Bild: Simon Zamora Martin, https://www.klassegegenklasse.org/
Helga Müller, Neue Internationale 286, Oktober 2024
Mittlerweile ist es ja kein Geheimnis mehr, dass der Rechtsrutsch in Deutschland keine konjunkturelle Erscheinung darstellt, sondern eine eindeutige politische Tendenz in der Gesellschaft: sowohl, was die Affinität kleinbürgerlicher Schichten bis hinein in die Gewerkschaften zur AfD und anderen rechtsextremen bis faschistischen Kräften angeht, als auch in der Politik selbst. Die Diskussionen zur faktischen Abschaffung des Asylrechts und der staatsautoritäre Umbau unserer Gesellschaft zeigen auch die reaktionäre Wende in der Politik.
Scheinbar unaufhaltsam zieht die AfD Wählerstimmen auf sich – wie zuletzt bei den beiden Landtagswahlen im Osten – in Thüringen und Sachsen. In Thüringen wird sie, obwohl vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft, stärkste Kraft mit fast 33 %. In Sachsen wird sie mit 30,6 % knapp nach der CDU mit 31,9 % zweitstärkste Partei. Die AfD ist in der politischen Landschaft der BRD angekommen! Gleichzeitig verlieren die Parteien der Ampelkoalition stark an Stimmen. Vor allem die SPD muss ihre schlechtesten Wahlergebnisse hinnehmen, aber auch die FDP, sie ist in beiden Landesparlamenten nicht mehr drin. Aber auch die Partei DIE LINKE kann von dem Scheitern der Bundeskoalition nicht profitieren, zu sehr ist ihr Schicksal mit Mitregieren verbunden, anstatt eine konsequente Oppositionspolitik zu betreiben. Die einzige Partei, die vom Scheitern der Bundesregierung profitiert und den AfD-Gewinnen ein wenig Paroli bieten kann, ist das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) – die einzige Organisation, obwohl noch kein eindeutiges Profil, die scheinbar von der Bevölkerung im Osten als Oppositionspartei wahrgenommen wird. Doch auch diese populistische Formation schwimmt auf der rechten Erklärungswelle der sozialen Krise mit und passt sich dem AfD-Narrativ an, dass die Geflüchteten und sozial Schwachen – sprich Bürgergeldbezieher:innen und Sozialhilfeempfänger:innen – schuld an der sozialen Misere seien. Anstatt die wahren Schmarotzer:innen an der Gesellschaft aufzuzeigen, nämlich die großen weltweit agierenden Konzerne, Banken, die trotz Krise ihre größten Gewinne einfahren, und die Rüstungsindustrie, die dank der vielen Kriege – nicht zuletzt dem in der Ukraine und im Gazastreifen – und der massiven Aufrüstung der Ampelregierung ihre größten Profite einheimst!
Bekanntlich ist die soziale Krise einer der Gründe für den Rechtsrutsch. Darauf klare Antworten zu formulieren und den Kampf gegen die Abwälzung der Krisenkosten auf die große Mehrheit der Gesellschaft – Lohnabhängige, Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger:innen, Jugendliche, Migrant:innen und Geflüchtete – zu organisieren, wäre die Aufgabe der großen sozialen Bewegung – der Gewerkschaften.
Aber auch diese haben auf die Krise keine andere Antwort als nutzlose Appelle an die Bundesregierung, doch den „Sozialstaat“, der genau heute zur Disposition steht, nicht noch weiter auszuhöhlen. Ein „Sozialstaat“, der von FDP und CDU/CSU immer mehr in Frage gestellt wird.
Dies alles, um genügend Geld frei zu haben, damit die Rüstung unhinterfragt weiter ansteigen kann – auch noch über die anvisierten 2 % des Bruttoinlandproduktes (BIP) hinaus. Dies wird noch weiter zunehmen, da ab 2028 das sogenannten Sondervermögen – besser Sonderschulden – von 100 Mrd. für die Bundeswehr ausläuft und dann zusätzliche 35 Mrd. aus dem Haushalt kommen müssen. D. h. nichts anderes, als dass die Ausgaben für Soziales und die Infrastruktur noch weiter gekürzt werden. Das ist heute schon eine klare Ansage.
Die Kolleg:innen inkl. der Gewerkschaftsmitglieder spüren, dass die bisher geltenden relativ stabilen gesellschaftlichen Verhältnisse und das Leben in einem relativ friedlichen Teil der Erde – wenn es auch seit dem 2. Weltkrieg immer zahlreiche regionale Kriege gab und gibt, selbst im Herzen Europas wie der Jugoslawienkrieg oder jetzt der um die Ukraine – radikal in Frage gestellt werden. Weder die Parteien, die sich auf die Interessen der Lohnabhängigen berufen wie DIE LINKE, noch die Gewerkschaften geben eine Antwort, wie gegen das Krisenabwälzungsprogramm vonseiten Regierung und Kapital gekämpft werden kann. In dieser Situation geben die AfD und die Rechten ihre scheinbar radikalen – völkischen und chauvinistischen – Antworten und bauen Sündenböcke auf – die Migrant:innen, die angeblich das Land überschwemmen, und die angeblichen Sozialschmarotzer:innen, die unsere Sozialkassen plündern, und verschleiern auf ihre Weise die Ursachen für die Misere.
Die Gewerkschaften tun aber so, als ob eine Rückkehr zu sozialen stabilen Verhältnissen nur durch eine sozialere Politik – (neo)keynesianistische Modelle – möglich wäre und dies die Lösung sei. Dabei sind soziale Spaltung und Rechtsrutsch selbst Ausdruck einer tiefgehenden Krise der bürgerlichen Gesellschaft selbst: Deutschland als neben Frankreich wichtigster wirtschaftlicher Motor in Europa ist ins Hintertreffen geraten – die prognostizierten Wachstumsraten liegen bei schwachen 0,4 Prozent (nach ifo und RWI). Massenentlassungen bei der für das deutsche Kapital wichtigen Exportindustrie wie der Automobilindustrie inkl. der Autozulieferer kommen noch dazu. Dies würde von den Gewerkschaften einen entschiedenen Kampf bis hin zu Betriebsbesetzungen gegen die Konzerne, die ihre Profitprobleme jetzt offen auf dem Rücken der Kolleg:innen austragen wollen, verlangen. Stattdessen verlassen sie den Rahmen der seit Jahrzehnten geübten Sozialpartnerschaft nicht – Appelle an die Unternehmensspitzen, auf Entlassungen zu verzichten und stattdessen Arbeitsplatzabbau sozialverträglich zu gestalten. Ein Modell, das schon seit Jahrzehnten den Ausverkauf der Interessen der Kolleg:innen zur Folge hat und das die Kolleg:innen auch so erleben. Das letztendlich im Namen einer Standortpolitik, die nichts anderes bedeutet, als die Logik der Profitmaschinerie durch die Gewerkschaftsführungen zu akzeptieren und dem deutschen Kapital den Rücken frei zu halten, gegen die ausländische Konkurrenz. Das gleiche gilt letztendlich auch für die Flankendeckung für Aufrüstung und Waffenlieferungen in Krisengebiete und damit die Aufgabe jahrzehntelang geltender friedenspolitischer Prinzipien in den Gewerkschaften. Auch hier akzeptieren die Gewerkschaftsführungen, dass Deutschland sich militärisch fit machen muss, um im globalen Kampf um Ressourcen, Absatzmärkte und Billiglohnländer ein Wörtchen mitspielen zu können.
Dass diese Haltung natürlich auch dazu beigetragen hat und immer noch beiträgt, chauvinistische Ressentiments innerhalb der Gewerkschaften und ihrer Mitgliedschaft zu wecken oder bestätigen, wird einfach nur ignoriert. Letztendlich haben die Gewerkschaftsverantwortlichen selbst mit ihrer Standortpolitik und Sozialpartnerschaft zur Verstärkung des Rassismus innerhalb der Arbeiter:innenklasse beigetragen.
Anstatt offen zu zeigen, wer in Wirklichkeit für die Krise verantwortlich ist oder sogar von ihr profitiert – die großen weltweit agierenden Konzerne – und wer auch dafür zu zahlen hat, und aufzuzeigen, dass dies den konsequenten Kampf gegen diese verlangt, beschränken sie sich auf radikale Ansprachen in den Medien oder auf Kundgebungen, um dann zum Schluss in die Knie zu gehen. So kann keine Kampfperspektive, wie gegen die Krise zu kämpfen ist, aufgezeigt werden. Dies wiederum führt zu Resignation oder, dass man sich scheinbar radikalen Lösungen mit einfachen Antworten zuwendet und Sündenböcke sucht.
Einen Anstoß, um aus dieser politischen Misere herauszukommen, könnte die Demonstration „Soziales rauf – Rüstung runter“ am 12. Oktober in München von ver.di und GEW und anderen lokalen politischen Gruppen und Bündnissen u. a. auch der Münchner Gewerkschaftslinken/Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften verleihen. Vorausgesetzt, dass das ursprüngliche Ziel dieser Demonstration – den Zusammenhang zwischen Aufrüstung, Kriegstreiberei und Sozialabbau und wer dafür verantwortlich ist aufzuzeigen – nicht noch von den DGB-Führungen verwässert wird.
Die einzige Antwort, die auf den Rechtsrutsch in den Betrieben und auch in den eigenen Reihen vonseiten der Gewerkschaften gegeben wird, sind Hochglanzbroschüren mit durchaus guten Inhalten, die dann nicht verteilt werden, weil man die Auseinandersetzung scheut. Anstatt den Kampf zu organisieren und die offensive Auseinandersetzung mit AfD-Anhänger:innen oder sogar -Mitgliedern in den Gewerkschaften und auch Betrieben zu suchen, wird sich gerne weggeduckt aus Angst, man würde durch eine solche Diskussion die Belegschaft spalten, die es sowieso schon ist.
Diese Passivität und das Ausbleiben der Propagierung von politischen Positionen hat eben auch dazu geführt – wie z. B. in München –, dass die rechte Sammlungsbewegung „München steht auf“ auf dem zentralen Marienplatz am Antikriegstag zu einem Friedensfestival aufgerufen hat, das Tausende von Menschen – nicht nur solche mit rechter Gesinnung – angezogen hat. Seit mehreren Jahren hatte der DGB zu keiner öffentlichen Kundgebung an diesem Tag mehr aufgerufen, stattdessen entweder nur Saalveranstaltungen oder Infostände organisiert. Dies lädt rechte Bewegungen und Organisationen gerade dazu ein, in ein solches politisches Vakuum zu stoßen und einen antifaschistischen Antikriegstag mit ihren reaktionären Inhalten zu kapern.
Zu begrüßen ist, dass sich der ver.di-Bezirk München zusammen mit dem Münchner Friedensbündnis zu einer Gegenkundgebung entschlossen hat. In diesem Zusammenhang sollte aber nicht verschwiegen werden, dass es in der Vorbereitung und auf der Kundgebung selbst zu einen heftigen Konflikt um die Frage der Solidarität mit Palästina aufgrund des anhaltenden Krieges um Gaza kam.
Sicherlich sind Aufklärungsveranstaltungen, wie sie doch immer wieder von diversen Arbeitskreisen in den Gewerkschaften organisiert werden, sinnvoll und sollten auch durchgeführt werden. Diese reichen aber nicht aus, um den Kampf mit den Gewerkschaftsverantwortlichen aufzunehmen für eine andere politische und kämpferische Ausrichtung der Gewerkschaften. Letztendlich müssen wir den Kampf um einen Bruch der Gewerkschaften mit der Unterordnung unter Kapitalinteressen führen. Dafür ist ein sichtbarer politischer klassenkämpferischer Pol in den Gewerkschaften notwendig. Die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften und ihre lokalen Strukturen können zu einem solchen Pol werden. Darum kämpfen wir.