Liga Socialista, Infomail 1063, 25. Juli 2019
Mit einer entscheidenden Abstimmung billigte das brasilianische Repräsentantenhaus am 8. Juli 2019 mit 379 Ja-Stimmen und 131 Nein-Stimmen den Grundtext der „Reform“ der sozialen Sicherheit. Die Debatte war im Plenum heftig geführt worden, wobei die Opposition große Anstrengungen unternahm, um diese Katastrophe zu vermeiden.
Die Umsetzung der Reform würde die Zerstörung des Sozialversicherungssystems des Landes bedeuten. Von nun an müssen die Arbeit„nehmer“Innen etwa zehn Jahre länger arbeiten, um mit einer Rente in den Ruhestand zu gehen, von der sie leben können. Darüber hinaus könnte die Höhe der Rente der Hälfte des bisherigen Gehalts entsprechen. Die Renten, die Ehemänner für ihre Witwen hinterlassen, betragen die Hälfte des Mindestlohns. Damit droht eine verheerende Situation im Land.
Wir müssen die Mitglieder des Parlaments unter die Lupe nehmen, die für diese Reform gestimmt haben. Während der gesamten Debatte bestanden sie darauf, dass Privilegien abgeschafft werden sollten und die Reform notwendig sei, um zu verhindern, dass das Land auseinanderfällt.
Dieses Lumpenpack! Gleichzeitig mit ihren Reden, in denen sie scheinheilig erklärten, dass BeamtInnen und LehrerInnen privilegiert seien, wurde die Tatsache verschleiert, dass die Sonderkommission des Parlaments, die die Reform der Sozialversicherung analysierte, die Steuerbefreiung für die AgrarexporteurInnen wieder eingeführt hat, was ohne dieses Geschenk zu einem Steueraufkommen von rund 84 Milliarden Real geführt hätte.
Viele dieser Abgeordneten, die sagen, dass das Land vor einem finanziellen Zusammenbruch stand und es sich einfach nicht mehr leisten konnte, die Renten zu zahlen, verteidigten und genehmigten das Repetro-Gesetz, das während der Regierung Temer verabschiedet wurde, das Ölgesellschaften, die das Gebiet über und unter den Salzschichten ausbeuten, Steuervorteile gewährte und bis 2040 wirksam ist. Diese Befreiungen werden zu Steuerausfällen von rund 1 Billion Real führen.
Wenn es dem Land an Geld mangelt, was ist dann mit dem Vermögen von hohen RegierungsbeamtInnen, Abgeordneten und SenatorInnen? Werden sie ihre Rentenansprüche und andere Privilegien aufgeben? Also, für wen war die Reform wirklich notwendig?
Diese Reform wurde durchgeführt, um den Bedürfnissen von Geschäftsleuten und Bankiers gerecht zu werden, denen dieser Ausgabenposten des Haushalts immer ein Dorn im Auge war. Ein Sozialhaushalt, der den ArbeiterInnen im Alter, bei Unfällen oder Krankheiten helfen sollte, wurde von den wirklich Privilegierten – Geschäftsleuten, Bankiers und AgroexporteurInnen –, die ihn in die Finger bekommen wollten, immer als Hindernis angesehen. Jetzt wird der Staat mehr Geld haben, um es auf Kosten der Gesellschaft an diese ParasitInnen zu verteilen.
Klassenwahl
Offensichtlich war die Abstimmung im Parlament eine Klassenwahl: eine Abstimmung für die Reichen und Superreichen, für das bürgerliche Establishment, für die Bankiers, Industriellen und das Agrobusiness, für das brasilianische und internationale Kapital. Es ist kein Wunder, dass alle bürgerlichen Parteien, die Stützen der Regierung sowie die traditionellen Parteien der brasilianischen Elite für die „Reform“ gestimmt haben. Es ist auch kein Zufall, dass eine beträchtliche Anzahl der „Mitte-Links“-Mitglieder von PDT (Demokratische ArbeiterInnenpartei) und PSB (Partido Socialista Brasileiro) ebenfalls dafür gestimmt hat, obwohl die Führungen dagegen sprachen. Nur die Abgeordneten der reformistischen und linken Parteien PT (ArbeiterInnenpartei), PSOL (Partei für Sozialismus und Freiheit) und PCdoB (Kommunistische Partei von Brasilien), die behaupten, die ArbeiterInnenklasse zu vertreten und historisch und organisatorisch mit den ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsbewegungen verbunden sind, stimmten gegen diesen historischen Angriff auf die sozialen Rechte.
Unser Kampf kann und darf nicht hier enden. Wir müssen den Widerstand der ArbeiterInnenklasse weiterhin organisieren und mobilisieren. Die Abstimmung im Kongress war nur der erste Akt. Es wird nun eine längere Zeit der Änderungen und Ergänzungen geben, bis am 6. August eine weitere Abstimmung im Kongress stattfinden wird. Wenn es noch eine Mehrheit dafür gibt, wird das Gesetz an den Senat, die zweite Kammer des Parlaments, am 8. August übergeben.
Natürlich können wir nicht erwarten, dass der Kongress, geschweige denn der Senat, die Rentenkürzungen aufgibt. Es wird viel „Kuhhandel“ geben, wo dieser oder jener Beruf (z. B. Lehrerschaft und Polizei) zusätzliche Regeln erhalten wird, wo das Mindestalter für den Ruhestand oder die Formel für die Beziehungen zwischen Beitragsdauer und Rentenniveau angepasst wird. Wir können mit Sicherheit erwarten, dass dies zum Schaden der Bevölkerungsmehrheit geschieht, auch wenn es einige Verbesserungen für Schichten der Gesellschaft geben wird, die von bestimmten Parlamentsfraktionen unterstützt werden. Wir können uns bei diesen Verhandlungen keinerlei Illusionen machen! Nur Massenmobilisierungen an den Arbeitsplätzen, in den Büros und auf den Straßen können die derzeitige Offensive von Regierung und Bürgertum stoppen.
Die CUT, der größte und wichtigste Gewerkschaftsdachverband des Landes, hat zu Massenversammlungen im Juli und zu einer Protestwoche vom 5. bis 12. August aufgerufen, die am 13. August in einem „Tag des Kampfes gegen die Rentenreform“ gipfelt, um das Land zum Stillstand zu bringen.
Es liegt auf der Hand, dass sich alle linken und ArbeiterInnenparteien und die sozialen Bewegungen, die StudentInnen, die Frauenbewegung, die Landlosen, die Bauern/Bäuerinnen und indigenen Völker sowie die Obdachlosenbewegung zusammenschließen sollten, um eine massenhaft vereinte Front gegen die Rentenreform aufzubauen. Wir, die Liga Socialista, schlagen vor, Aktionsräte an allen Arbeitsplätzen und in allen Büros, an den Schulen, Universitäten, in den ArbeiterInnensiedlungen, den Favelas, in Stadt und Land zu bilden, um die Aktion vorzubereiten, zu organisieren und zu leiten. Die Räte sollten von Massenversammlungen gewählt werden, ihrer Basis rechenschaftspflichtig und von ihr abrufbar sein und die Grundlage für eine nationale, demokratische Koordination des Kampfes bilden.
Die „Aktionswoche“ ist ein positiver Schritt nach vorne. Aber aus der Vergangenheit wissen wir, dass temporäre und begrenzte Maßnahmen, auch wenn es sich um einen eintägigen Generalstreik handelt, die Regierung und die Bosse nicht aufhalten werden. Wir müssen einen unbefristeten Generalstreik zur Rücknahme des Gesetzes einleiten und organisieren und er muss auf den Aktionsräten basieren. Um Provokationen und Angriffe der extremen Rechten, paramilitärischen bzw. (proto)faschistischen Kräfte oder der Polizei zu stoppen, muss die Bewegung eine Selbstverteidigung in großem Stil organisieren.
Eine solche Bewegung könnte natürlich nicht nur die Rentenreform stoppen, ein solcher unbefristeter Generalstreik würde auch die Frage der Macht aufwerfen, die Frage, welche Klasse die Gesellschaft führt und in wessen Interesse.
Wichtig ist, dass wir wissen, wie wir den Kampf gegen das Gesetz zu einem für eine sozialistische Gesellschaft eskalieren können, dass wir bereit sind, einen Verteidigungskampf und einen Generalstreik in einen Machtkampf zu verwandeln. Vom Widerstand zur Revolution!