Arbeiter:innenmacht

Ukraine – die Aussicht auf einen imperialistischen Frieden

Dave Stockton, Neue Internationale 288, Dezember 2024 / Januar 2025

Seitdem der ukrainische Vorstoß in die russische Region Kursk Anfang Oktober ins Stocken geraten ist und Putins Streitkräfte im Osten und Süden vorrücken, ist klar, dass die Ukraine nicht in der Lage sein wird, die Lage auf dem Schlachtfeld radikal zu ihren Gunsten zu verändern. Der Sieg von Donald Trump bei den US-Wahlen bedeutet, dass es nach seinem Amtsantritt am 20. Januar wahrscheinlich keine wesentliche Zunahme von Waffenlieferungen aus dem Ausland geben wird, eventuell sogar eine massive Reduktion.

Der Ukraine gehen die Ressourcen, einschließlich des militärischen Personals, aus, während Russland seine Offensive mit der Ankunft nordkoreanischer Soldat:innen aufrechterhalten kann, auch wenn dies enorme Opfer kostet. Tatsächlich hat die Ukraine seit den Gegenoffensiven von 2023 keinen ernsthaften Versuch unternommen, ihr Territorium zurückzuerobern, und selbst der Einmarsch in Kursk war eher ein Mittel, um den russischen Druck an der Donezk-Front zu verringern und ein Druckmittel für künftige Waffenstillstandsverhandlungen zu bieten.

Gleichzeitig haben Russlands Annexionen in Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson die Herrschaft Putins im eigenen Land gefestigt und die öffentliche Opposition effektiv unterdrückt. Dies war während des gesamten Krieges nicht immer der Fall, aber kurzfristig ist Putins Regime relativ stabil, und ein Sieg entweder auf dem Schlachtfeld oder am Verhandlungstisch würde ihn weiter stärken.

Doch selbst ein Frieden zu den Bedingungen des Siegers würde schließlich eine Abrechnung über die menschlichen und wirtschaftlichen Verluste der Russ:innen ermöglichen. Hinzu kommen die Kosten für den Wiederaufbau und die Integration der verwüsteten „Eroberungen“ – es sei denn, sie werden einfach in eine riesige militarisierte Zone verwandelt. Hinzu kommen die ausufernden Kosten des Wettrüstens mit dem Westen, dessen Ressourcen größer sind als die Russlands.

Der Krieg des Westens

Zwar haben die USA, Großbritannien und Frankreich der Ukraine den Einsatz von Waffen mit größerer Reichweite auf russischem Boden gestattet, doch wird dies den Verlauf des Krieges nicht grundlegend ändern. Wenn der Westen wirklich wollte, dass die Ukraine militärisch gewinnt, müsste er direkt intervenieren. Dazu ist es nie direkt gekommen, nicht nur, weil dies den Charakter des Krieges in einen direkten zwischenimperialistischen ändern würde, was er bisher nicht war, sondern weil den westlichen Imperialist:innen die Ukraine ganz einfach nicht wert ist, deswegen einen möglichen Weltkrieg anzuzetteln, der Europa verwüstet. Außerdem setzen die USA vor allem auf einen „Schwenk nach Osten“, d. h. der Verschärfung der Spannungen mit China und wollen ihre Kräfte nicht dauerhaft an die Ukraine binden.

Daher war die Strategie des Westens darauf ausgerichtet, die Ukraine bis zu einem faulen Verhandlungsfrieden oder einem dauerhaft eingefrorenen Konflikt ausbluten zu lassen. Weit davon entfernt, von der Sorge um die nationale Selbstbestimmung motiviert zu sein, wurde der Krieg dazu benutzt, die NATO weiter auszubauen und die Militarisierung an der Grenze zu Russland zu verstärken, was die Wahrscheinlichkeit eines zwischenimperialistischen Flächenbrandes erhöht, während gleichzeitig die öffentlichen Ausgaben gekürzt, der Nationalismus geschürt und die Bürger:innenrechte im eigenen Land angegriffen werden. Sozialist:innen und Kommunist:innen müssen die NATO und ihre reaktionären Kriegsziele konsequent anprangern.

Die Ukraine als Stellvertreterin der NATO zu bezeichnen, entschuldigt jedoch nicht diejenigen in der Linken, die eine neutrale Haltung zwischen den Seiten in der Ukraine einnehmen und einen Frieden um jeden Preis fordern. Den Preis werden natürlich die Arbeiter:innen, die Jugend und die Kleinbäuer:innen zahlen, die für die Verteidigung ihres Landes kämpfen – das Volk einer unterdrückten Halbkolonie – und nicht die imperialistischen Großmächte, die das Land zerreißen.

Außerdem will die neue US-Regierung den Krieg und die damit verbundenen Kosten nicht aufrechterhalten. Dies ist nicht einfach Wahldemagogie von Trump, wie einige Ukrainer:innen und ihre westlichen Unterstützer:innen verzweifelt hoffen, sondern entspricht einer grundlegenden geostrategischen Ausrichtung der neuen Regierung. Biden und die Staats- und Regierungschefs Großbritanniens, Deutschlands und Frankreichs können eine künftige Trump-Administration nicht binden, und die meisten europäischen Staaten sind auch nicht willens oder in der Lage, einen Ersatz für US-Waffen und -Dollars zu liefern.

Die Aussichten auf „Frieden“

Angesichts des zunehmenden militärischen Drucks auf die Ukraine an der Front und der gemeldeten mangelnden Bereitschaft der Zivilbevölkerung (die die Fruchtlosigkeit des Krieges und die Angriffe auf ihre Rechte durch Selenskyj sieht), weitere Einberufungen zu akzeptieren, werden sich die Dinge im neuen Jahr noch viel schlimmer entwickeln. Ein Waffenstillstand, der durch eine Vereinbarung zwischen Trump und Putin erzwungen wird, ist fast unvermeidlich.

Die Ukraine wird sich dem nicht widersetzen können, denn Selenskyj und seine Regierung haben sich so sehr an die USA und die NATO gebunden, dass eine Ablehnung der Bedingungen nur zu einem immer größeren Gebietsverlust und der Aussicht auf ein noch schlechteres Abkommen führen würde.

Dennoch hätte ein solches Abkommen, wie auch immer es aussehen mag (es könnte mit einem vorübergehenden Waffenstillstand beginnen), einen durch und durch reaktionären Charakter. Es würde de facto zu einer Teilung der Ukraine führen, wobei ein Teil von Russland als Kolonialgebiet besetzt würde und der andere in die Unterwerfung unter die USA und EU abdriften würde.

Eine Teilung würde nicht nur die nationale Unterdrückung der unbestritten ukrainischen Teile unter russischer Herrschaft verstärken, sondern auch das Selbstbestimmungsrecht der russischsprachigen Bevölkerung im Donbass und auf der Krim verletzen. Große Teile der Bevölkerung sind entweder in den Westen geflohen oder wurden in den Osten deportiert. Dieser Ausgang des Krieges würde Russland auch im brutal annektierten Nordkaukasus, wie Tschetschenien, und in anderen Ländern seiner Einflusssphäre, Georgien und Belarus (Weißrussland), stärken.

Er würde zum dauerhaften Verlust von mehreren Millionen Menschen in der Ukraine führen oder, schlimmer noch, dazu, dass viele Tausende aus der EU zurückgedrängt würden, während andere zu billigen, rechtlich unsicheren Arbeitskräften würden. Die wirtschaftlichen und natürlichen Ressourcen des Landes würden weiter zwischen dem Westen und Russland aufgeteilt werden. Bereits während des Krieges haben westliche Unternehmen einen Großteil der ukrainischen Wirtschaft, insbesondere den Agrarsektor, übernommen.

Im Falle eines reaktionären „Friedensabkommens“ ist es sicher, dass der neue Kalte Krieg nur seine Form ändern wird. Deshalb muss die Arbeiter:innenbewegung den imperialistischen Frieden von Anfang an anprangern und ihn als eine weitere Verschärfung der nationalen, sozialen und wirtschaftlichen Unterdrückung der Ukraine ablehnen. Die Nachfolgeregime werden alles andere als Demokratien sein. Dieser Frieden wird mit Sicherheit kein Schritt zur Lösung der zugrundeliegenden nationalen Fragen sein, noch wird er die zwischenimperialistischen Spannungen abbauen.

Ob Selenskyjs Regierung dies überleben kann, ist eine andere, aber zweitrangige Frage, obwohl Klitschko und die Opposition in der Werchowna Rada (Parlament) kaum in der Lage sein werden, eine erfolgreiche ablehnende Alternative aufzustellen. Die ukrainische Bourgeoisie wird sich darauf einlassen und sich vielleicht sogar mit Trump verbünden, anstatt mit der EU, oder sich zu einem solchen Bündnis erpressen lassen, indem die USA anbieten, das, was vom ukrainischen Staat übrig ist, als Teil des Deals zu „sichern“. Eine Beschleunigung des Wettrüstens zwischen den USA, der EU und Russland wird den „Frieden“ mit Sicherheit begleiten.

Nein zu einem reaktionären Deal

Kurz gesagt, ein imperialistischer Frieden in der Ukraine wird nur die Sprengladungen für einen zukünftigen Krieg oder Kriege legen, die noch zerstörerischer sind als dieser. Deshalb muss die internationale Arbeiter:innenbewegung, einschließlich der klassenbewussten Arbeiter:innen in Russland, einen solchen „Deal“ als einen Raubfrieden anprangern. Putins Griff wird schwächer werden, wenn die wahren und schrecklichen Kosten dieses Krieges deutlich werden.

Die ukrainischen Arbeiter:innen sollten sich weigern, die Gültigkeit dieses Friedens zu billigen, und von den imperialistischen Mächten, die diesen Krieg angezettelt und gefördert haben, verlangen, dass sie für den Wiederaufbau aufkommen. Die russischen und ukrainischen Oligarch:innen müssen gezwungen werden, für die enormen Kosten des Wiederaufbaus von Häusern und Infrastruktur einzustehen. Die Lohnempfänger:innen sowohl in Russland als auch in der Ukraine müssen für Arbeiter:innenregierungen und für eine sozialistische Föderation der Staaten der gesamten Region kämpfen.

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One thought on “Ukraine – die Aussicht auf einen imperialistischen Frieden”

  1. Karoline sagt:

    Wer dauerhaften Frieden will, muss sich vermutlich für eine generelle „Kultur des Friedens“ einsetzen, die etwa ein Verbot von Gewalt in der Kindererziehung oder Gewalt gegen Frauen beinhaltet. So lautet die Theorie des Friedensforschers Franz Jedlicka („Culture of Violence Scale“). In Russland ist beides erlaubt!

    Karoline

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