Oda Lux, Neue Internationale 292, Juni 2025
Schon bei der Abstimmung 1997 im Bundestag, als darüber entschieden wurde, ob Vergewaltigung in der Ehe zukünftig strafbar sein sollte, glänzte Friedrich Merz damals damit, vehement dagegen zu sein. Auch fast 30 Jahre später ist und bleibt er ein Frauenfeind. Seine neue Bundesregierung plant Angriffe auf Frauen und Queers, die ganz im Sinne der Krise, der antifeministischen Grundstimmung und Kriegstreiberei sind. Wichtig ist hierbei, dass die problematischen Vorschläge im Koalitionsvertrag entweder nur verklausuliert drinstehen oder erst dann sichtbar werden, wenn wir sie vor dem Hintergrund der politischen und ökonomischen Gesamtsituation sehen. Wir haben bereits zuvor über die Pläne der Merz-Regierung berichtet.1
Unter Agenda 2030 verstehen wir, ähnlich wie die Agendapolitik in den 2000er Jahren, einen vollumfassenden Angriff auf die Arbeiter:innenklasse durch einen nachhaltigen Angriff auf Strukturen bzw. deren Umbau. Dazu zählen massive Kürzungen und Privatisierungen, ein Umbau von Infrastruktur und Schlüsselindustrien im Sinne der Kriegsvorbereitung, ein Angriff auf demokratische, aber auch Arbeiter:innenrechte (bspw. die Wochenarbeitszeit) sowie mehr Rassismus, Frauen- und Queerfeindlichkeit. Profiteur dieses Umbaus ist das deutsche Kapital, welches dann besser ausbeuten, kündigen und die Krise auf dem Rücken der Arbeiter:innenklasse, in erster Linie der migrantischen, von sich abwenden kann. Wenn all diese Spaltung und Zuspitzung der Widersprüche nichts helfen, bereitet es sich gleichzeitig auf Krieg vor.
Mal abgesehen davon, dass Merz schon innerhalb der CDU mit sexistischen Stereotypen glänzt, indem er etwa Frauen fachfremd einfach in die Familienkommission setzt, nur weil sie Frauen sind, birgt der Koalitionsvertrag noch mehr böse Überraschungen, die gar nicht so überraschend sind. Auf 146 Seiten findet man gerade mal 40 Treffer für das Wort Frau und zwei Mal queer (im Vergleich: Bundeswehr erscheint 19 Mal). Neben den üblichen Phrasen, wie wichtig man Frauen findet, finden sich auch wenige inhaltliche Ziele. Zu den längst überfälligen Vorschlägen gehört der Mutterschutz für Selbstständige, der kommen soll. Blöd nur, wenn in quasi allen Branchen in Deutschland, bis auf jene, die auf Krieg umstellen, derzeit weggekürzt und entlassen werden soll.
Die Haushaltskürzungen der Berliner Landesregierung geben hierbei einen Vorgeschmack, wie es aussehen kann. Diese haben vor allem Kultur-, Sozialprojekte und Infrastruktur getroffen, was wiederum bedeutet, dass a) Einsparungen und Kürzungen vor allem in Branchen stattfinden, in denen vermehrt Frauen arbeiten, und b) Reproduktionsarbeit systematischer ins Private gedrängt wird, was somit die Doppelbelastung für Frauen steigert. Während also formal ins Koalitionspapier lose Versprechungen getippt wurden, wird die materielle Basis, diese zu erfüllen, unterhöhlt.
Ähnlich verhält es sich mit dem Ziel, Frauen vor Gewalt besser zu schützen, während gleichzeitig Beratungsstellen wegfallen oder Frauen sich nicht trennen können, weil man dazu Geld braucht, dieses aber durch Kürzung, Kündigung oder Unterbezahlung nicht ausreicht. In welchen utopischen Sphären sich die letzten Verbliebenen der SPD befinden, zeigt sich zudem in dem Vorschlag, bis 2030 den Gender-Pay-Gap zu schließen. Was bei guter Konjunktur schon nicht gelang, soll bei einem Wachstum von 0,0 % wie genau umgesetzt werden?
Dass die neue Koalition keine für die Klasse ist, zeigt sich auch in Frechheiten wie „Leistungsträger und ihre Familien stehen im Mittelpunkt“ oder „Leistung und Anstrengung müssen sich auszahlen“. Ein neoliberales Dogma, welches sich zwar noch nie bewahrheitet hat, aber ganz im Sinne des Stromberg-Verschnitts Merz ist. Im selben Absatz werden neben jenen, die Leistung erbringen, und jenen, die es nicht tun (Obdachlosenfeindlichkeit und Sozialchauvinismus are calling), auch Religionen, die „in Deutschland heimisch sind“, von anderen unterschieden. Hier wird ganz klar gezeigt, dass nicht alle, die in Deutschland leben, eine Daseinsberechtigung haben, Religion ein Marker ist und die Regierung entscheidet, wer dazugehört. Wer hier angeblich nicht dazugehört, ist wohl offensichtlich.
Und es wird noch besser. Auch unter der Merz-Regierung wird Abtreibung nicht legalisiert. Dazu steht im Koalitionsvertrag: „Wir wollen Frauen, die ungewollt schwanger werden, in dieser sensiblen Lage umfassend unterstützen, um das ungeborene Leben bestmöglich zu schützen.“ Hier geht es nicht um uns Frauen, unseren Körper oder unser Selbstbestimmungsrecht. Es geht um die Aufrechterhaltung einer vermeintlichen ethischen Norm, die dem Patriarchat dient. Insbesondere im Krieg werden Kinder gebraucht. In Zeiten der Kriegsvorbereitung sind es also nicht nur verstaubte Ansichten, die uns von unserem Selbstbestimmungsrecht trennen. Gleichzeitig verhöhnen sie uns, indem sich die Regierung als weltweite Kämpferin für das „Recht auf sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte“ stilisiert.
Fällt für Frauen in Deutschland schon wenig unter der neuen Regierung ab, war Merz zumindest so nett, an die Frauen weltweit zu denken. So z. B. in Syrien, wenn in einem Absatz die neokolonialen „Stabilisierungs“hilfen der Bundesregierung zusammen mit der Wahrung von Frauenrechten und der Rückkehr von Geflüchteten in ihre Heimat genannt werden. Parallel dazu wird der Familiennachzug für zwei Jahre ausgesetzt. Wer sich hier an die Remigrationsideen der AfD erinnert fühlt, ist kein/e Schelm:in, der/die Schlechtes dabei denkt, sondern lediglich jemand, der/die 1 und 1 zusammenzählt.
In regelmäßigen Abständen wird der Rainbow Europe Index veröffentlicht, der Auskunft darüber gibt, wie queerfreundlich ein Land ist. Während Belgien von Platz 3 auf Platz 2 hinter Malta geklettert ist, liegt Deutschland derzeit noch im Mittelfeld der westeuropäischen Staaten. Insbesondere was Familien- (bspw. Adoption) und Intersexrechte, Asyl oder Hasskriminalität angeht, schneidet es nur mittelmäßig ab und wird unter Merz voraussichtlich absteigen. 2024 lag Queerfeindlichkeit laut den Berliner Registern, einer Meldestelle, auf dem Höchststand seit Beginn der Erfassung.
So stufte zum Bundestagswahlkampf der LSVD+ – Verband Queere Vielfalt einige der Unionsvorschläge als queerfeindlich, gar „gefährlich“ ein, während Merz selbst in der Vergangenheit nicht nur in konservativer Manier gegen sämtliche Verbesserungen für Queers stimmte. Er äußerte sogar „Verständnis“ für Trump, der in seinem Kreuzzug gegen Frauen, Queers und People of Colour u. a. Selbstbestimmungsrechte einschränkt und wieder nur zwei Geschlechtseintragungen zulässt. Diese Intention zeigt sich bereits im Koalitionsvertrag, wo es heißt, man würde das Thema bis zum 31. Juli 2026 „evaluieren“ und „bei der Evaluation legen wir einen besonderen Fokus auf die Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche, die Fristsetzungen zum Wechsel des Geschlechtseintrags sowie den wirksamen Schutz von Frauen“. Darüber hinaus sind es vor allem Frauen und Queers, die die Schließung von Orten und Einsparungen bei Beratungsbereichen, in denen Queers häufig in einem Peer-to-Peer-Format selbst tätig sind, besonders hart trifft. Allerdings bedeutet das keine Schonfrist bis dahin.
Derzeit befinden wir uns in West- und Mitteleuropa in einer Phase der zunehmenden Militarisierung sowie Kriegsvorbereitung, und letztere zeichnen sich stets durch ein straffes binäres Geschlechterbild aus. Der starke Mann, der schaffende Mann, der kriegerische Mann stehen der hausmütterlichen, kümmernden und sich unterordnenden Frau gegenüber. Daher gehören Frauen zu den Ersten, die entlassen werden. Während Frauen im Krieg selbst mehr Rechte haben, weil sie in allen Bereichen gebraucht werden, wo Männer fehlen, bspw. in der Produktion, steigern Queers die Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft. Mit einer weiteren Verschlechterung der Lage für Queers, insbesondere jene, die zusätzlich noch migrantisch gelesen werden, ist zu rechnen.
Die Regierung Merz ist Ausdruck eines Generalangriffs. Hintergrund dafür sind die sich zuspitzenden Krisen des Kapitalismus. Einem Generalangriff können wir nur entgegentreten, wenn wir uns als Gesamtheit der Arbeiter:innenklasse, das heißt als Frauen, Queers, Arbeiter:innen, Schüler:innen oder Studierende organisieren, wo wir sind. Denn dort können wir am meisten bewegen, wenn etwa ein:e Kolleg:in gekündigt werden oder eine Mitschüler:in abgeschoben werden soll. An der Uni hingegen kann man viel direkter gegen Kriegsforschung tätig werden. Wichtig ist hierbei, dass wir unsere vereinzelten Kämpfe nicht als vereinzelt ansehen. Sie sind Teil eines großen Kampfes, weswegen wir Krieg, Krise und Kürzungen zusammen denken müssen mit Selbstbestimmungsrechten, dem Aufkommen von Faschist:innen oder dem Krieg in Gaza, anstatt diese als einzelne Teilfragen zu betrachten. Daher ist es zentral, dass der Kampf gegen Merz und seine Regierung auch in die Gewerkschaften getragen werden muss. Für Revolutionär:innen bedeutet es, sich an mehreren Fronten zusammenzuschließen, denn wir wollen dem Generalangriff eine demokratisch organisierte Masse, die sich hinter einem Programm vereint, entgegenstellen.
Dazu muss innerhalb der Gewerkschaften Druck aufgebaut werden, denn auch wenn der Verteilungsspielraum enger geworden ist, so halten aktuell weite Teile der Gewerkschaftsbürokratie an der Politik der Sozialpartnerschaft fest. Um dies zu durchbrechen, müssen klassenkämpferische Kolleg:innen sich zusammenschließen und dafür kämpfen, dass es bundesweite Mobilisierungen gegen die kommenden Angriffe und die dahinterstehende Regierung gibt – für konkrete Verbesserungen für die Arbeiter:innenklasse und Unterdrückten wie beispielsweise:
Damit das erfolgreich ist, braucht es nicht nur einfache Demonstrationen. Im Zuge dieser Mobilisierungen müssen Streikkomitees an Schulen, Unis und in Betrieben aufgebaut werden, die immer dann eingreifen können, wenn sie gebraucht werden. Die Aufgabe von Revolutionär:innen ist es hier, nicht nur diese aufzubauen, sondern auch zu politisieren. Denn in solchem Rahmen können dann beispielsweise die Situation von Frauen, Queers und von allen, die von Rassismus betroffen sind, thematisiert und ihre Forderungen eingebracht werden. Ziel muss es beispielsweise sein, unsere Arbeitsplätze sowie Räume zu verteidigen und neue zu schaffen, sie von Nazis freizuhalten oder antisexistischen und antifaschistischen Selbstschutz zu organisieren. Ebenso muss die Perspektive der Bewegung diskutiert und entschieden werden, denn klar ist: Selbst wenn ein paar 100.000 auf die Straße gehen würden, die Merz-Regierung würde nicht einknicken, denn ihr Kurs ist notwendig für die Stabilisierung des deutschen Imperialismus in den sich zuspitzenden Zeiten. Letzten Endes stellt sich somit nicht nur die Frage zu streiken, sondern auch, welche Klasse ihre Interessen durchsetzt. Auch wenn das aktuell weit entfernt scheint: Wer gegen die Regierung mobilisiert, der muss auch eine Perspektive aufwerfen. Für Revolutionär:innen kann die Mitverwaltung des kapitalistischen Elends mittels der parlamentarischen Demokratie keine Option sein. Vielmehr braucht es eine Arbeiter:innenregierung, die sich auf direkt demokratische Kampforgane eines politischen Massen- oder Generalstreiks, auf Aktionskomitees und -räte in den Betrieben und Stadtteilen und auf Selbstverteidigungsorgane dieses Kampfes stützt.
1 https://arbeiterinnenmacht.de/2025/05/05/neue-regierung-neuer-generalangriff/