Arbeiter:innenmacht

Gegen Krieg und Krise: Aber wie?

Henning Schlottmann (User:H-stt), CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons

Jaqueline Katharina Singh, Neue Internationale 265, Juni 2022

Seit der Invasion des russischen Imperialismus in die Ukraine hört man öfter das Wort „Zeitenwende“. In der Tat hat der Krieg hat eine neue Phase der Weltpolitik eingeläutet. Die imperialistische Konkurrenz spitzt sich zu, es formen sich, ähnlich wie vor den letzten beiden Weltkriegen, Machtblöcke, die um die Weltherrschaft kämpfen.

Das Ganze wird begleitet von Stagnation und Inflation. Die Preise im Energiebereich oder bei Lebensmitteln steigen in dramatische Höhen. Das trifft vor allem die Lohnabhängigen, die daneben auch mit weiteren Kürzungen im sozialen Bereich rechnen müssen, denn die Kosten für den Krieg werden auf sie abgewälzt.

Dieser Zusammenhang verdeutlicht auch, warum eine vom Kampf gegen den Kapitalismus, gegen ökonomische und soziale Angriffe losgelöste, „reine“ Antikriegsbewegung, „reine“ Friedenspolitik letztlich eine bürgerliche Fiktion darstellen. Das trifft umgekehrt auch auf gewerkschaftliche und ökonomische Kämpfe zu. Die Angriffe auf Löhne und Lebensbedingungen, auf demokratische und soziale Errungenschaften werden nur schwer abzuwehren sein, wenn sie nicht im Kontext der globalen Ziele des deutschen Kapitals und der imperialistischen Weltordnung begriffen werden.

Deshalb wollen wir im folgenden einige Kernforderungen beleuchten, die die Basis für eine erfolgreiche Antikriegs- und Krisenbewegung legen und diskutieren wie wir so eine Bewegung aufbauen können.

1. Der Hauptfeind steht im eignen Land: Klassenkampf statt nationaler Einheit!

Deutschland und der Westen verteidigen nicht das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine, sondern verfolgen vielmehr das Ziel, Russland als imperialistischen Konkurrenten auszuschalten und die Ukraine dauerhaft zu ihrer Halbkolonie zu machen. Die Behauptung, dass es den herrschenden Klassen Deutschlands oder seiner NATO-Verbündeten um einen Kampf zwischen Demokratie und Diktatur, zwischen Willkür und Menschenrechten ginge, ist eine Lüge. Deswegen ist es wichtig, dass wir hierzulande nicht zu den deutschen Interessen schweigen, sondern klar sagen:

  • Nein zu jeder NATO-Intervention! Gegen alle Sanktionen, Aufrüstung, NATO-Truppenverlagerungen und Waffenlieferungen! Gegen NATO-Ausweitung, sofortiger Austritt aus der NATO!

Dementsprechend müssen wir uns auch gegen die Aufrüstung des deutschen Imperialismus stellen. Für den neuen militärischen Kurs und der „Zeitenwende“ eines Olaf Scholz sollen riesige Geld in den Rüstungsetat fließe. Das heißt praktisch:

  • Keinen Cent für die imperialistische Politik, für die Bundeswehr! Nein zum 100-Milliarden-Programm der Ampel-Koalition!

2. Nein zu Putins Angriffskrieg! Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung und der Antikriegsbewegung in Russland!

Eine Antikriegsbewegung, die diesen Namen verdient, muss die Invasion in der Ukraine verurteilen, den sofortigen Abzug der Truppen und die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Ukraine fordern. Gleichzeitig müssen wir jedoch auch seitens der Ukraine das Selbstbestimmungsrecht der Krim und des Donbass verlangen.

  • Sofortiger Abzug der russischen Armee! Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung, Anerkennung ihres Rechts auf Selbstverteidigung gegen die Invasion!
  • Solidarität mit der Antikriegsbewegung und der Arbeiter:innenklasse in Russland; Verbreitung der Aktionen gegen den Krieg; Freilassung aller Gefangenen!
  • Aufnahme aller Geflüchteten, Bleibe- und Staatsbürger_innenrechte für alle – finanziert durch den Staat; Integration der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt, Aufnahme in die Gewerkschaften!

3. Wir zahlen Krieg und Krise nicht!

Wie oben bereits geschrieben, können wir Krieg und Krise nicht separat betrachten. Dabei ist es zentral, dass wir uns gegen Sozialabbau, Kürzungen und Steuererhöhungen für die Massen stellen, um die Aufrüstung der Bundeswehr zu finanzieren oder die Krisenkosten zu finanzieren. Das heißt, dass die Kosten der Preissteigerung die Herrschenden zahlen sollen. Wir wollen weder hungern, noch frieren für ihren Krieg, ihre Sanktionen und ihre Krise!

  • Koordinierter branchenübergreifender Kampf, um die Lohnverluste auszugleichen! Automatische Angleichung der Löhne und Sozialleistungen an die Inflation!
  • Enteignung des Energiesektors und anderer Preistreiber:innen unter Arbeiter:innenkontrolle!
  • Übernahme gestiegener Lebenshaltungskosten der Arbeiter:innenklasse, der Rentner:innen, von Erwerbslosen durch Besteuerung des Kapitals!
  • Keine Profite mit dem Morden: Verstaatlichung der Rüstungsindustrie und Umwandlung der die Produktion, z. B. in Beatmungsgeräte unter Arbeiter:innenkontrolle!

4. Politischer Massenstreik und Massendemonstrationen gegen jede direkte NATO-Intervention!

Sollten die NATO-Länder zu einer direkten militärischen Intervention z. B. durch die Errichtung von Flugverbotszonen schreiten, muss die Arbeiter:innenklasse unmittelbar gegen diese Eskalation mobilisiert werden, um mit einem politischen Streik bis hin zum Generalstreik die gefährliche Katastrophe zu verhindern und die Kriegstreiberei zu stoppen! Wie sinnvoll solche Aktionen sind, zeigen schon jetzt Arbeiter:innen in Belarus, Italien oder Griechenland, die die Lieferung von Waffen verhindert haben, indem sie sich weigerten, diese zu liefern. Die Ablehnung jeder Klassenzusammenarbeit, jeder Unterstützung der Regierung und ihrer militärischen und wirtschaftlichen Interessen ist nicht nur unerlässlich. Sie schafft zugleich auch die besten Voraussetzungen für den Aufbau einer internationalen Antikriegsbewegung – insbesondere auch in Russland und in der Ukraine.

Antikriegsbündnis aufbauen, aber wie?

Berechtigterweise sollte nun die Frage aufkommen, wie wir das in die Praxis umsetzen. Unsere Aufgabe muss es sein, innerhalb der breiten Proteste, die in Solidarität mit der Ukraine stattfinden, Menschen für eine klare Klassenanalyse und unsere Forderungen zu gewinnen. Ebenso müssen wir in aktuellen Streiks intervenieren, um die Ursache für die aktuellen Preissteigerungen hereinzutragen. Dies kann im Kleinen natürlich durch Diskussionen auf Demonstrationen und Veranstaltungen stattfinden.

Auf der anderen Seite muss dies aber auch im größeren Rahmen geschaffen werden. Dazu braucht es ein Bündnis linker Kräfte, die eine internationalistische Position (also gegen die Imperialist:nnen in Ost und West) vertreten.

Das heißt natürlich nicht, dass eine antikapitalistische Ausrichtung eine Vorbedingung für jede gemeinsame Aktivität oder Aktionseinheit gegen Krieg oder Aufrüstung darstellt oder umgekehrt eine Antikriegsposition Voraussetzung für gemeinsame betriebliche oder gewerkschaftliche Abwehrkämpfe wäre. Eine solche Politik wäre ein sektiererischer Ultimatismus, der Revolutionär:innen zur Passivität verurteilen würde – sei es zum bloßen Kommentieren oder durch die Beschränkung auf Pseudoeinheitsfronten kleiner linker Gruppen. Letztere lehnen wir zwar nicht kategorisch ab, sie haben aber nur dann einen Wert, wenn sie versuchen, Massenorganisationen und -kräfte in die Bewegung zu ziehen, und nicht bloß die politische Selbstbefriedigung einer linken Szene darstellen. Ein Beispiel dafür ist die Kampagne gegen Aufrüstung und Krieg in Berlin an der wir uns auch beteiligen, die am 29. Mai eine Demonstration gegen das 100-Milliarden-Programm organisierte.

Wie gewinnen wir mehr Menschen für unsere Ideen?

Um Menschen für eine konsequente Antikriegs- und Krisenpolitik zu gewinnen, ist es notwendig die scheinbar „politisch-neutralen Bereiche“ des Lebens politisieren. Konkret heißt das, Politik an die Orte zu tragen, wo sich die Menschen tagtäglich bewegen müssen, wie Schule, Unis und Betriebe. Schon jetzt unterhalten sich die Leute viel an ihrer Arbeit oder Bildungseinrichtung über den Krieg in der Ukraine oder die Preissteigerungen.

Aktive Gewerkschafter:innen und politische Aktivist:innen sollten die Fragen, wo vorhanden, in Vertrauensleutekörpern, in Betriebsgruppen oder einfach mit Kolleg:innen aufwerfen. Wo es möglich ist, sollten dort Aktionskomitees gegründet werden. Im Zuge von Mobilisierungen ist dies einfacher, da dort Voll- und Betriebsversammlungen einberufen werden können, um gemeinsam zu diskutieren, sowie mit Flugblättern, Veranstaltungen oder Kundgebungen versucht werden kann, die Debatte zu starten. Dies sollte insbesondere für die Organisationen der Arbeiter:innenbewegung gelten, denn „Mobilisierung“ bedeutet nicht nur seinen Namen unter einen Aufruf zu schreiben, sondern aktiv die eigene Mitgliedschaft dazu zu bringen für die Aktion zu werben.

Bereits in reformistischen Parteien Organisierte müssen in ihren eigenen Strukturen für eine Antikriegs- und Antikrisenpolitik kämpfen. So sollten z. B. Mitglieder von solid und der Linkspartei die Partei öffentlich aufrufen sich konsequent und geschlossen gegen die Nato und Sanktionen zu positionieren, wie es beispielsweise Teile von Solid tun. Die Initiator:innen von #appell müssen in ihren eigenen Parteien den Kampf gegen die Politik der Ampel-Koalition aufnehmen.

In den Gewerkschaften muss angestrebt werden, eine klassenkämpferische Bewegung aufzubauen, die für ihre Forderungen mit Streiks kämpft – gegen die Bürokratie. Die VKG (Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften) stellt zur Zeit den wichtigsten Ansatz für eine solche Strömung in den Betrieben und Gewerkschaften dar. Das heißt, dass wir die Gewerkschaften auch klar auffordern, mit ihrer Politik der Klassenzusammenarbeit und Unterstützung der Regierung zu brechen und sich zu beteiligen und aktiv zu mobilisieren. Denn das Ziel muss es letztlich sein, eine Massenbewegung gegen Krieg und Kriegs aufzubauen, die auch wirklich in der Lage ist die Kriegspolitik der Regierung und die Angriffe des Kapitals zu stoppen.

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