Arbeiter:innenmacht

Britannien: Bilanz des Aktionstages vom 1. Februar

KD Tait, Infomail 1213, 8. Februar 2023

Am 1. Februar streikten Hunderttausende Lehrkräfte, Dozent:innen, Beschäftigte des öffentlichen Dienstes und Lokführer:innen im Rahmen des größten koordinierten Aktionstages seit vielen Jahren.

Allein in London zogen 50.000 Streikende durch die Straßen bei der größten Demonstration an einem Werktag seit dem Protest gegen den Besuch von Donald Trump im Jahr 2018. Weitere Zehntausende demonstrierten im ganzen Land.

Die Gewerkschaften fordern Lohnerhöhungen, um der Krise bei den Lebenshaltungskosten zu begegnen. Inflationsraten von mehr als 11 % und ein Jahrzehnt des Einfrierens der Löhne und Gehälter bedeuten, dass ihr realer Wert für Millionen von Beschäftigten des öffentlichen Sektors niedriger ist als im Jahr 2010.

Mehr als Löhne

Aber bei diesen Streiks geht es um viel mehr als nur um die Löhne. Jede/r kann sehen, dass ein Jahrzehnt der Sparmaßnahmen, der Privatisierung und des wirtschaftlichen Rückschlags durch den Brexit die öffentlichen Dienste an den Rand des Zusammenbruchs gebracht hat. Für die regierenden Konservativen ist dies ein Schritt in Richtung Abschaffung der universellen, kostenlosen öffentlichen Dienstleistungen vor Ort. Für die Streikenden geht es bei dieser Aktion um den Schutz von Arbeitsplätzen und Arbeitsbedingungen. Sie kämpfen für vollständig finanzierte öffentliche Dienstleistungen, auf die wir alle angewiesen sind.

Die Privatisierung des Gesundheits- und Bildungswesens, die Verarmung und Bestrafung der Arbeitslosen, der katastrophale Zustand unseres öffentlichen Nahverkehrs, der Anachronismus von Arbeitsbedingungen, die so schlecht sind, dass Zehntausende von teuer ausgebildeten, neu qualifizierten Lehrer:innen und Krankenpfleger:innen innerhalb der ersten zwei Jahre kündigen – all das sind Gründe genug für einen Streik.

Aber das ist noch nicht alles. Die Regierung nutzt die Streiks, um noch drakonischere Antistreikgesetze zu verabschieden, die das Streikrecht im Gesundheits-, Verkehrs- und Bildungswesen sowie bei den Notdiensten faktisch abschaffen werden.

Es geht nicht nur um die Beschäftigten des öffentlichen Sektors. Die Löhne und Gehälter in der Privatwirtschaft bleiben weit hinter der Inflation zurück, aber die Lohnerhöhungen sind immer noch doppelt so hoch wie im öffentlichen Bereich. Die Regierung will die Löhne  dort  niedrig halten, um einen Maßstab für die Lohnsumme insgesamt zu setzen.

Es steht für alle viel auf dem Spiel: Löhne, Renten, Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung sowie das Streikrecht sind in Gefahr. Die Aktion am 1. Februar war beeindruckend. Um sie zu organisieren, waren nachhaltige Organisationsbemühungen in den Gewerkschaften erforderlich, die Zehntausende neuer Mitglieder und Hunderte von Vertreter:innen und Aktivist:innen rekrutiert haben. Die Demonstrationen spiegelten eine jüngere, vielfältigere Mitgliedschaft wider, die sich der politischen Implikationen und des Einsatzes bewusst ist.

Aber die zentrale Frage: „Wie geht es weiter?“ bedeutet, dass man sich fragen muss, ob die Strategie der Gewerkschaftsführer:innen funktioniert.

Rolle der Bürokratie

Erstens wurden die Streikenden am 1. Februar von der Gewerkschaft des Pflegepersonals (RCN) im Stich gelassen, deren Vorsitzende Pat Cullen darauf bestand, dass sie keine gemeinsamen Aktionen unterstützen würde, weil sie nur Pflegekräfte vertrete. Hinter diesem „Mandat“ verbirgt sich engstirniger Sektionalismus, der die Interessen einer Gruppe von Beschäftigten über kollektive Bemühungen stellt und damit alle schwächt.

Schlimmer noch: Geplante Verhandlungen mit den „Arbeitgeber:innen“ wurden von den Gewerkschaften im Kommunikations- (CWU) und Verkehrswesen (RMT), deren Führer Dave Ward und Mick Lynch die profiliertesten Befürworter einer koordinierten Aktion waren, als Vorwand benutzt, um sich von der Aktion fernzuhalten (mit Ausnahme einer kleinen Zahl von Lokführer:innen). In keiner der beiden Auseinandersetzungen hat die Seite der Bosse ein Angebot vorgelegt, das diese Entscheidung auch nur annähernd rechtfertigt. Sie schwächten damit ihren Arbeitskampf ebenso wie die Position aller anderen.

Die Regierungspartei der Tories spielt „Teile und herrsche“, und die Weigerung des Gewerkschaftsdachverbandes und der Führer:innen der wichtigsten Gewerkschaften, eine geschlossene Koalition zu bilden, die die Macht der Stärkeren nutzt, um die Forderungen der Schwächeren durchzusetzen, hilft ihnen dabei. Für diese Gewerkschaftsführung ist das Motto unserer Bewegung – „Einigkeit macht stark“ – nur ein leerer Slogan, gut für Reden und Transparente, aber aus dem Verhandlungssaal verbannt.

Zweitens, und verbunden mit dem vorrangigen Wunsch der Gewerkschaftsspitze, die Kontrolle über ihre eigenen Auseinandersetzungen zu behalten und zu vermeiden, dass sie sich zu einer politischen Offensive ausweiten, die ihre eigenen Forderungen durchsetzt, ist die Strategie eine von gelegentlichen ein- oder zweitägigen Streiks, gefolgt von langen Verhandlungsperioden, deren Ziele und Verlauf die Mitglieder, die Lohneinbußen hinnehmen müssen, weder mitbestimmen noch kennen.

Der Beweis ist eindeutig: Gegen eine Regierung, die entschlossen ist, die Profite der Bosse zu stützen und das Vermögen der Reichen zu verteidigen, indem sie die Löhne niedrig hält, reichen eintägige Streiks nicht aus, um zu gewinnen. Bestenfalls werden sie bescheidene Zugeständnisse für einige wie Pflegekräfte und Bahnbeschäftigte bringen, die Bewegung spalten und andere Teile isoliert zurücklassen, die sich mit weniger zufrieden geben müssen.

Die Universitäts- und Hochschulgewerkschaft UCU hat für Februar und März 18 Streiktage angekündigt, während die Bildungsgewerkschaft NEU zu regionalen Streiks übergeht. Eine Eskalation, die so schnell wie möglich vonstattengeht, ist die einzige Alternative zu einer langwierigen Kampagne, die die Initiative und die Macht der Regierung überlässt, die  einfach länger abwarten kann.

Strategiewechsel ist nötig

Drittens: Streiks sind zwar die wirksamste Waffe der organisierten Arbeiter:innen, um für ihre Interessen zu kämpfen, aber die allgemeine soziale Krise, die den Lebensstandard drückt, erfordert die Mobilisierung der gesamten Arbeiter:innenklasse und nicht nur bestimmter Gewerkschaften. In jeder Gemeinde brauchen wir eine soziale und politische Kraft, die sich für Maßnahmen gegen Energierechnungen, Mieten und die ungezügelte Profitmacherei der großen Banken und Energieunternehmen einsetzt. Lasst uns Aktivist:innen aus Mieter:innenkampagnen, Umweltgruppen, Schwarzen- und Frauenorganisationen mit Gewerkschafter:innen zusammenbringen, um eine gemeinsame Strategie zu entwickeln.

In den Gewerkschaften müssen die Aktivist:innen der Basis, die die Notwendigkeit eines Strategiewechsels erkannt haben, auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene zusammenkommen, um einen Aktionsplan auszuarbeiten, mit dem sie die Kontrolle über die Streiks und Verhandlungen übernehmen können.

Der nächste Aktionstag ist erst am 15. März, dem Tag der Verabschiedung des Haushalts, vorgesehen – also in sechs Wochen. Diese Wochen werden einen entscheidenden Wendepunkt im Kampf darstellen. Was wir brauchen, ist ein gezieltes Eingreifen in die Bewegung, um die Organisation und Kontrolle der Basis und die Einheit der sozialen Kampagnen wie People’s Assembly (Volksversammlung) und Enough is Enough (Genug ist Genug) aufzubauen. Für diese Strategie, die Organisation von Aktivist:innen hinter einem Aktionsprogramm, um unsere Bewegung kampffähig zu machen, kämpfen die Mitglieder von Workers Power. Wenn ihr einverstanden seid, schließt euch uns an!

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