Martin Suchanek, Infomail 1166, 11. Oktober 2021
Bis Mitte Oktober soll die Berliner SPD entscheiden, mit wem über einen neuen Senat verhandelt werden soll. Die Signale stehen auf Ampel, daran lässt die SPD-Spitzenkandidatin und nächste Bürgermeisterin, Giffey, keinen Zweifel.
Nachdem sich die Berliner SPD im Wahlkampf noch offiziell bedeckt gehalten hatte, verkündet sie, dass die Partei eine Koalition mit Grünen und FDP gegenüber der Fortsetzung von Rot-Grün-Rot favorisieren würde.
Bemerkenswert daran: Ob eine Mehrheit der Berliner SPD hinter diesem Kurs steht, ist zumindest zweifelhaft. Warum aber die Mitglieder oder einen Parteitag fragen, wenn es mit einer Mehrheit im Vorstand auch geht und mit der von Giffey und dem rechten Parteiflügel geleiteten Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen schon mal Fakten geschaffen werden können?
Mit einem geschickten Manöver gelang es Giffey, die Grünen nicht nur als sicheren Koalitionspartner, sondern auch für parallele Sondierungen mit der FDP zu gewinnen, obwohl die Grünen die rot-grün-rote Regierung fortsetzen wollen. Die Linkspartei würde dabei wohl auch keine Probleme machen. Jedenfalls nach außen hin erklärt sie beständig, dass sie für eine „Reformkoalition“, also eine linke Flankendeckung eines von Giffey geführten Senats bereit wäre.
Doch die SPD-Rechte will offenbar nicht. Wie im Bund setzt sie auf eine Ampel-Koalition. Dass sich die Grünen darauf einließen, zeigt vor allem eines. Auch die angeblich linkere Berliner Partei ist nichts weiter als der lokale Ableger einer offen bürgerlichen Kraft, die für alle Koalitionen mit den sog. demokratischen Parteien offensteht und auf ihre Posten im Senat nicht verzichten will. Sicherlich spielte bei deren Zustimmung zur Sondierung mit der FDP auch mit, dass die SPD rein rechnerisch auch mit CDU und FPD eine Koalition bilden könnte. Letztlich zeigen die letzten Wochen, dass die Grünen auch in Berlin der Linkspartei keineswegs näher stehen als den Liberalen.
Dass die SPD-Rechte nie glücklich über eine Koalition mit der Linkspartei war, stellt kein großes Geheimnis dar. Aber Giffey, Saleh, Geisel und Co. fürchten diesmal, dass sie in einer rot-grün-roten Koalition unter den Druck der Mitglieder und WählerInnenbasis aller Senatsparteien geraten könnten, den Volksentscheid zur Enteignung der großen privaten Immobilienhaie durchzusetzen.
Eine Bürgermeisterin Giffey würde dessen Umsetzung auch in einem rot-grün-roten Senat hinauszögern, verschleppen und verwässern. Die Grünen würden das Spiel auch mitspielen und versuchen, mit den Wohnungskonzernen eine freiwillige Begrenzung der Mieten zu verhandeln. Angesichts des Geschäftsmodells der Unternehmen würden sich alle diese Maßnahmen jedoch früher oder später als politische Placebos entpuppen und der Enteignungsforderung neue UnterstützerInnen zutreiben.
Auch wenn die Linkspartei die Enteignung wahrscheinlich nicht zur Koalitionsbedingung machen würde, so wäre es selbst für die Leute um Lederer schwer, ganze fünf Jahre alles für den Frieden mit der SPD-Rechten und den Konzernen zu verschleppen.
Bedenkt man außerdem, dass selbst in der Berliner SPD die Mehrheit auf einem Parteitag zugunsten einer Enteignung und der Umsetzung des Volksentscheides kippen könnte, dem die Mehrheit ihrer WählerInnen und Mitglieder zugestimmt hat, so wäre eine rot-grün-rote Koalition eine, bei der sie ständig erklären müsste, warum sie dem Willen der BerlinerInnen und auch der UnterstützerInnen der Koalitionsparteien nicht folgt.
In dieser „Not“ kommt die FDP gerade recht. Die Verteidigung des Privateigentums bildet schließlich den Kern ihres Kampfes um sog. Freiheitsrechte.
Für SPD und Grüne bildet eine FDP in der Koalition zugleich eine willkommene Ausrede dafür, warum eine Enteignung der Wohnungskonzerne nicht möglich ist. Zum Trost präsentiert eine solcher Senat womöglich einige Selbstverpflichtungserklärungen der Unternehmen, die das Papier nicht wert sind, auf dem sie geschrieben stehen. Sie bringen den MieterInnen zwar nichts, aber sie machten sich gut im Koalitionsvertrag. Ein solcher würde wahrscheinlich mit allerlei Bekenntnissen zum Wohnungsbau garniert werden, samt Subventionen für private BauträgerInnen und ökologischer Sanierung dieses potemkinschen Dorfes.
Giffey und Jarasch kennen außerdem ihre Parteilinken. Diese stehen zwar einer Ampel skeptisch bis ablehnend gegenüber, einen wirklichen Kampf um die Koalitionsfrage würden sie jedoch nicht riskieren. Letztlich werden sie wohl die Kröte FDP schlucken, denn diese Parteilinken verfügen zwar über wenig Rückgrat, dafür aber über einen kräftigen Magen.
Daher wird der Linkspartei ihre ganze Anbiederung an SPD und Grüne wahrscheinlich nichts nützen. Der Koalitionszug fährt wohl ohne sie ab – und das obwohl sie freiwillig von der wichtigsten konkreten Forderung an einen neuen Senat absieht, der nach sofortiger Umsetzung des Volksentscheids. Die Linkspartei verzichtet aus gutem Grund darauf, dies zur Vorbedingung für eine Senatsbildung zu machen, denn ihrer Führung ist bewusst, dass SPD und Grüne auf diese nicht eingehen werden und zur Zeit der gesellschaftliche Druck noch viel zu gering ist, als dass sie sich dazu gezwungen sähen.
Dieser Sachverhalt offenbart zugleich den zweifelhaften Wert einer Neuauflage der rot-grün-roten Koalition für die MietenaktivistInnen und alle anderen gesellschaftlichen Bewegungen. Schließlich hatten SPD, Grüne und Linkspartei ganze fünf Jahre Zeit, beispielsweise die Lage im Gesundheitsbereich und an den Krankenhäusern zu verbessern.
Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage, angesichts steigender Preise und des Diktats der Schuldenbremse wird der Spielraum für soziale Maßnahmen in Berlin und anderswo deutlich schrumpfen. Jede größere, substantielle Reform erfordert unter diesen Bedingungen, sich mit (Teilen) der KapitalistInnenklasse anzulegen und in den Betrieben und auf der Straße zu mobilisieren. Doch genau das wollen SPD und Grüne nicht. Eine FPD als Senatspartei kann hier noch als zusätzliche Ausrede dafür herhalten, dass keine großen Sprünge für die Massen möglich sind.
Die Linkspartei hält in dieser Lage wider besseres Wissen am Säen ihrer Illusionen von einer sozialen, ökologischen, linken und progressiven Koalitionsregierung fest. Die Ampel verhindern wird das wahrscheinlich nicht, ja ein Teil der Linkspartei und sogar ihrer Führung mag sogar klammheimlich hoffen, dass ihr eine weitere Regierungsbeteiligung erspart bleibt. Das hätte immerhin den Vorteil, dass sie in den kommenden fünf Jahren keine Verantwortung für soziale Angriffe und Sparmaßnahmen übernehmen müsste und sich in der Opposition „regenerieren“ könnte.
Die Beschäftigten der Charité und bei Vivantes, die sich zur Zeit im Arbeitskampf befinden, sollten jedenfalls keine Hoffnungen in irgendwelche automatischen Verbesserungen durch diesen oder jenen zukünftigen Senat setzen. Ebenso wenig sollten es die AktivistInnen der Kampagne Deutsche Wohnen & Co. enteignen tun. Die BesetzerInnen der Köpi, die noch unter dem scheidenden Senat am 15. Oktober geräumt werden sollen, wissen ohnedies, dass sie von einem rot-grün-roten Senat nichts zu erwarten haben.
Dennoch sollten wir die aktuelle Lage nutzen, um zentrale Forderungen dieser Bewegungen auf die Straße zu tragen und vom Senat einzufordern: