Arbeiter:innenmacht

Politische Krise in Schweden: Streikmaßnahmen weisen den Weg vorwärts

Arbetarmakt, Infomail 1128, 1. Dezember 2020

Seit die Parlamentswahlen im September 2018 zu einem Patt im Parlament geführt haben, hinkt Schweden von einer Beinahe-Krise zur nächsten. Es dauerte bis Januar 2019, bevor eine Koalitionsregierung aus SozialdemokratInnen und Grünen mit parlamentarischer Unterstützung durch Zentrumspartei und Liberale gebildet werden konnte, und selbst dann war dies eine Minderheit im Riksdag (Abgeordnetenparlament).

Zugeständnisse an Bürgerliche

Die Alternative hätte eine rechtsgerichtete Koalition einschließlich der rechtsextremen, rassistischen SchwedendemokratInnen bilden können. Um dies zu vermeiden, waren die sozialdemokratische und die Grünen-Partei bereit, Schlüsselmaßnahmen aus dem Programm der Zentrumspartei und der Liberalen zu akzeptieren. Damals bemerkte das Magazin The Economist, dass das „Januar-Abkommen“ acht Vorschläge enthielt, „die in direktem Widerspruch zum [sozialdemokratischen] Manifest stehen, wie z. B. die Abschaffung von Gewinnbeschränkungen im privaten Wohlfahrtssektor und eine zusätzliche Einkommenssteuer für HochverdienerInnen“.

Unter den acht Maßnahmen waren zwei, die zum Kern der sozialdemokratischen Tradition gehörten: die Vermarktung von Mieten und ein Angriff auf das Kündigungsschutzgesetz (LAS), ein zentrales Gesetzeswerk aus den 1970er Jahren. Selbst mit dem Abkommen verfügte die Regierung nicht über eine parlamentarische Mehrheit, so dass sich alle Augen auf die Linkspartei und ihren Vorsitzenden Jonas Sjöstedt richteten, der das Abkommen (zu Recht) als einen Schritt in Richtung zunehmender Ungleichheit und weiterer Angriffe auf die Rechte und Bedingungen der ArbeiterInnenklasse charakterisiert hatte. Die Mitglieder der Linkspartei und ihre WählerInnen griffen auf die sozialen Medien zurück, um ihre Führung aufzufordern, „den roten Knopf zu drücken“, d. h. die neue Regierung und das neoliberale Abkommen abzulehnen.

Wie ein Mitglied der Linkspartei, der ehemalige Abgeordnete Daniel Sestrajcic, der den linken Bezirk Malmö vertritt, schrieb: „Wenn die SozialdemokratInnen die Partei von dem, was von der Sozialdemokratie übrig geblieben ist, säubern und ihre eigene Umwandlung zu einer offen bürgerlichen Partei annehmen wollen, dann ist das ihre eigene, traurige Entscheidung. Für die Linkspartei gibt es nur einen Knopf zu drücken: den roten.“

Die Liberalen und die Zentrumspartei erkannten die potentielle Schlüsselrolle der Linkspartei und bestanden darauf, dass das Abkommen eine Klausel enthält, dass die Regierung ihr keinen Einfluss auf ihre politische Richtung gestattet. Nach Erhalt einer „geheimen Notiz“ des sozialdemokratischen Premierministers Stefan Löfven, dass diese Klausel nun angeblich veraltet sei, kündigte die Linkspartei an, dass sie sich bei der Abstimmung über die Regierungsbildung der Stimme enthalten werde, und sorgte damit für deren Bildung. Um die Pille eines solch demütigenden Rückziehers zu versüßen, behauptete Sjöstedt, dass, wenn die Regierung eine von zwei „roten Linien“, nämlich die Vermarktung von Mieten oder rechtliche Angriffe auf die Arbeitsplatzsicherheit, überschreite, die Linkspartei für die Absetzung von Stefan Löfven stimmen würde.

Regierungsbildung mit Unterstützung der Linkspartei

Wie Arbetarmakt, die schwedische Sektion der Liga für die Fünfte Internationale, seinerzeit schrieb, hätte die Drohung mit einer großen Prise Salz aufgenommen werden müssen. Jahrzehntelang bestand die langfristige Strategie der Linkspartei darin, in eine Regierungskoalition mit den SozialdemokratInnen eingebunden zu werden und sich so einen „linken Einfluss“ in der Verwaltung des bürgerlichen Staates zu sichern.

Die Linkspartei begründete ihre Unterstützung für eine nach rechts gehende Koalition als das „kleinere Übel“ im Vergleich zu einer rechtsgerichteten Koalition mit den SchwedendemokratInnen. Natürlich ist es lobenswert, diese daran zu hindern, irgendeine Rolle in der Regierung zu gewinnen, jede/r Sozialist/in würde dem zustimmen, aber sie aus der Regierung herauszuhalten, ist das eigentliche Ziel, und dazu bedarf es einer langfristigen Strategie. Die Unterstützung einer Regierung, die sich dem Angriff auf die ArbeiterInnenrechte und der „Vermarktung“, d. h. der Erhöhung der Wohnkosten, verschrieben hat, wird unweigerlich genau die Bedingungen verbessern, unter denen die SchwedendemokratInnen aufblühen können.

Es sickerte etwa zu dieser Zeit durch, dass sozialdemokratische Insiderinnen von ihrer größten Befürchtung sprachen: eine militantere Linkspartei könne Teile des LO (Landsorganisationen i Sverige), des wichtigsten Gewerkschaftsbundes, abspalten und „sich als große, linkssozialistische Partei etablieren“. Jede echte sozialistische Partei hätte alles in ihrer Macht Stehende tun müssen, schrieben wir, um genau das zu tun. Mit dieser Haltung hätte sie dann gestärkt in eine mögliche neue Wahlperiode gehen, nicht den Respekt von Stefan Löfven gewinnen, sondern irgendwo weit weg von den Büros und Wohnungen der Abgeordneten sich an die ArbeiterInnen und Armen des Landes wenden können, an alle, die von rechter und rassistischer Politik bedroht sind.

Die natürlichen Losungen wären gewesen: Keine Unterstützung für das Januar-Abkommen oder für die darauf basierende bürgerliche Regierung Löfven! Alle offen bürgerlichen Parteien aus der Regierung heraus! Kein Einfluss für die SchwedendemokratInnen! Bringt alle bürgerlichen Vorschläge zu Fall – bringt die Regierung zu Fall!

Stattdessen begnügten sich die Abgeordneten der Linkspartei mit der Androhung eines Misstrauensvotums gegen Löfven zu einem späteren Zeitpunkt, sollte er ihre „roten Linien“ überschreiten, und sie enthielten sich bei der entscheidenden Abstimmung über die Regierung. Bei späteren Enthüllungen stellte sich heraus, dass ein Teil der hinter verschlossenen Türen vereinbarten Abmachung darin bestand, dass der LO-Vorsitzende, ein überzeugter Sozialdemokrat, auf linken Parteitagen sprechen sollte, zusammen mit anderen symbolischen Krümeln, die der Linkspartei als Belohnung dafür gegeben wurden, dass sie der neuen Regierung nicht im Wege stand.

In den fast zwei Jahren seither hat die sozialdemokratisch-grüne Regierung einige der Vorschläge des Januar-Abkommens auf Zeit blockiert. Sie sieht sich mit Drohungen von beiden Seiten konfrontiert: von rechts, wenn ihre liberalen AnhängerInnen im Parlament, die mit dem mangelnden Fortschritt unzufrieden sind, zu ihren früheren BündnispartnerInnen bei den ChristdemokratInnen und SchwedendemokratInnen wechseln, und von links durch LO und den Mieterbund, zwei konstituierenden Teilen der sozialdemokratischen ArbeiterInnenbewegung, falls sie tatsächlich versuchen sollte, die Vorschläge umzusetzen.

Was den Plan zur Vermarktung der Mieten betrifft, so hat die Regierung versucht, den Vorschlag in einem Ausschuss zu begraben, wahrscheinlich in der Hoffnung, dass das Thema verschwindet. Die Führung des 538.000 Mitglieder starken MieterInnenverbandes, der die Mieten in Tarifverträgen aushandelt, fühlte sich ihrerseits durch den Druck ihrer Mitglieder gezwungen, eine Kampagne gegen den Vorschlag zu starten, zu Demonstrationen aufzurufen und Petitionen gegen den Vorschlag einzureichen. Vor allem im Raum Göteborg haben radikalere Kräfte zu Recht weiter gedrängt und Proteste organisiert, nicht nur gegen diesen Vorschlag im Besonderen, sondern gegen das gesamte, verrottete Januar-Abkommen an sich.

Der LAS-Konflikt

Gemäß dem Abkommen würde das Verfahren zur Behandlung von vorgeschlagenen Angriffen auf das Gesetz über die Beschäftigungssicherheit (LAS) darin bestehen, dass ein Parlamentsausschuss einen Bericht veröffentlicht und dann auf der Grundlage dessen Verhandlungen zwischen den Gewerkschaften und der Arbeit„geber“Innenorganisation, dem schwedischen UnternehmerInnenverband, geführt werden. Die Ergebnisse dieser Verhandlungen würden dann von der Regierung zum Gesetz gemacht. Sollte jedoch als Schlüsselbedingung kein Kompromiss zwischen den Arbeitsmarktparteien erzielt werden, würde die Angelegenheit wieder an die Regierung zurückgehen, um sie per Gesetz zu lösen.

Dies verschaffte den Arbeit„geber“Innenverbänden natürlich einen großen Vorteil: Sollten sich die Gewerkschaften weitreichenden Angriffen widersetzen, müssten sich die „ArbeitgeberInnen“ nur zurücklehnen und stattdessen die Regierung die Änderungen für sie durchführen lassen.

Diese Bedingung war sowohl für Premierminister Löfven als auch für die sozialdemokratische Führung von Vorteil. Wenn sie die LO-Führung dazu bringen könnten, den Angriffen zuzustimmen, würden die geplanten Gesetzesänderungen, ursprünglich eine Erfindung der Liberalen und der Zentrumspartei, stattdessen auf magische Weise in einen Vorschlag der Gewerkschaften selbst verwandelt.

Nachdem der Ausschuss seinen Bericht vorgelegt hatte, räumte sogar Premierminister Löfven ein, dass die Vorschläge „stark zugunsten der Arbeit,geber’Innen geneigt“ waren, und benahm sich damit, als ob angesichts des Initiators der Gesetzesänderungen und der Anweisungen an den Ausschuss dies eine Überraschung sei. Mit anderen Worten, ein besseres Ergebnis hätten die KapitalistInnen nicht verlangen können.

Zwei Hauptvorschläge des Berichts waren, dass es den UnternehmerInnen freigestellt werden sollte, fünf statt zwei ArbeiterInnen von der üblichen Regel „Zuerst drin, als LetzteR raus“ von Kündigungen auszunehmen, und dass das derzeitige Recht der ArbeiterInnen in kleineren Unternehmen, eine ungerechtfertigte Kündigung vor Gericht für ungültig erklären zu lassen, aufgehoben werden sollte. Wie die militante Gewerkschafterin Daria Bogdanska in einem Interview mit Arbetarmakt sagte, waren die Vorschläge des Berichts eindeutig nur als ein Anfang weiterer Angriffe gedacht und würden es „den Bossen viel, viel leichter machen, MitarbeiterInnen aus heiterem Himmel zu entlassen, selbst bei kleineren Konflikten, Ungehorsam oder einfach durch das Erfinden eines Grundes, um z. B. GewerkschaftsaktivistInnen loszuwerden“.

Die erste Verhandlungsrunde …

Während die LO-Führung als Teil des sozialdemokratischen Parteiapparats betrachtet werden kann (bis 1990 waren die LO-Mitglieder automatisch Mitglieder der sozialdemokratischen Partei, und der/die LO-Vorsitzende hat immer noch einen Sitz im sozialdemokratischen Exekutivausschuss), muss die Gewerkschaftsführung immer noch eine Mitgliedschaft berücksichtigen, da sie in ihrer Rolle als Vermittlerin des wirtschaftlichen Klassenkampfes gefangen ist.

Schon vor den LAS-Verhandlungen konnten wir den Beginn einer Fragmentierung des LO beobachten, wobei eine Reihe von Gewerkschaften, darunter die 500.000 Mitglieder starke Kommunal, die größte LO-Branchengewerkschaft, die Kommunal- und Gesundheitsbeschäftigte organisiert, rebellierte und im Vorfeld der jährlichen Tarifvertragsverhandlungen mit der Koordinierung des Verbandes brach.

Diese Risse in der Bürokratie weiteten sich bereits vor Beginn der Verhandlungen aus, wobei innerhalb der LO-Führung hektische Aktivitäten stattfanden, um eine Einigung zu erzielen und damit das Gesicht der Regierung zu wahren. Bereits im Dezember 2019 konnte die Gewerkschaftspresse enthüllen, wie eine kleine Gruppe sozialdemokratischer LoyalistInnen innerhalb der LO-Führung aktiv an der Seite des Arbeit„geber“Innenverbandes arbeitete, um ein Abkommen vorzubereiten und sich im Vorfeld der Verhandlungen heimlich mit ihnen auf eine Absichtserklärung zu einigen. Der skandalöse Brief, der den kritischeren Gewerkschaftsteilen wie Kommunal vorenthalten wurde, machte deutlich, dass diese BürokratInnen bereits bereit waren, den UnternehmrInnen das Recht einzuräumen, jede/n ArbeiterIn nach Belieben zu entlassen, sogar noch vor jeglichen Verhandlungen.

In einem Antrag an den LO-Kongress erklärten die Gewerkschaften Kommunal und Seko (die Gewerkschaft der Beschäftigten im Dienstleistungssektor und in der Kommunikationsbranche), dass sie kein Vertrauen mehr in die Verhandlungen des Dachverbandes zu diesem Thema hätten, während Byggnads (Svenska Byggnadsarbetareförbundet; BauarbeiterInnengewerkschaft) äußerte, dass ihr Zutrauen in diesen „beschädigt“ sei. Der Berufsverband der Angestellten, TCO, sah ähnliche Proteste, bei denen u. a. LehrerInnen- und KrankenpflegerInnengewerkschaften drohten, dem Verhandlungskomitee ihr Vertrauen zu entziehen.

Den KritikerInnen gelang es jedoch nicht, die Verhandlungen zu stoppen, die mit der im Juni beginnenden ersten Runde starteten. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der LO-Teil des Verhandlungsausschusses bereit erklärt, „große Zugeständnisse“ zu machen, d. h. Verrat an ihrer Mitgliedschaft zu begehen.

Dennoch waren die Verbandsspitzen nicht bereit, ganz so weit zu gehen, wie es die nun selbstbewussten VertreterInnen des schwedischen Kapitalismus verlangten, und die Verhandlungen scheiterten. Erneut wurde der Vorschlag an die Regierung zurückgegeben. Wieder einmal lag der Druck auf der Linkspartei, die sich in einer Art politischem Angsthasenspiels wiedersah. Würden sie ihre Drohung zurückziehen, jetzt, da sie die Regierung tatsächlich stürzen könnte? Würde Löfven in der Lage sein, den LO zur Wiederaufnahme von Verhandlungen zu drängen? Oder könnte er die Liberalen und die Zentrumspartei davon überzeugen, die Niederlage bei diesem Vorschlag zu akzeptieren?

Die Linkspartei ihrerseits interpretierte ihre Drohung mit der „roten Linie“ dahingehend, dass das LAS nicht per Gesetz und gegen den Willen der Gewerkschaften geändert werden dürfe. Wie die neue Vorsitzende der Linkspartei, Mehrnoosh „Nooshi“ Dadgostar, sagte, zöge sie neue Verhandlungen vor, aber ohne die Drohung einer Änderung per Gesetz, die, so argumentierte sie, durch die Drohung der Linkspartei, die Regierung zu stürzen, falls es dazu kommen sollte, zunichtegemacht wurde. Die Linkspartei wollte, erklärte Dadgostar, Premierminister Löfven „mehr Zeit“ geben (um die Parteien zu zwingen, die Verhandlungen zu erneuern), und dass erstere dann „das Problem lösen“ würde.

Was die Führung der Linkspartei jedoch nicht erklärt hat, war genau das, worüber die Parteien verhandeln sollten. Was sollte „gelöst“ werden? Selbst wenn die Drohung, das Gesetz im Parlament zu ändern, als aus der Gleichung herausgenommen betrachtet werden könnte (was nicht sicher war), würde dies nur dazu führen, dass die Gewerkschaften durch das Abkommen vom Januar gezwungen wären, über Angriffe auf die Beschäftigungssicherheit zu verhandeln.

Während die Linkspartei zögerte, handelten die Sozialdemokratische Partei und ihre Verbündeten in der Gewerkschaftsbürokratie. Sie bereiteten eine zweite Verhandlungsrunde vor, um einem Misstrauensvotum im Parlament zuvorzukommen, sei es auf Initiative der Linkspartei oder der rechten Opposition, die offen ihre Absicht erklärt, im Falle einer Machtübernahme die gleichen brutalen Angriffe auszuführen, selbst wenn sie die Regierung in dieser Frage zu Fall bringen sollte.

 … und die zweite Runde

Sobald die Verhandlungen gescheitert waren, trafen sich die LO-VertreterInnen wieder heimlich mit ihrem Gegenüber von der UnternehmerInnenseite, um die Wiederaufnahme der Verhandlungen zu erörtern. Wie die Gewerkschaftspresse berichtete, wurde diesmal sogar der LO-Exekutivausschuss außen vor gelassen, und die AnführerInnen kritischer Gewerkschaften wurden erst informiert, als ein Vorschlag für die Wiederaufnahme der Verhandlungen vorlag.

Da sie wussten, dass mehrere der Mitgliedsgewerkschaften ihre Ablehnung insbesondere in der Frage der Änderung der zulässigen Entlassungsbedingungen versprochen hatten, riefen die BürokratInnen, die für einen Verhandlungsabschluss waren, den Rest des Vorstands erst zu einer Sitzung ein, nachdem sie neue Verhandlungen vorbereitet hatten – „wie ein Blitz aus heiterem Himmel“, wie der Vorsitzende der BauarbeiterInnengewerkschaft bemerkte. Die BauarbeiterInnengewerkschaft gab daraufhin ihren Vorbehalt gegen die Wiederaufnahme der Verhandlungen mit „einer Waffe am Kopf“ zu Protokoll, zusammen mit der MalerInnengewerkschaft, der Dienstleistungs- und Kommunikations-, der Gebäudeinstandhaltungs-, der Papier- und der TransportarbeiterInnengewerkschaft.

Trotzdem wurden neue Verhandlungen aufgenommen, die eindeutig dem Wunsch von Teilen der LO-Exekutive entsprangen, die sozialdemokratische Regierung zu retten und die Parteien der Liberalen und des Zentrums zu beschwichtigen. Wie ein/e GewerkschaftsvorsitzendeR gegenüber der Gewerkschaftspresse sagte, haben die VertreterInnen für einen Vertragsabschluss „offensichtlich die Regierung und die SozialdemokratInnen in Rechnung gestellt“, was ein/e andere/r GewerkschaftsvorsitzendeR als „die schlimmste Art von schmutzigen Tricks“ bezeichnete.

Doch selbst nach dieser beträchtlichen Anstrengung der Bürokratie für ein Verhandlungsabkommen konnte sich der Verhandlungsausschuss nicht auf die von den UnternehmensvertreterInnen vorgeschlagenen Angriffe einigen, und am 15. Oktober scheiterte die zweite Verhandlungsrunde. Am Ende lehnte die gesamte LO-Exekutive den zweiten Deal ab. Diesmal erschien jedoch die Verhandlungsdelegation der Angestellten- und FreiberuflerInnenverbände beschämend auf einer Pressekonferenz mit dem/r Vorsitzenden des Arbeit„geber“Innenverbandes und erklärte, sie „bedauere“ die Ablehnung des Abkommens durch den Gewerkschaftsdachverband und erklärte sich bereit, ein eigenes Abkommen zu schließen. Hier erklärten sich die TCO-BürokratInnen bereit, die LO-Beschäftigten den Wölfen zum Fraß vorzuwerfen – ein Verrat, der verurteilt werden muss.

Zurück zum Parlament

Jetzt wickelt sich die Regierung wieder einmal fest. Während Premierminister Löfven erklärt hat, dass der weithin verabscheute Ausschussbericht zur LAS nun für ungültig erklärt wurde, ist die sozialdemokratische Führung unsicher, wie sie weiter vorgehen soll. Löfven deutet einen weiteren Ausschuss an, diesmal auf der Grundlage des nur vom Gewerkschaftsverband der Angestellten und freien Berufe akzeptierten Deals und mit den vom LO abgelehnten Angriffen auf den Kündigungsschutz. Hoffentlich – für Löfven – würde dies dann zu einer dritten Verhandlungsrunde führen, in der der LO irgendwie überzeugt werden könnte, die Angriffe abzusegnen. Mit anderen Worten, die Bedrohungen für die Beschäftigungssicherheit sind nach wie vor sehr real.

Unterdessen wird für die Linkspartei das, was im Januar 2019 impliziert war, nun klarer artikuliert. Die Partei tritt jetzt offener als ein externer (in der Praxis ausgeschlossener), aber loyaler Teil der Unterstützungsbasis der Regierung im Parlament auf. Ihr Hauptanliegen bleibt es, Löfven an der Macht zu halten, indem sie auf dem hohen Anspruch beharrt, sich als verlässliche und würdige Koalitionsnachwuchspartnerin für eine künftige sozialdemokratische Regierung zu positionieren. Bei den ersten wirklichen Tests ihrer berühmten „roten Linien“ zeigte die Parteiführung ihre Loyalität gegenüber den Interessen der sozialdemokratischen Bürokratie.

Die langfristige Strategie der Linkspartei bedeutet, dass sie letztlich auch nicht bereit ist, die sozialdemokratische Hegemonie über die Gewerkschaft und die breitere ArbeiterInnenbewegung anzufechten. Sie ist nicht in der Lage, das Vakuum zu füllen, das durch den Rückzug der SozialdemokratInnen aus einigen Hochburgen entstanden ist, ohne sie offen herauszufordern. Löfven weiß, dass die heutige Linkspartei eine rein parlamentarische Konstruktion ist. Wenn nur ihre Abgeordneten ihren Worten Kraft verleihen, ohne eine Bewegung in den Betrieben, in den Gewerkschaften oder auf den Straßen, die sie unterstützt, wäre eine Neuwahl für die Linkspartei ebenso gefährlich wie für die SozialdemokratInnen.

Neben einem Misstrauensvotum kann man über eine Reihe anderer Wege aus der Krise für die Regierung spekulieren, aber zum jetzigen Zeitpunkt scheint keiner davon sehr wahrscheinlich. Die Liberalen und die Zentrumspartei könnten in ihren Forderungen nach einer „Reform“ des Kündigungsschutzes nicht leicht nachlassen. Die Linkspartei könnte die Regierung stürzen, aber ohne dass sich sonst etwas ändern würde, wäre wahrscheinlich eine blau-braune moderate/christdemokratische/schwedendemokratische die nächste, und die würde sicherlich die Rechte und Bedingungen der ArbeiterInnenklasse angreifen wollen, so wie es die jetzige Regierung versprochen hat.

Auch wenn Löfven den Liberalen und der Zentrumspartei ihre Änderungen im LAS-Gesetz verweigerte, könnten sie ihr altes Bündnis mit den Moderaten und ChristdemokratInnen nicht ohne weiteres reformieren, um eine neue Regierung zu bilden, da sich diese Parteien nun in eine entschieden konservative und rechte Richtung bewegt haben und damit beschäftigt sind, die Grundlagen für ein Bündnis mit den SchwedendemokratInnen zu legen.

Lösung zu welchen Bedingungen?

Wie die LO-Führung zu Recht betont, geht es bei den Verhandlungen und dem Vorschlag aus dem Abkommen vom Januar, der zu ihnen geführt hat, in Wirklichkeit um mehr als nur um Änderungen am LAS. Stattdessen vergleicht der LO den Prozess mit der Entwicklung eines neuen Saltsjöbaden-Abkommens (unter Bezugnahme auf den historischen Vertrag von 1938, der das „schwedische Modell“ für den Arbeitsmarkt einläutete und die Prinzipien des offiziellen, wirtschaftlichen Klassenkampfes regelte). Die Angriffe auf das LAS sollten daher als Beginn einer eskalierenden Demontage aller traditionellen Rechte der ArbeiterInnenklasse in Schweden betrachtet werden.

Wenn im Januar-Abkommen von „Flexibilität“ die Rede ist, dann ist das ein Code nicht nur für eine Rückkehr zum Arbeitsmarkt des frühen 20. Jahrhunderts mit TagelöhnerInnenarbeit und sehr schwachem Schutz für die ArbeiterInnenklasse, sondern auch etwas Neues, was die Art und Weise betrifft, wie die IT-Technologie die kapitalistische Produktion selbst weniger abhängig von festen (und für die ArbeiterInnenklasse „sicheren“) Strukturen für Lohnarbeit macht, die den Arbeitsmarkt des 20. Jahrhunderts und damit die Gewerkschaftsstrategie im schwedischen Modell charakterisierten. Vorbei ist die Zeit, in der eine LO-Gewerkschaft neue Beschäftigte in der Fabrik X einfach an ihrem ersten Arbeitstag als Mitglieder registrieren und sich dann 40 Jahre lang zurücklehnen und Beiträge eintreiben konnte, während sie in aller Ruhe Tarifverträge aushandelte.

Angesichts einer solchen Umgestaltung des Arbeitsmarktes, die bereits in vollem Gange ist, stellt sich nicht nur die Frage nach einem defensiven Kampf, sondern auch nach einer völlig anderen Art von Gewerkschaftsbewegung, die bereit ist, neuen Formen der kapitalistischen Ausbeutung und Unterdrückung entgegenzutreten. Die Frage ist nicht nur, ob die Führung der Gewerkschaften und der ArbeiterInnenbewegung bereits gewonnene Reformen verteidigen kann, sondern ob sie dafür sorgen können, dass dieser Übergang zu den Bedingungen der ArbeiterInnenklasse und nicht zu denen des Kapitals gelöst wird. Der Kampf um das LAS ist ein Lackmustest dafür, wie alle beteiligten Parteien diese Herausforderung annehmen werden.

Die taktischen Manöver der sozialdemokratischen Führung zeigen deutlich, dass sie dem Machterhalt Vorrang vor einer prinzipientreuen Verteidigung der Rechte der ArbeiterInnenklasse einräumt. Und die Untätigkeit der Führung der Linkspartei zeigt (bestenfalls), dass sie nicht in der Lage oder nicht willens ist, gegen die Regierung zu kämpfen. Von den anderen Parteien im Riksdag, den offen bürgerlichen, können wir natürlich nichts anderes erwarten als fortgesetzte Angriffe, damit sie die Profite ihrer Klientele sichern.

Die Methoden der LO-Führung gegen die widerspenstigen Gewerkschaftsführungen, die sich bisher gegen die Angriffe gewehrt haben, zeigen, dass man ihr für eine langfristige Verteidigung nicht trauen kann, geschweige denn, dass sie bereit wäre, in die Offensive zu gehen. Auch können die TCO-Gewerkschaftsmitglieder nichts von ihrer Verhandlungsdelegation erwarten, was die pathetische Zurschaustellung ihres/r Vorsitzenden nach der zweiten Verhandlungsrunde Seite an Seite mit den Bossen unterstrichen hat. Die Lösung für die Arbeiterinnen aller Gewerkschaften, die nun Angriffen auf ihre Beschäftigungssicherheit ausgesetzt sind, besteht daher darin, sich zu unseren eigenen Bedingungen zu wehren.

Zurückschlagen

Seit Dezember 2019 zirkuliert in der Gewerkschaftsbewegung auf Initiative der Gewerkschaft in der Volvo-Lkw-Fabrik in Umeå eine Petition der ArbeiterInnen zur Verteidigung des Kündigungsschutzes. Alle GewerkschafterInnen sollten mit neuer Kraft versuchen, sie in ihrer Gewerkschaftsabteilung einzubringen. Verabschiedet und verbreitet die Petition der Gewerkschaft/ArbeiterInnen!

Aber eine Petition kann nur den ersten Schritt im Verteidigungskampf verkörpern. Die BürokratInnen in den Führungsetagen der Gewerkschaften führen ihr Leben oft unter völlig anderen Bedingungen als ihre eigenen Mitglieder und werden deshalb nicht mehr Widerstand leisten als den, zu dem wir sie zwingen. Die Führung der LO- wie auch die aller TCO-Gewerkschaften muss unter Druck gesetzt werden, keine neuen Verhandlungen zu diesen Bedingungen aufzunehmen, mit einem Mandat, nicht zu streiken, und wenn es bereits eine politische Vereinbarung über den Angriff auf die Beschäftigungssicherheit gibt.

Es sollte nur darüber verhandelt werden, wie die Bedingungen verbessert werden können, nicht darüber, wie viel schlechter die Dinge sein sollten. Wenn das Foulspiel des LO zur Erzielung einer Einigung und zum Ausverkauf unserer Rechte weitergeht, und es gibt keinen Hinweis auf das Gegenteil, müssen die AktivistInnen in den kritischen Gewerkschaften darauf hinwirken, dass ihre VertreterInnen nicht nur aus dem Verhandlungsausschuss ausscheiden, sondern auch mit dem LO vollständig brechen. Zieht das faule Mandat des Verhandlungsausschusses zurück! Keine Verhandlungen unter dem Galgen!

Neben der Petition der Beschäftigten und dem Druck der Basis für ein klares Nein zu neuen Verhandlungen müssen alle Beschäftigten, ob GewerkschafterInnen oder nicht, auch damit beginnen, politische Streiks vorzubereiten und zu organisieren. Diese Forderung ist z. B. auch vom Gewerkschaftsnetzwerk der Linkspartei und der (stalinistischen) Kommunistischen Partei erhoben worden, allerdings nur im Sinne einer kurzfristigen Protestaktion. Das würde nach der derzeitigen Praxis nicht gegen das tarifvertragliche Streikverbotsmandat verstoßen. Solche kürzeren politischen Streiks wären ein Schritt in die richtige Richtung, aber in dieser ernsten Situation können wir es uns nicht leisten, dort stehenzubleiben. Wir müssen wilde Streiks und einen allgemeinen politischen Streik organisieren, um die Angriffe abzuwehren und die Beschäftigungssicherheit zu stärken und nicht zu schwächen, unabhängig davon, was im Tarifvertrag über Streiks steht. Organisiert wilde Streiks!

Die Führungen des LO, des TCO, der SozialdemokratInnen und der Linkspartei sind auf die Probe gestellt worden. Wenn die ArbeiterInnenklasse mit Bedrohungen unserer Rechte konfrontiert ist und die KapitalistInnenseite ihre Positionen überall vorantreibt, wird uns der Weg der Kompromisse und Zugeständnisse nur in den Ruin führen. Da die KapitalistInnen nie in ihren Bemühungen nachlassen, unsere Ausbeutung zu verstärken, kann der Kampf zur Verteidigung des LAS nicht durch die parlamentarischen Erwägungen der ReformistInnen oder den Konsens innerhalb der LO eingeschränkt werden, wenn sie unsere Rechte ausverkaufen. Ein Zurückschlagen der Angriffe, sei es in Form eines Verrats durch die LO oder durch das Gesetz, durch politische Streiks wird der erste Schritt sein, um nicht nur den Kampf für das LAS zu gewinnen, sondern die ArbeiterInnenbewegung unter einer neuen Führung zu reorganisieren, die auf zukünftige Herausforderungen vorbereitet ist und die ArbeiterInnenklasse nicht verraten wird.

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