Tomasz Jaroslaw, Neue Internationale 254, April 2021
Der Housing Action Day am 27.3.2021 kommt gerade rechtzeitig. In die Wohnungsfrage, die immer mehr Menschen v. a. in Großstädten unter den Nägeln brennt, kommt Bewegung. Das Beispiel Berlin zeigt, dass allerdings auch die Gegenseite mobilmacht.
Mit dem Erfolg der Kampagne „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ (DWE) nimmt auch der Druck seitens VermieterInnen, Immobilienlobby und konservativer Medien zu.
Das hat sich bereits 2019 gezeigt, als ein Vermieter einem Mieter kündigen wollte, da ein DWE-Sticker auf seinem Briefkasten war. Der Vermieter begründete diese Kündigung mit dem Verlust des „Vertrauensverhältnisses“ und drohte zusätzlich mit einer Klage wegen Beleidigung.
Ein ähnlicher Fall der Einschränkung der Meinungsfreiheit ereignete sich im Februar 2021: als 2 WGs und eine Senioren-WG Banner mit der Aufschrift „Lebenslänglich – Bezahlbarer Wohnraum ist ein Grundrecht!“ aus ihren Fenstern hingen, da sie als BewohnerInnen der Kreuzberger Wohnungsgenossenschaft Möckernkiez eG „selbst in gesicherten Wohnverhältnissen [wohnen] und (…) nicht hinnehmen, dass Menschen fürchten müssen, ihre Wohnungen nicht mehr bezahlen zu können“, so eine gemeinsame Erklärung der 25 BewohnerInnen des Hauses. Der Vorstand der Wohnungsgenossenschaft hat die BewohnerInnen aufgefordert, das Transpi runterzuhängen, da „Die Fassade nicht mit vermietet sei“ und es sich bei „der Anbringung nicht um einen üblichen Mietgebrauch handelt, die Anbringung berechtigte Interessen unserer Genossenschaft verletzt und Belästigungen anderer Hausbewohner und Nachbarn zu erwarten sind“. Die Genossenschaft gilt übrigens als Vorreiterin für eine Energiewende.
MieterInnen an der Warschauer Straße und Kopernikusstraße wurden ebenfalls von ihren VermieterInnen aufgefordert, Fahnen in den Farben lila-gelb (Kampagnen-Farben von DWE) abzuhängen.
Es zeigt eindrücklich, dass die VermieterInnen und selbst die Wohnungsgenossenschaften bereit sind, elementare Grundrechte wie die Unverletzlichkeit der Wohnung und Meinungsfreiheit zu beschränken.
Aber macht es Sinn, hier die Konfrontation vor Gericht zu suchen? Wenn bürgerliche PolitikerInnen, bürgerliche Zeitungen oder VertreterInnen des bürgerlichen Staates davon reden, dass Recht, Ordnung und Gesetz durchgesetzt werden sollen und das unter Verwendung von Justiz und Ordnungsmaßnahmen zu erfolgen hat, ist dies einfach nur am geltenden Recht orientiert, politisch neutral und bezüglich des sozialen Standes der Streitenden unparteiisch? Steht der Staat der Durchsetzung des Mietrechts genauso nahe wie der des Eigentumsrechts?
Zur Beantwortung dieser Frage können wir uns einige prägnante Beispiele angucken, die jedoch keine Einzelfälle, sondern die Spitze des Eisbergs darstellen
Ein Eigentümer wollte in der Emser Straße 2019 eine energetische Sanierung durchführen, obwohl bereits wenige Jahre zuvor eine durchgeführt worden war. Die MieterInnen organisierten sich in einer Initiative, um diese und den Mietanstieg in der Folge vor Gericht abzuwehren. Das Gericht tendierte zunächst dazu, die erneute Sanierung zu stoppen. Noch während des Verfahrens wurde in einer Nacht die Fassade von Unbekannten an mehreren Stellen angebohrt, wodurch die Isisolierung beschädigt worden ist. Die Mietinitiative dokumentierte diese offensichtliche Sachbeschädigung im Interesse des Vermieters. Das Ergebnis: unbekannte TäterInnen, keine Verbindung mit dem Vermieter, beschädigte Bausubstanz und das Urteil: Die Sanierung durfte durchgeführt werden.
Ein Eigentümer will seit Jahren die BewohnerInnen in der Karl-Marx-Straße aus ihren Wohnungen verdrängen, indem im Winter wochenlang Heizung und Warmwasseraufbereitung nicht repariert worden sind. Der Eigentümer will das Objekt sanieren, die aktuell sehr günstigen Mieten damit aushebeln und viel teuerer neu vermieten. Als HandwerkerInnen im Auftrag des Eigentümers mutmaßlich die Gasleitung des Hauses beschädigten, ist es nur dem Umstand, dass der erste Mieter, der die Leckage bemerkt hat, kein Raucher war, zu verdanken, dass keine Explosion zustande kam. Die Polizei hat die Ermittlungen eingestellt, da ihrer Aussage nach keine TäterInnen ermittelt werden und dem Eigentümer keine Gelegenheit und kein Motiv unterstellt werden konnten, obwohl die HandwerkerInnen am Tag der Beschädigung im Haus waren (Gelegenheit) und das Motiv des Eigentümers durch die jahrelangen Verdrängungsbemühungen mehr als offensichtlich war.
Das Padovicz-Netzwerk ist ein mafiöses Unternehmensgeflecht um die gleichnamige Familie, das dadurch auffällt, Wohnungen zu kaufen, mit Steuermitteln zu sanieren und dann die MieterInnen durch Sanierungsmaßnahmen, Müll, Ausfall von Heizungen und sogar Bedrohungen zum Verlassen zu nötigen, um die fertig sanierten und öffentlich geförderten Wohnungen viel höher neu zu vermieten. Selbst bei Wohnobjekten, die auf Grund ihrer Rolle in der ultralinken Szene bei seriösen UnternehmerInnen als Risikokapital gelten, hat das Netzwerk seine dreckigen Finger im Spiel. Nudelmann & Friends Immobilien, Teil dessen, tritt als Verhandlungspartner zwischen den unbekannten EigentümerInnen und dem Staat zur Rigaer Straße 94 auf. Auch bei der Planung, Bebauung und Verdrängung in der Rummelsburger Bucht mischt Padovicz mit.
Es gibt Hinweise auf Verflechtung zwischen ihm und diversen Bezirksämtern bezüglich Zuschüssen zur Sanierung, Kooperation bei Räumungen (Immobilienfilz). Welche Position der Staat im Konflikt zwischen MieterInnen und Padovicz einnimmt, sieht man daran, dass bis heute dieser untätig ist, das gesamte Firmengeflecht und die mafiösen Praktiken zu untersuchen und zu verfolgen. Stattdessen werden MieterInnen in den Fokus des Verfassungsschutzes gerückt, nachdem sie Protestaktionen vor Büros der Firma und Klingelstreiche organisiert haben. Während also die Ermittlungen gegen ImmobilienbesitzerInnen eingestellt werden, diese vor Gericht Recht bekommen, genießt Padovicz einen Personenschutz rund um die Uhr durch 4 Einsatzfahrzeuge der Polizei. Gleichzeitig ermittelt der Verfassungsschutz gegen den „Phänomenbereich Anti-Gentrifizierung“ und weist den Blog „Padowatch“ im Verfassungsschutzbericht 2018 aus.
Beim „Global Residential Cities Index” (Stand 2019) liegt Berlin an 6. Stelle. Der GRCI untersucht Parameter wie u. a. Mietpreiserhöhungen, wirtschaftliche und politische Stabilität und liberale Steuergesetzgebung und berechnet daraus einen Wert, der für ImmobilienanlegerInnen als Kennzahl dient. Berlin ist daher nicht nur ein Anlagefeld für große bekannte finanzindustrielle Wohnkonzerne wie Deutsche Wohnen, Vonovia, Covivio usw., sondern voller unseriöser und mafiöser Unternehmen, die es neben krassen Profiten zusätzlich zur Geldwäsche und Steuervermeidung nutzen. Zwischen 2011 und 2015 wurden Immobilien im Wert von 13 Milliarden Euro gekauft, aber durch die Konstruktion von sog. „Share Deals“ ist dem Land bzw. der Kommune eine Grunderwerbsteuer von 700 Millionen entgangen.
Von Seiten des Staates passiert nichts, um das vielschichtige Netz von Beteiligungen, Tochter-, Briefkastenfirmen und Steueroasen zu durchleuchten und trockenzulegen. Oft werden MieterInnen aus ihren Wohnungen vertrieben und heraus geklagt, müssen sich gegen unbegründete Mieterhöhungen oder Kostenumlagen wehren und kennen nicht mal den/die BesitzerIn der Immobilie, sondern nur deren AnwältInnen. So 2019 beim Räumungsverfahren gegen die linke Kiezkneipe „Syndikat“. Nachdem das Gericht auf Grund massiver Proteste angeordnet hatte, dass der/die EigentümerIn erscheinen musste, entpuppte sich die Adresse als Briefkastenfirma. Trotzdem siegte diese/r letztlich und die Polizei organisierte Schützenhilfe bei der Räumung, indem sie die Straße unter militärische Belagerung stellte und systematisch AnwohnerInnen schikanierte. In denselben Kontext stellt sich auch die Räumung der „Meuterei“, einer anderen linken Kneipe, die für den 25.3. angesetzt ist, und die Schließung der unabhängigen Jugend- und Kulturzentren „Potse“ und „Drugstore“.
Ein anderer international bekannter Standort ist die „Köpi“, dessen Käufer Siegfried Nehls, Vorstand der SANUS CAPITAL AG und Kopf eines ebenfalls dubiosen Unternehmensgeflechts, mehrfach wegen Betrugs und Urkundenfälschung verurteilt worden ist und die „Köpi“ als Immobilienpaket durch Strohmänner aus der STARTEZIA GmbH erworben hat. Im Februar wurde den BewohnerInnen ein Räumungsbescheid erteilt und eine Räumungsklage vor Gericht eingereicht. Es ist vorauszuahnen, dass, obwohl Bezirksverordnetenvertretung und Bezirksamt offiziell kundtun, eine Eskalation vermeiden zu wollen, die Polizei diese Räumung durchsetzen wird. Weitere Standorte sind auch akut von Räumung bedroht: z. B. Liebigstraße 34, Voigstraße 36, Hermannstraße 48, Beermannstraße 6.
Das sind alles Beispiele, wo Organe des bürgerlichen Staates im Interesse von Unternehmen aufgetreten sind. Manchmal wird der Staat aber selbst aktiv gegen die MieterInnenbewegung:
Natürlich muss man diese vielen Beispiele publizieren und skandalisieren, aber man sollte nicht der Illusion verfallen, dass Staat, Gerichte und Polizei neutrale Institutionen seien, die dem privaten Eigentumsrecht genauso nahe stehen wie dem Mietrecht. Zudem verhält es sich selbst in parlamentarischen Demokratien so, dass BeamtInnen und RichterInnen vom Staat eingesetzt werden und die einzigen gewählten Körperschaften (Parlamente, Stadt- und Gemeinderäte) bestehen aus Abgeordneten, die ihrem Gewissen (und ihrem Geldbeutel) verpflichtet sind, nicht den WählerInnen. Diese können sie bei Verletzung ihrer Interessen nicht jederzeit abwählen wie in einer Demokratie der ArbeiterInnenräte. Wir fordern deshalb: Wahl der RichterInnen durch Organe der MieterInnen und ArbeiterInnenbewegung, gerade weil erstere zum größten Teil der ArbeiterInnenklasse angehören!
Um die Ziele von DWE zu erreichen, müssen wir solidarisch mit dem Volksbegehren und ihrer Verteidigung gegen Repression seitens Staat, Gerichten und Immobilienlobby sein. Doch sie muss über ihren Tellerrand schauen. Dazu gehört die Perspektive einer bundesweiten Zusammenführung der MieterInnenbewegung, beginnend mit einer Aktions- und Organisationskonferenz. Dazu gehört aber auch ein Plan B, der über den angestrebten Volksentscheid hinausgeht. Denn selbst im Erfolgsfall bleibt die Umsetzung in den Händen von Parlament, Staat und Gerichten, nicht zuletzt in der Frage der Höhe der Entschädigung.
Eine entschädigungslose Enteignung unter ArbeiterInnen- und MieterInnenkontrolle – unseren Vorschlag also – hat ja DWE mit großer Mehrheit einschließlich der meisten sich als sozialistisch bezeichneten Kräfte abgelehnt! Stattdessen wird die zu gründende Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) leichtfertig zur Form des Gemeineigentums stilisiert. So richtig es wäre, die Arbeit in ihren MieterInnenräten auszunutzen, so wenig kann diese Mitbestimmung mit wirklicher Gegenmacht der ArbeiterInnenklasse gleichgesetzt werden (ganz wie die im Betriebsverfassungsgesetz festgeschriebenen Betriebsräte keine Form der Gegenmacht darstellen).
Entscheidend ist der Klassenkampf, ob aus ihnen so etwas entstehen kann. Dazu müssen aber SozialistInnen auf den Aufbau von Gegenmachtorganen zu Kapital und Staat überhaupt erstmal orientieren. Methoden wie Mietboykott, Verhinderung von Zwangsräumungen gerade infolge der Coronakrise, von organisierter Kontrolle des Mietendeckels, Beschlagnahme von Wohnraum für die obligatorische Unterbringung von Geflüchteten, Wohnungs- und Obdachlosen sind ferner zu berücksichtigen. Sie sind allesamt nur mit Klassenkampforganen durchzusetzen. Die Unterstützung der Unterschriftenkampagne von DWE stellt daher nur ein Etappenziel dar, hin zum Aufbau einer breiteren Bewegung für die Enteignung des Wohnungsbaukapitals, des Immobilienbesitz und der Wohnungsspekulation.