Stefan Katzer, Infomail 1201, 13. Oktober 2022
Ob Personalmangel, unzählige Überstunden, gescheiterte Transformationsprozesse oder Streichung von Arbeitsplätzen – all das wurde bei der Konferenz der VKG, der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften, am letzten Wochenende, am 8./9. Oktober, diskutiert.
Rund 100 Menschen hatten sich in Frankfurt/Main versammelt, um eine Bilanz der letzten Jahre zu ziehen und diskutieren, wie der Kampf gegen Reallohnabbau und Inflation, gegen Arbeitsplatzvernichtung und Arbeitskräftemangel, gegen Krieg und imperialistische Kriegstreiberei erfolgreich gestaltet werden kann.
Seit Januar 2020, als die VKG gegründet wurde, hat sich die Welt dramatisch verändert. Die Coronakrise und eine globale Rezession prägten die Zeit nach Gründung der Vernetzung. Auf einer kurzen Zwischenerholung folgten in diesem Jahr der Ukrainekrieg, Preissteigerungen und wird bald die nächste Rezession eintreten.
Die Angriffe auf die Lohnabhängigen werden heftiger. Während die Unternehmen alles daran setzen, die steigenden Preise weiterzugeben, klettert die Inflationsrate in Deutschland auf mittlerweile 10 %. Gleichzeitig möchte die Bundesregierung beim Kampf um die Neuaufteilung der Welt nicht zu kurz kommen und steckt mal eben 100 Milliarden Euro zusätzlich ins Militär, während für die Bereiche Gesundheit, Bildung und Klima angeblich kein Geld da ist. Was die „Zeitenwende“ konkret bedeutet, von der Olaf Scholz kurz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine gesprochen hat, wird somit immer deutlicher. Wir befinden uns am Anfang einer neuen Periode, die u. a.. durch weitere Blockbildung zwischen den konkurrierenden imperialistischen Mächten und Militarisierung einerseits, schwere Angriffe auf die Lebensbedingungen der Arbeiter:innen und Unterdrückten andererseits geprägt ist.
Angesichts dieser Entwicklungen sind eine Neuausrichtung der Gewerkschaftspolitik und eine Wiederbelebung des Klassenkampfes von unten dringend notwendig. Dem steht die Bürokratie innerhalb der Gewerkschaften weiterhin im Weg. Statt konsequent die volle Kampfkraft der Millionen Mitglieder für einen gemeinsamen Kampf gegen Krise und Inflation zu mobilisieren, beteiligt sich der DGB nur halbherzig an Mobilisierungen gegen die Abwälzung der Krisenkosten auf den Rücken der Lohnabhängigen und sitzt stattdessen weiterhin in der „konzertierten Aktion“ mit der Bundesregierung.
Wer daher an einer klassenkämpferischen Neuausrichtung der Gewerkschaften interessiert ist, muss einen konsequenten politischen Kampf gegen die Gewerkschaftsbürokratie und ihr Programm der Sozialpartnerschaft innerhalb der Gewerkschaften führen.
Kein Wunder also, dass die Beiträge, Themen und Debatten bei der Konferenz am 8. und 9. Oktober darum kreisten, wie eine solche Alternative aufzubauen sei. Wie begreift die VKG eigentlich die Bürokratie und den Apparat? Geht es darum, den Apparat zu erobern oder das System der Bürokratie selbst in Frage zu stellen? Geht es vor allem darum, zu betrieblichen und gewerkschaftlichen Fragen zu mobilisieren, oder um einen politischen Kampf gegen die Krise und die damit verbundenen Fragen des Krieges und der drohenden ökologischen Katastrophe? Geht es darum, eine Vernetzung oder eine organisierte Opposition aufzubauen?
Selbstkritisch wurde dabei festgestellt, dass es der VKG in den letzten beiden Jahren nicht gelungen ist zu wachsen und größere Bekanntheit unter Gewerkschaftsmitgliedern zu erlangen. Um dies zu ändern, ist es notwendig, in den kommenden Tarifauseinandersetzungen deutlicher aufzutreten, um für die Kolleg:innen auf der Straße und im Betrieb sichtbar zu sein.
Es geht darum, eine wahrnehmbare Alternative zur Gewerkschaftsführung aufzubauen und einen klassenkämpferischen Pol innerhalb der Gewerkschaften zu formieren. So gesehen, muss die VKG über sich selbst hinauswachsen und zu mehr werden als eine bloße „Vernetzung“. Sie muss den Kampf gegen die Bürokratie innerhalb der Gewerkschaften anführen und diesen unter einem gemeinsamen Banner und Aktionsprogramm vereinheitlichen.
Um die kommenden Tarifauseinandersetzungen in der Metall- und Elektroindustrie sowie im öffentlichen Dienst im Interesse der Kolleg:innen zu gestalten und zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen, ist es zwingend erforderlich, den eingeschlagen antibürokratischen Kurs beizubehalten, ja zu verschärfen und unter den Kolleg:innen demokratische Kampfformen zu propagieren.
Zwar sieht sich die Gewerkschaftsführung mittlerweile offenbar gezwungen, Lohnforderungen im zweistelligen Bereich aufzustellen (10,5 % beträgt die Forderung für den öffentlichen Dienst). Die Frage ist nur: Wer von den Kolleg:innen glaubt wirklich, dass die Spitze die ganze Kampfkraft der Mitglieder zur vollen Umsetzung dieser Forderung (bei einer maximalen Laufzeit von einem Jahr) mobilisieren wird? Richtig: niemand! Es ist somit bereits jetzt absehbar, dass die Kolleg:innen im öffentlichen Dienst mit herben Reallohnverlusten rechnen müssen, sofern sie es der Gewerkschaftsführung erlauben, ihr übliches Tarifrundenritual durchzuziehen und sich am Ende entweder mit einer längeren Laufzeit oder deutlich niedrigeren Lohnerhöhung zufriedenzugeben. Am Ende sind es die Kolleg:innen, die mit dem Ergebnis leben müssen, während die Funktionär:innen in den Gewerkschaften mit ihren überdurchschnittlichen Gehältern sich weniger Gedanken über die Preisexplosionen machen müssen.
Für die VKG ist deshalb klar: Um einen möglichen Ausverkauf oder faule Kompromisse zu verhindern, müssen wir für die volle Kontrolle der Basis über die Kämpfe eintreten. Die Beschäftigen müssen selbst entscheiden können, wie, wofür und wie lange sie kämpfen möchten, um ihre Interessen durchzusetzen. Denn diese decken sich keineswegs mit jenen der Gewerkschaftsbürokratie. Das bürokratische System muss daher selbst in Frage gestellt werden und durch ein System direkter Verantwortlichkeit, d. h. durch jederzeit wähl- und abwählbare Vertreter:innen der Basis ersetzt werden, die nicht mehr als einen durchschnittlichen Lohn erhalten und gegenüber der Basis rechenschaftspflichtig sind.
Ansätze, wie sich eine solche demokratische Kontrolle der Kämpfe durch die Beschäftigten verwirklichen lässt, wurden auch auf der VKG-Konferenz diskutiert. Die Auseinandersetzungen im Gesundheitsbereich und insbesondere die Kämpfe um einen Tarifvertrag Entlastung in Berlin und NRW wurden hierbei ausführlicher behandelt. Insbesondere das System der Teamdelegierten, das sich während der Streiks in den Berliner Krankenhäusern herausgebildet hat, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wichtig ist hierbei allerdings, dass es den Kolleg:innen gelingt, tatsächlich die Kontrolle über die Auseinandersetzungen auszuüben. Hierfür ist es notwendig, Streikausschüsse zu bilden, die dies leisten können. Die Erfahrungen in den Auseinandersetzungen im Gesundheitsbereich in Berlin und NRW haben zugleich deutlich gemacht, dass insbesondere die jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit der Delegierten zentral ist, um die Kontrolle der Kämpfe durch die Beschäftigten zu sichern. Dort wurde es zum Teil zu einem Problem, dass vor dem Streik gewählte Kolleg:innen während des Streiks passiv wurden und sich nicht weiter daran beteiligten. Um dies zu verhindern, muss es möglich sein, Delegierte jederzeit wieder abzuwählen.
Für die Gewerkschaftsmitglieder ist es extrem wichtig, aus den Fehlern, die begangen wurden, zu lernen, um diese in kommenden Auseinandersetzungen nicht zu wiederholen. So wurde etwa in Berlin die Spaltung der Belegschaft in jene, die direkt beim Mutterkonzern Vivantes angestellt sind, und in jene, die bereits zuvor in Tochterunternehmen ausgegliedert wurden, zu einem Problem, das man schon vorher hätte diskutieren können und müssen. Als die Verhandlungsführer:innen von ver.di für die Angestellten des Mutterkonzerns voreilig einen Abschluss erzielten, standen die ausgegliederten Kolleg:innen im Regen.
Um es Kolleg:innen aus anderen Krankenhäusern, aber auch Branchen zu ermöglichen, aus diesen Erfahrungen zu lernen, sollte die VKG Veranstaltungen organisieren bzw. unterstützen, auf denen von diesen berichtet und in einen direkten Austausch getreten werden kann. Darüber hinaus ist es sinnvoll, eine Konferenz speziell für die Kolleg:innen aus dem Gesundheitsbereich zu organisieren und dort eine bundesweite Kampagne für den Kampf um Entlastung anzustoßen. Denn die besprochenen Kämpfe verdeutlichen erneut die Notwendigkeit eines organisierten, bundesweiten Kampfes gegen die Profitlogik im Gesundheitsbereich und deren konkrete Ausgestaltungen (DRGs/ Fallpauschalen). Ein Kampf für eine bedarfsgerechte Finanzierung kann nicht von einzelnen Krankenhäusern geführt werden, sondern muss durch eine übergreifende Kampagne ergänzt werden und die Vereinheitlichung der Kämpfe (auch der Tarifauseinandersetzungen) zum Ziel haben.
Um dies in Angriff zu nehmen, ist es notwendig, die klassenkämpferische Oppositionsarbeit nicht allein auf die Arbeit im Betrieb zu beschränken. Zwar ist der dort rund um ökonomische und Forderungen nach Verbesserung der Arbeitsbedingungen unerlässlich. Er ist jedoch keinesfalls ausreichend.
Darüber hinaus müssen die gewerkschaftlichen Kämpfe auch als politische geführt werden, d. h. die Gewerkschaften müssen sich aktiv an solchen beteiligen. Insbesondere in den aufkommenden Bewegungen und Bündnissen gegen die Inflation und Abwälzung der Kriegs- und Krisenkosten auf die Lohnabhängigen muss die VKG dies akut leisten. Diese stehen derzeit im Zentrum der Auseinandersetzungen. Gleichzeitig muss der Druck auf die Gewerkschaftsführung erhöht werden, ihrerseits aktiv zu werden und die Mitglieder zu mobilisieren. Es kann nicht sein, dass sich nur einzelne Mitgliedsgewerkschaften des DGB (GEW und ver.di) in die Kämpfe gegen die Inflation einbringen. Vielmehr muss der gesamte DGB zum Handeln aufgefordert werden.
Die VKG sollte Kolleg:innen dabei unterstützen, Druck auf die Gewerkschaftsführung aufzubauen, indem sie diesen etwa Musteranträge zur Verfügung stellt, in welchen eine Beteiligung der Gewerkschaften an Bündnissen und Mobilisierungen eingefordert wird. Wo immer möglich, sollte sich die VKG zudem selbst am Aufbau von Bündnissen gegen Krise und Inflation beteiligen. Nur, wenn wir selbst gegen die Krisenpolitik der Bundesregierung auf die Straße gehen und dabei auch ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine, der Sanktionen fordern, die v. a. die lohnabhängige Bevölkerung treffen und den Krieg nicht beenden, können wir verhindern, dass die Rechten den Unmut für ihre nationalistische und rassistische Politik kanalisieren. Dass dies eine reale Gefahr darstellt, wurde am gleichen Wochenende, als die VKG in Frankfurt tagte, in Berlin deutlich. Dort gelang es der AfD, 10.000 Menschen für ihre reaktionäre und nationalistische Politik zu mobilisieren.
Unserer Meinung nach muss die VKG zu mehr, als ihr Name vermuten lässt, werden. Reine Vernetzung reicht nicht, denn der Kampf gegen die Sozialpartner:innenschaft und jene, die sie umsetzen, ist ein politischer. Um diesen erfolgreich zu führen, braucht es eine organisierte Opposition, die für eine klassenkämpferische Politik und den Bruch mit der Bürokratie kämpft!
Der Kampf gegen Inflation erfordert eine solche Ausrichtung geradezu – und sollte als Basis genutzt werden, eine breite Kampagne anzustoßen, Beschäftigte in die Aktivität zu bringen – nicht nur in ihrem Betrieb, sondern auch als aktive Opposition. Für eine Politik, die die Kämpfe aus unterschiedlichen Bereichen zusammenbringt, beispielsweise durch die Forderung der automatischen Anpassungen aller Löhne und Sozialleistungen an die Inflation! Für eine Politik, die klarmacht, dass keiner der kommenden Tarifverträge mit einem Reallohnverlust abgeschlossen werden darf!
Die VKG kann ein sichtbarer, aktiver Pol in den kommenden Auseinandersetzungen werden. Deswegen wollen wir bei den Mobilisierungen wie am 22. Oktober, wo ver.di und andere DGB-Gewerkschaften in 6 Städten mobilisieren, gemeinsam mit anderen klassenkämpferischen Kräften präsent sein und unsere Forderungen aktiv hereintragen. Das kann aber nicht alles sein: Wir müssen aktiv in Gewerkschaftsstrukturen intervenieren, unsere Forderungen verbreiten und das Gespräch mit Kolleg:innen suchen. Denn die Preissteigerungen und Arbeitsplatzverluste werden wir nicht wegdemonstrieren können. Dazu brauchen wir politische Streiks und Besetzungen – und eine VKG, die gemeinsam mit anderen in den Gewerkschaften eine solche Politik durchzusetzen versucht.