Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail 1121, 14. Oktober 2020
Die Wien-Wahlen sind geschlagen. Die SPÖ hat trotz eines absoluten Verlusts an Stimmen, dank der gesunkenen Wahlbeteiligung, einen deutlichen Sieg davontragen können, während die FPÖ von 30 % auf unter 8 % abgestürzt ist. Am stärksten profitiert hat davon die ÖVP.
Thematisch waren die Wahlen recht stark vom Thema Corona-Pandemie geprägt. Vor allem der Schlagabtausch zwischen ÖVP-geführter Bundesregierung und SPÖ-geführter Stadtregierung hat erkennen lassen, wie sehr die Parteien das Thema politisch auszuschlachten versuchten. Insbesondere von FPÖ und NEOS kam hier die Kritik, dass die Kleinunternehmen entweder durch überzogene Maßnahmen schikaniert (FPÖ) oder zu wenig Förderung erhalten würden (NEOS). Daneben aber war das Thema der Wirtschaftskrise im Wahlkampf recht wenig präsent, besonders aus Perspektive der lohnabhängigen Bevölkerung. Die Welle der Massenentlassungen von Großunternehmen überrollt schon jetzt das Land. Wirkliche Lösungen hatte von den etablierten Parteien aber keine anzubieten. Dabei wird diese Problematik in den kommenden Wochen und Monaten vermutlich nur an Intensität zunehmen.
Wichtige Themen wie das Wahlrecht für alle Menschen, die in Wien leben, kamen dieses Jahr vor allem durch die starke Kampagnenführung von LINKS vermehrt zur politischen Diskussion. Die SPÖ unter Michael Ludwig positionierte sich hier klar: Wenn es nach ihm geht, soll das Wahlrecht an die StaatsbürgerInnenschaft gekoppelt und somit auch weiterhin ein großer Teil der ArbeiterInnenklasse davon ausgeschlossen sein. Die Grünen zeigten hingegen vor allem durch ihr Verhalten in der Bundesregierung, wo sie zusammen mit der ÖVP die Aufnahme auch nur einer einzigen geflüchteten Person aus dem abgebrannten Lager Moria auf Lesbos verweigerten, wie bereitwillig sie sich der ÖVP in der Koalition unterordnen, um ja nicht ihre Utopie eines grüneren, geschweige denn grünen Kapitalismus zu gefährden.
Die Ergebnisse nach Parteien: SPÖ 41,6 % (+ 2,0 %), ÖVP 20,4 % (+11,2 %), Grüne 14,8 % (+ 3,0 %), NEOS 7,5 % (+ 1,3 %), FPÖ 7,1 % (-23,7 %), Team HC 3,6 %, LINKS 2,1 %. Insgesamt gab es vor allem einen dominierenden Faktor bei diesen Wahlen, nämlich die deutlich gesunkene Wahlbeteiligung, in erster Linie vermutlich wegen Corona, aber auch wegen der enttäuschten FPÖ-WählerInnen. Die SPÖ hat zum Beispiel trotz der prozentuellen Zugewinne an absoluten Stimmen von 330.000 auf 302.000 abgebaut und insgesamt 73.000 Menschen, die sie beim letzten Mal gewählt haben, haben diesmal gar nicht abgestimmt. Trotz der günstigen Umstände, die ihr den Wahlsieg beschert haben, setzt sich der Niedergang der Sozialdemokratie fort. Am meisten verloren hat aber die FPÖ: Von den 257.000 WählerInnen von 2015 sind hunderttausend zuhause geblieben und weitere hunderttausend haben sich in erster Linie auf ÖVP, aber auch auf SPÖ und Team HC Strache verteilt. Aber der fulminante Wahlerfolg der SPÖ – der erste prozentuale Zugewinn in Wien seit 2005 – lag in erster Linie an der Schwäche der Rechten und nicht an der eigenen Stärke. Insgesamt fielen die dezidiert rechten Parteien (FPÖ, ÖVP und HC) von insgesamt 40 % bei den letzten Wahlen auf etwas mehr als 30 % dieses Jahr. Grund dafür ist in erster Linie natürlich die Ibiza-Affäre und die Spaltung der FPÖ samt Spesenaffäre um HC Strache. An dieser Stelle bemerkenswert ist auch, dass die SPÖ, mit ihrer Ablehnung des Wahlrechts für alle und ihrer Zurückhaltung gegenüber rechten Forderungen nach weiterer Einschränkung des Gemeindebauzugangs, im rechten WählerInnenpool gefischt hat, dort aber kaum etwas gewinnen konnte.
Die WählerInnenströme zeigen also deutlich, dass es bei diesem Urnengang keinen stark ausgeprägten Linksruck gab. Die SPÖ wurde von deutlich weniger Menschen gewählt als das letzte Mal und die verlorenen FPÖ-WählerInnen blieben in erster Linie zuhause oder gingen zur ÖVP. Nur eine Minderheit ging zur SPÖ zurück. Diese rechte WählerInnengruppe wird sich, wenn sie nicht durch klassenkämpferische (d. h. auch antirassistische) Politik gewonnen wird, auch in den nächsten Jahren nicht in Luft auflösen und für rechte Parteien wie die FPÖ, die ÖVP oder gar Schlimmeres mobilisierbar sein.
Besonders hervorzuheben ist bei diesen Wahlen auch das speziell starke Abschneiden von einigen „Kleinparteien“. Mit LINKS (2,1 %) , Bierpartei (1,8 %) und SÖZ (1,2 %) sind mehr als 5 % der meist als „Sonstige“ angeführten Stimmen an Parteien gegangen, die von Anfang an recht schlechte Aussichten auf einen Einzug in den Gemeinderat hegten. Speziell bei JungwählerInnen (unter 30) haben sie in Summe 12 % der Stimmen bekommen (mit recht großer statistischer Schwankungsbreite: LINKS 5 %, Bierpartei 4 %, SÖZ 3 %). 12 % gab es für die „Sonstigen“ auch bei Menschen, die mit ihrem Einkommen schlecht auskommen.
Nach dem erfolgreichen Wahlabend für die SPÖ hielten sich ihre VertreterInnen demonstrativ vage, was eine künftige Koalition für eine Stadtregierung anbelangt. Rein rechnerisch wäre eine mit jeder beliebigen Partei im Gemeinderat für die SPÖ möglich. Mit der FPÖ hat Bürgermeister Ludwig eine Koalition ausgeschlossen, doch alle 3 anderen Optionen – ÖVP, Grüne, NEOS – werden von der SPÖ wohl realistisch in Betracht gezogen.
Eine recht unwahrscheinliche Koalition wäre eine gemeinsam mit den NEOS, auch wenn diese sich bisher recht offen dafür gezeigt haben. Die einzige Sache, die hier für die Sozialdemokratie dafür sprechen würde ist, dass sie die NEOS in einer Regierung ziemlich absolut dominieren könnte und mit ihnen gleichzeitig eine reine „Oppositionsregierung“ in Wien gegen die Bundesregierung aufgebaut werden könnte. Gleichzeitig ist diese Koalition sowohl bei der SPÖ-WählerInnenschaft (10 % Zustimmung) wie auch bei der Wiener Bevölkerung (9 % Zustimmung) als ganzes recht unbeliebt. Dazu kommt natürlich auch, dass die Schwerpunkte der NEOS – sozialer Liberalismus mit beinharter Marktgläubigkeit und Neoliberalismus – nicht unbedingt so stark mit den Schwerpunkten der SPÖ zusammenpassen würden. Eine Koalition mit den NEOS würde für die ArbeiterInnenklasse wohl eine noch stärkere Anpassung der Stadtregierung an den Neoliberalismus und eine vermutlich härtere Sparpolitik bedeuten.
Eine Koalition mit der ÖVP wäre vermutlich die größte Anbiederung der SPÖ an die Bourgeoisie und ihre Hauptpartei. Für die Sozialdemokratie wäre das wohl nur aus der Perspektive gedacht, sich auch im Bund an die ÖVP anzunähern und wieder auf eine baldige Verwendung als Juniorpartnerin zu hoffen. Aber da die nächsten Wahlen im Bund noch deutlich entfernt liegen und die ÖVP bisher auch kaum Signale auf einen SPÖ-freundlicheren Kurs gestellt hat, ist das wohl auch eine unwahrscheinliche Variante. Nichtsdestotrotz zeigt die Erfahrung, dass die SPÖ immer gut darin ist, sich der Bourgeoisie und ihrer wichtigsten Partei anzupassen.
Am wahrscheinlichsten ist wohl eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit den Grünen. Die rot-grüne Koalition bleibt trotz Schwarz-Grün im Bund die beliebteste Koalitionsvariante in der Wiener Bevölkerung (36 % Zustimmung) sowie in der SPÖ-WählerInnenschaft (54 % Zustimmung). Generell haben sowohl die Grünen als auch die SPÖ bei denen gepunktet, für die die Lebensumstände (in Wien) gut sind. Daher ist ein bequemes Fortsetzen des Status quo mit einer rot-grünen Koalition in Wien wohl das wahrscheinlichste Ergebnis. Das bedeutet natürlich auch eine Bindung der ArbeiterInnen an das bürgerlich-soziale Wien und kosmetische Politik anstelle radikaler Bewältigung der Klimakrise.
Das neue Wahlprojekt LINKS, an dem wir auch als Arbeiter*innenstandpunkt beteiligt sind, konnte bei den Wahlen durchaus einen Achtungserfolg erzielen. Das große Ziel, in den Gemeinderat einzuziehen, wurde zwar verfehlt, mit den begrenzten personellen und finanziellen Ressourcen sowie der eingeschränkten Berichterstattung durch die bürgerlichen Medien war das aber von Anfang an realistisch. Nichtsdestotrotz war es das stärkste Ergebnis einer Kraft links der Sozialdemokratie und der Grünen seit 1973 in Wien. Unterm Strich wird LINKS in 15 Bezirken mit insgesamt 23 BezirksrätInnen vertreten sein.
Die stärksten Ergebnisse wurden dabei in den Innen- sowie in stark migrantisch geprägten, proletarischeren Bezirken (Rudolfsheim-Fünfhaus, Ottakring, Leopoldstadt, Brigittenau) erzielt. Die schwächsten Ergebnisse gab es neben den reichsten Bezirken (Innere Stadt, Hietzing, Döbling) vor allem in den ebenfalls proletarischeren „Flächenbezirken“ (Favoriten, Simmering, Donaustadt, Floridsdorf, Liesing). Gründe dafür gibt es wohl einige: Auf der einen Seite ist in diesen Bezirken die AktivistInnenbasis nicht besonders stark (vor allem in Relation zur EinwohnerInnenzahl), auf der anderen Seite sind die Bezirke aufgrund ihrer Größe um einiges schwieriger mit Inhalten abzudecken. Die Flächenbezirke waren aber auch in den letzten Jahren Hochburgen der FPÖ und dort hat sie auch bei diesen Wahlen noch ihre stärksten Ergebnisse einfahren können. Ein Kampf zwischen Rot und Blau war hier noch eher im Gange als in anderen Bezirken. Gleichzeitig hätte sich hier wohl auch ein expliziter und deutlicherer Bezug von LINKS auf die ArbeiterInnenklasse ausgezahlt.
Das leicht stärkere Abschneiden von LINKS auf Bezirksebene (wienweit 2,5 %) gegenüber der Gemeindeebene (2,1 %) führt auf manchen Seiten (KPÖ Steiermark, Junge Linke) dazu, noch stärker ihre Strategie der Bezirks- und Grätzlarbeit zu betonen. Dabei geht ein guter Teil der Stimmendifferenz wohl auf das starke Abschneiden bei den nur auf Bezirksebene wahlberechtigten EU-WählerInnen zurück und der Rest wohl auf die Tatsache, dass eine Stimme auf Bezirksebene vielen Leuten entweder weniger „verloren“ vorkam oder der Einzug in die Bezirksvertretung einfacher möglich ist als in den Gemeinderat. Gerade bei LINKS gab es im Vergleich zu „Wien anders“ vor 5 Jahren einen deutlich stärkeren Fokus auf allgemeinpolitische Themen (Mindestlöhne, Wahlrecht für alle, Enteignung von Großkonzernen etc.) und politische Mobilisierungen auf der Straße und genau darin hat sich auch der Erfolg gezeigt. Die lokale Vertretung in der Mehrheit der Bezirksvertretungen kann allerdings jetzt gut für einen weiteren Aufbau der Organisation genutzt werden.
Egal welche Koalition kommen wird, sie wird von der SPÖ dominiert werden. Dabei ist kaum zu erwarten, dass sich ihr Kurs in absehbarer Zeit relevant nach links verschieben wird, vor allem nicht wenn man mit dem Kurs von Ludwig auch Wahlerfolge erzielen kann. In den sozialen Kämpfen und Klassenkämpfen, die die weitere Entwicklung der Krise unweigerlich mit sich bringen wird, ist es deshalb möglich, auf Basis der gesteigerten Bekanntheit und der gewonnenen Ressourcen von LINKS weitere Schritte in Richtung Aufbau einer neuen antikapitalistischen, revolutionären ArbeiterInnenpartei zu setzen. Gelingen wird das vor allem, wenn es geschafft wird, sich unter den kämpferischsten und fortschrittlichsten Schichten zu verankern. Große Bedeutung haben in diesem Prozess die politische Konsolidierung der AktvistInnen, die Ausarbeitung einer Perspektive über die Wahlen hinaus in Form gemeinsamer Kampagnentätigkeiten und die Schaffung von Formaten, mit denen sich neu Interessierte trotz Corona in LINKS einbringen können. Das Ergebnis einer Konsolidierung muss sich in einem kürzeren und konsistenteren Programm für den österreichischen Klassenkampf (nicht nur für eine Wahl) mit einer klaren sozialistischen Strategie ausdrücken.