Arbeiter:innenmacht

Brief an die Besetzer:innen der Géopolis an der UNIL

Gruppe Was Tun, Schweiz, Infomail 1253, 7. Mai 2024

Vorspann: Im Folgenden veröffentlichen wir einen Brief der Schweizer Gruppe Was Tun in Solidarität mit den Besetzer:innen der Universität Lausanne (UNIL). Die Universität ist seit dem 2. Mai besetzt, seit dem 6. Mai droht die Leitung der UNIL mit einer Räumung. Wir solidarisieren uns mit den Besetzer:innen in Lausanne und in anderen Schweizer Städten.

Brief an die Besetzer:innen der Géopolis an der UNIL

Besetzer:innen der Géopolis, wir beobachten eure Aktion mit großer Freude. Sie zeichnet sich als wichtiger Schritt in der Palästinasolidaritäts- und Student:innenbewegung der Schweiz ab. Wir stimmen voll und ganz mit der Notwendigkeit des Kampfes überein und unterstützen euer Programm und dessen Forderungen, die sich sowohl direkt an die UNIL richten, als auch breiter gegen die Situation in der Schweiz und für das essentielle Recht auf Rückkehr, ohne welches die palästinensische Befreiung schlichtweg unmöglich wäre.

Die Schweiz und die USA stehen allzu symbolisch für den “imperialistischen Kern”, den “Bauch der Bestie”. Die Massen der ganzen Welt werden von hier aus durch eine Handvoll Kapitalist:innen für den Profit ausgebeutet. Jeder weiß, welche Verwüstungen Nestlé und Mosanto anrichten, aber jetzt hat auch der Schweizer Staat seine Bereitschaft offenbart, beim Völkermord, beim Abschlachten und der Vertreibung der gesamten Bevölkerung des Gazastreifens als Zuschauer oder sogar als Lakai zu fungieren! Warum? Um eine gute Beziehung zu Israel und seinem Verbündeten USA aufrechtzuerhalten. Es ist wegen unserer herrschenden Klasse! Dieselbe, die die Inflation verursacht und die Universitäten in ein bürokratisches Chaos verwandelt! Wir können nicht für Gaza kämpfen, ohne unsere herrschende Klasse zu bekämpfen!

Die ideologische und politische Kampagne gegen die Solidarität mit dem palästinensischen Volk ist eine Last für unsere Bewegung. Ihr erlebt es jetzt während der Besatzung; die akademische Welt hat zu dieser Zensur erschreckend geschwiegen. Während das Institut für Nahoststudien in Bern aufgelöst wurde, suspendierte die EPFL ihre feministische Vereinigung Polyquity, weil sie Palästina auch nur erwähnt hatte. Nur eine militante und gut organisierte Bewegung kann Zensur und Unterdrückung effektiv bekämpfen. Die Besatzung benötigt eine klare Strategie, um ihre Ziele zu erfüllen und eine solche Bewegung aufzubauen.

Es ist nun allen klar geworden, unbestreitbar, dass die „Schweizer Neutralität“ nur ein Mythos und eine Lüge ist, die propagiert wird, um Humanismus vorzutäuschen, während unsere Herrscher von jedem imperialistischen Angriff und jedem Massaker profitieren. Die Schweiz ist neutral zwischen Deutschland und Frankreich, zwischen Großbritannien und den USA – zwischen den imperialistischen Nationen – und niemals zwischen Unterdrückern und Unterdrückten! Sie plündern den Globalen Süden aus und lassen ihnen ein paar Krümel, während sie die unmenschliche Unterdrückung von rassifizierten Menschen in unserer Gesellschaft, insbesondere von Flüchtlingen und Asylsuchenden, fortsetzen – letztendlich ist es kein Zufall, dass gerade die palästinensische Identität in der Schweiz zensiert und unterdrückt wird. Humanismus? Wir sagen: Die Schweizer Tradition war es schon immer, als Unterhändlerin hinter den Kulissen der hegemonialen Imperialisten zu agieren! Möge Sie nie wieder eine Theaterbühne der bürgerlichen Medien täuschen – jede “Friedenskonferenz”, jede humanitäre oder diplomatische Mission muss nun als entmystifiziert gelten und zeigt nun offen ihr wahres Ziel: die imperialistische Rolle der Schweiz in der Welt zu zementieren!

Andererseits müssen wir uns fragen, was die nächsten Schritte sind, die ihr unternehmen müsst, sodass eure Aktion mit erfolgreich wird. Wir möchten hier nicht nur Vorschläge machen, sondern auch die Hand ausstrecken, um unsere Hilfe so umfassend wie möglich und entsprechend unseren Ressourcen anzubieten. Erstens wäre es wesentlich, euren Kampf mit der Palästina-Solidaritätsbewegung an den anderen Schweizer Universitäten zu verbinden. Wir dürfen nicht zulassen, dass dies nur eine symbolische Aktion ist, die vielleicht andere inspirieren könnte. Wir müssen uns selbst einen Ruck geben und die Methode der Universitätsbesetzung überall auf die Tagesordnung setzen, um nicht nur Druck auf eine Universitätsleitung ausüben, sondern auf das gesamte System!

Obwohl die Gewerkschaftsbürokratie nicht allzu begeistert darüber ist, für Palästina zu handeln, müssen wir anerkennen, dass die organisierte Arbeiter:innenklasse ein enormes Potenzial hat, die Schweizer Regierung zu zwingen, die UNRWA wieder zu finanzieren, und die Verbindungen von Schweizer staatlichen Institutionen (wie Universitäten) und Unternehmen (wie die RUAG) mit dem genozidalen Regime in Israel zu brechen. Auch gibt es eine konzertierte Anstrengung von Mitgliedern verschiedener (auch traditioneller) Gewerkschaften, Druck auf die Gewerkschaftsführung auszuüben, insbesondere auf ihre Haltung zu Gaza (Gewerkschafter für Waffenstillstand). Sich mit dieser Opposition zu verbinden ist entscheidend, um Druck auf die Gewerkschaftsführung auszuüben und auf militantere Aktionen zu drängen, nicht nur an den Universitäten, sondern auch am Arbeitsplatz.

Schließlich hat die gesamte Palästina-Solidaritätsbewegung die Verantwortung, sich mit der Besetzung der UNIL zu solidarisieren und diese Solidarität explizit durch Demonstrationen und Kundgebungen zum Ausdruck zu bringen. Wir müssen auch erwähnen, dass die Besetzung des Korridors einer Universität nicht besonders störend ist. Wir verstehen, dass dies größtenteils auf die Schwäche der Solidaritätsbewegung zurückzuführen ist – dass die Zahlen einfach nicht da sind (wie wir in anderen Schweizer Städten gesehen haben, gibt es eine Tendenz zur Verlangsamung in der Bewegung, die nicht mehr so viel mobilisiert wie früher). Deshalb ist es umso wichtiger, die Bewegung zu festigen und zu stärken, indem wir Verbindungen zu anderen Kämpfen und Orten knüpfen. Der Dachverband Schweiz-Palästina muss als Koordinatorin der Solidarität mit der Besetzung der UNIL fungieren und diese Aktionsmethode verbreiten!

Wir machen die folgenden Vorschläge für die Besetzung, als Ergänzung zu den bereits aufgestellten Forderungen:

  • Wir brauchen eine unabhängige Student:innenvertretung, die demokratisch funktioniert und nicht von Geldern der Universität oder des Staates abhängig ist. Um die imperialistische Ideologie und den Krieg, aber auch die soziale Unterdrückung an unserer Universität und in unserem Land zu bekämpfen, brauchen wir eine militante und permanente Körperschaft, die die Interessen der Studierenden vertritt!
  • Die Palästina-Solidaritätsbewegung muss ihre Solidarität mit der Besetzung der UNIL so breit wie möglich zum Ausdruck bringen! Das bedeutet nicht Unterstützungsbotschaften und Posts in sozialen Netzwerken, sondern praktische Solidarität und die Nachahmung der militanten Methode der Universitätsbesetzung!
  • Es müssen Verbindungen zur breiteren Bewegung der Arbeiter:innen aufgebaut werden, um den Sieg der Besatzung und der gesamten Solidaritätsbewegung mit Palästina zu gewährleisten! Vor allem aber müssen die Gewerkschaften ihre internationalistischen Prinzipien ehren und müssen sich am Kampf gegen den Schweizer Imperialismus beteiligen, indem sie die Besetzung der UNIL politisch und materiell unterstützen. Die Pro-Palästina-Initiativen der Gewerkschaften müssen sich der Besetzung der UNIL anschließen!
  • Die Besetzung in Lausanne muss internationale Verbindungen schmieden, zum Beispiel zu den Besetzungen in den USA und Frankreich, und muss ein gemeinsames Programm diskutieren, um für die Befreiung Palästinas im Kern des Imperiums zu kämpfen.

Revolutionäre Grüsse,

Gruppe Was Tun? wastun@marxismus.ch // marxismus.ch // insta: @marxismus.ch

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