Arbeiter:innenmacht

Krise der Führung der ArbeiterInnenklasse

Die Krise der Europäischen Union, , Liga für die Fünfte Internationale, Kapitel 6, Broschüre der Gruppe ArbeiterInnenmacht, April 2019

Der Aufstieg der Rechten wäre ohne die Niederlagen der ArbeiterInnenbewegung und der antirassistischen und sozialen Kräfte unmöglich gewesen. Diese Niederlagen sind selbst eindeutig das Ergebnis der verräterischen Politik der FührerInnen und des Apparats der ArbeiterInnenbewegungen in Europa.

Die Sozialdemokratie hat längst eine Rechtskurve hinter sich. Unter Tony Blair und Gerhard Schröder gab sie „traditionelle“ keynesianische soziale Reformen und Verbesserungen auf und akzeptierte die Parameter der neoliberalen Agenden. Diese Politik verlangte von ihnen, die reformistischen, sozialdemokratischen und Labour-Parteien unabhängiger von den Gewerkschaften und ihrer ArbeiterInnenbasis, von ihren sozialen und historischen Verbindungen zur ArbeiterInnenbewegung zu machen. Obwohl die reformistischen FührerInnen in Parlamenten und Apparaten einen langen Weg gegangen sind, um diese Verbindung zu lösen und zu brechen, ist es den meisten von ihnen letztendlich nicht gelungen, dies zu tun.

Eine wichtige Ausnahme ist die ehemals größte kommunistische Massenpartei Europas, die italienische, die, immer schon eine der reformistischsten, sich „erfolgreich“ in eine linke, offen bürgerliche Partei verwandelt hat und mit einem Teil der Christdemokratie verschmolzen ist. Sie führte den italienischen Kapitalismus so sehr im Interesse der Bourgeoisie und der EU, dass sie damit die Voraussetzungen für den Aufstieg der Fünf-Sterne-Bewegung und der neuen rechten Regierung schuf.

In den meisten Teilen Europas haben die sozialdemokratischen Parteien jedoch ihre Verbindungen zur ArbeiterInnenbewegung aufrechterhalten, was auch die gelegentlichen demagogischen und letztlich leeren sozialen Versprechungen eines Hollande und der französischen PS oder in jüngster Zeit der spanischen PSOE ermöglicht hat. Der Aufstieg von Jeremy Corbyn in der britischen Labour-Partei und ihre Massenrekrutierung von Hunderttausenden hat jedoch auch gezeigt, dass sich die traditionellen reformistischen, bürgerlichen ArbeiterInnenparteien unter bestimmten Bedingungen sogar nach links entwickeln und zu einer Attraktion für ArbeiterInnen und Jugendliche werden können.

Die meisten der traditionellen reformistischen Parteien bleiben jedoch der bürgerlichen Mainstreampolitik verbunden. Bestenfalls befürworten sie ein „soziales“ und „reformiertes“ Europa, das eine Wirtschaftspolitik zur Förderung von Investitionen, Wachstum und Beschäftigung einführen und Investitionen in Bildung, Gesundheit, Infrastruktur und Umwelt finanzieren soll. Kurz gesagt, sie schlagen einen „New Deal“ für Europa vor, der die kapitalistische Vereinigung auf der Grundlage einer staatlichen Intervention zur Schaffung von Formen des „europäischen Kapitals“ verstärken und gleichzeitig einige Mindestrechte für ArbeiterInnen, Jugendliche, Frauen und unterdrückte Minderheiten einführen soll.

Außen- und internationalpolitisch sind sie für ein starkes vereintes Europa, eine europäische „Verteidigung“ und eine noch „aktivere“ Außenpolitik, um „Demokratie“ und eine „Weltwirtschaft“ zu sichern. Ihr Europa, auch wenn es einige Verbesserungen für die europäischen ArbeiterInnen zugestehen sollte, ist eigentlich ein sozialchauvinistisches und imperialistisches Europa, das die Migration „regelt“, seine Grenzen verteidigt, seine bestehenden Militär- und Polizeikräfte aufbaut oder verteidigt oder sogar ihre „Modernisierung“ fordert, um Europa gegen Trump und/oder Putin zu verteidigen.

Trotz ihres vermeintlichen „Europäismus“ bleiben die FührerInnen der Sozialdemokratie jedoch ebenso wie „ihre“ herrschenden Klassen auf das nationale Terrain orientiert. Während der großen Krise, als die EU und der Internationale Währungsfonds die griechischen und südeuropäischen ArbeiterInnen auf Rationierung setzten, unterstützten sie ihre Bourgeoisie und die EU-Kommission. Sie haben zwar den deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble als etwas zu hart kritisiert, aber jede Opposition gegen ihn abgelehnt und schließlich für die der Regierung Syrizas auferlegten EU-Verträge gestimmt.

Wie die Corbyn-Bewegung aber beweist, können solche Parteien unter bestimmten Bedingungen nach links gehen und ein linkes reformistisches Programm verabschieden, das sogar eine Verstaatlichung und eine ganze Reihe von sozialen Reformen verspricht. Aber, wie selbst die Labour Party und Corbyns linke AnhängerInnen zeigen, sind sie nicht bereit oder vorbereitet für einen entscheidenden Bruch mit den Rechten in ihren eigenen Parteien, selbst wenn diese massive Sabotage betreiben. Was sie in der Regierung tun würden, kann man sich leicht vorstellen.

Dies ist eine Folge ihrer politischen Strategie, nicht des Charakters ihrer FührerInnen. Ihr Programm erfordert eine parlamentarische Mehrheit, und um diese zu erreichen oder aufrechtzuerhalten, müssen sie nicht nur den rechten Flügel „an Bord“ halten, sondern auch den GewerkschaftsführerInnen und der Bourgeoisie selbst versichern, dass sogar eine von den linken ReformistInnen geführte Regierung nicht „zu weit“ gehen und zu Kompromissen bereit sein würde. Sie versichert der ArbeiterInnenbürokratie und der Bourgeoisie, dass die Bewegung unter ihrer Führung nicht mit revolutionären Mitteln mit dem bürgerlichen Staat und der herrschenden Klasse brechen würde. Deshalb hat die Corbyn-Führung in der Frage der Kontrolle der Parteimitglieder über die Abgeordneten den Rechten zugestimmt, hat eine demokratische Entscheidung über die Brexit-Politik behindert und gleichzeitig die Unterstützung der Freizügigkeit (Niederlassungsrecht für Beschäftigte in allen EU-Staaten) aufgegeben. Sie hat es zeitweilig sogar der Premierministerin Theresa May ermöglicht, die Initiative wiederzuerlangen.

Angesichts des Rechtsrucks in Europa und der sich verschärfenden Krise müssen sich die RevolutionärInnen auf die Mitglieder und AnhängerInnen dieser Parteien beziehen, da sie immer noch die Masse der organisierten ArbeiterInnenklasse des Kontinents repräsentieren und immer noch die Mehrheit der Gewerkschaften anführen und dominieren. Kein erfolgreicher Kampf gegen die aktuellen und kommenden Angriffe wird möglich sein, ohne diese ArbeiterInnen zum Handeln zu bewegen.

Daher müssen RevolutionärInnen eine unerbittliche Kritik an der Politik, den Programmen und den Anpassungen dieser Parteien an die Bourgeoisie mit der Aufforderung an sie verbinden, gegen die nationalen und europäischen KapitalistInnen zu mobilisieren. Das bedeutet, zu verlangen, dass sie mit der Bourgeoisie brechen, wenn sie an der Regierung sind, und jede Koalition mit den Parteien der herrschenden Klasse ablehnen. Sie sollten die Linke in diesen Parteien in ihrem Kampf gegen die Rechte unterstützen und von ihr entschlossenes Handeln verlangen, aber, wie das Beispiel von Labour oder anderen Parteien zeigt, dürfen sie dies nicht mit der Anpassung an das Programm und die Strategie der linken ReformistInnen verwechseln. Jede Unterstützung muss sehr kritisch und darauf ausgerichtet sein, das Gehör des ArbeiterInnenanhangs dieser Parteien zu finden, um ihn davon zu überzeugen, mit dem Reformismus als solchem zu brechen und für ein revolutionäres Programm zu gewinnen.

In vielen Ländern hat die Krise der Sozialdemokratie oder der alten „kommunistischen“, d. h. stalinistischen Partei, zur Gründung von „linken Parteien“ geführt, Parteien mit einem linken reformistischen Programm. Wie das Beispiel von Syriza in der Regierung gezeigt hat, unterscheiden sich diese Parteien qualitativ nicht von den etablierten reformistischen Parteien. Sie sind weder willens noch bereit, mit der Bourgeoisie und dem europäischen Kapital zu brechen, wenn ein revolutionärer Bruch erforderlich ist.

Trotz der Krise der europäischen Sozialdemokratie waren diese linken Parteien jedoch selbst nicht in der Lage, die Masse der ArbeiterInnenklasse in den meisten Ländern außerhalb Griechenlands zu gewinnen. Ein Grund dafür ist, dass sie letztendlich keine strategische, programmatische Alternative zum Programm der Hauptspielart des Reformismus bieten. Wenn die größere reformistische Partei „plötzlich“ nach links geht, sind die linken ReformistInnen schwer zu unterscheiden. Zweitens haben sich solche Parteien immer wieder geweigert, die Führung und Hegemonie der Sozialdemokratie in den Gewerkschaften und ArbeiterInnenorganisationen in Frage zu stellen und haben dadurch oft sogar schwächere organische Verbindungen zur Klasse.

Während sich die sozialdemokratischen Parteien selbst bisher generell an die „proeuropäischen“ Teile ihrer herrschenden Klassen angepasst haben, sind die europäischen Linksparteien in dieser Hinsicht gespalten. Ein wichtiger Teil imitiert die Politik der Sozialdemokratie, wenn auch in einer eher linken Version. Er fordert die „Umwandlung“ der EU in eine soziale, demokratische Einheit mit Wohlfahrt, Verstaatlichung wichtiger Wirtschaftssektoren und einer „humanitären“ oder „friedlichen“ Globalpolitik. Er lehnt die NATO ab und ruft auch zur „Abrüstung“ auf, d. h. zu einer sozialpazifistischen und nicht zu einer offen sozial-chauvinistischen Politik.

Als ReformistInnen ist ihre Strategie für den Wandel jedoch letztendlich eine parlamentarische, die versucht, Europa über die bestehenden, wenn auch demokratisierten Institutionen der bürgerlichen Staaten zu verändern.

Während dieser Flügel des europäischen linken Reformismus eindeutig sozial mit der ArbeiterInnenklasse verbunden und organisch damit vernetzt ist, sind auch Formen eines europäischen linken Populismus entstanden, sowohl in den Formen „Pro-EU“ als auch „Anti-EU“.

Einerseits gibt es die kleine „Demokratie in Europa“-Bewegung 2025, kurz DiEM25, um den ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis. Mit 60.000 Mitgliedern aus der gesamten Europäischen Union sieht diese den Feind im „finanzialisiertes“ globalen Kapital. In ihrem Manifest wird über den demokratischen Wiederaufbau der EU von unten durch eine „radikale“ Demokratisierung und „die Neuaufstellung bestehender Institutionen durch eine kreative Neuinterpretation bestehender Verträge und Charten“ gesprochen, die in den Wahlen zu einer „verfassunggebenden Versammlung“ gipfeln sollen. Es stellt eine eklektische Mischung aus utopischen und reformistischen Forderungen wie einem universellen Grundeinkommen und Beteiligungshaushalten dar. Als Agentur, die dies erreicht, sieht DiEM25 nicht die ArbeiterInnenbewegung, sondern „das Volk“. In der Tat erweist sich dieses „Volk“ als der akademische Mittelstand.

Andererseits hat eine Spaltung in der Europäischen Linkspartei zur Bildung einer linkspopulistischen europäischen Allianz geführt, die „Maintenant le Peuple“ (Jetzt das Volk) um La France Insoumise (Unbeugsames Frankreich) herum, mit dem Parti de Gauche (Linkspartei), dem spanische Podemos, dem portugiesischen Bloco de Esquerda (Linksblock), der schwedische Vänsterpartiet (Linkspartei) und der dänische Enhedslisten (Einheitsliste Rot-Grün). Im Gegensatz zur Europäischen Linkspartei kämpfen sie für eine offene Ablehnung der EU von Seiten der „Linken“ und für den Austritt aus der EU. Sie sind der Ansicht, dass ein Reformprogramm nur außerhalb der EU und mit der Rückkehr zur „nationalen Souveränität“ durchgeführt werden kann.

Die Allianz „Jetzt das Volk“ versucht die Rechten in ihrer Ablehnung der EU zu übertreffen, auch wenn die Alternative, zurück zum Nationalstaat, die gleiche ist. Hier wird die Illusion verbreitet, dass es im Nationalstaat bessere Kampfperspektiven gebe, dass die ArbeiterInnenbewegung und der Mittelstand da „mehr“ herausholen könnten als aus dem bürokratischen Monster EU. In diesem Sinne gibt es gewisse Überschneidungen dieser linken PopulistInnen mit ihren GegnerInnen, den rechten PopulistInnen. Diese Anpassung an den populistischen Trend der bürgerlichen Klasse ist nicht verwunderlich, da sowohl Mélenchon als auch die Europäische Linke bürgerliche Politik innerhalb der ArbeiterInnenbewegung vertreten und sich als „vernünftige“ Alternative für das jeweilige nationale Kapital verstehen.

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