Arbeiter:innenmacht

Voith Sonthofen: Abfindung erhöht – Arbeitsplätze weg – Streik beendet

Mattis Molde, Infomail 1105, 27. Mai 2020

Am 26. Mai stimmten 87 % der stimmberechtigten IG Metall-Mitglieder für die Annahme des Verhandlungsergebnisses. Damit war der Streik nach rund 4 Wochen beendet.

Die IG Metall Allgäu berichtet: „Johann Horn, Bezirksleiter der IG Metall Bayern und Verhandlungsführer, sagt: ‚Die Beschäftigten haben sich diesen Sozialtarifvertrag hart erkämpft und erstreikt. Sie erhalten nun angemessene Abfindungen für den Verlust ihrer Arbeitsplätze. Ihre Solidarität zahlt sich jetzt für sie aus.“

Die Betriebsratsvorsitzende Birgit Dolde kommentiert: „Uns schmerzt ungemein, dass wir unser Werk und unsere Arbeitsplätze nicht retten konnten. Wir haben aber einen guten Sozialtarifvertrag errungen, der gewährleistet, dass niemand in existenzielle Nöte gerät.“

Carlos Gil, 2. Bevollmächtigter der IG Metall Allgäu und Streikleiter, sagt: „Ich bin tief beeindruckt und ziehe meinen Hut, wie die Mannschaft bei Voith über all die Monate und bis zuletzt zusammengehalten hat. Ich bedanke mich bei allen, die sich an unserem Arbeitskampf beteiligt und ihn unterstützt haben.“

Nach Unterlagen der IG Metall besteht das finanzielle Gesamtvolumen dieses Sozialtarifvertrages zu 75 % aus den Beträgen, die der konzernweite Sozialplan für Sonthofen vorgesehen hätte, weitere 25 % wurden oben draufgesattelt (1). Tatsächlich ist die Abfindungsregelung mit der Formel

Lebensalter x Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatsentgelt x 1,3 geteilt durch 100

guter Durchschnitt für die westdeutsche Metallindustrie; verheiratete Beschäftigte erhalten 10 % mehr, mit Kindern 20 % mehr. Zu diesem Grundbetrag kommen noch Sockel von 8.000 (bis 35 Jahre) bis 15.000 Euro (über 46 Jahre).

Dies alles wird allerdings bei 110.000 Euro gedeckelt, bevor weitere 500 pro 5 Jahre Beschäftigungszeit dazu kommen. Alternativ kann eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft gewählt werden, bei der 15–18 Monate Arbeitslosigkeit mit 80 % des letzten Nettoentgelts überbrückt werden können, oder eine Vorruhestandsregelung, bei der die Firma das Arbeitslosengeld aufstockt.

Das „Büro Allgäu“, in dem 170 Beschäftigte eine Arbeit angeboten bekommen sollen, ist für 3 Jahre garantiert. Sollte es vorher geschlossen werden, gelten die Abfindungskonditionen erneut. Nach Meinungen aus der Belegschaft hatte dieses „Büro“ immer den durchsichtigen Zweck, sie zu spalten. Es kann aber auch dazu dienen, das Fachwissen zu transferieren.

Die IG Metall-Mitglieder wurden über dieses Ergebnis am Montag, den 25.5., informiert. Sie konnten auf einer webbasierten Mitgliederversammlung darüber diskutieren. Tags drauf fiel die Entscheidung.

Doppeltes Spiel der IG Metall

Mit dem relativ guten finanziellen Zusatz wird eine verheerende Niederlage kaschiert: einen guten Streik verloren zu haben, der ein leuchtendes Beispiel für hunderte anderer Betriebe hätte sein können. Das ist nicht ungewöhnlich für diese Gewerkschaft.

Tarifabschlüsse werden immer so gestrickt, dass die tatsächliche Entgelterhöhung pro Jahr nicht berechnet werden kann. Es werden Pferdefüße eingebaut oder Vereinbarungen, deren Zweck letztlich ein anderer ist als behauptet. So wird zum Beispiel die freiwillige individuelle Arbeitszeitverkürzung für persönliche Zwecke über das „Tarifliche Zusatzgeld“ als verpflichtende Form der Zusatzkurzarbeit verwendet.

Die Pakete, die bei Personalabbau und Werksschließungen vereinbart werden, werden so gebastelt, dass das Management sein Hauptziel erreicht und die Beschäftigten so unterschiedliche Trostpflaster für sich persönlich finden, dass ein Teil der Belegschaft sich damit arrangieren kann. Die Bewegung, wenn es eine gegeben hat, wird zerfasert. Sehr gerne schmückt sich die Verhandlungsführung dann damit, dass man auch etwas für die Jugend getan habe. Auch bei Voith dürfen alle Azubis ihre Ausbildung beenden. Aber gerade für die Jugend ist die Schließung des Werkes verheerend: Im Allgäu wird definitiv demnächst keine Stelle für ZerspanungsmechanikerInnen oder MechatronikerInnen frei. Nach Voith will auch BMTS im Nachbarort schließen und Bosch baut ab.

Für die Belegschaft und die Betriebsratsvorsitzende ging es vor allem um eine Verhinderung dieser Schließung. Deren Trauer, „dass wir unser Werk und unsere Arbeitsplätze nicht retten konnten“, zeigt, dass es für die Beschäftigten eine Niederlage darstellt.

Die Hauptamtlichen vor Ort unterstützten aktiv den Streik, notfalls rund um die Uhr. Sie setzten sich in der Gewerkschaft dafür ein, dass der Streik zustande kam und organisierten Solidarität, wo es ging. Eigentlich kommen solche Kampfaktionen nur dort zustande, wo auch noch Hauptamtliche mit Herzblut und Können dabei sind.

Aber die Generallinie der IG Metall ist es, solche Streiks wie in Sonthofen in die Sackgasse zu führen. Für den Bezirksleiter Horn ging es nur und ausschließlich um einen Sozialtarifvertrag. Das belegt sein Kommentar zum Abschluss. Die Verhinderung der Schließung war nie sein Ziel.

Das gilt auch für den gesamten Vorstand in Frankfurt. In der IG Metall muss jeder Streik vom Vorstand genehmigt werden. Dieser befasst sich also intensiv damit – um dann nichts zu tun, was einen Erfolg im Sinne der Belegschaft ermöglichen würde. Es liegt auf der Hand, dass das Management eines Weltkonzerns sich nicht vom Streik in einem Betrieb in die Suppe spucken lässt. Nötig ist also ein Plan, wie der Druck verstärkt werden kann und zwar nicht nur in einer Region wie dem Allgäu, aus dem sich der Konzern eh zurückziehen will, sondern dort, wo es weh tut. Der Vorstand hat nichts getan, um die anderen Voith-Belegschaften in den Kampf zu ziehen. Weder in den Werken, die auch von Schließung bedroht sind, wie Zschopau und Mülheim, noch in den andern und erst recht nicht in der Zentrale in Heidenheim.

Zwei Wochen nach der Verkündung der Schließung im November 2019 mobilisierten 500 Beschäftigte 2.000 Leute nach Heidenheim. Sie demonstrierten alleine durch die Stadt. Weder der dortige Betriebsrat noch die Vertrauensleute noch die dortige IG Metall ließen sich blicken. Die Blaskapelle aus Sonthofen war solidarisch, aber die IG Metall Heidenheim boykottierte die Aktion. Auf ihrer Homepage berichtete sie anschließend darüber, ohne eigene Stellungsnahme. Keinen Bericht war ihr der  Streikbeschluss in Sonthofen wert und dann endlich fuhr der erste Bevollmächtige mal in Sonthofen vorbei.

Solidarität ist möglich. Linke AktivistInnen, die Flyer in Heidenheim, München und Rutesheim verteilten, berichteten von positiven Reaktionen. Einzelne Beschäftigte aus anderen Werken zeigten sich auf Facebook. In Rutesheim unterstützte der Gewerkschaftssekretär eine Soli-Erklärung und alle machten mit.

Aber nur ein einziger Bericht stand auf der Homepage des Vorstandes, kein IG Metall-Flugblatt für alle Voith-Belegschaften, kein Aufruf zur Solidarität und zur Vermeidung von Streikbrucharbeiten. Kein Plan, wie alle Belegschaften reingezogen werden, wie andere bedrohte Betriebe sich ein Beispiel nehmen könnten.

Die hohe Geschlossenheit der SonthofenerInnen, die 98 % für Streik in der Urabstimmung waren echte Spitze. Mehr geht nicht. Für den IG Metall-Vorstand ist das kein Beispiel für die hunderten von Betrieben in denen Entlassungen drohen, sondern eine Störung des Betriebsablaufs.

Die Politik des IG Metall-Apparats

Vielleicht herrscht bei dem/r einen oder andern Bequemlichkeit, Feigheit oder Angst, den gutbezahlten Betriebsratsposten oder gar Aufsichtsratssitz zu verlieren. Bei dem IG Metall Chef aus Heidenheim, der im Aufsichtsrat wohl der Schließung von Sonthofen schon zugestimmt hatte, ist es auch persönliche Korruption.

Aber damit kann das systematische Vorgehen des IG Metall-Apparates, das von oben her sich durch die Organisation zieht und sich immer wiederholt, nicht erklärt werden. Dahinter steht eine durchgehende Politik, die die Aufgabe der Gewerkschaft darin sieht, die Interessen ihrer Mitglieder so zu „wahren“, dass die „Zukunftsfähigkeit“, also die Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen, erhalten, ja regelrecht gefördert wird. Das bedeutet unwillkürlich auch, den Unternehmen ihre Profite zu sichern, deren ganzes Profitsystem zu verteidigen, und zwar auch und gerade dann, wenn das gegen die Interessen der Arbeitenden läuft, durch deren Ausbeutung die Profite entstehen, oder gegen die Interessen der gesamten Gesellschaft. Dann werden Milliarden Steuergelder an GroßkapitalistInnen verschenkt, dann wird Abgasbetrug mit abgedeckt, dann werden Regionen mit plattgemacht. Für die Belegschaften, die dabei über die Klinge springen, bleiben dann bestenfalls ein „fairer“ Ausgleich, ein „guter“ Sozialplan oder andere Beruhigungspillen.

Das Doppelspiel ist zwangsläufig nötig, um diejenigen, die in den Kampf drängen, ja durch die unverschämten Angriffe der Bosse dazu gezwungen werden, dann auch mal in kontrollierte Auseinandersetzungen zu führen, um Teile der Mitgliedschaft bei der Stange zu halten und andere Teile dafür ans Messer zu liefern und dies dann auch besser verbrämen zu können. Die engagierten BetriebsrätInnen oder GewerkschaftssekretärInnen sind also letztlich – ob sie wollen oder nicht – die Feigenblätter für die Gesamtpolitik des Apparates.

Die Lehren aus der Niederlage

Aktionen und Streiks wie in Sonthofen können jetzt viele entstehen. Eine fette Wirtschaftskrise droht und Corona beschleunigt sie noch. Massive Angriffe seitens der Bosse drohen und die Zahl derer, die sich noch sicher fühlen können und der Gewerkschaftsführung vertrauen, wird fallen. Aber Aktionen alleine reichen nicht, wir müssen eine Kraft bilden, die sowohl alle Kämpfe unterstützt, Solidarität organisiert, wo sie es kann, und zugleich aufklärt, wo und wie der Verrat lauert.

Wir brauchen eine organisierte Opposition in der IG Metall, sonst haben wir gegen den gut organisierten Apparat keine Chance. Aus den einzelnen Kämpfen kann eine Basisbewegung entstehen, die dem Klassenkampf des Kapitals einen eigenen von unten entgegensetzt in einer Zeit, wo die sozialpartnerschaftliche Kungelei der Gewerkschaftsbürokratie immer weniger Krümel für die Masse der Kolleginnen und Kollegen abwirft.

Endnote

(1) Ein Sozialplan wird zwischen Betriebs-/Gesamtbetriebsrat und der Firmenleitung ausgehandelt. Das Betriebsverfassungsgesetz verpflichtet unter bestimmten Voraussetzungen dazu. Kampfmaßnahmen sind dabei gesetzlich untersagt als „Störung des Betriebsfriedens“. Ein Sozialtarifvertrag wird von der Gewerkschaft verhandelt. Kampfmaßnahmen sind zulässig. Es gibt keine Verpflichtung, einen solchen abzuschließen.

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