie direkt Befehle der imperialistischen Mächte entgegennahm, sondern dass ihr primäres Ziel, alle Errungenschaften der revolutionären Arbeiterbewegung zu zerstören, auch das Hauptziel der Imperialisten war.

Auf Weltebene war es die Hauptaufgabe der stalinistischen Bürokratie, die Weltrevolution zu verhindern. Sie unterband einerseits jeden revolutionären Fortschritt in der Sowjetunion, sie führte aber auch alle revolutionären Umwälzungen weltweit in die Irre, indem sie die kämpfenden Massen desorientierte und ihre Bewegungen kontrollierte. Nach der Niederlage des deutschen Imperialismus im Jahr 1945 war es die stalinistische Bürokratie, die die Niederlage aller potenziell revolutionären Entwicklungen in den Gebieten unter ihrer Kontrolle dadurch absicherte, dass als allererstes funktionierende bürgerliche Staaten aufgebaut wurden. Später stülpte sie dann, um dem Druck der westlichen Imperialisten zu widerstehen, im Wesentlichen ihre eigenen Formen bürokratischer Herrschaft darüber.

In der fortgesetzten Unterdrückung der ArbeiterInnen in der UdSSR agierte die stalinistische Bürokratie nicht nur im Interesse des globalen Kapitals, sondern auch als „Agentin der russischen Bourgeoisie in Abwesenheit“ (13).

Da also diese Agentin des Imperialismus die Konterrevolution organisiert und vollendet hat, die die Bedingungen für die Wiedergeburt einer russischen Bourgeoisie geschaffen hat, so sollten wir auch die Rolle des Weltimperialismus als Geburtshelfer anerkennen, als eines Geburtshelfers allerdings, dem, obwohl er die Geburt maßgeblich unterstützt hatte, nichts daran gelegen war, dass das Neugeborene wachsen und gedeihen sollte.

Russische Bourgeoisie und stalinistische Bürokratie

Der Zusammenbruch der Sowjetunion als Arbeiterstaat, wenn auch als ein konterrevolutionärer und degenerierter, gab den Imperialisten, mit den USA an der Spitze, alle Möglichkeiten, die junge Bourgeoisie mit der voll entwickelten politischen Ideologie des Neoliberalismus zu bewaffnen. Natürlich ist Ideologie allein nicht ausreichend, aber sie legitimierte ein komplettes politisches Programm, dessen Hauptziel ganz entscheidend in der Privatisierung allen staatlichen Vermögens lag, das in einer geplanten Wirtschaft produziert worden war. Es war keine große Überraschung, dass diese groß angelegte Plünderung des sozialen Eigentums von Bestechung, Vetternwirtschaft, Korruption und Mord begleitet wurde. „Das Ausmaß der Subventionen für den privaten Sektor kann man aus der Tatsache abschätzen, dass die Regierung für die Privatisierungen weniger als 5% des Marktpreises für ihr ehemaliges Eigentum erzielte.“ (14)

Dies alles diente dem Ziel der Schaffung einer besitzenden Klasse, die bereit sein sollte, die neuen Eigentumsverhältnisse zu verteidigen (15). Die neue Klasse lernte schnell, anzueignen und Besitz zu ergreifen, aber sie lernte es nicht, sich als eine herrschende Klasse zu verhalten. Um mit Marx zu sprechen, sie war eine „Klasse an sich“, aber keine „Klasse für sich“ (16).

Als solche entwickelte sie keinen Plan für die Zukunft des Landes. Sie beutete es in einer Art und Weise aus, in der ein fremder Plünderer ein besetztes Gebiet ausraubt, von dem er fürchtet, jeden Moment vertrieben zu werden. Die Mitglieder dieser Klasse fühlten sich schnell eher in London, St. Moritz und Baden-Baden zu Hause. Die russische Bourgeoisie misstraute ihrer eigenen Führungsrolle so sehr, dass sie so viel Kapital wie möglich aus dem Land abzog (17).

Das erste Jahrzehnt der kapitalistischen Restauration

Die Privatisierungorgie produzierte den Typus des „Oligarchen“. Das sind Leute, die große Mengen an Kapital besitzen und es durch Seilschaften von Freunden und Verwandten kontrollieren, wobei sie in der Lage sind, direkten Druck auf den Staat bei der Verfolgung ihrer persönlichen Interessen auszuüben. Gleichzeitig stehen diese Clans im harten Wettbewerb miteinander.

In der Folge versank das Land in einen erbärmlichen Zustand. Die Lebenserwartung fiel innerhalb von 5 Jahren um mehr als 5 Jahre. Die durchschnittliche Lebenserwartung von Männern sank von 63,8 Jahren im Jahr 1990 auf 57,6 Jahre im Jahr 1994.

Die erste Privatisierungswelle führte zu einem starken Rückgang der Produktion, zunehmender sozialer Differenzierung innerhalb der Bevölkerung und einer drastischen Reduzierung der Löhne. Bis zum Jahr 2000 fielen diese stetig: zwischen 1991and 1992 um 33 Prozent und in den folgenden drei Jahren um weitere 33 Prozent. Bis zum Jahr 2000 waren die Reallöhne 2,3-mal niedriger als im Jahr 1991. (18) Der Lebensstandard fiel offenkundig dramatisch und die Menschen waren gezwungen, von irgendwelchen Ersparnissen zu leben, wobei dann auch diese Reserve von sozialen Ressourcen den Oligarchen in die Hände fiel.

Die Arbeitslosigkeit stieg auf 13 Prozent (19), eine relativ niedrige Zahl im Vergleich zu anderen Ländern, in denen der Kapitalismus restauriert wurde. Der Grund für diese scheinbare Anomalie war, dass viele ArbeiterInnen formell ihre Arbeitsplätze behielten, aber mit stark reduzierten Stundenzahlen, weil Entlassungen in dieser Zeit gesetzlich verboten waren. Allerdings erhielten die ArbeiterInnen ihre Löhne entsprechend den reduzierten Arbeitszeiten (20) und oft verzögerte sich auch die Zahlung der Löhne.

Diese Entwicklung gipfelte in der Krise von 1997/98 (21). Verschiedene Gruppen von Kapitalisten waren tief im Kampf gegeneinander verstrickt. Keiner von ihnen zahlte Steuern, und die Staatsfinanzen brachen zusammen. Das Bruttoinlandsprodukt war um etwa 40% gefallen. Jelzin ersetzte Tschernomyrdin als Ministerpräsident durch Kirijenko, um diesen fünf Monate später wegen Unfähigkeit zu entlassen. Nachdem Tschernomyrdin noch mal kurz ran durfte, wurde Primakow Premierminister.

Der IWF intervenierte und forderte Kürzungen bei den öffentlichen Ausgaben als Vorbedingung für einen Kredit. Der Widerstand der Staatsduma wurde durch die wiederholten Drohungen des IWF gebrochen, das Geld nicht zu zahlen, bis die Ausgabenkürzungen beschlossen wurden und die Krise dadurch und durch die Abwertung des Rubels gelöst wurde.

Die Arbeiterklasse musste die Rechnung auf mehrere Arten bezahlen: Lohnkürzungen und die Nichtauszahlung von Löhnen, Abwertung der Löhne und Ersparnisse, Verlust von Arbeitsplätzen und Kürzungen im Sozialsystem. Allerdings blieb sie dabei nicht ruhig: Es gab Streiks der Bergleute und der Angestellten des öffentlichen Dienstes wie der LehrerInnen und im Gesundheitswesen, der SoldatInnen und RentnerInnen. So war es schließlich die Arbeiterklasse, die trotz der Folgen der historischen Niederlage von 1990, das Überleben der Regierung bedrohte.

Die Wirtschaftskrise von 1998 beeinträchtigt auch stark die Wirtschaftsbeziehungen mit den anderen ehemaligen SU-Republiken. Der Separatismus in Tschetschenien zeigte, dass Russland drauf und dran war, seinen Einfluss in der Region zu verlieren.

Die Stunde des Bonapartismus

In dieser kritischen Situation ergriffen Kräfte im Staatsapparat die Initiative. Sie stoppten die Aushöhlung des Staates zugunsten des „Marktes“, sie stellten zu einem gewissen Grad die staatliche Kontrolle über die Wirtschaft wieder her, und sie brachten die repressiven Funktionen des Staates wieder in Gang. Natürlich stellen diese Kräfte auch eine Fraktion der Bourgeoisie dar, und es ist keine Überraschung, dass sie in einem speziellen Flügel der Bürokratie ihre Wurzeln haben: nicht bei denjenigen, die immer das größte Stück vom Kuchen bekamen, sondern bei denen, die darin geschult waren, stets die Lage im Blick zu behalten, also weniger die „Wirtschaftsleute“, sondern die für „Sicherheit“ (22).

Dies wird verständlich, wenn man – entsprechend marxistischer Definition – den Staat als „ideellen Gesamtkapitalisten“ begreift. Natürlich fand dieser Coup im Namen des Landes, des Volkes und sogar der Arbeiterklasse statt, der auch einige Zugeständnisse gemacht werden mussten. Dies war und ist die klassische Rolle des Bonapartismus, und Russlands Bonaparte heißt Putin.

In der Regel ist der Bonapartismus dann möglich (und notwendig), wenn es eine Pattsituation im Klassenkampf gibt. Eine einzelne Person kann dann scheinbar über den Klassen und ihren Kämpfen stehen. Dies geht in der Regel mit Populismus einher.

In der Tat unternahm Putin auch einige harte Maßnahmen gegen die Bourgeoisie oder vielmehr gegen bestimmte Teile derselben. Das politische Ziel war es, der russischen Bourgeoisie eine Führung zu geben, sie politisch zu vereinheitlichen – der Name seiner Partei „Einiges Russland“ ist da Programm – und sie auf die Höhe ihrer Aufgaben zu heben (23). Der politische Hebel dazu war der Einsatz der Staatsbürokratie für diesen Zweck.

Bedeutet die allgemeine Bestimmung des Bonapartismus, dass die Arbeiterklasse in Russland tatsächlich stark genug war oder ist, um der Bourgeoisie Paroli zu bieten? Das wäre sicher ein überzogener Schluss. Die Arbeiterklasse kann aber als eine potenziell gefährliche Gegnerin gesehen werden, die dann auf den Plan treten könnte, wenn die Bourgeoisie völlig in der Erfüllung ihrer Aufgaben versagen würde. Diese Aufgabe ist in erster Linie, einen Platz in der imperialistischen Weltordnung zu sichern und die russische Wirtschaft – und damit auch die Gesellschaft – entsprechend umzubauen.

Der Sicherheitsbereich des Staatsapparates hatte damals erkannt, dass die Bourgeoisie einem solchen Totalversagen gefährlich nahe kam, weil sie in sich gespalten und gelähmt war. Nachdem sie sich als unfähig erwiesen hatte, durch wirtschaftlichen Wettbewerb oder demokratische Prozesse eine Führung herauszubilden, musste es einer ihrer Bestandteile übernehmen, dies handstreichartig zu erledigen. An bestimmten Kapitalisten wie Chodorkowski, der am ehesten in der Lage war, sich Putin zu widersetzen, musste ein Exempel statuiert werden.

Es war also die politische Impotenz der Bourgeoisie, ihre Unfähigkeit ,eine führende Rolle im Klassenkampf einzunehmen oder wenigstens die Folgen ihrer Handlungen richtig einzuschätzen und die daraus folgende Gefahr einer Rebellion der Arbeiterklasse, die einen Bonaparte notwendig gemacht hatte.

Das zweite Jahrzehnt der kapitalistischen Restauration – 2000 bis heute

Wie die meisten Bonapartes setzt auch Putin auf Populismus, der in seinem Fall aus einer Kombination aus russischem/slawischem/orthodoxem und männlichem (Hetero-)Chauvinismus besteht. Um sein bonapartistisches System zu etablieren, musste Putin vor allem zwei Aufgaben erledigen: der Staat musste wieder zentralisiert und den Oligarchen klargemacht werden, dass sie das Primat der Politik und damit ihre Unterordnung unter den Staat zu akzeptieren hatten. Die Russische Föderation bestand aus 85 „föderalen Subjekten“, also Republiken, autonomen Regionen, Oblasten usw. Unter Jelzin waren diese praktisch von den lokalen oder regionalen Oligarchen privatisiert und kontrolliert worde;, sie hatten teilweise aufgehört, überhaupt Steuereinnahmen an die staatliche Zentrale weiterzugeben, oder sie entwickelten sogar Sezessionsbestrebungen wie in der Kaukasus-Region. Putin verkündete die „Vertikale der Macht“ und brachte diese regionalen Strukturen wieder unter mehr direkte Kontrolle des Kreml. Die Gouverneure der Regionen wurden nicht mehr von den regionalen Parlamenten gewählt, sondern nur noch vorgeschlagen. Die letzte Entscheidung lag nun beim Präsidenten.

Putin machte sich dann daran, mehrere Oligarchen wie Gussinski, Beresowki und Chodorkowski auszuschalten und weitgehend zu enteignen. Die Bourgeoisie musste zur Einsicht gebracht werden, dass die Staatbürokratie finanziert werden muss und Steuern zu zahlen sind, um den Staat am Laufen zu halten.

Um die Arbeiterklasse zu kontrollieren und sie in den Staat zu integrieren, leitete Putin einen gewissen Teil des Bruttoinlandsproduktes in Renten und Löhne. Von 2000 bis 2010 stiegen die Reallöhne um 142%, die Renten um 231% (24), allerdings natürlich von einem Allzeittief aus gerechnet. Dies wurde durch die Extra-Profite aus Öl und Gas finanziert. Putin reformierte den „Tripartismus“, wie die Beziehungen zwischen „Arbeitgebern“, Gewerkschaften und dem Staat genannt wurden, der die Gewerkschaften formell als gleichberechtigten Partner anerkennt. Die traditionellen, zahmen, bürokratisch geführten Gewerkschaften waren weiter erlaubt, aber der Staat geht robust gegen unabhängige Gewerkschaften und Streiks vor. (25)

Seit 2000 hat sich die Wirtschaft stabilisiert und wächst. Das politische Gewicht der Russischen Föderation hat auf globaler Ebene zugenommen, und die innere Opposition, obwohl sie im Jahr 2012 wieder auf die Straße ging, ist effektiv zum Schweigen gebracht worden. Dieses Regime ist keineswegs ein Wohlfahrtsstaat, wie manche ReformistInnen glauben machen. Wiederverstaatlichungen haben zwar stattgefunden, aber sie bedeuten nur, dass der Staat die Aktien hält, die Unternehmen aber werden weiterhin nach kapitalistischen Profitregeln geführt. Die Privatisierung wird fortgesetzt.

Das „System Putin“ ist kein persönliches Konstrukt, sondern ein Ausdruck des Zustandes der russischen Bourgeoisie. Die Bourgeoisien in den imperialistischen Ländern haben Parteien, „Arbeitgeber“verbände und Think Tanks, Universitäten, Institute und Stiftungen. Die russische Bourgeoisie hat eine staatliche Verwaltung und Bürokratie und deren Führer. Diese Verwaltung dominiert die Partei des Präsidenten. Die anderen bürgerlichen Parteien sind entweder auch mit dem Staat verbunden, wie „gerechtes Russland“ oder die KPRF, oder sind unverkennbar Agenten des ausländischen Kapitals (26). Der „Arbeitgeber“verband (27), der nur in der Jahresversammlung der tripartitischen Kommission eine Rolle spielt, wird von staatlichen Bürokraten gestellt (28). Russische Oligarchen investieren lieber in Fußballvereine als in politische Forschungsinstitute. Universitäten fühlen sich weniger dem Kapital verpflichtet als der staatlichen Bürokratie.

Was wir also in Russland vor uns haben, ist mehr als die übliche Beziehung einer imperialistischen Bourgeoisie zu ihrem Staat. Üblicherweise konkurrieren die verschiedenen Fraktionen des Kapitals um die Beeinflussung politischer Entscheidungen. Sie versuchen bestimmte Gesetze durch zu setzen und bestimmte PolitikerInnen in Funktionen zu bringen. In Russland installiert der Staat die Manager genauso wie die Funktionäre des „Arbeitgeber“verbandes. Die Rolle des Staates als „ideeller Gesamtkapitalist“ hat ein höheres Niveau erreicht.

Das bonapartistische Regime kann nicht alle Widersprüche lösen und schafft neue.

Die Arbeiterklasse

Die Arbeiterklasse dessen, was einst die Sowjetunion gewesen war, hat zweifellos eine historische Niederlage erlitten. Die Konterrevolution, die die bolschewistische Partei als revolutionäre Arbeiterpartei abgeschafft  und deren Kader vernichtet hatte, hatte in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts stattgefunden, aber wurde erst mit Gorbatschows Perestroika vollendet. Bis dahin hatte die Arbeiterklasse noch Leistungen wie Arbeitsplatzsicherheit, stabiles Einkommen, kostenlose medizinische Behandlung, ein sehr hohes Niveau an kostenfreier Bildung und soziale Anerkennung. Dies alles ist heute weitgehend zerstört, und dies allein kann man als eine historische Niederlage ansehen. Aber die strategische Niederlage liegt natürlich im Come-back der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse und der Mehrwertproduktion.

Die Arbeiterklasse ist immer noch riesig in Zahlen, obwohl sie geschrumpft ist. Es ist schwer, Zahlen zu finden, denn die stalinistische BürokratInnen haben sich selbst auch immer als Mitglieder der Arbeiterklasse bezeichnet und in der Statistik des bürgerlichen Staates wird über Klassen nicht gesprochen. Darüber hinaus sind die Werktätigen in einem degenerierten Arbeiterstaat etwas Anderes als Mehrwert schaffende Arbeiter.

Der „arbeitende Teil der Bevölkerung“ wird in offiziellen Quellen heute mit rund 75 bis 77 Millionen Menschen beziffert. Wir können in etwa eine Vorstellung davon bekommen, wie dieser sich seit 1990 neu zusammengesetzt hat, wenn wir die Umstrukturierung der Wirtschaft der Russischen Föderation seit damals betrachten.

Aus einer Aufstellung von Produktionskennziffern (29) wird deutlich, dass einige Branchen nie wieder das Niveau von 1991 erreicht haben: Textilien, Leder und Holz, aber auch Maschinen und Anlagen sowie die Herstellung von Transportausrüstung, welche Autos, Lastkraftwagen und Züge umfasst. Der Niedergang des Maschinenbaus zeigt auch, wie abhängig Russland heute von importierten Produktionsanlagen ist. Andererseits ist die Gewinnung von Bodenschätzen gestiegen, aber auch die Produktion von elektrischen Geräten und Kunststoffen, Branchen, die unter dem Stalinismus unterentwickelt waren. Zusätzlich können wir davon ausgehen, dass es einen nicht unbedeutenden Verlust bei den klassischen Arbeitsplätzen in der Schwer- und Leichtindustrie gegeben hat und einen Aufbau in anderen Branchen sowie eine kleine Verschiebung innerhalb des Industriesektors zu modernen Branchen wie Kunststoff und Elektronik. Die Auswirkungen von Rationalisierungsmaßnahmen in der Industrie müssen dazu gerechnet werden.

Wenn wir die Sektoren betrachten, die seit 1990 stark negativ betroffen waren, sehen wir, dass einige von ihnen auf niedrigem Niveau geblieben sind, während andere sich erholt haben, ohne aber die alten Zahlen wieder zu erreichen. Dennoch zeigt, dass gewisse Investitionen stattgefunden haben müssen. Am deutlichsten wird das im Fahrzeugbau. Nach einem mehr oder weniger stetigen Rückgang bis 2007 auf 37,5% der Produktion von 1990 ist er wieder auf 69,6% im Jahr 2012 gestiegen. Hier ist vermutlich viel ausländisches Kapital im Spiel, aber in jedem Fall ist eine solche Entwicklung nicht ohne einen starken Anstieg der Beschäftigung möglich. Das gleiche gilt in geringerem Maße auch bei der Produktion von Lebensmitteln, Getränken und Tabakwaren, die bis auf 54,6% im Jahr 2000 gefallen war und dann stetig auf 98,2% im Jahr 2012 gestiegen ist.

Industrieproduktion stellt also noch immer einen großen Teil der russischen Wirtschaft dar. Sehr wahrscheinlich finden wir eine jüngere Beschäftigtenstruktur in den neuen oder neu aufgestellten Branchen wie Kunststoff-, Elektronik- und Automobilindustrie. Vielleicht auch in der Lebensmittelindustrie, aber da diese wohl meist in ländlichen Gebieten angesiedelt ist, dürfte sie bei der Regeneration der Arbeiterklasse von politisch geringerer Bedeutung sein.

Industrielle Produktion, Gewinnung von Bodenschätzen, Energie und Wasserversorgung sowie die Bauindustrie machen also etwa 35 Prozent des BIP (30) aus. Die wachsende Bedeutung des Einzelhandels, des Transportwesens und des Hotel- und Gaststättengewerbes als Hauptkomponenten des Dienstleistungsbereiches mit etwa 30% des Bruttoinlandsprodukts zeigt, wohin die Arbeitskräfte sich bewegen. Es ist daher auch dieser Bereich, zu dem auch Informationstechnologie, Kommunikation und Logistik gehören, wo wir die „neue“ Arbeiterklasse finden. Es gab natürlich auch eine Bewegung in Richtung Banken und andere Finanzdienstleistungen, von denen aber nur ein kleiner Teil als zur Arbeiterklasse gehörig angesehen werden kann.

Drittens müssen wir die Sektoren betrachten, die durch die Privatisierung degradiert wurden. Dies sind, wie in den meisten Ländern der Welt, die Bereiche Bildung und Gesundheit. Im Jahr 2011 veränderte eine „Reform“ in der Form des neuen „Gesetz zur Kommerzialisierung öffentlicher Haushalte“ den rechtlichen Status der staatlichen und kommunalen Einrichtungen (31). Ihr angebliches Ziel war, eine Leitlinie für die Umverteilung der finanziellen Mittel in diesen Bereichen zu bieten, aber der eigentliche Zweck war, Bildung, Medizin und Kultur auf eine kommerzielle Basis zu stellen. Sie bewirkte, dass kommunale Schulen, Krankenhäuser und Kultureinrichtungen nicht mehr direkt Mittel vom Staat bekommen sollten. Auch wenn regionale Regierungen ihnen Zuwendungen geben können, gibt es dazu keine Verpflichtung. Während die Löhne der Mitarbeiter immer noch vom Staat bezahlt werden, müssen die anderen Ausgaben durch ihre eigene „wirtschaftliche“ Tätigkeit bestritten werden wie das Vermieten von Räumlichkeiten oder dadurch, dass bestimmte Kurse oder Dienstleistungen kostenpflichtig werden usw. Ein Großteil der öffentlichen Verwaltung ist wegen der Rolle, die der Staat in einem bonapartistischen Regime spielt, noch nicht angetastet worden.

Die Privatisierung der Landwirtschaft hat eine neue Agrarfrage produziert. Obwohl der Privatisierungsprozess langsamer als in der Industrie war und „Gemeineigentum“ noch existiert, da es notwendig für die Stabilität ist, schwindet es aber. Dies hat dazu geführt, dass es riesigen kapitalistischen Großgrundbesitz (z.B. EKO-INVEST) gibt und andererseits eine breite Masse der Landbevölkerung, die auf kleinen Grundstücken, sei es als Eigentum oder gemietet, mit ineffizienten Methoden ihren niedrigen Lebensstandard sichern muss. Der durchschnittliche Monatslohn in der Landwirtschaft im Jahr 2012 betrug 14017 Rubel, nur 2/3 dessen in der Lebensmittelverarbeitung (21074 Rubel) und ein noch kleinerer Anteil am Durchschnittseinkommen von 26822 Rubel (32).

Die Landbevölkerung hat im Allgemeinen einen schweren Rückschlag erlitten. Die Schließungen in der Leichtindustrie trafen die kleinen Städte härter als die großen. Auf dem Land werden keine neuen Fabriken gebaut, außer ein paar für die Lebensmittelverarbeitung. Die Rationalisierung in der Landwirtschaft hat schon viele Arbeitsplätze vernichtet, und weitere Arbeitsplatzverluste sind wahrscheinlich. Der öffentliche Verkehr ist in den ländlichen Bezirken zusammengestrichen worden, und Kulturzentren wurden geschlossen.

Um umfassend beurteilen zu können, welche Teile der Klasse zur Arbeiteraristokratie gehören, genügt es nicht, nur auf die Löhne zu blicken, sondern man muss auch auf die Organisationen der Klasse schauen, auf Grad und Qualität ihrer Verankerung, auf ihre Geschichte von Kämpfen usw. Doch auch aus dem Monatslohn können wir schon folgern, dass die ArbeiterInnen in der Öl- und Gas- Branche als Teil der Arbeiteraristokratie angesehen werden können. Im Jahr 2012 betrug das monatliche Durchschnitts-Einkommen der Beschäftigten in der „Förderung von energieproduzierenden Mineralien“ mit 57267 Rubel und in „Kokereien und Mineralölerzeugnissen“ mit 56576 Rubeln mehr als das Doppelte des durchschnittlichen Monatseinkommens von 26822 Rubeln für alle Branchen. Ähnlich hohe Löhne gab es nur in „Finanzdienstleistungen“ mit 59070 Rubeln, einer Branche aber, die sich sozial deutlich vom Rest der Arbeiterklasse unterscheidet.

Die am schlechtesten bezahlten ArbeiterInnen sind die legalen oder illegalen ArbeitsmigrantInnen, vor allem aus den zentralasiatischen Ex-Sowjetrepubliken. In der Sowjetunion wurde die interne Migration weitgehend kontrolliert und geplant, brachte aber bereits ein Plus von 9 Millionen Einwohnern nach Russland (33). Ab 1990 zogen weitere Millionen nach Russland entweder auf der Flucht vor Kriegen und schweren Konflikten innerhalb der ehemaligen SU-Republiken oder, um Arbeit zu finden. Diese Migration schwankt je nach Saison und wirtschaftlicher Entwicklung und Zahlen für „illegale“ (34) Einwanderung sind eher mit Vorsicht zu behandeln. Allerdings würde eine Zahl zwischen 10 und 12 Millionen ArbeitsmigrantInnen, wie sie häufig genannt wird, rund 15 Prozent der arbeitenden Bevölkerung entsprechen und einen noch höheren Anteil an der Arbeiterklasse darstellen. Wie auch anderswo auf der Welt, werden MigrantInnen im Baugewerbe, saisonal in der Landwirtschaft, in Logistik, Gaststättengewerbe und Handel eingesetzt. Sie sind Opfer von anti-islamischem, anti-asiatischem und anti-kaukasischem Chauvinismus und Rassismus.

Arbeiterinnen haben noch mehr unter der Umstrukturierung der Wirtschaft als die Männer gelitten. Sie wurden oft aus den besser bezahlten Arbeitsplätzen herausgedrückt und der Gender Pay Gap ist größer geworden, da die Schere zwischen hohen und niedrigen Löhnen weiter auseinander gegangen ist. So wurden die unteren Schichten, in denen bereits zur Sowjetzeit mehr Frauen tätig waren, am härtesten getroffen (35). Die Schließung von Einrichtungen zur Kinderbetreuung in den Arbeitsstätten schloss noch mehr Frauen von dauerhaften und Vollzeit-Arbeitsplätzen aus. Die Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt ist stark und offensichtlich. In jeder Bewegung gegen die Angriffe auf den öffentlichen Dienst, in der gewerkschaftlichen Organisation von Einzelhandel und den schlechter bezahlten Branchen dürften Frauen eine starke Rolle spielen und haben dies auch schon gezeigt.

Organisationen der Arbeiterklasse

Als Reaktion auf die wachsende Zahl von Streiks, vor allem im Bergbau, verkündete die russische Regierung bereits 1991 die Einrichtung einer „Sozialpartnerschaft“. Dies wurde als ein Prinzip für die Beilegung von Arbeitskonflikten auf Bundesebene erklärt. Insbesondere in dem Präsidentenerlass „zur Sozialpartnerschaft und Arbeitskampf“ wurden als Haupt-Aktivitäten der Sozialpartnerschaft bezeichnet:

a. Unterzeichnung von jährlichen allgemeinen Vereinbarungen zwischen der Regierung der Russischen Föderation und bevollmächtigten Vertretern der Gewerkschaften und der „Arbeitgeber“-Verbände der einzelnen Republiken,

b. Unterzeichnung solcher tripartitischen Vereinbarungen auf Branchenebene und

c. Gemeinsame Verantwortung für die sozioökonomische Entwicklung einer bestimmten Branche sowie

d. Gründung einer Kommission für die Unterzeichnung der Rahmenvereinbarungen zwischen „Arbeitgebern“, Gewerkschaften und Regierung.

Sozialpartnerschaft ist meist eine hohle Phrase, mit der die Arbeiterbürokratie in den Staat integriert und an den Zielen des Imperialismus und den Bedürfnissen des Kapitals ausgerichtet werden soll. Sie kann aber auch eine materielle Basis dort haben, wo eine Arbeiteraristokratie existiert, die korrumpiert werden kann, damit sie den imperialistischen Zielen ihrer herrschenden Klasse dient. Im Russland der frühen 90er Jahren gab es allerdings nicht viel Arbeiteraristokratie, und das imperialistische Projekt musste noch definiert werden.

Die Beteiligung am Privatisierungsprozess gab den GewerkschaftsbürokratInnen die Chance, als „Comanager“ weiter zu machen (36). Im Großen und Ganzen setzten sie die Zusammenarbeit mit den neuen kapitalistischen Eigentümern fort, die sie mit den Parteiführern und Direktoren, kurz den anderen Mitglieder der Nomenklatura, gewohnt waren. Die FNPR (37) als offizieller Nachfolger der VZSPS (38) hat immer noch 23 Millionen der 37 Millionen Mitglieder aus dem Jahr 1990.

Zu den wichtigen Gewerkschaftsverbänden gehört auch die KTR (38), die aus einer Fusion von VTK (39) und KTR (40)im Jahre 2006 mit 2,4 Millionen Mitgliedern entstanden ist, im Allgemeinen der militantere Verband (41). Eine seiner Mitgliedsgewerkschaften ist die MPRA (42), die als kämpferische Organisation in der transnationalen Automobilindustrie (Ford, VW, BENTELER) aktiv ist. Seit ihrer Gründung im Jahr 2006 hat sie sich durch militante Streiks ihren Platz erkämpft. Ihre FührerInnen sind immer wieder der Repression durch Staatsorgane, lokale Verwaltung, Security-Trupps und nicht identifizierbare Schläger ausgesetzt. Einige der AnführerInnen haben sozialistische und kommunistische Einstellungen.

Die Kommunistische Partei ist keine bürgerliche Arbeiterpartei im klassischen Sinne. Sie vertritt jenen Teil der stalinistischen Bürokratie, der nicht in der Lage war, Teil der neuen Bourgeoisie zu werden. Als solche spiegelt sie die Wut derjenigen wider, die nicht von der Privatisierung und der kapitalistischen Entwicklung profitiert haben. Unter dem Putin-Regime übernimmt sie die Grundausrichtung der Politik in Bezug auf deren imperialistischen Strategie, ihren Nationalismus und Chauvinismus. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie sich in eine bürgerliche Arbeiterpartei verwandelt, falls sich die Verhältnisse ändern und sie zwingen sollten, sich in eine offene Opposition zu begeben und eine erhebliche Zahl von ArbeiterInnen in ihre Reihen aufzunehmen – ohne allerdings ihre Politik grundlegend zu verändern.

Es gibt mehrere Gruppierungen, die sich von der KP abgespalten haben, wie die All-Russische Kommunistische Partei der Zukunft, die KP der Sowjetunion, die All-Unions KP (Bolschewiki), die Russische Kommunistische Arbeiterpartei der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU-RCWP) oder die Kommunisten Russlands. Im Allgemeinen sind sie alle rückwärtsorientiert und suchen im Stalinismus eine Antwort auf den Nationalismus und Opportunismus der KPRF.

Die Links-Front war ein Versuch, linke Gruppen zu vereinen und ihre Ursprünge liegen im Russischen Sozialforum. Später schloss sich die Avantgarde der Roten Jugend an, deren Führer Sergej Udalzow war, der zur zentralen Person der Links-Front wurde. In der praktischen Politik gab und gibt es methodische Unklarheit im Verhältnis zur liberalen Opposition. Es ist eine Sache, gemeinsame Proteste zu demokratischen Fragen zu organisieren, etwas ganz anderes ist es zu akzeptieren, dass soziale Fragen aus den Protesten ausgeklammert werden sollen oder politische Plattformen oder sogar Koalitionen zu bilden mit Leuten wie Kasparow und seiner Partei „Anderes Russland“. Die Links-Front gründete auch eine offizielle Partei, die ROT-Front (43), zusammen mit anderen Organisationen. Das hinderte Udalzow nicht, gleichzeitig als Wahlkampf-Manager für Sjuganow bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2012 zu fungieren.

Der russische Kapitalismus heute

Die politische Schwäche der Bourgeoisie hat ihr Spiegelbild, aber auch ihren Ursprung in der Art der Akkumulation. Es ist schwierig, an Zahlen zu kommen, um eine Quote zu berechnen, aber ein großer Teil des kapitalistischen „Gewinns“ stammt aus Rente (44) und nicht aus der Produktion von Mehrwert (45). Dies ist in der Öl- und Gasproduktion ganz offensichtlich, wo niedrige Produktionskosten und die hohen Preise auf dem Weltmarkt es erlauben, dass ein großer Teil des Profits als Rente verteilt wird.

Es gibt auch eine Erscheinung, die Dzarasow „Insider-Rente“ nennt. Die Insider sind in diesem Zusammenhang die Manager oder Anteilseigner, die in der Lage sind, die Geldzirkulation zu ihrem eigenen Vorteil oder dem ihrer Verbündeten zu steuern. Dadurch wird ein Teil des Gewinns (oder des potenziellen Gewinns, da dies auch in einem verlustmachenden Unternehmen praktiziert werden kann) umgeleitet. Diese Insider sind kaum oder gar nicht an der allgemeinen Entwicklung des Unternehmens interessiert, da ihre Einkünfte davon mehr oder weniger unabhängig sind.

Diese Art der „Gewinn-Erzeugung“ ist in Russland aus zwei Gründen sehr weit verbreitet (46). Der grundlegende ist, dass sich diese Art Gewinne in der Epoche des verfallenden Imperialismus ausdehnt. Getrieben vom tendenziellen Fall der Profitrate, suchen KapitalbesitzerInnen nach anderen Wegen: „Geld machen“ außerhalb der Mehrwertproduktion. Eine Methode, die der „Insider-Rente“ ganz ähnelt, ist, wie Hedge-Fonds mittelständische Unternehmen übernehmen. Die Vermögenswerte werden sofort verkauft oder in eine eigene Gesellschaft ausgegliedert, von der die Produktionsfirma sie zurückzumieten hat. Das flüssige Geld wird an den Hedge-Fonds überführt und das Unternehmen muss es wieder leihen. Dies ermöglicht es, „Gewinne“ bei Hedge-Fonds auszuweisen völlig unabhängig von der realen Profitrate des Produktions-Unternehmens.

Der zweite Grund ist, dass die Technik, öffentliche Gelder gezielt in private Hände zu kanalisieren, in Russland verbreitet ist, aber auch mit den Privatisierungsprozessen auf der ganzen Welt zugenommen hat: die Public Private Partnership (PPP) in Großbritannien und die Privatisierung der Eisenbahn in Deutschland sind dafür prominente Beispiele.

Die dominierenden Formen, in denen „Insider Rente“ in Russland kreiert wird, sind natürlich eng mit den Methoden der stalinistischen Bürokratie verwandt, die diese genutzt hat, um sich ihre Privilegien zu sichern.

Diese Wege zur Beschaffung von kapitalistischen Einkünften werden also einmal in einem kapitalistischen System begünstigt, das sich weltweit in der Krise befindet, zweitens aber auch von einer russischen Bourgeoisie bevorzugt und ständig reproduziert, deren dominierende Kraft noch immer die Staatsbürokratie ist. Diese Reproduktion erfolgt sehr praktisch. Firmen, die produzieren wollen, sind gezwungen, staatlichen Schutz zu suchen und dafür „Rente“ zu liefern. So integrieren sie sich in das System und stützen es. Natürlich tun sie dies widerwillig. Die Protestwelle von 2012 wurde teilweise auch durch die Unzufriedenheit der liberalen, „unternehmenden“ Schicht der russischen Bourgeoisie angefeuert. Sie wollen keine „Insider-Rente“ abdrücken, sondern beanspruchen vielmehr ihren eigenen Anteil an der Grundrente aus der Öl- und Gas-Gewinnung.

Andererseits muss die Putin-Administration die Wehrwert produzierenden Kapitalisten fördern. Sie hat das mit einigem Erfolg und mit Milliarden an Subventionen in der Agrar-  und Lebensmittelbranche getan, in der sich etwa 50 Riesen-Unternehmen gebildet haben (47). Das müsste auch in der verarbeitenden Industrie geschehen und es gibt entsprechende Versuche in der Autoindustrie. Wenn dies gelingt, würde dies der russischen Bourgeoisie mehr Gewicht und Selbstwertgefühl verleihen, aber Investitionen in diesen Sektoren stärken auch den Einfluss ausländischen Kapitals (48).

Die beiden Flügel der russischen Bourgeoisie sind im Grunde aufeinander angewiesen. Der bonapartistische Staatsapparat muss die Wirtschaft entwickeln und somit den privaten Sektor stärken. Die liberale Bourgeoisie, die sich politisch auf die Privatwirtschaft stützt, schimpft auf Putin, muss ihm aber letztlich für die Rettung des russischen Kapitalismus und seiner Rolle in der Welt dankbar sein. Dieser Konflikt wird nicht so tief wie der entsprechende in China, aber auch er eröffnet in der gleichen Weise Chancen für die Arbeiterklasse, den Kampf für demokratische Rechte auf ihre Weise aufzunehmen. Ein solcher Kampf würde eine ausgezeichnete Gelegenheit für die Arbeiterklasse bieten, sich politisch zu reorganisieren. Die Massendemonstrationen im Jahre 2012 haben das gezeigt, als die Linke und die Arbeiterorganisationen das Verbot der Liberalen, soziale Forderungen mit den demokratischen zu verbinden, durch die Aufstellungen von eigenen Marschsäulen durchbrechen konnten.

Die generelle Abhängigkeit der Liberalen und des Unternehmerflügels der russischen Bourgeoisie vom Staat, der die Ordnung aufrechterhält, reduziert den Konflikt mit Putin und seinem Apparat auf den Kampf um die Anteile an der Profitmasse. Die liberale Bourgeoisie will nicht mit einer Rendite abgespeist werden, die unter der Rente aus den Gas- und Ölgeschäften liegt. Wie ihre VorläuferInnen vor einem Jahrhundert ist sie eine schwache und feige Klasse, die von sich aus keine revolutionäre Bewegung zum Sturz von Putins  autokratischem Regime in Gang setzen wird. Das schließt jedoch nicht aus, dass sie oder ihre Verbündeten in der Intelligentsia einzelne Galionsfiguren für eine vom Ausland inspirierte und finanzierte demokratische „Farben-Revolution“ hervorbringen könnten.

Die Lösung der demokratischen Frage, die so gerne von den westlichen Imperialismen und den Medien angesprochen wird, liegt daher letztlich – wie schon 1917 – in der Hand des russischen Proletariats. Sie schließt den Kampf für demokratische Forderungen, für Frauenrechte und LGBT-Rechte, für das Recht auf Lostrennung und der Selbstbestimmung für nationale Minderheiten und Republiken und die Lösung einer neu entstandenen Landfrage mit ein.

Russland und seine Nachbarn

Der Auflösung der Sowjetunion wird nicht nur in den neu gebildeten Republiken, sondern auch von der Russischen Föderation als „Unabhängigkeit“ bezeichnet und gefeiert. Die GUS, die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, wurde aus 11 post-sowjetischen Republiken gebildet. Georgien schloss sich 1993 an, trat jedoch 2008 wieder aus. Turkmenistan reduzierte seine Vollmitgliedschaft im Jahr 2005 von sich aus auf assoziierte Mitgliedschaft. Die Ukraine schwankte bezüglich ihrer Mitgliedschaft seit vielen Jahren und beendete diese nach der Abspaltung der Krim im Jahr 2014.

Als Mittel, die russische Vorherrschaft zu sichern, wurde das Projekt GUS zu einem Fehlschlag und musste es werden. Völlig ausgelastet damit, sich selbst als herrschende Klasse aufzubauen, war die russische Bourgeoisie der Aufgabe, die imperialistische Beherrschung der Nachbarländer zu organisieren, nicht gewachsen. Natürlich funktionierte die GUS auch nicht als geschwisterliche Gemeinschaft. In einer imperialistischen Weltordnung gibt es so etwas nicht. Die USA und die EU nahmen sofort die umliegenden Staaten ins Visier. In den Kriegen und Konflikten zwischen Aserbaidschan und Armenien, Russland und Georgien und als die Krim gegen den Willen der Ukraine sich Russland  anschießen wollte, spielte die GUS keine Rolle, weder setzte sie den russischen Bestrebungen Grenzen noch wehrte sie den Einfluss des US-oder EU-Imperialismus ab. Letztere banden auch 6 der GUS-Staaten im Jahr 2009 trotz der Proteste Russlands in die „Osteuropa-Partnerschaft (49) ein.

Einige der GUS-Staaten stehen heute allerdings eindeutig unter der Dominanz Russlands. Weißrussland entwickelt kaum eigene Außenpolitik und ist wirtschaftlich eng mit Russland verbunden. Kasachstan bekommt 36 Prozent seiner Importe aus Russland, China liegt mit 18 Prozent auf dem zweiten Platz, andere Imperialisten weit dahinter (50). Beide Länder sind Mitglieder der gleichen internationalen Vertrags-Organisationen wie Russland: Der euro-asiatischen Freihandelszone und der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO).

Obwohl Russland immer das Ziel hatte, die Ukraine in diesen Block zu integrieren, wurden deren umfassende wirtschaftliche Beziehungen zu Russland, die gegenseitigen Ausfuhren und Einfuhren, mehr und mehr durch Verbindungen zur EU ersetzt. Im Vergleich zu Weißrussland und Kasachstan ist die Ukraine ein verhältnismäßig weit entwickeltes Industrieland, das nicht so sehr Rohstoffe und Energie exportiert wie Kasachstan und Russland selbst, sondern auch Hightech-Produkte wie Rüstungsgüter, Flugzeuge, Schiffe und Kraftwerke.

Armenien, Aserbaidschan, Moldau, Tadschikistan, Kirgisistan und Usbekistan sind im hohen Maße Arbeitskräftereservoirs für Russland. Im Jahr 2011 waren von den mehr als 9 Millionen ArbeitsmigrantInnen in Russland etwa 2 Millionen UsbekInnen, TadschikInnen etwa 1 Million und 500.000 KirgisInnen (51). Einige dieser Länder hängen stark von diesem Export von Arbeitskräften ab. Der Geldtransfer von Russland nach Tadschikistan betrug im Jahr 2009 rund 30% des dortigen BIP, in der Republik Moldau etwa 20% (52).

Die wirtschaftliche Schwäche Russlands macht die Kontrolle über die anderen ehemaligen Sowjetrepubliken anfällig, wie die Angebote der EU zeigen. In allen europäischen Statistiken bezüglich BIP pro Kopf oder Durchschnittseinkommen rangieren Ukraine, Weißrussland und Moldawien ganz unten. Die Schwierigkeiten Russlands bei der Entwicklung einer herrschenden Klasse und deren Problemen, unter den Vorzeichen der globalen Krise des Kapitalismus eine nationale Wirtschaft zu entwickeln, vervielfachen sich in den Satellitenstaaten. Das Angebot einer Eurasischen Freihandelszone ist nicht das überzeugendste Angebot. Die USA und noch mehr die EU, können höhere Löhne für WanderarbeiterInnen bieten und für die Intelligentsia Posten in EU-Verwaltung und Handelsvertretungen für Importprodukte.

Die wirtschaftlichen Beziehungen Russlands zu seinen Nachbarn sind also vor allem der Export von Energie und die Einfuhr von MigrantInnen. Andererseits war Russland durchaus in der Lage, im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan  zu intervenieren, Truppen nach Abchasien und Südossetien gegen Georgien zu senden und auch nach Transnistrien gegen den Willen Moldawiens und auf die Krim gegen den Willen der Ukraine. Die Tatsache, dass in diesen Fällen die jeweilige Bevölkerung diese Interventionen unterstützte, hat es sicher leichter für Russland gemacht, aber es beweist trotzdem, wer hier der imperialistische Herr ist und wer die halbkolonialen Knechte sind.

Im umgekehrten Fall, wie etwa im Tschetschenien-Konflikt, war keiner der Kaukasus Staaten in der Lage, einzugreifen, selbst wenn er gewollt hätte. In der Tat kann man Tschetschenien als eine Kolonie Russlands ansehen, denn diese Republik erklärte ihre Autonomie und hatte sogar eine anerkannte Regierung, bevor sie erneut von russischen Truppen besetzt wurde. Auch dies belegt den imperialistischen Charakter des russischen Staates: Er hat sowohl die militärische Macht als auch die Wirtschaftsreserven, um dieses Pulverfass unter Kontrolle zu halten, eine Kontrolle, die sich unter Putins Bonapartismus deutlich gestärkt hat. Dieser Konflikt kann auch als Maßstab für Russlands imperialistisches Potenzial und dessen Entwicklung angesehen werden.

Russland und die EU

Unter Putin hat Russland bisher eine klare Präferenz für eine Zusammenarbeit mit der EU gezeigt, vor allem mit seiner dominierenden Kraft, dem deutschen Imperialismus. Dies dürfte auch von einem starken Gefühl des Anti-Amerikanismus in Russland unterstützt werden, einer Folge des Kalten Krieges (53) und der Erfahrung der 90er Jahre, als die USA schnell jeden Kredit verspielten, den sie anfangs in der öffentlichen Meinung gewonnen hatten. In jedem Fall besitzt diese Orientierung eine materielle Basis in der Tatsache, dass dies eine wichtige wirtschaftliche Kombination darstellt: Russland schickt Gas und Öl, EU/Deutschland liefern Technik.

Im Jahr 2013 gingen 13,3 Prozent der russischen Exporte in die Niederlande, 7,5 Prozent nach Italien und 7 Prozent nach Deutschland, nur 2,1 Prozent in die USA. Polen (3,7 %), Großbritannien (3,4 %) Finnland (2,4 %) lagen alle vor den USA und Lettland (2 %) nicht weit dahinter (54). Im Jahr 2012 gingen 52,9 Prozent der Exporte in die EU, 6,8 % nach China, 3 % nach Japan und nur 2,5 Prozent in die USA. Aus der EU kamen 41,9 Prozent der Importe, 16,3 % aus China und 4,9 % jeweils aus den USA und Japan. Das Gesamtvolumen des Handels zwischen der EU und Russland hat sich zwischen 2003 (108 Mrd. Euro) und 2013 (326 Mrd. Euro) verdreifacht. (55)

Russland hat versucht, diese Beziehungen zur EU zu vertiefen. Zum Beispiel mit dem Versuch, eine einfachere Visa-Regelung zu vereinbaren. Diese wird häufig von westlichen Geschäftspartnern sowie von der russischen Bevölkerung gefordert. Vonseiten der EU wurden diese Gespräche immer wieder verschoben. Obwohl dies zeigt, dass die EU sich in der etwas stärkeren Position befindet, ist Russland seinerseits nicht bereit, den EU-BürgerInnen leichteren Zugang zu gewähren, als die EU dies russischen StaatsbürgerInnen erlaubt. Schwache Staaten wie die Ukraine oder Serbien sind gezwungen, dies zu tun.

Russland und der US-Imperialismus

Die Vereinbarung, die Gorbatschow abschloss und die die NATO verpflichtete, nicht zu versuchen ihre Ausdehnung auch nur „einen Zoll Richtung Osten“ zu vergrößern, wurde vom US-Imperialismus sicher nie ernst genommen. Das begleitende Angebot an Russland, der NATO beizutreten, wahrscheinlich auch nicht. Wenn es überhaupt eine Bedeutung hatte, dann die, dass Russland eine Halbkolonie werden sollte oder vielleicht eine Regionalmacht unter der Kontrolle der USA.

Die USA begannen unmittelbar nach dem Zerfall der Sowjetunion, ihren Fuß in die Tür zu stellen. Ihr Fokus lag auf Zentralasien, und sie waren bereits im Irak tätig. Mit der Kontrolle über Georgien und Aserbaidschan wollten sie eine direkte Verbindung vom Schwarzen Meer bis zum Kaspischen Meer erreichen, womit gleichzeitig die Ambitionen Russlands nach Süden blockiert wären. Diese sogenannte „Silk-Road-Strategie“ wurde sogar als Gesetzentwurf des Repräsentantenhauses im Jahr 1999 angenommen. Die Intervention in Georgien mit der „Rosenrevolution“ von 2003 unterstrich diese Ambitionen. Die USA konnten die Spannungen zwischen Georgien und Russland (Abchasien, Südossetien) und zwischen Aserbaidschan und Russland und Armenien mit der Unterstützung im Konflikt um Berg-Karabach effektiv nutzen.

Ein starker Angriff auf die Position Russlands war und ist die US-Politik in der Ukraine. Bereits im Jahr 2004 mit der Inszenierung der orangenen „Revolution“ war dieser Angriff offensichtlich. Allerdings ersetzten die Wahlen im Jahr 2008 Timoschenko mit Janukowytsch, und Russland hatte Boden zurückgewonnen. Der Maidan und die folgenden Aktivitäten, die Entsendung von Militärexperten und Söldnern sowie die Versuche, die wertvollsten Vermögenswerte des Landes an sich zu reißen, waren gut vorbereitet. (56)

Für die USA hatte ihre Intervention in der Ukraine sowie die georgische Provokation, der Angriff auf Südossetien im Jahr 2008, auch das Ziel, die Beziehungen zwischen Russland und der EU/Deutschland zu stören. Beide Aktionen wurden mit politischem Druck auf die europäischen Länder verbunden, auf Konfrontationskurs zu Russland zu gehen, sowie mit der Forderung nach Wirtschaftssanktionen. Diese haben natürlich fast überhaupt keine praktischen Folgen für die US-Wirtschaft, können aber ein schwerer Schlag für die EU sein.

Auf der anderen Seite hat Russland effektiv die US-Ambitionen in Syrien geblockt. Hier hatten beide Staaten Einfluss: Russland wurde eine Marinebasis gewährt und Baschar al-Assad hatte den Weg frei gemacht für die US-Forderungen nach wirtschaftlichem Zugang und nach Privatisierung. Als die Revolution des syrischen Volkes im Jahr 2010 begann, bestand die US-Strategie darin, konterrevolutionäre islamische Kräfte zu finanzieren und auszurüsten, um die Führung des Kampfes zu übernehmen, damit das progressive Potential der Revolution zu zerstören, aber auch um Assad unter Druck zu setzen oder ihn sogar aus dem Amt zu drücken. Natürlich hatte dies auch das Ziel, die Position Russlands zu schwächen. Russlands ebenfalls konterrevolutionäre Strategie war es, das Assad-Regime mit Waffen zu versorgen, was Assad erst einmal gerettet und die US-Ambitionen in Schranken gewiesen hat.

Russlands Platz in der Welt von heute

Im globalen imperialistischen Systems von heute gibt es keine stabilen Lager wie während des Zweiten Weltkriegs oder des Kalten Krieges. Zur gleichen Zeit kann es Konfrontation in einem Teil der Welt geben, Zusammenarbeit in einem anderen, sehr ähnlich wie die Konkurrenz, die zwischen kapitalistischen Monopolen herrscht, welche auch bei einem Projekt oder auf  einem spezifischen Markt kooperieren und sich heftig gegenseitig woanders angreifen können. Die einfache Logik für solches Verhalten liegt in der Tatsache, dass die Zusammenarbeit sofort Vorteile erbringen könnte, die für andere Projekte oder Konflikte eingesetzt werden können. Auch bedeutet Zusammenarbeit nicht unbedingt, dass beide Partner sich den Gewinn gleichmäßig teilen oder dass überhaupt Gewinn aus der Angelegenheit erwächst (57).

Trotz der erheblichen wirtschaftlichen Schwäche, die teilweise von der Krise ausgeglichen wurde, die die alten imperialistischen Mächte mehr getroffen hat als die neuen, hat Russland erfolgreich einen Platz unter den führenden imperialistischen Mächte erobert und verteidigt. Seine Trumpfkarten sind sein lange währender Einfluss in den Nachbarländern, die natürlichen Ressourcen und seine militärische Macht.

Die Veränderungen im globalen imperialistischen Systems in den letzten 25 Jahren waren nur möglich durch die endgültige Niederlage der degenerierten Arbeiterstaaten, einer historischen Niederlage für die Arbeiterklasse, und durch die globale Krise des Kapitalismus, die sich zwar schon seit Jahrzehnten aufgebaut hatte, aber – in geschichtlichen Dimensionen vorübergehend – durch die Niederlage der Arbeiterstaaten verschoben worden war. Beide Faktoren erlaubten Russland, eine imperialistische Macht zu werden und einen- wenn auch schwachen – Platz in der Runde der globalen imperialistischen Spieler zu besetzen.

Natürlich sehen die USA, die akzeptierten oder besser akzeptieren und sogar fördern mussten, dass Chinas zum imperialistischen Rivalen herangewachsen ist, nichts Positives in Russlands Zuwachs an Macht. Deshalb ist Washington mehr gegen Russland als gegen die EU und China eingestellt, die gezwungen sind, das Spiel von Zusammenarbeit und Konfrontation zwischen den imperialistischen Mächten mitspielen zu müssen, um ihre Position zu halten.

Russland ist als imperialistische Großmacht wieder auferstanden. Aber so sehr das andere Imperialisten ärgern mag, das Ziel für RevolutionärInnen muss es sein, dies wieder zu beenden, mit einem neuen Oktober und der Wiedererrichtung der Sowjetmacht – in Russland, aber nicht nur dort!

Endnoten

(1) Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Imperialismus, Lenin Werke 22, 189-309

(2) Diese Gefahr drückt sich in der Furcht aus, dass China in den Fernen Osten oder Sibirien einfallen könnte oder die USA in den südlichen Kaukasus. Beide Szenarien werden in Filmen, Artikeln oder in nationalistischer Propaganda ausgemalt.

(3) Das ist das Ziel der Euro-Asiatischen Freihandelszone

(4) Leo Trotzki, Verratene Revolution

(5) Die Tatsache, dass die widerlichsten Oligarchen wie Anatolij Tschubajis oder Chodorkowski ursprünglich zu einer hochrangigen Gruppe von Komsomol(Komm. Jugendverband)-Mitgliedern gehörten, die als Kapitalisten extra ausgebildet wurden, widerspricht dem nicht. Es zeigt nur, dass sie offensichtlich besser nach den neuen Regeln spielen konnten als die alten Bürokraten. Gorbatschows “Junge Garde” war keine soziale Schicht, nur ihr Werkzeug..

(6) Auf die Intelligentsia weist Dzarasow hin in: Ruslan Dzarasov (2011): Werewolves of Stalinism: Russia’s Capitalists and their System, Debatte: Journal of Contemporary Central and Eastern Europe, 19:1-2, Seite 473. Dzarasow seinerseits zitiert Lane und Menschikow: „Lane spricht von zwei zentralen sozialen Gruppierungen, die den Untergang des Sowjetsystem förderten und dessen Übergang zum Kapitalismus. Dies waren die „verwaltende Klasse“, bestehend aus Menschen, die bürokratische Kontrolle über die Produktion, Bildung und Wissenschaft ausübten, und die „aneignende Klasse“, die sich aus der Intelligentsia bildete, die ein Interesse an der Nutzung von Marktmechanismen hatten als einem Weg, um von ihrem Fachwissen zu profitieren. Zu diesen beiden sozialen Kategorien können die Schwarzmarkt-Unternehmer hinzugefügt werden, die sich nach und nach innerhalb der Poren des Sowjetsystems entwickelt hatten (Menschikow).

(7) Diese Schicht und ihre Rolle verdient noch genauere Untersuchung. In Deutschland produzierte sie eher PolitikerInnen wie die derzeitigen Staats- und Regierungsspitzen.

(8) Dzarasow, Seite 474

(9) Dass der (Ex-) Oligarch Chodorkowski, der vermutlich gerissenste Sammler gestohlenen öffentlichen Eigentums, heute von Merkel und Co. als Held der demokratischen Bewegung gefeiert wird, zeigt nur wie anpassungsfähig die moralischen Standards westlicher bürgerlicher PolitikerInnen sind.

(10) Dekabr ist russisch für Dezember, dem Monat, in dem der Aufstand stattfand.

(11) Trotzki, Geschichte der Russischen Revolution, Band 1 Februar, Seite 16 und 17, Fischer 1973

(12)Trotzki, Geschichte der Russischen Revolution, Band 1 Februar, Seite 165, Fischer 1973

(13) Hier besteht ein Unterschied zur chinesischen Bürokratie. Die chinesische Bourgeoisie konnte in Taiwan und Hongkong weiter existieren. Die stalinistische Bürokratie in der Volksrepublik China kann also als deren Agentin angesehen werden.

(14) Menschikow, zitiert nach Dzarasow

(15) Dzarasow, Seite 475: „Die wichtigste Aufgabe, aus dieser Sichtweise, war es so schnell wie möglich und zu jedem Preis eine Klasse von privaten Eigentümern zu schaffen, die jede „Kommunistische Revanche“ ausschließen würden.“

(16) „Es ist eine Sache, die Kontrolle über und das Eigentumsrecht an Produktionsmitteln zu übertragen, die neuen Besitzer dann dazu zu bringen, als Agenten des Kapitals zu handeln ,und die ArbeiterInnen zu zwingen ,eine mehrwertproduzierende ausgebeutete Klasse zu werden, ist nochmal was ganz anderes.“ Übersetzt aus Keith Harvey 1997: Russia: The death agony of a workers‘ state, 30/06/1997 http://www.fifthinternational.org/content/russia-death-agony-workers-state

(17) Neue Züricher Zeitung

(18) Zitiert nach Aitowa, Gulnara.

(19) Arbeitslosenquote der ILO und die bei örtlichen Arbeitsämtern registrierte Arbeitslose 1992-2011, Quelle: Russischer Föderaler Dienst für Statistik (Rosstat)

(20) Trotz des starken Transformationsschocks nach dem Ende der Sowjetunion, in dessen Verlauf das Bruttoinlandsprodukt in den 1990er Jahren um bis zu 40 % einbrach, hatte Russland im Vergleich zu anderen Transformationsländern stets eine relativ niedrige Arbeitslosenquote. Ihren Höchstwert erreichte die Arbeitslosigkeit im Krisenjahr 1998 mit 13 %, während sie in der Transformationsphase in vielen anderen Ländern, darunter Polen, Slowakei und Bulgarien bei fast 20 % lag.

Der Grund, warum die Arbeitslosigkeit in Russland trotz der extremen Wirtschaftskrise relativ niedrig ausfiel, liegt im russischen Arbeitsmarktmodell. Der russische Arbeitsmarkt reagierte auf die Wirtschaftstransformation nicht mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit, sondern mit starken Einbußen für die Beschäftigten durch gewaltige Arbeitszeitverkürzungen, starke Einschnitte bei den Reallöhnen, riesige Rückstände bei den Lohnzahlungen, verbreiteten Zwangsurlaub und eine unzureichende Durchsetzung des Arbeitsrechts. Hinzu kam eine umfangreiche Umverteilung der Arbeitskräfte.

http://www.laender-analysen.de/russland/pdf/Russlandanalysen200.pdf

(21) Hierzu bringt der Artikel „Putins Regime – Politische und ökonomische Aspekte der kapitalistischen Restauration in Russland“ von M. Pröbsting eine umfangreiche Darstellung.

(22) „Im Gegenteil, die spezielle Eigenart der russischen Restauration lag in dem enormen Widerspruch zwischen der Form des Privateigentums und dem Inhalt der sozialen Beziehungen der Produktion und des Warenaustausches, der hinter dieser Rechtsform lag. Dies war dem kombinierten – und daher kompromisshaften – Charakter des Transitionsprozesses geschuldet. Der Prozess beruhte auf einem wackeligen Kompromiss zwischen den Kräften der bürgerlichen Konterrevolution außerhalb der regierenden Stalinistenschicht und jenen innerhalb dieser Schicht, die gerne zu einem wichtigen Teil der neuen Kapitalistenklasse werden wollen.“ Harvey, Übersetzung aus dem Englischen.

(23) „Im Prozess der kapitalistischen Restauration ist der Staat die treibende Kraft. Der Staat muss den alten wirtschaftlichen Verwaltungsapparat zerstören und das rechtliche und politische Rahmenwerk schaffen, in dem kapitalistische Klassenbeziehungen in der Produktionssphäre entstehen. Dieses Rahmenwerk muss die Beziehungen zwischen der Arbeiterklasse und der neuen Ausbeuterklasse bestimmen und die Kosten der Restauration auf die ArbeiterInnen abwälzen. Das ist die erste und grundlegende Aufgabe des Staatsapparates bei der Wiederherstellung des Kapitalismus.

Ebenso muss aber auch die neue Regierung die Grundregeln für den innerkapitalistischen Wettbewerb aufstellen. Der Staat muss als oberster Bevollmächtigter der Kapitalistenklasse handeln und sich dafür über die konkurrierenden KapitalistInnen stellen. Er muss die allgemeine Logik kapitalistischer Akkumulation gegen einzelne KapitalistInnen und sogar gegen Kapitalfraktionen, die dem Staat gehören, durchsetzen. Diese zweite, spezifisch kapitalistische, Funktion braucht im Allgemeinen länger, bis sie voll funktioniert.”

Harvey, Übersetzung aus dem Englischen. Keith Harvey kommt in seinem Artikel zum Schluss, dass Russland immer noch ein „moribunder Arbeiterstaat“ sei, da keine dieser Aufgaben bisher erledigt wäre. Die Liga für die Fünfte Internationale hat kurze Zeit später die falsche Definition des „moribunden (todkranken) Arbeiterstaates“ korrigiert, da in einer Übergangsperiode, sei sie revolutionär oder konterrevolutionär, der Charakter eines Staates sich nicht durch die ökonomischen Verhältnisse wie in „normalen“ Zeiten bestimmt, sondern durch die Zielrichtung der politischen Macht.

Diese Korrektur unserer Analyse entwertet nicht die korrekte Darstellung des Artikels, dass die Zerstörung einer Planwirtschaft, auch wenn es sich um eine bürokratische handelt, und ihre Ersetzung durch ein funktionierendes kapitalistisches System eine gewaltige Aufgabe ist, der die russische Bourgeoisie über Jahre hinweg nicht gewachsen war.

(24) Zahlen inflationsbereinigt nach Rosstat

(25) Durchschnittslöhne in Dollar:

http://www.laender-analysen.de/russland/pdf/Russlandanalysen200.pdf

Quelle: Bank of Finland Institute for Economies in Transition, BOFIT Russia Statistics, http://www.suomenpankki.fi/bofit_en/seuran

(26) Das ist allerdings untypisch für ein imperialistisches Land, sondern in Halbkolonien üblich. In vielen von diesen konkurrieren je eine mehr pro-imperialistische Partei mit einer eher patriotischen.

(27) RSPP – Russische Vereinigung von Industriellen und Unternehmern

(28) RTK – Russische trilaterale Kommission zur Regulierung von Sozial- und Arbeitsbeziehungen

(29) Russia in figures – 2013, Rosstat

(30) Russia in figures – 2013, Rosstat

(31) Gesetz der Föderation Nummer 83 vom 1.1.2011. Es provozierte Proteste und Demonstrationen vor allem der Linken.

(32) Nach Rosstat. Allerdings wurde das Verhältnis besser. Noch im Jahr 2000 war es 985 zu 2183 zu 2223.

(33) Schon seit Mitte der 1970er Jahre richtete sich die Bevölkerungsmigration innerhalb der ehemaligen Sowjetunion hauptsächlich nach Russland aus. In dieser Zeit betrug der Migrationsbonus Russlands nach Angaben der Migrationsstatistik ca. 9 Millionen Menschen. Unter Berücksichtigung der Unzulänglichkeiten der Migrationsstatistik stimmen die meisten Experten darin überein, dass das Migrationsvolumen in den postsowjetischen Jahren um das 2-3-Fache größer war als offiziell angegeben.

Tatsächlich betrug der Bevölkerungszuwachs 14-16 Millionen.

Infolge des Migrationsrückflusses nach Russland in der ersten Hälfte der 1990er Jahre verlor Kasachstan 12 % seiner Bevölkerung, Kirgisistan 10 %, Tadschikistan 9 %, Usbekistan und Turkmenistan jeweils 5 %. Unter den Ländern des Südlichen Kaukasus hatten Armenien mit 10 % und Georgien mit 8 % die größten Verluste zu verzeichnen. Aserbaidschan verlor 7 % seiner Bevölkerung. Weißrussland war das einzige Land, dessen Bevölkerung infolge der Migration aus Russland um 0,2 % wuchs.

RUSSLAND-ANALYSEN NR. 236, 23.03.2012 Die Ethnisierung der Migrationsprozesse in Russland Von Olga Vendina, Moskau

(34) „Illegal“ heißt in den meisten Fällen, dass keine Arbeitserlaubnis besteht oder erteilt wird. Für die Einreise in die Russische Föderation bestehen für die meisten BürgerInnen ehemaliger Sowjetrepubliken keine Beschränkungen.

(35) Russland (bzw. die UdSSR) gilt als Gegenbeispiel zur These, dass der Gender Pay Gap etwas mit der geringeren Qualifikation zu tun habe, da das durchschnittliche Ausbildungsniveau der Frauen immer höher gewesen ist als das von Männern.

(36) Das Gesetz wurde im Juni 1992 nach einem Kampf angenommen zwischen der Präsidialverwaltung, den lokalen Verwaltungen und den Unternehmensmanagern, die eine starke Stimme im Parlament noch seitens der nicht gewählten Abgeordneten der Gorbatschow-Ära hatten. Die Macht der Ministerien wurde dadurch geschwächt, dass alle staatlichen Unternehmen in eigenständige Aktiengesellschaften unter der Kontrolle eines Unternehmensvorstandes umgeformt wurden, bevor sie endgültig privatisiert wurden. Der Vorstand bestand aus vier Mitgliedern: dem Direktor, einem Gewerkschaftsfunktionär und je einem Vertreter der nationalen und der lokalen Regierung. Die Ministerien wurden damit ins Abseits gedrängt (Harvey).

(37) FNPR- Föderation Unabhängiger Gewerkschaften Russlands

(38) VZSPS – All-Unions-Zentralrat der Gewerkschaften

(39) KTR – Konföderation der Arbeit Russlands

(40) VKT – All-Russische Konföderation der Arbeit

(41) Anders als in vielen anderen Ländern sind die Mitgliedszahlen wohl einigermaßen verlässlich, da sie die Basis für die Vertretung in der Tripartitischen Kommission darstellen. Auch werden die Mitgliedsbeiträge weiterhin mehrheitlich durch die Firma abgeführt.

(42) MPRA  – Interregionale Arbeitergewerkschaftsvereinigung

(43) ROT steht für Russische Vereinigte Arbeit(s-Front), aber natürlich spielt der Name auch auf die militärische Organisation der KPD in der Weimarer Zeit an.

(44) „Es ist ganz einfach das Privateigentum bestimmter Personen an Grund und Boden, Minen, Wasser usw., das sie befähigt, den in den Waren dieser besondren Produktionssphäre, dieser besondren Kapitalanlagen enthaltnen Überschuß des Mehrwerts über den Profit (Durchschnittsprofit, durch die allgemeine Rate des Profits bestimmte Profitrate) aufzufangen, abzufangen, einzufangen und zu verhindern, einzugehn in den allgemeinen Prozeß, wodurch die allgemeine Profitrate gebildet wird.“ (MEW 26.2, S. 31)

Grundrente ist die Rendite, die sich durch Eigentumstitel, durch Besitz an Grund und Boden (siehe auch Bodenschätze), Immobilien und Verkehrswege (incl. Kommunikation) unter bestimmten Marktbedingungen aus dem Pachtgewinn oder der Lizenzierung von Grund- oder Raumnutzung (z.B. UMTS-Lizenzen) oder auch als rein rechtsförmiges Privateigentum entwickelt (z.B. auch Wasserrechte, Verschmutzungsrechte, Ausbeutungsrechte von Ressourcen). In letzter Stringenz betreibt sie die Verwahrlosung aller sozialen und natürlichen Beziehungen in der kapitalistischen Gesellschaft.

(45)  „Die Selbstverwertung des Kapitals – die Schöpfung von Mehrwert – ist also der bestimmende, beherrschende und übergreifende Zweck des Kapitalisten, der absolute Trieb und Inhalt seines Tuns, in der Tat nur der rationalisierte Trieb und Zweck des Schatzbildners, – ein durchaus armseliger und abstrakter Inhalt, der den Kapitalisten von einer andern Seite ganz ebenso sehr unter der Knechtschaft des Kapitalverhältnisses erscheinen lässt, wenn auch von anderer Seite her, auf dem entgegengesetzten Pol, als den Arbeiter.“ Aus: Karl Marx, Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses, Ffm., 1969, S. 18

(46) Dzarasow überschreibt seine Antwort in einer Polemik mit Simon Pirani sogar „Insider rent makes Russian capitalism“ (Die Insider-Rente bestimmt den Russischen Kapitalismus). Ruslan Dzarasov, Insider Rent Makes Russian Capitalism: A Rejoinder to Simon Pirani in Debatte: Journal of Contemporary Central and Eastern Europe

http://www.tandfonline.com/loi/cdeb20

(47) The total amount of subsidies in the year 2009 were 3.7 billion US$, in2010 5.5 billion US$. The goal of the government is to raise the quota of self-sufficiency from 60 to 85% (Handelsblatt: Russlands Landwirtschaft: Die Erben der Kolchosen von Regine Palm  und Florian Willershausen 13.06.2010)

(48) Ebenda

(49) Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldawien, Ukraine und Weißrussland

(50) http://atlas.media.mit.edu/profile/country/kaz

(51) Der “Standard”, 27.8.12

(52) Die „Welt” 5.1.11

(53) Im Gegensatz dazu der „Große Vaterländische Krieg“, der – im herrschenden Sprachgebrauch – gegen die Faschisten geführt wurde und nicht gegen die „Deutschen“, wie es umgekehrt in US-Darstellungen der Fall ist.

(54) www.worldstopexports.com

(55) European Commission, Directorate-General for Trade

(55) Nach ihren eigenen Quellen investierten die USA über verschiedene Institutionen mehr als 5 Mill $.

(57) Letzteres ist meistens der Fall, wenn die Rede von der „Übernahme von Verantwortung“ ist. Es bedeutet meistens, Truppen loszuschicken, um irgendeine unerwünschte Bewegung oder einen Konflikt zu unterdrücken.

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