Gruppe ArbeiterInnenmacht, Neue Internationale 251, November 2020
Ein Aktionsprogramm gegen Krise und Pandemie erfordert die Verbindung von sozialen und demokratischen Sofortmaßnahmen mit wirklichen Eingriffen in das Privateigentum an Produktionsmitteln, mit entschädigungslosen Verstaatlichungen und der Kontrolle über diese Betriebe und öffentlichen Einrichtungen durch die ArbeiterInnenklasse.
1. Kostenlose Gesundheitsversorgung für alle – Tests bis zur Unterbringung in Krankenhäusern und Intensivmedizin. Die Kosten dafür müssen aus der Besteuerung der Gewinne und großen Vermögen bestritten werden.
2. Ausbau des Gesundheitswesens, Ankurbelung der Produktion von Mitteln zur Bekämpfung der Pandemie (Test-Kits, Desinfektionsmittel, Atemschutz, …), sachliche Information der Bevölkerung, Einstellung von medizinischem Personal und HelferInnen, unter Kontrolle der Gewerkschaften und der Beschäftigten. Massiver Ausbau der Intensivmedizin.
3. Aufhebung des Geschäftsgeheimnisses und Offenlegung aller Forschungsergebnisse staatlicher wie privater Institute. Internationale Koordinierung der Anstrengung zur Entwicklung eines Impfstoffes, der allen Menschen kostenlos zur Verfügung steht.
4. Koordination aller Forschungen und Entwicklungsbemühungen statt Wettbewerb um den schnellsten Profit: Das medizinische Personal und ExpertInnen, die das Vertrauen der Beschäftigen genießen, müssen überwachen, dass Impfstoffe ausreichend getestet werden. Die Beschäftigten und Gewerkschaften müssen auf internationaler Ebene sicherstellen, dass diese den besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen zur Verfügung stehen, unabhängig von Herkunft, Nationalität, Geschlechtszugehörigkeit, sexueller Orientierung und Einkommen.
5. Entschädigungslose (Wieder-)Verstaatlichung der privatisierten Teile des Gesundheitswesens, der pharmazeutischen und medizintechnischen Industrie, um die Ressourcen zu bündeln und unter Kontrolle der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften zu stellen.
6. Ausschüsse der Beschäftigten und Gewerkschaften müssen die Hygienemaßnahmen in den Betrieben und Büros kontrollieren; sie müssen festlegen, ob gearbeitet werden kann oder der Betrieb eingestellt wird, bis ausreichende Hgygiene- und Gesundheitsvorschriften eingehalten werden. Unternehmen, die sich weigern, diese umzusetzen und zu finanzieren, sollen entschädigungslos unter ArbeiterInnenkontrolle verstaatlicht werden.
7. Die Gewerkschaften und Betriebsräte müssen bei weiterer Ausweitung der Pandemie festlegen, welche Betriebe geschlossen werden, welche Branchen wie lange ihre Tätigkeit einstellen. Ausgenommen davon wären Arbeiten im Gesundheitswesen, Transport, Feuerwehr, Lebensmittelproduktion, medizinische Forschung, Kommunikation. Welche Tätigkeiten für die Menschen systemrelevant sind, welche weiter ausgeführt werden und welche nicht, muss von der arbeitenden Bevölkerung, nicht von den KapitalbesitzerInnen und ihren Regierungen entscheiden werden.
8. Ausschüsse von Beschäftigten (LehrerInnen, ErzieherInnen, sonstiges Personal), SchülerInnen und Eltern sollen die Umsetzung von Maßnahmen an den Schulen kontrollieren. Diese muss vom Staat finanziert werden. Sollte an den Schulen die Gesundheit von Beschäftigten und SchülerInnen gefährdet sein, sollten sie die Arbeit niederlegen bis zum Abschaffen der Mängel. Dasselbe gilt für Kindertagesstätten.
9. Volle Bezüge für alle Beschäftigten, die nicht zur Arbeit gehen können. Extrazahlungen für alle im Gesundheitswesen und in anderen Bereichen, die unter Einsatz ihrer Gesundheit weiterarbeiten müssen. Sollten sich Unternehmen weigern, diesen Maßnahmen Folge zu leisten, sollten sie ohne Entschädigung enteignet werden. Schnelle Einarbeitungen in den wirklich relevanten Berufssektoren wie dem Krankenhaus- und Versorgungswesen.
10. Mindesteinkommen von 1600,- Euro/Monat für alle Arbeitslosen und RentnerInnen. Diese Regelung soll auf alle FreiberuflerInnen, (Schein-)Selbstständigen, Studierende, SexarbeiterInnen und andere ausgedehnt werden, die wegen der Pandemie ihre Dienste nicht verkaufen können.
11. Staatliche Unterstützung für Kleinbetriebe z. B. in der Gastronomie in der Höhe ihrer letzten Fixkosten. Dies muss allerdings an die Bedingung geknüpft werden, dass diese den gesetzlichen Mindestlohn zahlen und keine Beschäftigten entlassen. Für größere Betriebe kann die ArbeiterInnenklasse im Fall ihrer Pleite keine Garantie übernehmen. Um die Entlassung der Beschäftigten zu verhindern und den Betrieb wieder aufzunehmen, müssen sie unter ArbeiterInnenkontrolle verstaatlicht werden.
12. Keine Rettungspakete und Subventionen für das Kapital. Die Reichen müssen zahlen! Progressive Besteuerung von privaten Vermögen und Unternehmensgewinnen zur Finanzierung der Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie und der Sicherung der Einkommen der arbeitenden Bevölkerung! Entschädigungslose Enteignung aller Unternehmen, die Löhne kürzen, Arbeitszeit verlängern, Standorte schließen wollen, unter ArbeiterInnenkontrolle!
13. Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden/Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich; Umwandlung von prekären Beschäftigungsverhältnisse in tariflich gesicherte; Abschaffung der Leiharbeit und Übernahme der LeiharbeiterInnen! Sicherung von Ausbildungsplätzen für alle und Übernahme aller Auszubildenden!
14. Keine Aussetzung der Rechte von Beschäftigten durch Erlasse und Selbstermächtigung von Unternehmen durch Anordnung von Mehrarbeit, Home-Office, Samstags- oder Sonntagsarbeit, Versetzungen etc. Statt die schwachen Rechte der Arbeitenden jetzt noch zu übergehen, ist es im Gegenteil nötig, Kontrollausschüsse in den Unternehmen und darüber hinaus zu bilden, die alle Maßnahmen der Behörden und der Unternehmen kontrollieren und gegebenenfalls untersagen!
15. Aussetzen aller Miet- und Kreditzahlungen für die arbeitende Bevölkerung sowie für kleine Geschäfte, Läden, Restaurants, die zur Zeit schließen müssen; Enteignung der großen Immobilienkonzerne wie Deutsche Wohnen, Vonovia und Co. Sofortige Enteignung von leerstehendem Wohnraum und Nutzung von Hotels, um ihn Bedürftigen wie Geflüchteten und Obdachlosen zur Verfügung zu stellen.
16. Keine Abschottung der Grenzen; keine Aufhebung des Asylrechts, sondern offene Grenzen für Geflüchtete, Abschaffung des Lagersystems, Stopp aller Abschiebungen und Entlassung aller Abschiebegefangenen. Flüchtlinge sollen wie alle anderen Einreisenden medizinisch getestet und, im Fall einer Infektion, medizinisch und sozial versorgt werden. Streichung der Schulden der halbkolonialen Länder, massive Unterstützung zum Aufbau von medizinischen Einrichtungen in diesen, bezahlt aus den Extraprofiten der imperialistischen Konzerne und Staaten.
Eine Folge der Pandemie-Bekämpfung der Regierung und der Passivität der Gewerkschaften besteht auch darin, Millionen Lohnabhängige, vor allem alle Unorganisierten, Arbeitslosen oder prekär Beschäftigten in die Rolle rein passiver ZuschauerInnen gedrängt zu haben, die entweder weiterarbeiten müssen oder vor dem Bildschirm die Ereignisse verfolgen.
Dabei bieten die modernen Medien selbst Möglichkeiten, die Isolation der Menschen zumindest teilweise zu durchbrechen. Beschäftigte und GewerkschafterInnen, politische Kampagnen und Initiativen können sich auch über diese Medien vernetzen, Audio- und Videokonferenzen durchführen. Menschen, die arbeiten (müssen), können sich auch betrieblich koordinieren unter Berücksichtigung einfacher Sicherheitshinweise. Viele von uns haben das in den letzten Monaten praktiziert. Aber das wird nicht reichen.
Das Streik-, Versammlungs- und Demonstrationsrecht muss auch verteidigt werden. Gegen Maßnahmen, die die Kosten der Krise auf die ArbeiterInnen abwälzen, die rassistisch Unterdrückte diskriminieren oder aussperren, brauchen wir auch alle Kampfmittel. Wenn wir sicherstellen wollen, dass Millionen keinen Lohn- und Einkommensverlust erleiden, werden wir kämpfen müssen. Wir brauchen also mehr Organisiertheit, um unsere Interessen zu verteidigen. Wir benötigen Kampforgane wie Aktionskomitees und Organe der ArbeiterInnenkontrolle, die demokratisch legitimiert und ihrer Basis verantwortlich sind und z. B. Streiks auch gegen etwaige StreikbrecherInnen verteidigen können.
Gerade weil Kapital und Regierung die Lasten – und damit auch Risiken – der Pandemie der Masse aufbürden wollen und werden, dürfen wir nicht leichtfertig die flächendeckende Einschränkung demokratischer Rechte hinnehmen. Wir müssen vielmehr diese mühsam erkämpften Errungenschaften nutzen, um ein wirksames Programm zur Bekämpfung der Pandemie durchzusetzen. Der Kampf um unsere Gesundheit und gegen die sich ausbreitende Wirtschaftskrise sind aufs Engste miteinander verbunden. Um ihn erfolgreich zu führen, reicht es nicht, sich auf unmittelbare Maßnahmen zur Bekämpfung der Krankheit zu beschränken – wir müssen auch die gesellschaftlichen Ursachen ins Visier nehmen, die das Virus erst so gefährlich machen. Dass der Kampf gegen die Krankheit entschlossene Maßnahmen gegen die Profitmacherei und die Marktwirtschaft erfordert, ist kein Zufall. Dieser Umstand verdeutlicht vielmehr, dass der Kapitalismus selbst zu einer tödlichen Gefahr für die Menschheit geworden ist.