Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Bauernprotest_leipzig_18.1_3.png
Leo Drais, Infomail 1274, 15. Januar 2025
Mit dem Ende der Ampel kommt auch das Cem Özdemirs im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Er möchte sowieso lieber der nächste Ministerpräsident im Ländle Baden-Württemberg werden und den Sessel Winfried Kretschmanns übernehmen. Da hilft es natürlich, eigentlich jedem Konflikt mit Landwirt:innen aus dem Weg gegangen zu sein. Der Ansatz, Subventionen für Agrardiesel zu streichen, kam ja immerhin aus dem Hause Habeck. Dieser wiederum schickt sich nun als Kanzlerkandidat an, die Grünen als Alternative schlechthin darzustellen, gleichzeitig sich aber auch dem nächsten Bundeskanzler Friedrich Merz soweit anzubiedern, dass dieser nicht lieber mit der SPD in die Koalitionskiste steigt. Doch verhandelt wird nach der Wahl. Jetzt ist Wahlkampf. Diesen werden die Grünen auch auf die „Wir haben es satt!“-Demo am 18. Januar 2025 in Berlin tragen, wo sie sich als die besten Vorkämpfer:innen einer Agrarwende präsentieren werden. Und weil so eine Demo ja auch immer ein Ort der Auseinandersetzung, der Kritik und Diskussion sein sollte, ist dieser Artikel für Euch, liebe Grünen-Wähler:innen auf der „Wir haben es satt!“-Demo.
Bestimmt habt Ihr Euch schon viel mit dem Thema beschäftigt. Aber, um es rund zu machen, müssen wir hier trotzdem mal auf die drängendsten Probleme in dem Sektor eingehen, in dem es ja immerhin um unser Überleben geht.
Klima: Die Landwirtschaft bleibt einer der CO2-intensivsten Sektoren. Dabei entfällt der Großteil auf die Fleischproduktion (1). Die ebenfalls dem Landwirtschaftsministerium angegliederte Forstwirtschaft macht es nicht besser. Durch Monokulturen und Kahlschläge sind die deutschen Wälder von CO2-Senken zu -Emittenten geworden (2).
Böden: Die Degradierung der Böden schreitet weiter fort (3). Erosion, Verdichtung, Versiegelung und Zerstörung des Lebensraums Boden sind weiterhin völlig legal oder kaum eingedämmt. Damit verbunden ist eine zusehends verringerte Wasserspeicherfähigkeit und Infiltrationsrate, was Dürren wie Flutkatastrophen begünstigt.
Grundwasser: Insbesondere im Nordwesten Deutschlands ist der Nitrat- und Phosphateintrag ins Grundwasser durch Gülleverklappung auf den Feldern, auch als Überdüngung bekannt, hoch (4). Zudem existiert kaum eine Regel, wem Grundwasser im Falle extremer Dürre vorrangig zusteht.
Biodiversität: Insektensterben und Biodiversitätsverluste sind weiterhin unmittelbare Folgen extensiver, monokultureller Landwirtschaft mit starkem Pestizideinsatz (5).
Tierwohl: Auch wenn es die Legebatterie nicht mehr gibt – von einer tierwohlorientierten Landwirtschaft sind Deutschland wie die EU weit entfernt (6).
Globale Dimension: Und natürlich ist die Agrarwende keine, solange sie nur auf deutschen Böden stattfindet. Die internationale Dimension ist weitaus gewichtiger: Nahrungsmittel sind Gegenstand internationalen Handels und allgegenwärtiger Spekulation. Was europäischen Produzent:innen und Supermärkten die Mülltonne ist, ist der Tod tausender in der halbkolonialen Welt. Kleinbäuer:innen im globalen Süden wird durch große Agrarkonzerne und Banken weiterhin die Lebensgrundlage entzogen, ihre Produktion durch Konkurrenz und Verschuldung zerstört. Darüber hinaus scheint es keine Wirkhebel gegen die Abholzung von Ur- und Regenwäldern zu geben.
So groß und überwältigend die Probleme und Aufgaben sind, die sich hier eigentlich stellen, so unterirdisch ist das, was die Grünen in den letzten drei Jahren an der Regierung abgeliefert haben und zur Bundestagswahl versprechen.
Nicht mal wohlwollend könnten wir hier viel schreiben:
Beispiel 1: Agrardiesel. Als Habeck ankündigte, Subventionen u. a. für Agrardiesel streichen zu wollen, brachte er die Bäuer:innen gegen sich auf die Straße. Später wurden die Streichungen teilweise zurückgenommen. Die Reform war eine der Stufen, über die die Umfragewerte der Grünen nach unten stolperten. CDU und AfD erklärten sie noch mehr zu ihren Lieblingsfeind:innen.
Was für kleine Bäuer:innen, zumeist halbe Arbeiter:innen und erst nach Feierabend auf ihrer Scholle, tatsächlich ein Angriff auf ihre Existenzgrundlage war, wäre für die großen Höfe ohne weiteres stemmbar gewesen, sind sie doch mittlerweile selbst mittelgroße bis große Unternehmen. Vor allem sie haben den, in ihrem Fall eindeutig reaktionären, Protest organisiert, dem Habeck dann zum Teil klein beigab. Unsere Perspektive für den Protest haben wir hier beschrieben:
Beispiel 2: Bundeswaldgesetz. Das aktuelle Bundeswaldgesetz ist über 50 Jahre alt. Özdemir wollte hier einen großen neuen Wurf wagen – Kahlschläge zurückdrängen, Regelungen zum Rückegassenabstand, Bevorzugung standortheimischer Arten. Am Ende wurde sein Gesetz selbst wie ein gefällter Baum von der Forstlobby durch die Rückegasse geschleift – wobei die größten Lobbyist:innen neben Waldgroßgrundbesitzer:innen die staatlichen Forstbetriebe selbst sind. Wieder ein Beweis dafür, dass Staatseigentum alleine keine Verbesserung bedeutet. Mit dem Ampel-Aus wurde das Gesetz dann auch komplett in den Papierkorb entsorgt. Vielleicht wird ja noch Toilettenpapier draus.
Beispiel 3: Tierhaltung. Als das aus Sicht des Klimawandels größte Problemfeld wird die Tierhaltung betrachtet. Darunter fällt nicht nur der Methanausstoß bei Kühen und Rindern, sondern auch die generell für die Fleischproduktion vereinnahmte Ackeranbaufläche. Hinzu kommt ein massiver Import von Zufütterungsprodukten wie Soja. Im Ganzen stagniert hier die Entwicklung, obwohl der Konsum von Fleisch in Deutschland rückläufig ist, zumindest bei Schwein und Rind. Bei Geflügel steigt er an. Während die Zahl der Betriebe sinkt, steigt der Import an. Bilanz der Grünen hier: 1 Milliarde zusätzlich zum Stallumbau, kein Zurückdrängen der Fleischproduktion.
Ob es naives Hoffen, unbeugsamer Glaube oder schlicht die Wahl des geringeren Übels ist, was den Stift zum Kreuz bei den Grünen führt – lindern wird es die Katastrophe kaum. Die Grünen sind ein Teil des Problems, indem sie Illusionen (Lügen?) über eine sozialökologische Veränderbarkeit des Kapitalismus aufrechterhalten. Das gilt für die Landwirtschaft wie für alle anderen Sektoren.
Es ist zynisch, wenn Cem Özdemirs Reise nach Äthiopien auf der Seite des Bundeslandwirtschaftsministeriums schön ins Licht gerückt – der Minister mit Spaten und hochgekrempelten Ärmeln – und hierzulande gar nicht, nicht einmal in Worten, an der Macht von Riesenkonzernen gerüttelt wird, die den Hungertod tausender Menschen in Ostafrika mitzuverantworten haben. Immerhin ist Bayer mit der Übernahme von Monsanto der größte Saatguthersteller der Welt geworden und zusammen mit BASF gibt es gleich zwei deutsche Großkonzerne, die für ein „Weiter so, wir verdienen uns geil daran!“ in der globalen Nahrungskette stehen. Sie stehen an ihrer Spitze.
Die Grünen haben beim Aufkommen der „Fridays for Future“-Bewegung effektiv mit dafür gesorgt, dass antikapitalistische Kräfte an den Rand gedrängt wurden, der System Change über eine am Ende überaus platte Phrase nicht hinauskam, nie die Gestalt konkreter Ziele und Methoden annahm. Die entschädigungslose Enteignung von Bayer wäre so ein Punkt, aber … „Das ist doch unrealistisch!“, sagt Ihr vielleicht.
Es ist illusorisch, von den Grünen eine kapitalistische Agrarwende im Parlament zu erwarten, sagen wir. Sie zu wählen, ermöglicht, dass sie weiter ein Teil des Problems bleiben.
Die staatliche Landwirtschaftspolitik, so scheinen etliche selbstständige Bäuer:innen und Grünen-Wählende zu hoffen, soll anscheinend durch Subventionen die kapitalistische Konkurrenz außer Kraft setzen. Die Mehrzahl der untergegangenen Höfe spricht eine andere Sprache und verdeutlicht, dass auch in der Landwirtschaft die Gesetze des Marktes wirken. Die staatliche Politik hat allenfalls zeitweilig, beginnend mit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, die Proletarisierung, das Ausscheiden aus der Landwirtschaft verzögert, doch nur insoweit, als sie das Agrarkapital stärkte. Genauso haben später die EU-Programme diesen Prozess beschleunigt bei immer weiterer Durchsetzung kapitalistischer Marktlogik und Weltmarktorientierung.
Erst eine sozialistische Umwälzung schafft die Voraussetzungen für eine nachhaltige ökologische Landwirtschaft. Die Enteignung der Agrokonzerne und des Großgrundbesitzes sowie die Planwirtschaft, nicht die kleine Parzellenwirtschaft für einen anonymen Markt, können die unabdingbaren Voraussetzungen schaffen, um bäuerliche Genossenschaften bzw. Privatwirtschaften der Kleinbesitzer:innen in eine integrierte ökologische Kreislaufwirtschaft einzubeziehen und somit den Gegensatz zwischen Stadt und Land nach und nach zu überwinden. Soziale Phänomene wie Landflucht und Hypertrophie der Städte werden nur so verschwinden können.
An dieser Stelle können wir kein umfassendes Agrarprogramm vorlegen. Wir wollen hier nur kurz wichtige Forderungen im Kampf gegen das Kapital in der Landwirtschaft sowie Eckpunkte eines sozialistischen Programms darlegen und zur Diskussion stellen:
Rot ist das neue Grün! Wir laden Euch ein, mit uns unser Programm für eine echte Agrarwende zu diskutieren – um realistisch geschehen zu lassen, was die Grünen unmöglich tun werden.
(1) Anteil der Landwirtschaft an Treibhausgasemissionen 2022: etwa 7 %. (Thünen.de, abgerufen am 06.01.2025)
(2) Vgl. vierte Bundeswaldinventur (bmel.de, abgerufen am 06.01.2025)
(3) Vgl. fünfter Bodenschutzbericht der Bundesregierung (bmuv.de, abgerufen am 06.01.2025)
(4) An 16 % der Grundwassermessstellen wurden 2022 Nitratgrenzwertüberschreitungen festgestellt. (umweltbundesamt.de, abgerufen am 06.01.2025)
(5) Bereits 2017 wurde festgestellt, dass in ausgewählten Schutzgebieten Nordwestdeutschlands die Biomasse an flugfähigen Insekten in den letzten 27 Jahren um 75 % zurückgegangen war. (nabu.de, abgerufen am 06.01.2024)
(6) Bspw. werden nur 9 % der Legehennen nach ökologischen Richtlinien gehalten. (nationales-tierwohl-monitoring, abgerufen am 06.01.2025)