Romina Summ, Neue Internationale 286, Oktober 2024
Mehr Abschiebungen, neue „Migrationsabkommen“, die AfD bei 30 % – und lähmendes Schweigen seitens des DGB. Nicht verwunderlich, dass sich da viele Menschen mit Migrationshintergrund sowie Geflüchtete die Frage stellen, wo sie als Nächstes Zuflucht suchen sollen. Doch es muss nicht bleiben, wie es ist: Die Verschiebung nach rechts ist aufhaltbar. Ein erster, unmittelbarer Schritt dazu wäre es Geflüchtete in die Gewerkschaften aufzunehmen.
Viele mussten ihr altes Leben hinter sich lassen und ohne Hab und Gut hier ein neues aufbauen. Doch angekommen hier in Deutschland, wird man dauerhaft als Mensch zweiter Klasse behandelt. Das schlägt sich allein in den rechtlichen Begrenzungen nieder, die einem/r auferlegt werden. Keine Bewegungsfreiheit, vernünftige Unterbringung, Sicherheit und vor allem: kein Recht zu arbeiten. Das heißt, für die meisten Geflüchteten wird eine Situation künstlich geschaffen, in der sie gar nicht integraler Teil der Gesellschaft werden können.
Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass Geflüchtete keinen homogenen Klassencharakter haben. Zur Flucht kann jede/r gezwungen werden. Hier angekommen, gibt es jedoch eine Tendenz, dass sie in die Arbeiter:innenklasse gedrängt werden. Politische Stimmung, Herkunft und Qualifikation spielen dabei eine Rolle, wie (und mittlerweile ob) dies geschieht. Die vergleichsweise schnelle Integration ukrainischer Geflüchteter zeigt, was möglich wäre – und wie schnell sich das politische Klima auch wieder ändern kann. Doch was haben nun Gewerkschaften damit zu tun?
Die Funktion von Gewerkschaften
Ihr fortschrittliches Moment liegt in ihrer Funktion als Sammelpunkt und Ausdruck organisierten, kollektiven Widerstands der Arbeiter:innenklasse. Ihre Rolle im Kampf für bessere Arbeitsbedingungen und gegen Konkurrenz untereinander stellt dabei eine grundlegende Form des Klassenkampfes zwischen Lohnarbeit und Kapital dar. Dies kann sich im Ringen um die Verkaufsbedingungen der Ware Arbeitskraft wie Löhne, Arbeitszeiten, Arbeitsbedingungen (inklusive Versicherungen gegen Krankheit, Arbeitslosigkeit, für Renten usw.) widerspiegeln. Darüber hinaus besetzen sie eine Schlüsselposition, um gesellschaftliche Kräfteverhältnisse zu ändern, Protest in den Alltag zu tragen. Theoretisch könnten sie ihre Mitgliedschaft mobilisieren, Betriebsversammlungen zu organisieren und damit einer Bewegung massiven Anschub geben. Anderseits ist die Fähigkeit zu streiken eines der effektivsten Mittel, Druck auszuüben. Doch warum müssen wir als Revolutionär:innen und Linke für die Integration von Geflüchteten in Gewerkschaften kämpfen?
Es ist nicht nur Sache abstrakter Solidarität oder des „moralisch Richtigen“, die essentiell ist: In der Vergangenheit haben Unternehmer:innenverbände immer wieder versucht, Geflüchtete zu benutzen, um den Mindestlohn anzugreifen. Das zeigt, dass sie neue Angriffe auf den Lebensstandard der Arbeitenden und Arbeitslosen planen und dazu die Spaltung wollen.
Sich dieser rassistischen Spaltung entgegenzustellen, greift dabei auch ein Fundament der Gewerkschaften in imperialistischen Zentren an: Standortlogik und Sozialpartnerschaft. Vereinigung aller Arbeiter:innen unabhängig von Herkunft, Geschlecht, religiöser und politischer Überzeugung war ja die Maxime der I. Internationale (IAA). Auf diese Weise kann noch auf dem Boden des Kapitalismus die Spaltung innerhalb der Lohnabhängigen bestmöglich überwunden und ein Verständnis gelegt werden, warum die Interessen der Ausbeuter:innen ihrer Arbeitskraft nicht unser Ausgangspunkt sein können.
Deswegen müssen wir verhindern, dass die bürgerliche Regierung und rechte Kräfte Geflüchtete weiter gegen Lohnabhängige ausspielen. Es ist unsere Aufgabe als Gewerkschafter:innen aufzuzeigen, dass nicht für Arbeitslosigkeit, Niedriglöhne und prekäre Arbeitsverhältnisse verantwortlich sind. Wir müssen eine andere Perspektive aufzeigen: Statt der Geflüchteten müssen die Verursacher:innen dieser Verschlechterungen angegriffen werden! Die Aufnahme von Geflüchteten in die Gewerkschaften sorgt dafür, dass diese in Kämpfe vor Ort eingebunden werden können, und erleichtert den Kampf für das Recht, hierzubleiben und zu arbeiten, enorm. Dabei wird auch deutlich, dass sie Menschen wie du und ich sind, die kämpfen und für ihre Rechte aufstehen, keine Opfer, Bedrohung oder Gefahr.
Die Aufnahme von Geflüchteten in die Gewerkschaft kann jedoch nur mit deren Demokratisierung durchgesetzt werden. Mehr als noch vor 10 Jahren wird sich die Gewerkschaftsbürokratie weigern, dies auf ihre Agenda zu setzen, da sie fürchtet, dass eine antirassistische Positionierung Mitglieder kosten würde. Damit spielen Gewerkschaftsfunktionär:innen und alle, die dagegen argumentieren, die Unterdrückten nur gegeneinander aus. Schlimmer noch, sie reproduzieren Rassismus und lassen es so zu, dass sich dieser weiter in den Gewerkschaften breitmacht. Ganz nach dem Motto: Wer schweigt, stimmt zu.
Denn letzten Endes geht es der Gewerkschaftsbürokratie nicht nur darum, dass Mitglieder verlorengingen. Die Aufnahme von Geflüchteten in die Gewerkschaften kollidiert mit der eigenen Logik von Klassenzusammenarbeit, eines ihrer wichtigsten Standbeine. Denn die Bürokratie in den Gewerkschaften stützt sich meist auf sichere Facharbeiter:innenberufe, in welchen hauptsächlich die weiße Arbeiter:innenaristokratie tätig ist, und vernachlässigt Arbeiter:innen in prekären Jobs und Geflüchtete. Gerade im Kampf um forcierte Aufnahme von Geflüchteten und Arbeitsmigrant:innen kann die Verlogenheit der Bürokratie aufgedeckt und bei deren Untätigkeit oder Weigerung aufgezeigt werden, wofür sie Bürokratie, nämlich das Ausspielen der weißen privilegierten Arbeiter:innen gegen Geflüchtete und andere Prekäre. Das alleinige Eintreten für diese privilegierten Schichten der Lohnempfänger:innen ist letztendlich selbstzerstörerisch für eine geeinte Arbeiter:innenklasse und dient nur dem Kapital.
Doch wenn Geflüchtete in Gewerkschaften grundlegende Rechte und Antirassismuskampagnen an der Basis einfordern, können wir die Gewerkschaften demokratisieren und für eine vereinte Klassenpolitik kämpfen. Gleichzeitig bietet die Verankerung in und Kooperation mit antirassistischen Bewegungen für Gewerkschaften die notwendige Möglichkeit für ihre Erneuerung und Belebung selbst und sie können durch die Organisierung von Geflüchteten Brücken zu diesen schlagen. Dies ist ein wichtiger Bestandteil, wenn wir uns gegen den weiteren Rechtsruck in der Gesellschaft stellen und rassistische Ideologie unter den Arbeiter:innen bekämpfen wollen. Somit ist es nicht nur eine Frage der Solidarität, sondern auch des Eigeninteresses aller Arbeiter:innen, diesen Kampf zu unterstützen.
Daher fordern wir: Geflüchtete in die Gewerkschaft und für das Recht auf Arbeit für alle ohne Rücksicht auf Staatsbürgerschaft und Aufenthaltsstatus, keine Kompromisse bei Mindestlohn und Sozialleistungen! Wir kämpfen gegen Standortchauvinismus und Lohndrückerei – für offene Grenzen und Staatsbürger:innenrechte für alle!
Dass das keine Utopie ist, zeigt ein – bisher tatsächlich leider nur – Einzelfall vom Frühjahr 2013: 168 lybische Gelüchtete der Gruppe Lampedusa in Hamburg entschließen sich, kollektiv in ver.di einzutreten. In dem Artikel „We are here to stay“ stellt Peter Bremme, damaliger Leiter des Fachbereichs 13 für „Besondere Dienstleistungen“ dar, wie der Prozess überhaupt angefangen hat. Die Geschichte von Lampedusa Hamburg zeigt, wie gewerkschaftliche Basismitglieder Brücken bauten, Solidarität in der Arbeiter:innenbewegung praktiziert werden kann. Es bleibt jedoch ein bitterer Nachgeschmack, denn er schreibt auch: „Die ver.di-Leitung Hamburg stellte eine Anfrage beim zuständigen Ressort Organisationspolitik in Berlin, ob die Aufnahme von Flüchtlingen nach der Satzung überhaupt möglich sei. Für uns völlig überraschend, wurde dies in weiten Teilen negativ beantwortet.“
Letzten Endes wurden die Geflüchteten aufgenommen und es war möglich, dass Teile von ver.di offen in die politische Konfrontation eintraten und dafür kämpften, dass die Geflüchteten hierbleiben und arbeiten durften. Diese richteten sich vor allem gegen den Hamburger Senat, der damals vom guten, alten Olaf Scholz angeführt wurde und bereits hier zeigte, dass er keinen Funken Solidarität für Geflüchtete übrig hat. Doch statt die Initiative zu verbreitern und Geflüchtete flächendeckend in die DGB-Gewerkschaften aufzunehmen, mahnte ver.di 2014 ihren eigenen Fachbereichsleiter ab und wollte ihn vor Gericht stellen. Mittlerweile ist dies zurückgenommen worden und alle Artikel um die Auseinandersetzung sind auch im Labournet dokumentiert: https://www.labournet.de/page/2/?s=Gruppe+Lampedusa. Doch sowohl dieses Vorgehen als auch die Kommentare, die Bremme für seine richtige und unterstützenswerte Initiative bekommen hat, zeigen, dass der Kampf, Geflüchtete zu integrieren, kein einfacher ist. So schreibt er: „Einige monierten, dass viele der KollegInnen in den Betrieben das Engagement der Gewerkschaft für die Flüchtlinge nicht nachvollziehen könnten und ver.di am Ende mehr Mitglieder verlieren würde, als man durch die Aufnahme der Flüchtlinge hinzugewinnen könnte.“ Und „Weiter hieß es, ver.di sei keine humanitäre Hilfsorganisation, für Flüchtlinge gäbe es andere Anlaufstellen.“ Versucht niederzukämpfen wurde das Unterfangen aber vor allem mit einer bürokratischen Argumentation: Geflüchtete seien nicht im arbeitsmarktrechtlichen Sinne „erwerbslos“, denn sie dürfen ja nicht arbeiten.
Das war vor 10 Jahren – damals, als es noch von großen Teilen der Gesellschaft die Bereitschaft gab, Geflüchtete aufzunehmen. Die Lehren daraus sollten zweierlei sein: