Jette Kromann, Dänemark, Neue Internationale 276, September 2023
Seit Monaten wetteifern kleine faschistische Gruppen wie die „Dänischen Patrioten“ und der „Stram Kurs“ (Strenger Kurs) darum, einzelne Mitglieder zu den türkischen und arabischen Botschaften in Kopenhagen – und in Stockholm – zu schicken, um unter Polizeischutz Speckscheiben in den Koran zu stecken, darauf herumzutrampeln und ihn anzuzünden. Alles im Namen der Redefreiheit. In Wirklichkeit handelt es sich um einen politischen Trick, um mit rassistischen Hasskampagnen gegen Muslime/a für sich zu werben.
Die Politik hat nicht auf deren Beschwerden reagiert. Erst nachdem die OIC (Organisation für Islamische Zusammenarbeit) kollektiv protestiert hat, haben die drei bürgerlichen Regierungsparteien versucht, sich auf der Grundlage der „neuen pragmatischen Linie in der Außenpolitik“ des von der Partei Die Moderaten (Moderaterne) gestellten Außenministers Lars Løkke Rasmussen dem internationalen Gegenwind Rechnung zu tragen.
Auf der anderen Seite stehen die bürgerlichen Oppositionsparteien der extremen parlamentarischen Rechten. Sie sind sich einig in der prinzipiellen „Verteidigung der Redefreiheit“ gegen das „Appeasement“ der Regierung.
Die Reaktion der parlamentarischen Fraktion der Enhedslisten (EL, Einheitsliste; Schwesterpartei der Linkspartei in Dänemark) ist peinlich und verrät die politische Mitte-Rechts-Haltung der Partei. Sie stellt die EL an die Seite der extremen parlamentarischen Rechten. Die Motive der EL unterscheiden sich natürlich von denen ihrer rassistischen Verbündeten zur „Verteidigung der Redefreiheit“. Die Fraktion will sich um jeden Preis als die beste Vertretung der bürgerlichen Demokratie erweisen – einschließlich der Einigkeit mit der extremen parlamentarischen Rechten.
Niemand, der/die Macht und Einfluss hat, sollte auch nur den geringsten Verdacht hegen, dass die EL in irgendeiner Weise ein Ziel jenseits des Rahmens der bürgerlichen Klassengesellschaft verfolgt. Selbst diese reaktionäre rassistische Verzerrung der Bürgerrechte symbolisiert für die Reformist:innen der EL einen Fetisch. Es ist der opportunistische Preis für die Aufrechterhaltung der Illusion, in der Hochburg der bürgerlichen politischen Knechtschaft „Einfluss zu gewinnen“.
Aber Sozialist:innen stehen auf keiner Seite – weder auf der des pragmatischen Opportunismus der Regierung angesichts des Drucks der reaktionären OIC-Führer:innen noch auf der des Beharrens der rechten Parteien auf ihrer rassistisch motivierten „Redefreiheit“. Die historische Strategie und das Ziel des Sozialismus – die Verteidigung und das Bündnis aller Unterdrückten und Ausgebeuteten unter der Führung der Arbeiter:innenklasse für ihre – und letztlich für die Befreiung der gesamten Menschheit – durch die sozialistische Revolution wird für einen rein illusorischen parlamentarischen „Einfluss“ „verkauft“. Sozialismus ist keine abstrakte Sonntagsrede, sondern konkret, auch wenn es darum geht, sich an die Seite der am meisten Unterdrückten zu stellen – der ethnischen Minderheiten muslimischen Hintergrunds, deren Leben seit Jahrzehnten und insbesondere in den letzten mehr als 20 Jahren als Opfer des Mainstream-Rassismus durch aufeinanderfolgende Regierungen zum Albtraum geriet.
Die Bücherverbrennung ist und war nie ein Ausdruck der freien Meinungsäußerung. Ganz im Gegenteil. In der Neuzeit ist sie mit den öffentlichen Bücherverbrennungen der Nazis zum Symbol für die Unterdrückung der Meinungsfreiheit geworden.
Es ist im Grunde genommen absurd zu behaupten, dass es bei Koranverbrennungen um Meinungsfreiheit geht. Was liefert den Hintergrund der historischen revolutionären bürgerlichen Forderung nach Redefreiheit als Teil einer Reihe von bürgerlich-demokratischen Rechten, die durch die große bürgerliche französische Revolution von 1789 eingeführt wurden? Die Redefreiheit wurde als die Fähigkeit der Bürger:innen verstanden, sich frei gegen den Missbrauch der Macht durch die Herrschenden zu äußern (dass sie in der Praxis nie wie beabsichtigt funktioniert hat, ist eine andere Sache). Sozialist:innen sehen im Allgemeinen das Interesse der Arbeiter:innenklasse darin, die bürgerlichen demokratischen Rechte – einschließlich der Redefreiheit – mit den Methoden des Klassenkampfes zu verteidigen. Das ist auch der Grund, warum echte Sozialist:innen im Allgemeinen die Idee ablehnen, dass die bürgerliche Gesetzgebung Garantin gegen Rassismus sein sollte. Die Erfahrung zeigt, dass es zwischen bürgerlichem Parlamentarismus und faschistischer Politik keine unüberwindlichen Mauern gibt.
Das beweist sehr deutlich dieser Fall von Koranverbrennung. Die parlamentarische Rechte, einschließlich der drei Regierungsparteien hat die „Meinungsfreiheit“ der faschistoiden Kleingruppen dabei konsequent verteidigt, bis sie auf den internationalen Protest aus den muslimisch geführten OIC-Staaten traf. Seit mehreren Jahren werden große Polizeiressourcen für den Polizeischutz von Rasmus Paludans, Parteivorsitzender von „Stram Kurs“, rassistischen Ein-Mann-Demonstrationen sowie für die Verbrennungsexzesse der letzten Zeit aufgewandt.
Die Koranverbrennungen sind der jüngste Tiefpunkt eines Mainstream-Rassismus, der unter der Führung der konkurrierenden bürgerlichen Parteien entscheidend dazu beigetragen hat, das gesamte politische Spektrum stark nach rechts zu verschieben. Der neue pragmatische Vorschlag der Regierung, die Möglichkeit eines Verbots der Koranverbrennungen zu prüfen, ist ein Zeichen dafür, dass die Bourgeoisie erreicht hat, was sie in den fast 20 Jahren der Konzentration auf den antimuslimischen Mainstream-Rassismus erreichen konnte. Jetzt geht es um das große Ganze – die Beteiligung an der Aufrüstung und am internationalen Kalten Krieg. In dieser Perspektive ist es wichtig, die muslimischen reaktionären Staatsführer:innen nicht weiter von der westlichen USA/NATO-Front des imperialistischen Kalten Krieges zu entfremden.
Der gegenseitige Wettbewerb der bürgerlichen Parteien um die rassistische Politik gegen Geflüchtete und Minderheiten hat dazu beigetragen, das Kräfteverhältnis zwischen den Parteien der Bourgeoisie völlig neu zu ordnen. Von der zentralen politischen Partei der Bourgeoisie, Venstre, spalteten sich 2022 die pragmatischen Moderat:innen ab, die jetzt beide als Juniorpartnerinnen in der sozialdemokratisch geführten Regierung vertreten sind. Zu ihrer Rechten etablierte sich eine rechtspopulistische, antimuslimische, rassistische Partei – Støjbergs Dänemarkdemokrat:innen. Für die Arbeiter:innenbewegung haben die rund 20 Jahre des vorherrschenden Mainstream-Rassismus eine tiefgreifende Schwächung bedeutet. Die gesamte Gesellschaft hat sich politisch nach rechts gewandt, wobei die Gewerkschaftsführung und der parlamentarische linke Flügel – Enhedslisten – als passive oder direkt willfährige Zuschauer:innen dastehen.
Der neue Kalte Krieg, insbesondere zwischen den USA und China, und der russische imperialistische Kriegsangriff auf die Ukraine haben dazu geführt, dass der Rassismus in der Politik der Bourgeoisie durch andere geostrategisch wichtigere Fragen modifiziert wird. Die dänische Bourgeoisie ist jetzt in völligem Gehorsam gegenüber den imperialistischen Interessen der USA gegen China mit der nationalen Aufrüstung beschäftigt. Ihr politisches Instrument – die von den Sozialdemokrat:innen geführte bürgerliche Drei-Parteien-Regierung – hat einen neuen Schwerpunkt mit neuen Aufgaben – nämlich die Arbeiter:innenklasse für die neuen Kriegsvorbereitungen und für die staatliche Finanzierung der Transformationskosten des Privatkapitals zur Bewältigung des Klimawandels zahlen zu lassen.
Ein sozialistisch geprägter Kampf gegen den politischen Mainstream-Rassismus der letzten Jahre hätte ein fortschrittliches Bündnis zwischen der Arbeiter:innenbewegung mit der Gewerkschaftsbewegung an der Spitze schaffen können. Eine solche Verteidigung ist der Weg zur Ermächtigung der Muslime/a in Dänemark. Nur so kann diese unterdrückte Bevölkerungsgruppe aus ihrer unfreiwilligen teilweisen Isolation herausgeführt werden und sich als Teil einer fortschrittlichen Bewegung behaupten. Sie ist auch ein wichtiger Teil des Weges zur Stärkung der gesamten Arbeiter:innenklasse in dem wichtigen bevorstehenden Kampf um die Macht in der Gesellschaft. Die Enhedslisten-Parlamentarier:innen werden offensichtlich nicht zu diesem Kampf beitragen. Es liegt an den anderen – den ernsthaften sozialistischen Antikapitalist:innen innerhalb und außerhalb der EL –, sich in dem Bemühen zu vereinen, diese Aufgabe zu erfüllen.